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Kaltern an der Weinstraße (deutsch für italienisch Caldaro sulla Strada del Vino)
Gemeinde in Südtirol, im Norden an Eppan angrenzend, in der Bezirksgemeinschaft Überetsch-Unterland der autonomen Provinz Bozen, bestehend aus neun Fraktionen. Ab ca. 1300 dürfte eine Pfarrschule existiert haben. 1325 vermachte Kaplan Heinrich v. K. dem Sohn Peter des „Magisters Alexander“ Gesangbücher („libellos suos a cantu“, Zani 1988, 92). 1447–67 hatte J. Lupi die Pfarre als Pfründe inne, er dürfte wenigstens zeitweise in K. gelebt oder gewirkt haben: als nämlich der Trienter Bischof G. Hack v. Themeswald, obgleich schon 1448 bestätigt, in K. residierte, weil er erst 1458 in Trient einziehen konnte. Das bedeutet wohl, dass in diesem Jahrzehnt auch Lupis Handschriften sich in K. befanden und erst dann mit den anderen sog. Trienter Codices vereinigt wurden. Eine gewisse Nähe zur Figuralmusik kann durch im 15. Jh. nachgewiesene Singknaben mit Schulmeister vorausgesetzt werden (Flotzinger 2007, 217f). 1538 sind ein „Pfarr-“ und ein „Knabenchor“ erwähnt. Ab 1603 sind Organisten namentlich bekannt und per Vertrag angestellt. Im Pfarrarchiv K. hat sich ein Musikalieninventar des Jahres 1729 erhalten (Felderer 1988, 24), darin sind etliche Kompositionen von Kalterer Organisten verzeichnet, zum Beispiel ein Confitebor von P. Sepp, der spätestens ab 1682 bis an sein Lebensende das Organistenamt in K. versah. Nachfolger Sepps wird per Vertrag vom 24.8.1692 E. de Sylva. Er musste ausdrücklich Organisten- und Schuldienst leisten sowie einen „tauglichen steten Musikanten halten“ (Felderer 1988, 18), diesen von seinem Gehalt weg entlohnen und – als Novum in K. – für hohe Festtage etwas Neues komponieren oder von woanders her besorgen. De Sylva blieb bis 1712. Im 18. Jh. waren mehrere Pfarrmusiker bedienstet und dabei dem Organisten unterstellt. Dieser erteilte nun nicht generell auch Schulunterricht wie sonst oft in Tirol üblich. Sängerinnen auf dem Pfarrchor erhielten in der 2. H. des 18. Jh.s eine Entlohnung. Der Notenbestand der Pfarrkirche K. aus der Zeit um 1800 wird im Pfarrarchiv verwahrt (Kofler 1978, 562). Der Chorregent ist jetzt nicht mehr in jedem Fall ein professioneller Musiker. Für die 1. H. des 19. Jh.s sind mehrfach ein Kirchenorchester sowie bezahlte Musiker erwähnt. Um 1875 wird das Kirchenmusikrepertoire cäcilianisch. 1876 besuchte F. X. Witt K. persönlich und hörte hier die Probe seiner Messe op. 12. In den Fliegenden Blättern für katholische Kirchenmusik 1876 wird die anschließende Aufführung des Werks unter Leitung des Pfarrchorregenten Johann Niederstätter (* 1827 Ritten/Südtirol [Renon/I], † 1902 K.) gelobt. Bevor Niederstätter 1851 als Chorleiter und Organist nach K. gekommen war, hatte er kurz in Eppan-St. Pauls als Lehrer gewirkt. J. B. Gänsbacher schrieb 1818 eine „Landmeß für Kaltern“ [https://opac.rism.info] (so der Titel im eigenhändigen Werkverzeichnis, ca. 1828, A-Imf). Zu dieser Zeit wirkte als versierter Chorleiter und Organist Peter Christanell (* 1749 Mitterdorf, † 1827 K.). Christanell nahm Einfluss auf die Disposition der Orgel in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, die nach dem substanziellen Kirchenumbau (1791–93) J. A. Fuchs (II) errichtete (Vertrag 1792). Zuvor war hier ein Instrument von Hans Schwarzenbach aus Füssen/D von 1603 in Verwendung gestanden. Das Gehäuse, das der Kalterer Tischler Franz Atz für Fuchs’ Neubau anfertigte, wurde 1978 restauriert und im selben Jahr für die neue Orgel von J. Pirchner (II) wieder verwendet (mechanische Schleifladenorgel, III/31). In der 1. H. des 20. Jh.s kamen die Chorregenten an der Pfarrkirche K. von auswärts. Unter ihnen finden sich für ihre Zeit in Tirol repräsentative Musiker und Komponisten: 1904–11 J. Gasser, 1946/47 S. Thaler, 1947–50 K. Vigl. Aktuell (2017) weist der Pfarrchor K. die stattliche Größe von 55 Sänger(inne)n und zwölf Instrumentalisten auf. Eine große Singfreude scheint dem Ort immer noch eigen, davon zeugen drei weitere Chöre unter Obhut der Pfarre: der Regenbogenchor (32 Sänger und fünf Instrumentalisten), die Frauen-Singgruppe St. Anton (16 Sängerinnen, gegründet 1995) und der Jugendchor JuChEi.

