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Bozen (deutsch für italienisch Bolzano)
Hauptstadt der autonomen Provinz B. in der Region Trentino-Südtirol (Trentino-Alto Adige), am Zusammenfluss von Talfer, Etsch und Eisack gelegen. Stadterhebung im Mittelalter, heute (2021) ca. 107.000 Einwohner, davon ca. 73% Italiener, 26% Deutsche und knapp 1% Ladiner. Bischofssitz der Diözese B.-Brixen seit 1964. B. ist vor allem Handelsstadt, über Jahrhunderte kulturell und sozial von Tirol bzw. Österreich geprägt, ebenso von Norditalien. Dies wirkte sich auch auf das Musikleben aus. Im Mittelalter gehörte die Stadt zur Diözese Trient. Im 14./15. Jh. waren die Pfarrkirche, die Klosterkirchen der Franziskaner und Dominikaner Zentren der Kirchenmusik. In der Bibliothek des Franziskanerklosters haben sich liturgische Musikhandschriften aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jh.s erhalten. Das Musikarchiv dieses Klosters zählt zu den größten und bemerkenswertesten Musikarchiven Tirols mit internationaler Relevanz. Aus der Zeit des Minnesangs hat sich als Zeugnis auf dem Fresko einer Außenwand des Schlosses Runkelstein (Castel Roncolo/I) bei B. das Fragment eines Lieds erhalten. In dessen Rittersaal zeigt ein Fresko aus dem 15. Jh. eine Tanzdarstellung, dazu einen Lautenisten und den Spieler eines Streichinstruments.

Für das Jahr 1424 ist in einem Statut der Pfarrschule, die nachweislich 1237 schon bestand, Choralgesang zur Liturgie am Karfreitag belegt. Bis zur Renaissance erklang der liturgische Gesang alternierend (Alternation) zur Orgel. Zwischen 1484 und 1488 errichtete der renommierte Orgelmacher Burkhart Dinstlinger aus Brixen unter der Aufsicht v. P. Hofhaimer in der Pfarrkirche eine große und eine kleine neue Orgel. Diese Orgeln fanden zusätzlich zu den alten Verwendung. Der aus B. gebürtige J. Lupi war der Hauptschreiber und Kompilator der beiden älteren der Trienter Codices. Der Pfarrschule stand 1508–12 P. Treybenreif vor, 1511–14 Benedikt Debs, der die größte Sammlung geistlicher Spiele in Mitteleuropa mit Musiknotation anlegte (Hs. IV der sog. „Sterzinger Handschriften“). Viele dieser Spiele wurden in B. aufgeführt, möglicherweise sogar alle. Zu ihnen gehört die Passion von 1514, als längste deutsche mit einer Spieldauer von sieben Tagen. 1588–1603 führte A. Haslmayr die Pfarrschule. Die B.er Pfarrmusik ist in einem Dokument der Priesterbruderschaft zum hl. Hieronymus 1645 erwähnt (Archiv der Dompropstei). Die Libretti einiger Oratorien, überliefert in der Bibliothek des Stadtmuseums B. und zugehörige Notenmaterialien in der Musikaliensammlung Toggenburg (I-BZtoggenburg, Despositum in I-BZap) bezeugen Musikaufführungen am Karfreitag in der Pfarrkirche im 18. und 19. Jh. 1801 erklang in B. J. Haydns Schöpfung.

Konzertmeister bzw. Chordirektoren des Pfarrchors waren: G. A. Grotti (1714–31), Johann Anton Kurzweil 1761–71, Josef Dorsch (aus Regensburg/D) 1775/76, Franz Neubaur (* 1754 Königsaal bei Prag [Zbraslav/CZ], † 1820 B.) 1776–1820, Vinzenz Bittersmann (aus Böhmen) 1821–59, J. Zipperle (1859–96), R. Köstler (1896–1914), K. Koch (1914–24), R. Wimmer (1925–29), Rudolf Oberpertinger (* 1900 Gufidaun/Südtirol [Gudon/I], † 1966 B.) 1949–64, H. Paulmichl 1965. Organisten der Pfarrkirche waren der Ordensmann Georg Rainer (* ca. 1738 B., † 1804) 1775–1804, Jakob Voglsberger 1804–07, Andreas Schmid 1807–23, J. J. A. Schgraffer 1823–59, F. Schöpf 1859–1915, ein Schüler des aus B. gebürtigen A. v. Mayrl. K. Koch 1915–24, R. Wimmer 1925–29, R. Oberpertinger 1949–64, H. Paulmichl 1965.

