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Kirchenlied
Volkssprachlicher geistlicher Gesang in metrisch gebundener (meist Strophen-)Form zum liturgischen oder außerliturgischen Gebrauch kirchlicher Gemeinschaften (Lied, geistliches Volkslied). Der Begriff K. ist v. a. geprägt durch die reiche Geschichte volkssprachlichen Liedersingens christlicher Gemeinden (Gemeindegesang) im mitteleuropäischen Raum, insbesondere seit dem 16. Jh., in dem sich das K. zu einem fundamentalen Identitätsmerkmal der reformatorischen Kirchen (Reformation) herausgebildet hat. Die Anfänge dieser Geschichte reichen aber weit in das Mittelalter zurück. Von dort her, und nicht bloß als eine Reaktion auf reformatorische Praxis, stellt das K. auch einen bedeutenden Teil der kirchenmusikalischen, liturgischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Traditionen der römisch-katholischen Kirche dar.

In allen Epochen seiner Geschichte hat das K. wichtige Impulse und Beiträge durch christliche Kommunitäten und Persönlichkeiten erfahren, die im heutigen Österreich zu lokalisieren sind. Dieses Territorium ist zugleich eine bedeutende Region der Rezeption des großen Schatzes deutscher K.er, der zu einem guten Teil nicht hier entstanden ist, der aber durch die übernationale Verbundenheit der christlichen Konfessionen, Teilkirchen und Orden hier mitgeprägt und mitüberliefert wurde. Die Geschichte des K.es ist engstens verknüpft mit jener des (Kirchen-)Gesangbuchs, welches als kirchliche bzw. liturgische Institution zusammen mit der Gesangspraxis sein wichtigstes Überlieferungsmedium darstellt. Die gegenwärtig gebräuchlichen Gesangbücher – das Gotteslob (1975, GL alt, und in völlig neuer Form 2013, GL neu) in der römisch-katholischen, das Evangelische Gesangbuch (Stammausgabe 1993, offizielle Einführung in Österreich 1994, EG) in den evangelischen Kirchen und eine Reihe von Liederbüchern mit vorwiegend neuerem geistlichem Liedgut – zeigen, dass die Geschichte des K.es ein lebendiger und viele Jh.e überbrückender Prozess geistlicher und liturgischer Gesangskultur ist.

Die Entstehung des volkssprachlichen K.es ist wesentlich mit der Geschichte der Beteiligung des gläubigen Volkes an der lateinischen mittelalterlichen Liturgie verbunden. Im deutschsprachigen Raum sind erstmals im 9. Jh. handschriftliche Belege greifbar. Die Murbacher Hymnen von der Insel Reichenau/D werden um 800 datiert, sind aber als Interlinearübersetzungen lateinischer Hymnen noch nicht zum Singen eingerichtet. Das Freisinger Petruslied, entstanden vermutlich um die Mitte des 9. Jh.s, gilt als das älteste (althoch-)deutsche K.

Zahlreiche Handschriften aus österreichischen Augustiner Chorherren-Stiften und Benediktiner(innen)klöstern sowie aus Metropolitankirchen (Passau, Salzburg) bezeugen ab dem 12. Jh. ein wachsendes Repertoire volkssprachlicher Gesänge innerhalb der Liturgie. Lateinische Hymnen, Sequenzen und Antiphonen (Choral) wurden übersetzt, paraphrasiert oder erweitert und erhielten in ihrer deutschen Version an genau festgelegten Stellen innerhalb der Liturgie eine eigenständige Funktion, die die Rolle des Volkes bereicherte, welche bis dahin auf das Kantillieren von Akklamationen beschränkt war (Kyrieleison-Rufe für Bittprozessionen sind etwa auf dem Konzil von Salzburg 799 bezeugt und geregelt). Zu den ältesten Formen solcher Lieder gehören der Ruf und die „Leise“, ein liedförmiger Gesang, dessen Strophen jeweils mit „Kyrieleis“ enden. Um 1160 ist der älteste Beleg für die Osterleise Christ ist erstanden (A-Wn 1482) zu datieren, welche bis heute zu den wichtigsten K.ern der deutschsprachigen christlichen Ökumene zählt (Osterlied).