Das 1638 gegründete Franziskanerkloster K. hatte wesentlichen Anteil an der Musikpflege im Ort. Zahlreiche Konventmitglieder sorgten nicht nur im eigenen Haus für die Kirchenmusik, v. a. als Organisten, sondern einige halfen auch bei der Pfarrkirche aus, etwa P. Pius Frank (* 1785 Terlan/Südtirol [Terlano/I], † 1861 K.) 1826–28 als Organist oder P. Benedikt Nemecek (* 1873 Budweis/Böhmen [České Budějovice/CZ], † 1957 Bozen/Südtirol [Bolzano/I]) 1915–18 als Chorleiter. Exemplarisch seien von den zahlreichen im Franziskanerkloster K. musikalisch wirkenden Patres genannt: F. A. Walther (1712), U. Hauser (1754/55), Michael Steiner (ca. 1827), A. Niedrist (ca. 1847), J. M. Musch (1912/13), G. M. Zahlfleisch (1899–1906). Ein Zeugnis zur Musikgeschichte in K. stellt der historische Notenbestand des Franziskanerklosters dar, seit 2006 im Musikarchiv des Franziskanerklosters Bozen.

J. Gasser dirigierte während seiner Zeit in K. auch die Liedertafel, einen Männergesangverein, der jedenfalls zu Beginn des 20. Jh.s aktiv war. Das der Liedertafel angeschlossene Orchester (Orchesterverein) ermöglichte größere Konzerte und die Aufführung von Theaterstücken mit Musik.

Die Musikkapelle K. sieht 1846 als ihr Gründungsjahr an. Lt. S. Thaler (1943, 3), der gleichzeitig mit seiner Tätigkeit als Kirchenchorleiter von K. der Blasmusik des Ortes vorstand, gab es davor zwei konkurrierende „Banden“, die „pelzte“ (geschulte) 1825–49 unter Leitung des Schullehrers wie Chorleiters und Organisten Peter Andreatta (* 1819 Villanders/Südtirol [Villandro/], † 1850 K.) und die „wilde“ unter Kapellmeister Rainalter vulgo Kamplmacher; beide Ensembles taten sich 1849 zur Bürgerkapelle zusammen. Gegen Ende des 19. Jh.s trat noch die frühere Feuerwehrmusikkapelle von K. bei. 2013 feierte im Schloss Sallegg (Mitterdorf) die Kalterer Jagdhornbläsergruppe ihr 25-jähriges Bestehen.

1991 konstituierte sich auf eine Initiative des Kulturreferenten der Gemeinde der Verein Forum Musik, um mit einem bunten Programm an musikalischen Veranstaltungen den Bürgern noch mehr Musikerlebnisse und eigene musikalische Aktivitäten nahezubringen. Konzerte finden z. B. im Bösendorfer-Saal des Vereinshauses statt. Seit 1999 wird die Seebühne bespielt mit Musical, Jazz, Rock- und Popmusik, aber auch Klassik (Kalterer Seespiele).

K. ist mit dem Geigenbau durch die Namen Seelos und Alban verbunden. 1644 ist in K. G. Seelos sen. als Geigenmacher nachgewiesen, M. Alban ist hier 1634, J. A. Alban 1720 geboren. Im Orgelbau verbindet man I. F. Wörle mit K.; er schuf für die Kirche zum hl. Nikolaus in der Kalterer Fraktion St. Nikolaus ca. 1750 eine Orgel. Sie wurde 1822 von J. Reinisch überholt. Wörle hatte in K. auch eine Orgel für die Franziskanerkirche gebaut (ca. 1767), davon ist das Gehäuse noch in Gebrauch beim jetzigen Instrument, das 1865 J. Aigner errichtete. 1932 machte sich in K. der Orgelbauer Leopold Stadelmann (* 1901 Bregenz, † 1981 Bozen) selbstständig, bevor er ab November 1933 in Eggen (Gemeinde Deutschnofen)/Südtirol (Ega/I) ansässig wurde. Seit ca. 1980 werden in K. Orgelkonzerte veranstaltet. Ca. 1984 wurde ein Orgelwettbewerb eingerichtet, ca. 1990 nach J. J. Froberger benannt. 2015 eröffnete der aus Eppan-Girlan stammende Thomas Blaas, Gitarrist der Südtiroler Nice-Price Band, in K. ein Musikgeschäft mit einem breiten Sortiment an Instrumenten und Zubehör.