Ein kirchenmusikalisches Zentrum ist heute die Klosterkirche St. Augustin der seit 1845 von Benediktinern geführte Abtei Muri Gries (im an dieser Stelle seit 1407 bestehenden, jedoch säkularisierten Augustiner Chorherrenstift) mit einer neuen Orgel der Firma Mathis [1971] und dem Stiftspfarrchor St. Augustin, gegründet von Probst Franz Josef Schaitter (1698–1752). Bis P. Oswald Jaeggi OSB (* 1913 Basel/CH, † 1963 Glarus/CH) die Chorleitung 1952 von seinem Vorgänger Anton Mayr übernahm, wurde der Chor von weltlichen Dirigenten geleitet. Auf Jaeggi folgte P. Kolumban Gschwend, der die ehemalige Orgel der Stiftskirche in deren Altarraum aufstellte, danach P. Urban Stillhard. Seit 2018 leitet Dominik Bernhard den Chor. Langjähriger Stiftsorganist ist Fr. Arno Hagmann OSB.

1950 erfolgte die Gründung der Kantorei Leonhard Lechner durch Anton Mayr, um dem Südtiroler Musikleben neue Impulse zu verleihen. Erstes Mitglied der Kantorei wurde der Stiftspfarrchor St. Augustin. Der Kammerchor Leonhard Lechner wurde 1952 von P. O. Jaeggi OSB mit dem Ziel gegründet, die Werke Lechners sowie die neuzeitliche Chormusik zu pflegen. Auf Jaeggi folgten Johanna Blum (bis 1971), Willi Seebacher (bis 1992), 1992 interimistisch P. U. Stillhard, Othmar Trenner (bis 2013). Derzeit (2021) ist Tobias Chizzali Chorleiter des Kammerchors Leonhard Lechner. Zur Kantorei gehören mittlerweile neben einer Studienbibliothek, deren Aufbau 1955 begonnen wurde, auch ein Kinder- und ein Jugendchor.

Erzhzg.in Claudia de’ Medici erließ am 15.9.1635 per Verordnung für die vier jährlichen Märkte Verwaltungsprivilegien und richtete den Merkantilmagistrat als Verwaltungsbehörde ein. Dieser erlangte Bedeutung für Wirtschafts- und Bürgerangelegenheiten, aber auch für Musik und Kultur allgemein. 1765 gab der Merkantilmagistrat bei T. Traetta die Komposition einer Kantate in Auftrag: Sie verherrlichte die Verbindung der beiden Herrscherhäuser Spanien und Österreich durch die Verheiratung der Infantin Maria Luise von Bourbon-Spanien, Tochter Kg. Karls III. und Amelias von Sachsen, mit Erzhzg. Leopold, dem dritten Sohn von Maria Theresia [I] und Franz I. Diese Kantate, La pace di Mercurio, auf einen Text des Veroneser Dichters Zaccaria Betti (1732–80), hätte in Gegenwart des königlichen Paars während des St. Bartolomäus-Markts Anfang September 1765 aufgeführt werden sollen, doch der plötzliche Tod des Kaisers ließ den Hof eiligst nach Wien zurückkehren und den Merkantilmagistrat alle vorgesehenen Festivitäten einschließlich der Darbietung der Kantate absagen.

L. und W. A. Mozart stiegen während ihrer drei Italienreisen zwischen Dezember 1769 und März 1773 jedes Mal in B. ab. Auf der ersten Fahrt nach Italien speisten sie am 22.12.1769 mittags bei Johann Anton Kurzweil (1731–71), dem Primgeiger des Pfarrchors. L. Mozart hatte ihn wahrscheinlich in Salzburg kennen gelernt, als dieser dort Violinist an St. Peter war. Zu Beginn der dritten Italienreise erreichten L. und W. A. Mozart B. am 28.10.1772 bei stürmischem Wetter und nächtigten im Gasthof „Zur Sonne". In einer Nachschrift zum Brief seines Vaters an M. A. Mozart in Salzburg drückte W. A. Mozart seinen Unmut über B. aus. In B. komponierte er aber auch ein Streichquartett, wohl KV 155, das erste der sechs während der dritten Italienreise 1772/73 entstandenen sog. Mailänder Quartette KV 155–160. Von L. Mozart werden im Musikarchiv des Franziskanerklosters (I-BZf) handschriftliche Kopien der Stimmen Canto I, Canto II, Tenor und Orgel seines Oratoriums Der Mensch ein Gottesmörder (Libretto 1746/47: Ignaz Anton Weiser [1701–85]) verwahrt, eine franziskanische Bearbeitung, jedoch einziger Werkbeleg überhaupt.