Das Lied findet sich erstmals im Liber Ordinarius des Mengotus aus einer Stiftskirche der alten Salzburger Metropole (überliefert in einer Dom-Salzburger Sammelhandschrift, heute: A-Wn 1482). Es ist dort als Gesang des Volkes innerhalb der „visitatio sepulchri“ (Geistliche Spiele) im Rahmen der Osterliturgie bezeugt, so auch wenig später im ältesten Salzburger Liber Ordinarius (A-Su M II 6), entstanden 1181–98. Die textlichen und melodischen Wurzeln liegen in der Ostersequenz Victimae paschali laudes. Das Lied ist bald in überregionaler Verbreitung innerhalb der Osterspiele und als österlicher Prozessionsgesang in Verbindung mit der genannten Ostersequenz liturgisch fest verankert.

Eine Seckauer Handschrift aus dem 13. Jh. (A-Gu ms 287) enthält die freie Nachdichtung der Mariensequenz Ave praeclara maris stella des Hermann v. der Reichenau als deutsch-lateinisches Mischlied: Ave du vil schoniu maris stella / ze saelden aller diet exorta. Die österreichisch-süddeutsche Augustiner-Chorherren-Tradition überliefert uns mit dem Seckauer Liber Ordinarius um 1345 (A-Gu ms 756) eine der bedeutendsten und ältesten Quellen für die Integration lateinischer Cantiones, deutscher Lieder und lateinisch-deutscher Mischlieder in die Liturgie.

Im selben Kontext wie die bereits erwähnte Osterleise findet sich hier das Lied Es giengen drei vrauwen; am Ende der Weihnachtsmette die Cantio resonet in laudibus, die zum Lied Josef, lieber neve [später: Josef] mein weiterentwickelt wurde (vgl. auch GL alt 135), welches innerhalb der liturgischen Weihnachtsspiele (bzw. zum „Kindlwiegen“) seinen Platz hatte (Weihnachtslied); weiters der Ruf Helf vns sande Mareye, helfet vns hymelischevo vravowe; in den Messen der Bittage das Lied: Voit, Wytben, vater waisen, [Beschützer der Witwen, Vater der Waisen] / gedench deiner armen christenhait not, / want du bist unser aller trost; zum Prozessionshymnus Gloria laus et honor am Palmsonntag nach jeder Strophe ein Kehrvers des Volkes, mit Vorsängerteil und Refrain: „[V:] Israhelischev menigev, / dev fur christ entgegene / mit lob und mit gesange. / [A:] Willekomen seistv herre, / chaiser alles israhelis“; die Übertragung des Hymnus Rex Christe factor omnium für die Trauermette am Gründonnerstag: „Chunich schepfaer alles dester ist, / du der in dem himelreiche bist, / geweltlich mit den trawten dein, / du chere an uns genade dein“ (nach W. Lipphardt verfasst von Gundaker von Judenburg gegen Ende des 13. Jh.s); in der Trauermette am Karfreitag die Leise „der des himels vnd der erde geweltlich ist [...] Kyrieleison“; zum Prozessionshymnus Salve festa dies vor dem Hochamt am Ostersonntag singt das Volk: „Also hailich is dierre tach / daz in niemen mit lob ervullen mach“ mit der Repetitio: „Do der heilige gotes svn / die helle uberwant / und den tieuel darinne gepant“.