„Unsres Turmes Festgeläute ladet uns zur Feyer ein […]“, so beginnt eines der Lieder mit einer Hommage an K., das 1831 während der Feierlichkeiten zur Einsetzung der staatlichen Gerichtsbarkeit in K. erklang. Ca. 1948 schuf J. Gasser das Chorlied Am Kalterersee. Ca. 1965 könnte das Lied vom Kalterer Wein („Ins schöne Land im Süden zieht mich ein heimlich Weh“) entstanden sein. Der Textverfasser ist Fred Wörndle, die Vertonung lieferte St. Kouba.

K. war Geburtsort von A. D. Schenk, W. Leitner und G. Niederstetter OFM sowie Sterbeort der Franziskanerpatres C. Kronbichler, I. Mohr, E. Rutter, E. Scharmer, F. Walther. K. Vill war zeitweise Lehrer in K.


Literatur
S. Thaler in Bozner Tagbl. 29.11.1943 (http://digital.tessmann.it, 2/2017); W. Frodl/E. Frodl-Kraft, Kunst in Südtirol 1960; Anonymus in Südtiroler Heimat 1966, Nr. 4; M. Schneider in W. Deutsch/M. Schneider (Hg.), Beiträge zur Volksmusik in Tirol 1978; E. Egg/W. Pfaundler, Das große Tiroler Blasmusikbuch 1979; A. Kofler in Der Schlern 52 (1978); B. Mahlknecht in Der Schlern 54 (1980); W. Salmen, Kat. der Bilder zur Musikgesch. in Österreich. Teil 1: bis 1600, 1980; A. Reichling, Orgellandschaft Südtirol 1982; Beiträge von H. Felderer, A. Kofler, J. Mayr, K. F. Zani in Fs. 450 Jahre Pfarrchor K 1538–1988, 1988; L. Andergassen/M. Sölva (Hg.), Kirche in K. 1992; C. Lunelli, Dizionario dei Costruttori di strumenti musicali nel Trentino 1994; H. Simmerle, Kirchenchöre Südtirols 1998; [Fs.] 50 Jahre Verband Südtiroler Musikkapellen 1948–1998, 1998; R. Flotzinger in B. Lodes (Hg.), Wr. Quellen der älteren Musikgesch. zum Sprechen gebracht 2007; U. Stillhard/H. Torggler, Südtiroler Orgellandschaft von Reschen bis Innichen 2011; H. Seppi in Überetscher Gemeindeblatt von Eppan und K. 17.2.2012 (www.yumpu.com, 2/2017); G. Eisenstecken/H. Aukenthaler in Jägerztg. Magazin des Südtiroler Jagdverbandes 2013, Nr. 3; H. Herrmann-Schneider in R. Bader (Hg.), In der Welt zuhause – in Vils daheim 2014; versch. Tagesztg.en und Periodika (Alto Adige, Dolomiten, KulturFenster, Neue Tiroler Ztg., FF Südtiroler Illustrierte, Tiroler Tagesztg., Die Weinstraße);  www.kaltern.com (2/2017); www.geschichte-tirol.com (2/2017); www.pfarrei-kaltern.it (2/2017); www.forum-musik.it (2/2017); www.tmshop.org (2/2017); http://orgeln.musikland-tirol.at (2/2017); Mitt. Br. Pascal Hollaus OFM (Provinzarchiv der Tiroler Franziskanerprovinz Hall in Tirol [Lebensdaten B. Nemecek]).

Autor*innen
Hildegard Herrmann-Schneider
Letzte inhaltliche Änderung
7.6.2017
Empfohlene Zitierweise
Hildegard Herrmann-Schneider, Art. „Kaltern an der Weinstraße (deutsch für italienisch Caldaro sulla Strada del Vino)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 7.6.2017, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00356950
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10.1553/0x00356950
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