Während des Andreas-Markts 1684 (vom 30.11. an für zwei Wochen) ist in einem Protokoll der Stadt das erste Mal die Anwesenheit einer fahrenden, wahrscheinlich italienischen Operngesellschaft belegt: „Den jüngst hier gewesenen und wiedergekommenen Comoedianten ist von Landtshaubtmann bis morgen opera aufzuführen bewilligt worden, nicht aber im Advent.“ In einer anderen Quelle des späten 18. Jh.s, den Verzeichnissen der Theateraufführungen (Indici de’ Spettacoli teatrali), sind die Titel der damals in B. während der Märkte gegebenen Buffo-Opern genannt, ebenso die Namen der beteiligten Sänger. Dank der Initiative des Inhabers einer blühenden Handelsfirma und großzügigen Musikmäzens Anton Melchior v. Menz (1757–1801) avancierte die komische italienische Oper bei Bürgern und Aristokraten 1784–98 zur bevorzugten Gattung im Theater; Menz betraute die Gesellschaft der hiesigen [B.er] Tonkünstler und die Pfarrmusiker mit der Aufgabe, im repräsentativen oberen Saal des Merkantilpalasts während des Karnevals gegen Entgelt eine Opern-Stagione zu veranstalten. Ein anonymer B.er Korrespondent des Journals des Luxus und der Moden in Weimar/D beschreibt die Opern-Stagione im Karneval 1794 wie folgt: „B., im Tyrol, den 7. März 1794. […] B. […] hat zwar kein Theater; doch hat schon seit mehreren Jahren die Gesellschaft der hiesigen Tonkünstler, von großmüthigen Gönnern unterstützt, im Fasching Opern zu ihrem Besten aufgeführt, und dadurch dem Publikum die angenehmste Unterhaltung verschafft. Wir müssen bekennen, daß wir in diesen Jahren die schönsten Produkte der italiänischen Tonsetzer zu hören bekamen, wovon aber allzeit der Text in das Teutsche übersetzt, und die Oper teutsch gegeben ward […]. Wir verstehen nur nicht, warum die Gesellschaft immer italienische Musik aufführt, und uns nicht auch mit den vortrefflichen Producten eines Mozart, Dittersdorf, Benda, Gluck und Anderer bekannt machen will?“ Während der beiden letzten Opern-Saisonen im Fasching 1795/96 und 1798 bevorzugte das B.er Publikum gegenüber der italienischen Opera buffa allmählich das deutsche Singspiel, das durch neue Werke von Franz Bühler (1760–1823) Aufsehen machte. Menz, auch Vorstand der Kirchenverwaltung der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt (bzw. Unsere Liebe Frau im Moos), hatte Bühler 1794 als Komponisten für geistliche und weltliche Musik nach B. gerufen. Neben Messen, Hymnen, Litaneien, Huldigungskantaten, Orchester- oder Kammermusik schrieb Bühler hier die Singspiele Die falschen Verdachte (1795/96) und Der Tiroler Landsturm (1798), beide auf Texte des B.er Dichters Anton v. Remich (1768–1838). Am 17.1.1804 konstituierte sich die Theater-Unternehmungsgesellschaft. Ihr stand Baron Johann Jakob v. Ehrenfeld vor, das Haupt der fortschrittlich gesinnten B.er Freimaurer-Loge. Diese kaufte den Gasthof „Zum blauen Bock“ am Musterplatz, später „Kaiserkrone“ genannt. Im Garten davor ließ sie ein Theater mit insgesamt 800 Plätzen errichten. 1805 wurde es mit der Oper Pamela nubile von Pietro Generali durch die italienische Operngesellschaft des Gerolamo Mazzuccato eröffnet, dann an Theaterunternehmer von nördlich der Alpen verpachtet, die wechselweise Sprechtheater, Oper und Singspiel brachten. Fast täglich gab es von Ende Oktober bis Anfang April eine Vorstellung. Einheimische Musiker stellten das Orchester, gelegentlich unterstützten sie Instrumentalisten aus in B. stationierten Militärkapellen (Militärmusik). Den Spielplan beherrschte das Wiener Singspiel von A. Müller und W. Müller. Favoriten des Opernrepertoires waren Der Freischütz und Preciosa (C. M. v. Weber) sowie Die Zauberflöte und Die Entführung aus dem Serail (W. A. Mozart). Bis um 1820 wurden italienische Opern von G. Paisiello, Ferdinando Paer und L. Cherubini in deutscher Sprache gegeben. Bis gegen die Mitte des 19. Jh.s dominierte schließlich G. Rossini (Tancredi, Il barbiere di Siviglia, La gazza ladra, Il conte Ory). Um 1850 gewannen Opern von Ga. Donizetti (La figlia del reggimento) oder Vincenzo Bellini (Romeo e Giulietta) an Beliebtheit. Das französische Repertoire war mit Fra Diavolo und La Muette de Portici (Daniel-François Auber), Zampa (Louis Joseph Ferdinand Hérold), La Dame blanche (François Adrien Boieldieu) vertreten. In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s wurden vermehrt Operetten gegeben, wohl auch als Zugeständnis an den sich entwickelnden Tourismus in B. und dem angrenzenden Kurort Gries, doch ebenso die bedeutendsten zeitgenössischen Opern wie Il Trovatore, Rigoletto, Ernani (G. Verdi), Faust (Charles Gounod), Alessandro Stradella und Martha (F. v. Flotow), Zar und Zimmermann und Der Waffenschmied (G. A. Lortzing), Lucia di Lammermoor (Ga. Donizetti), Hänsel und Gretel (Engelbert Humperdinck), Pagliacci (R. Leoncavallo), Die verkaufte Braut (B. Smetana), Cavalleria rusticana (P. Mascagni). Aus Sicherheitsgründen schloss das Theater in der „Kaiserkrone“ mit Ende der Saison 1903/04, nach 100 Jahren mit 69 Spielzeiten.