Nur wenige Jahrzehnte später schuf der Mönch v. Salzburg neben zahlreichen weltlichen auch 49 geistliche Lieder, darunter viele Hymnen- und Sequenzenübertragungen (von ihm stammt die Melodie EG 344: Vater Unser im Himmelreich). An diese Tradition schließt der geistliche Teil des Schaffens Oswald v. Wolkensteins an. Seit dem 15. Jh. waren v. a. im Salzburgischen darüber hinaus verbreitet: das Lied Mitten unsers Lebens zeit, abhängig von der ebenfalls in dieser Region bezeugten Antiphon Media vita in morte sumus (seit dem 11. Jh.; liturgisch klar zugeordnet erstmals im oben erwähnten Salzburger Liber Ordinarius) und das Lied Sysser Vatter Gott über die Zehn Gebote.

In Admont ms 168 findet sich der Ruf: „Maria muoter, reine mait / erpar dich uber dy christenhayt / erpar dich uber dy deiner chind / dye hye in großem elend sind“. Bereits die steirische Reimchronik Ottokars v. der Gaal berichtet, dass dieser Ruf bei der Schlacht auf dem Marchfeld am 26.8.1278 als Kampfgesang angestimmt worden sei. Die Entstehung des alten deutschen Pfingstliedes Komm heiliger Geist wird gerne mit der „Melker Reform“ in Verbindung gebracht. In A-A, ms 516 aus Admont steht von späterer Hand um 1500 hinzugefügt das Lied Jesus Christus unser hail; es handelt sich um die deutsche Übertragung der Cantio Jesus Christus nostra salus, ein weit verbreitetes Sakramentslied aus Böhmen, das dem Johannes Hus (ca. 1369–1415; Hussiten) zugeschrieben wird. Für einige Strophen dieses Liedes liegt hier der älteste Zeuge vor. Das Wienhäuser Liederbuch, eine um 1494/95 entstandene Hs. aus der Wiener Hofbibliothek, bildet die älteste Quelle für das Lied Da Jesus an dem Kreuze stund (GL alt 187), das in der literarisch-spirituellen Tradition der Sieben letzten Worte Jesu am Kreuz steht. Zu Beginn des 16. Jh.s sind uns in einer bedeutenden Handschrift aus St. Peter in Salzburg, die heute in der Bibliothek von Michaelbeuern aufbewahrt wird (A-MB, Sammelhs. Man. cart. 1), zahlreiche geistliche Liedtexte und Melodien überliefert, unter denen volkssprachliche Marienlieder hervorzuheben sind: Salve Regina (auch in einer deutschen Paraphrase); O Layd und klag, wer das gesagen mag; O fraw von herzen wir dich ermanen deiner schmerzen; O layd und klag, wer das im herzen tragen mag; als Nachtrag des 16. Jh.s finden sich in derselben Handschrift die Marienlieder O heilige unbeflecte zart iunckfrawschaft Marie und Maria zart, von edeler art. Vom Wiedertäufer Georg Grünwald aus Tirol (* ca. 1490 in Kitzbühel/T, 1526 Vorsteher der Täufergemeinde, 1530 als Wiedertäufer in Kufstein verbrannt) stammt der Text des Liedes Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn (EG363), eine geistliche Kontrafaktur (Parodie) zu einer Anfang des 16. Jh.s geschaffenen weltlichen Melodie. Der berühmte Organist und Orgellehrer P. Hofhaimer schuf 1512 die Melodie des Liedes Allein zu dir, Herr Jesu Christ (EG 232).

Gegen Ende des 15. Jh.s entsteht eines der bekanntesten weltlichen Lieder, das später ebenfalls durch das Stilmittel der Kontrafaktur sogar mehrfach in Liturgie und Frömmigkeit verbreitet wurde, H. Isaacs Innsbruck, ich muss dich lassen, geistlich: O Welt, ich muss dich lassen (der Text entstand um 1555 in Nürnberg; GL alt 659/GL neu 510) und als Sakramentslied O heil’ge Seelenspeise (Text nach O esca viatorum, Würzburg 1649; GL alt 503/GL neu 213). In der 2. Hälfte des 16. Jh.s ist in Salzburg ein Repertoire von etwa 20 K.ern bezeugt, das sich mit jenem süddeutscher Regionen (Regensburg, Freising, Augsburg) weitgehend deckt. Neben einigen bereits genannten Liedern gehören dazu: Der Tag, der ist so freudenreich; Ein Kind geborn zu Betlehem; In dulci jubilo (GL alt 142/GL neu 253) im Weihnachtsfestkreis; das Osterlied Erstanden ist der heylig Christ; das Himmelfahrtslied Christus fuhr mit schallen; das Pfingstlied Kumb heiliger Geist, Herre Gott; Der zart Fronleichnam der ist gut; Maria du bist genaden voll; Jesus ist ein suesser nam und Vatter unser der bist im Himmelreich.

