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Gesang, Gesangspädagogik
Eine „schulmäßige“ sängerische Musikpflege in Österreich kann ab den ersten Klostergründungen nach 300 angenommen werden. In ihnen wurden der lateinische Choral, später auch Hymnen, Sequenzen und deutsche Lieder (Kirchenlied) gesungen; Mehrstimmigkeit gab es im Rahmen der Liturgie wohl erst später. Im weltlichen Bereich besitzen wir in dem im Donauraum entstandenen Nibelungenlied (um 1200) die erste „musikalische“ Quelle, ohne die verwendete Melodie mit Sicherheit zu kennen. Und Walther v. der Vogelweide lernte in Wien lt. eigenem Zeugnis „singen unde sagen“.

Für 1296 ist erstmals die Existenz einer Wiener Hofkapelle (Hofmusikkapelle) verbürgt; ihre Sänger und Musiker hatten gleichermaßen geistliche wie weltliche Feste auszuschmücken. Auf dem Gebiet des einstimmigen weltlichen Gesanges ist später der in Wien lebende Meistersinger M. Beheim (um 1460) von besonderem Interesse, der u. a. 452 Liedtexte (auf elf Melodien) verfasste. Ein besonders interessanter Punkt der Gesangstradition wurde das Œuvre des Tirolers Oswald v. Wolkenstein.

Hohe Bedeutung erhalten dann die Hofkapellen Maximilians I. in Innsbruck und Wien: deren Umfeld entsprossen auch die Hofsängerknaben, die Vorgängerinstitution der Wiener Sängerknaben. Der erste Hofkapellmeister G. Slatkonia und seine frühen Nachfolger waren Sänger, ehe im 17. Jh. primär Instrumentalisten das Amt ausübten. Doch gehörten der Kapelle auch „Singmeister“ an, die für den Unterricht der Kapellknaben verantwortlich waren. Die oberste Zuständigkeit der Hofkapellmeister für die Gesangsausbildung ist u. a. durch J. J. Fux dokumentiert, der ein (Solfeggien zusammenfassendes) Singfundament verfasste; dessen Übungen liegen auch weiteren pädagogischen Werken (z. B. einer Violinschule) zugrunde, womit die idiomatische Einheit von Gesangs- und Instrumentalmusik dokumentiert erscheint. Noch Julius Stockhausen nahm in seine Gesangs-Technik (Leipzig 1886) Solfeggien von Fux wie auch von A. Salieri auf.

Spezielle Gesangspädagogen haben wir in dem Kastraten P. F. Tosi aus Cesena/I sowie in dem Neapolitaner G. Porsile vor uns, der wohl von der Kaiserinwitwe (nach Joseph I.) Wilhelmina Amalia 1711 nach Wien berufen wurde. Danach ist N. Porpora (bei dem J. Haydn korrepetierte) zu nennen, dessen Solfeggi fugati per la Voce col Basso nicht nur Generationen von Gesangsschülern zur Grundlage für den Unterricht dienten, sondern auch J. Haydns Instrumentalmusik prägten. Ähnliche Bedeutung besitzt der Kastrat G. B. Mancini, der 1757 von Maria Theresia nach Wien berufen wurde, um die Erzhzg.innen im Gesang zu unterrichten, und hier als „Hofsingemeister“ Furore machte; seine Pensieri e riflessioni pratiche sopra il canto figurato (Wien 1774) galten bis weit ins 19. Jh. hinein als gesangspädagogisches Standardwerk. Im Übrigen wirkten in den geistlichen Kantoreien ebenfalls spezielle Pädagogen; so standen etwa Ende des 17. Jh. für die Salzburger Dom-Sängerknaben zwei Lehrer für den Figuralgesang und einer für den Gregorianischen Choral bereit.

Hofmusikkapelle und geistliche Kantoreien waren weiterhin Zentren der institutionellen Gesangsausbildung: in Wien gingen die Brüder Haydn aus der Kapelle des Stephansdomes hervor und Hofkapellmeister A. Salieri stand 1813 an der Wiege des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, das 1816 mit einer Chorübungsanstalt den Betrieb aufnahm und 1817 eine Singschule folgen ließ. Für erstere verfasste Salieri seine Scuola di Canto, die dann allen Studierenden als Grundlage diente; denn laut den Ausbildungsprinzipien konnte „kein Zögling von der Erlernung des Gesanges ausgenommen werden, da der Gesang die Grundlage der Musik ist“. Erste Lehrer der Singschule wurden Philipp Korner (bis 1822) und J. Frühwald (bis 1848), 1819 kam A. Fröhlich dazu, die bis 1854 unterrichtete und das Musikleben Wiens wesentlich prägte. Die Ausbildung zum Solosänger währte hier 5–8 Jahre bei wöchentlich drei Gesangsstunden.

Sowohl die Gesangs- als auch die Instrumentalpädagogen des Konservatoriums standen in engem Kontakt zur Wiener Hofoper, die aber zeitweise auch eigene Gesangspädagogen als Kapellmeister engagierte, u. a. in der Saison 1837/38 den nachmaligen (1842) Gründer der Wiener Philharmoniker, O. Nicolai.