Die Reformationsbewegung knüpfte direkt an dieses gewachsene Liedgut an, maß dem K. aber eine wesentlich bedeutendere Funktion in Verkündigung und Liturgie zu, als es bisher der Fall war und initiierte ein mächtiges Liederschaffen, das zu einem ihrer Hauptkennzeichen werden sollte. In Österreich waren mit großer Wahrscheinlichkeit die ersten Generationen reformatorischer Gesangbücher aus Deutschland stark verbreitet, bis sie Ende des 16. Jh.s der Gegenreformation zum Opfer fielen. Entstanden sind hier nur wenige protestantisch beeinflusste K.er und Gesangbücher.

Die Hymnen und Antiphonen im 1524 gedruckten Hymnar von Sigmundslust aus Schwaz in Tirol stehen formal noch ganz in spätmittelalterlicher Tradition, lassen aber an einigen Stellen deutlich reformatorische Ambitionen erkennen; so etwa, wenn die marianische Antiphon Salve Regina zu einem Christusgruß umgeformt erscheint: „Salve, Jhesu Christe, misericordia [...] o dulcis Jhesu, Fili Marie / Biß gegrüeßt, Du Khünig Christe [...]“. Unter dem Titel Gesang-Postille hat A. Gigler (Graz 1569 und 1574) seine deutschen Evangelienlieder zu jedem Sonn- und Festtag nach dem Vorbild der Sonntagsevangelia des Nikolaus Herman (Wittenberg 1560) veröffentlicht. Die Stücke gehören in die Tradition reformatorischer Liedverkündigung, wenngleich Gigler bei den „Altgläubigen“ verbleiben wollte. Ihre Rezeption blieb aber regional begrenzt.

Stärkere Verbreitung erfuhren dagegen Lieder aus dem ersten dezidiert katholischen Gesangbuchdruck Österreichs, dem Innsbrucker Catholisch Gesangbuechlein von 1588, das aus bereits vorliegenden katholischen Gesangbüchern Deutschlands und aus älterem regional verwurzeltem Liedgut schöpft. Erstmals finden sich hier die in der Folgezeit weit verbreiteten Lieder Ave Maria, du Himmelskönigin und Es muss erklingen überall (eine eigenständige Übertragung des Resonet in laudibus). 1602 veröffentlichte N. Beuttner in seinem Catholisch Gesang-Buch neben einigen bereits etablierten katholischen K.ern erstmals und zum überwiegenden Teil solche Lieder, die er selbst aus der mündlichen Überlieferung in der Steiermark gesammelt und aufgezeichnet, teilweise auch weiter ausgestaltet hat.

Beuttners textliche und melodische Umarbeitungen von bereits gedruckten Liedern lassen darauf schließen, dass er auch das übrige Liedgut durch seine poetische und musikalische Meisterschaft mitgeformt hat. Hier finden sich mittelalterliche Rufe, wie sie uns z. T. aus frühen handschriftlichen Quellen bezeugt sind, Geißler-, Prozessions- und Wallfahrerlieder (Prozession). Einige wurden im 19. Jh. wiederbelebt. Zum gegenwärtigen K.gut gehören aus dieser Quelle die Leise Und unser lieben Frauen (GL alt Diözesananhang Graz-Seckau 1998, 915) sowie die Melodien von O höre, Herr, erhöre mich (GL alt 167/GL neu Österreichteil 814) und Christe, du Lamm Gottes (GL alt 502/GL neu 204).

D. G. Corner veröffentlichte in seinem 1625 in erster Auflage erschienenen Groß Catholisch Gesangbuch (in stark erweiterter Form ab 1631 unter dem Titel Geistliche Nachtigal verbreitet) über 20 eigene Lieddichtungen und nicht wenige erstmals festgehaltene Lieder, darunter Ihr Freunde Gottes allzugleich (Text, GL alt 608/GL neu 542), die 4. Strophe des Liedes Maria aufgenommen ist (GL alt 587/GL neu 522 [2. Teil der 2. Strophe]) und die 7. Strophe des Liedes O Heiland, reiß die Himmel auf (EG 7).

Zu den produktivsten Lieddichtern des süddeutschen und österreichischen Barock zählt der aus Vorarlberg stammende Kapuziner L. v. Schnüffis. Auf ihn geht z. B. der Text des Marienliedes Wunderschön prächtige (GL alt Österreichanhang 842/GL neu Österreichteil 948) zurück. Etwas älter ist ein anderes bis heute viel gesungenes Marienlied: Maria breit den Mantel aus (GL alt 595/GL neu 534), mit 29 Strophen erstmals 1640 in einem Innsbrucker Vier-Lieder-Druck dokumentiert.

Seit der Gegenreformation gehörten in Österreich die Jesuiten zu den Trägern der katholischen K.-Kultur, unter deren Einfluss bereits das Beuttnersche Gesangbuch zustande gekommen ist. Im 17. u. 18. Jh. förderten sie mit Gesangbuchprojekten v. a. in Wien, aber auch in Graz und Innsbruck das K.; parallele Aktivitäten sind von den Dominikanern in Wien sowie von den Kapuzinern in Passau ausgegangen. Sie alle waren jedoch stärker für Katechese und Andacht als für die Liturgie konzipiert.

Für die österreichische K.-Pflege bedeuteten die aufklärerischen Maßnahmen Maria Theresias und Josephs II. eine deutliche Zäsur. Einerseits waren die Herrscher selbst bestrebt, ein neues Repertoire an K.ern zu verbreiten, andererseits entstanden in Wien v. a. durch die Jesuiten Franz Xaver Riedel (1738–73) und J. M. Denis Lieder, die rasche Verbreitung fanden. So kam es für das gesamte 19. Jh. zu einem neuen Kernbestand an katholischen K.ern, die den kirchlichen Volksgesang der Monarchie über die Grenzen der deutschsprachigen Gebiete hinaus prägen sollten.

Von Riedel stammt etwa die bis heute viel gesungene Nachdichtung der Fronleichnamssequenz Deinem Heiland, deinem Lehrer (GL alt Österreichanhang 831/GL neu Österreichteil 938; Melodie von M. Haydn 1781). Denis schuf zahlreiche neue Liedtexte auf bekannte Melodien, darunter einige bis heute gültige Standardlieder: Der Heiland ist erstanden (eine Umdichtung des alten Christ ist erstanden; GL alt 827 und alle Diözesananhänge/GL neu 828–832); Erfreut euch, liebe Seelen (GL alt Diözesananhang Graz-Seckau 1998 939 [1975: 924], Wien 021); Lass mich deine Leiden singen (GL alt Österreichanhang 821/GL neu Österreichteil 819); Maria sei gegrüßet (aus der alten Vorlage Ave, Maria klare; GL alt Österreichanhang 815/GL neu Österreichteil 795); Tauet Himmel, den Gerechten (eine Umarbeitung des gleichlautenden Titels aus dem ersten Gesangbuch der katholischen Aufklärung, Heinrich Lindenborns Tochter Sion, Köln 1741; GL alt Österreichanhang 812 und alle Diözesananhänge/GL neu Österreichteil 790–791). 1783 wurde von Joseph II. der sog. „Normalmessgesang“ mit folgenden Liedern verpflichtend eingeführt: Wir werfen uns darnieder; Gott Vater! dir gehöret, Lob, Ruhm, und Dank, und Ehr; Aus Gottes Munde gehet; Wir glauben und bekennen; Herr! laß doch diese Gaben; Laßt uns gen Himmel schwingen; (GL alt Diözesananhang St. Pölten 938,3); Hier beth ich auf den Knien; Erfreut euch fromme Seelen; Da wir nunmehr gehöret. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die deutsche Singmesse (Messliedreihe, Messe) von Ignaz Franz (1719–90) aus dem Jahr 1766, deren ursprüngliche Melodiefassung von Norbert Hauner (1743–1827) stammt. Bemerkenswert erscheint, dass bereits 1756 in Innsbruck eine Messliedreihe gedruckt worden ist: Auserlesenes Meß-Gesang Auf alle Theile Der Heiligen Messe eingetheilet.