Von den zahlreichen Gesangspädagogen des Konservatoriums bzw. der K. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst seien nur einige der bekanntesten genannt: S. Sulzer (1845–47), M. Marchesi (1854–61 und 1868–78), Anna Pessiak (1870–82), Viktor v. Rokitansky (1871–80), J. Gänsbacher (1876–1904), L. Dustmann (1878–93), Sophie Wlczek (1881–94), Irene Schlemmer-Ambros (1892–1909) und F. Forstén (1894–1909). „Physiologie und Pathologie. Bau, Funktionen und Pflege der menschlichen Stimmorgane“ unterrichteten die Ärzte Johann Schnitzler (1874–78, Vater von Arthur Sch.), Karl Schwarz (1884–1902) und danach Leopold Rethi bis 1924. „Unterrichtsmethodik für Gesang“ wurde von J. N. Fuchs (1896–99) sowie danach (bis 1921) von F. Haböck gelesen.

1831 gründete Laurenz Weiß im Verband des Konservatoriums auch die (Lehrer-)Präparandenklasse von St. Anna samt einer (dreijährigen) Chorgesangsklasse, der er bis 1880 vorstand; ihm folgten 1884 F. Löwe, 1896 Joh. Faistenberger und 1905 E. Thomas, der diese Funktion bis 1922 ausübte. Ebenfalls dem Konservatorium und (ab 1909) der Akademie gehörten schließlich (u. a.) die Gesangspädagogen R. Papier-Paumgartner (1893–1930), Franz Haböck (1900–1921) und Marie Seyff-Katzmayr (1904–1933) an.

Von den zahlreichen prominenten Gesangspädagogen der Staatsakademie bzw. Hsch. seien genannt: Eduard Unger (1909–24), Hans Enders (1913–37; er unterrichtete auch Methodik des Gesangsunterrichtes), Corneille de Kuyper (1923–37), Paula Mark-Neusser (1923–49), Sascha Cahier (1927–38), R. Winter (1929–67), Minna Singer-Burian (1930–46), H. Wildbrunn (1931–50), Gustav Fuhsberg (1933–50) und H. Gallos (1937–54). Wesentliche Zugänge nach 1938 waren dann A. Konetzni-Wiedmann (1939–50) und A. Vogel (1941–63).

In der Zwischenkriegszeit erschien in Wien auch die Zeitschrift Die Stimmbildung. Stimmwissenschaftliche Blätter für Kultur und Kritik des Kunstgesanges, die der Gesangspädagoge O. Iro in den Jahren 1919–30 herausgab; Iro verfasste zudem das Buch Diagnostik der Stimme (Wien 1923).

Seit der Gründung der Abteilung für Musikerziehung im Jahre 1947 findet die Gesangsausbildung sowohl an dieser (für die Gesangspädagogen und Schulmusiker) als auch an der Sologesangsabteilung statt. Einige wenige Lehrer seien genannt: L. Grossmann, Wolfgang Steinbrück, E. Radò, Alexander Kolo, Margaretha Sparber, L. Scheit, Karl Tuttner, Ilse Rapf und H. Rössl-Majdan für Gesang sowie A. Dermota, R. Schollum, E. Werba und W. Berry für Liedinterpretation. In der Gesangsforschung tätig wurden v. a. Margaretha Sparber, langjährige Leiterin des Instituts für Atem- und Stimmerziehung, sowie die Ärzte Friedrich Frank und Franz Muhar.

In Salzburg rief man 1841 – in Analogie zur Entwicklung in Wien – den Dom-Musik-Verein ins Leben, der auch die Musiklehranstalt Mozarteum gründete. Hier unterrichtete der jeweilige Chordirektor die Kapellknaben in Gesang, ab 1846 gab es auch eine Mädchen-Gesangsschule. 1880 übernahm die Internationale Stiftung Mozart die Anstalt, und nun setzte auch der Unterricht im Sologesang ein; als bedeutende Lehrer seien genannt: Maria Stanek-Hrimaly (1881–1901), B. Pollini-Bianchi (1914–28), Karl Groß (1919–41), Martha Schlager-Haustein (1928–38 und 1945–59), M. Lorenz, L. Weber, Walter Raninger und W. Lipp, Klassen für Liedinterpretation hatten u. a. J. Patzak und P. Schilhawsky inne.

In Graz öffnete 1817 die MSch. des Musikvereins für Steiermark ihre Pforten, die ebenfalls eine wechselvolle Geschichte hatte (Hochschule für Musik und darstellende Kunst). Prominente Lehrer für Liedgesang waren hier zuletzt E. Werba und I. Malaniuk.

Abschließend muss unterstrichen werden, dass auch an den öffentlichen und privaten Konservatorien sowie an zahlreichen MSch.n Österreichs Gesangsunterricht stattfindet, und dies ebenfalls sowohl mit pädagogischer als auch mit künstlerischer Ausrichtung. Zahlreiche Privatlehrer vervollständigen die Szene, deren Reichtum hier nur angedeutet werden konnte und noch kaum zu überblicken ist.


Literatur
R. v. Perger/R. Hirschfeld, Gesch. der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 1912; R. Lach, Gesch. der Staatsakademie und Hsch. für Musik und darstellende Kunst in Wien 1927; E. Tittel, Die Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien 1967; O. Kolleritsch/F. Körner (Hg.), [Fs.] Hsch. für Musik und darstellende Kunst in Graz 1974; H. Krones in ÖMZ 43 (1988); K. Wagner, Das Mozarteum 1993; M. Kubaczek, Das andere Musikland Österreich 1994; MGÖ 1–3 (1995); H. Krones in H. Krones (Hg.), Alte Musik und Musikpädagogik 1997; P.-M. Fischer, Die Stimme des Sängers 21998.

Autor*innen
Hartmut Krones
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Hartmut Krones, Art. „Gesang, Gesangspädagogik“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001cefd
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10.1553/0x0001cefd
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