Das Bistum Salzburg hatte die Möglichkeit, eigene Gesangstraditionen weiterzupflegen, übernahm aber mit dem Landshuter Gesangbuch aus dem Jahr 1777 ebenso aufklärerisches K.gut mit Werken von Denis und Riedel.

In zwei Etappen wurde dieses Buch in Salzburg veröffentlicht (1. Teil 1781; 2. Teil 1783). M. Haydn überarbeitete ab 1789 zahlreiche Melodien dieses Gesangbuchs „zum leichteren Gebrauch sowohl für die Stadt, als das Land“, darunter auch die Messliedreihe Hier liegt vor deiner Majestät des F. S. Kohlbrenner; von hier stammt die in Österreich bis heute populär gebliebene Fassung GL alt Österreichanhang 801/GL neu Österreichteil 710. 1795 erschien dieselbe Messliedreihe unabhängig davon in einer von M. Haydn noch einmal veränderten musikalischen Form als „Deutsches vollständiges Hochamt mit den gewöhnlichen vier Singstimmen, zwey Hörnern und der Orgel“. Die andere prominente österreichische Singmesse aus dieser Zeit, Wohin soll ich mich wenden, stammt in ihrem ursprünglichen Textbestand von Johann Philipp Neumann (1774–1849; Physiker und Bibliothekar in Wien, Gründer der Bibliothek der Technischen Univ. Wien) und wurde 1826 von Fr. Schubert für gemischten Chor mit Blasinstrumenten und Orgelbegleitung vertont (vgl. GL alt Österreichanhang 802/GL neu Österreichteil 711).

Einen außerordentlichen Einzelfall mit weltweiter Wirkungsgeschichte stellt das in aufklärerischer und zugleich volkstümlich-romantischer Atmosphäre 1818 entstandene Weihnachtslied Stille Nacht, heilige Nacht (GL alt 145 und alle Diözesananhänge/GL neu 249 und Österreichteil 803; EG 46) dar.

Zu den markanten Entwicklungen der K.-Geschichte gehören im 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh.s die Wiederentdeckung alten Liedgutes, das seit dem Barock nach und nach verdrängt bzw. den jeweiligen Zeitströmungen angepasst worden war, die verstärkte Aufmerksamkeit nicht nur gegenüber deutschen, sondern auch anderssprachigen (v. a. slowenischen) geistlichen Volksliedern und gegenüber der Volksfrömmigkeit.

Pars pro toto: O Jubel, o Freud (GL alt Diözesananhang Graz-Seckau 1998 922 [1975: 914], Wien 007/GL neu Österreichteil 799); Der Heiland ist geboren (GL alt Diözesananhang Graz-Seckau 1998 921 [1975: 913], Wien 006/GL neu Österreichteil 807); v. a. die Marien-, Herz-Jesu- und Sakramentsverehrung drückten sich in zahlreichen neuen Liedschöpfungen aus, z. B. Glorwürd’ge Königin (GL alt Österreichanhang 838/GL neu Österreichteil 963); Herz Jesu, Gottes Opferbrand (GL alt Österreichanhang 837/GL neu 371); Kommet, lobet ohne End (GL alt 833/GL neu Österreichteil 935). Der Jesuit Erich Przywara (1889–1972), der 1912–17 als Musikpräfekt in Feldkirch/V und dann als weithin bekannter Theologe in München tätig war, hat u. a. ein umfangreiches Gesangbuch verfasst. Sein Christuslied O du mein Heiland hoch und hehr (GL alt Diözesananhang Eisenstadt 041, Graz-Seckau 1975 927, Gurk-Klagenfurt 062, Salzburg 918, St. Pölten 947, Wien 022) war über Jahrzehnte hinweg österreichweit verbreitet und viel gesungen.

Nicht zuletzt sind die Einflüsse des Cäcilianismus zu nennen, der sein Hauptaugenmerk zwar auf die Chormusik legte, dennoch aber das K. förderte, soweit es seiner Ideologie nicht entgegenstand.

Einer der Hauptvertreter des österreichischen Cäcilianismus, I. Mitterer, schuf etwa die Melodie der Tiroler Herz-Jesu-Volkshymne Auf zum Schwur (T: Josef Seeber; GL alt Diözesananhang Innsbruck-Feldkirch 936, Salzburg 915–916/GL neu Österreichteil 851–852). A. Faist, von 1905 bis zu seinem Tod 1933 Diözesanpräses des steirischen Cäcilienvereins, trug u. a. mit seiner „Deutschen Singmesse: Kommet, Christen, anzubeten“ (1915) oder mit dem Pfingstlied Komm, Heiliger Geist, auf uns herab (GL alt Diözesananhang Graz-Seckau 1998 937 [1975: 921]/GL neu Österreichteil 846) zum kirchlichen Volksgesang bei. Nicht selten finden sich in dieser Phase K.er als Chorlieder eingerichtet, die mehrstimmig und ausschließlich von Kirchenchören, nicht von der gesamten Gemeinde gesungen wurden.

Die österreichische Liturgische Bewegung übte seit dem Beginn des 20. Jh.s einen großen Einfluss auf die Entwicklung des K.-Repertoires und der liturgischen Gesangspraxis aus. Der erstrebte Gemeinschaftscharakter der Liturgie wurde in wesentlichem Ausmaß durch die Praxis der sog. Betsingmesse erreicht. V. Goller (Leopold-Messe, GL alt 433–435/GL neu 137–139) und J. Kronsteiner (Florian-Messe, GL alt 429–432/GL neu 134–136 und Österreichteil 724) schufen 1945 einstimmige deutsche Ordinariumsvertonungen für den liturgischen Volksgesang. Die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils bestätigte die Bemühungen der Liturgischen Bewegung und veranlasste weitere Reformschritte. Dem volkssprachlichen K. wurde in der römisch-katholischen Kirche erstmals volles liturgisches Recht zugesprochen. Das Einheitsgesangbuch Gotteslob wurde dem gemäß als liturgisches Rollenbuch der Gemeinde konzipiert, das in seinem Stammteil ein gemeinsames Repertoire an K.ern für den deutschen Sprachraum (ausgenommen die Schweiz) bietet und in seinen Regionalanhängen auf lokale Gesangstraditionen Rücksicht nimmt. In engem Zusammenhang mit diesen Entwicklungen ist ein neues ökumenisches Bewusstsein gewachsen, das sich in der konfessionsübergreifenden Rezeption vieler K.er niederschlägt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene K.er österreichischer Provenienz sind im GL selten: zwei Liedtexte des Grazer Religionspädagogen Albert Höfer (* 1932) Wir rühmen dich, König der Herrlichkeit (GL alt 483/GL neu 211) und Vernimm mein Wort, hör meine Stimme nach Psalm 5 mit einer Melodie von P. Planyavsky (GL alt Österreichanhang 850); der Text des Liedes Wir sagen euch an den lieben Advent von der Wiener Lehrerin Maria Ferschl († 1982; GL alt 115/GL neu 223; EG 17).

Seit den 1960er Jahren ist allerdings – verbunden mit kirchlichen Jugendbewegungen und mit der zumindest partiellen Öffnung der Kirche gegenüber zeitgenössischen Kulturerscheinungen – die Entstehung einer inzwischen unüberschaubaren Menge an sog. „neuen geistlichen Liedern“ zu beobachten, die Elemente aus der Pop-Musik und aus dem Jazz rezipieren bzw. kulturellen Import darstellen (Gospels, Spirituals u. a.).

Im GL findet sich das Lied Herr, wir bringen in Brot und Wein (GL alt 534/GL neu 184; 1970), dessen Text vom Innsbrucker Jesuiten und Liturgiewissenschaftler Hans Bernhard Meyer (1924–2002) stammt und dessen Melodie der bekannte kirchliche Liedermacher Peter Janssens (1934–98) komponiert hat; vom selben Autorenduo stammt das Lied Singt dem Herrn, alle Völker und Rassen (1970), das ebenfalls im gesamten deutschen Sprachraum rezipiert wurde. Weit verbreitet sind einige Lieder von Hans Waltersdorfer aus dem Haus der Stille in der Steiermark, so etwa Voll Vertrauen gehe ich den Weg mit dir, mein Gott (1985). Praktisch alle neuen geistlichen Lieder werden in einer Vielzahl kleinerer und größerer Publikationen bzw. Sammlungen verbreitet, die mitunter die offiziellen Gesangbücher zu verdrängen scheinen. Mit diesem regional stark variierenden und dennoch interkulturell geprägten Liederfrühling verschiebt sich der Kernbestand an K.ern in der Praxis der Gemeinden gegenwärtig in erheblichem Ausmaß und wird nicht selten vom „neuen geistlichen Lied“ dominiert.


Literatur
K. Dorneger in Heiliger Dienst 54 (2000); K. Dorneger in IAH-Bulletin 22 (1994); St. Engels/G. Walterskirchen (Hg.), Musica sacra mediaevalis. Geistliche Musik Salzburgs im Mittelalter 1998; H. Becker et al. (Hg.), Geistliches Wunderhorn. Große dt. K.er 2001; P. Hahnen, Das „neue geistliche Lied“ als zeitgenössische Komponente christlicher Spiritualität 1998; Ph. Harnoncourt, Gesamtkirchliche und teilkirchliche Liturgie 1974; M. Jenny in Theologische Realenzyklopädie (TRE) 18 (1989); J. Trummer (Hg.), Kirchenchöre Österreichs 1987; MGG (1996); W. Lipphardt in Musik und Altar 13 (1960/61); N. Beuttner, Catholisch Gesang-Buch. Faks.-Ausg. der 1. Aufl., Graz 1602, hg. v. W. Lipphardt 1968; Ch. Möller (Hg.), K. und Gesangbuch. Quellen zu ihrer Gesch. Ein hymnologisches Arbeitsbuch 2000; MGÖ 1–3 (1995); I. Nachtnebel, Michael Denis und das österr. K. des 18. Jh.s, Diss. Wien 1948; R. Pacik, Volksgesang im Gottesdienst. Der Gesang bei der Messe in der Liturgischen Bewegung von Klosterneuburg 1977; F. K. Praßl in M. Klöckener/B. Kranemann (Hg.), Liturgiereformen 2 (2002); H. Riehm, Das Kirchenlied am Anfang des 21. Jh.s in den evangelischen u. katholischen Gesangbüchern des dt. Sprachbereichs 2004.

Autor*innen
Peter Ebenbauer
Letzte inhaltliche Änderung
13.2.2017
Empfohlene Zitierweise
Peter Ebenbauer, Art. „Kirchenlied‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 13.2.2017, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d45a
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10.1553/0x0001d45a
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