Am 14.4.1918 wurde das Neue Stadttheater eröffnet, ein Bau des Münchener Architekten Max Littmann im Park beim Bahnhof. Nach ersten fallweisen Spielzeiten mit italienischen Opern um 1920 begann im Herbst 1927 die regelmäßige Aufführung italienischer Opern. 1937 entschied die Stadtverwaltung, das Haus nach Giuseppe Verdi zu benennen. Immer wieder standen Opern von G. Verdi und G. Puccini auf dem Programm, ferner Cavalleria rusticana von P. Mascagni zusammen mit Pagliacci von R. Leoncavallo, von diesem auch Iris, L’Amico Fritz und Isabeau. Häufig wurden Opern von G. Rossini, V. Bellini, Ga. Donizetti gespielt. Als einzige komische italienische Oper des 18. Jh.s wurde Il matrimonio segreto von Domenico Cimarosa gespielt. An italienischen Komponisten der jüngsten Generation waren vertreten Arrigo Boito, Umberto Giordano, Francesco Cilea, Alfredo Catalani, Ermanno Wolf-Ferrari, Riccardo Zandonai, Arrigo Pedrollo, Franco Vittadini. In B. traten die damals besten Opernsänger auf, unter ihnen Lina Pagliughi, Licia Albanese, Toti del Monte, Lina Bruna-Rasa, Mafalda Favero, Mario del Monaco (als Debütant), Maria Caniglia, Mario Basiola und Beniamino Gigli. 1931 wurden alle Vorstellungen in deutscher Sprache eingestellt, auch die Wiener Operette. Bei einem Luftangriff im Herbst 1943 wurde das Stadttheater zerstört. Ab ca. 1950 gelangten Opern und auch Operetten wieder zu sehr guten Aufführungen, im Freien in der Arena del Cinegiarda (jetzt Mazzini-Platz), auf dem Viktoria-Platz, in kleinerem Rahmen im Filmtheater Corso, im Saal des Minerva-Theaters, im Pavillon der Messe, im Teatro Cristallo und ab etwa 1965 bei Veranstaltungen des Südtiroler Kulturinstituts im Haus Walther von der Vogelweide. Seit 1974 veranstaltet der Verein Freunde der Opernmusik laufend Konzerte und Tagungen sowie Reisen zu den bedeutendsten Opernhäusern in Italien und Europa. Zu Beginn der 1990er Jahre spielte man Opern im Rahmen des B.er Sommers, u. a. Amor rende sagace von D. Cimarosa mit Enzo Dara als Regisseur und Hauptdarsteller. 1999 wurde das neue Stadttheater mit Il barbiere di Siviglia (G. Rossini) eröffnet, 2001 folgte darin die erste Opernsaison.

Am 13.12.1855 trat das in diesem Jahr gegründete Orchester des B.er Musikvereins erstmals im oberen Saal des Merkantilpalasts öffentlich auf. Generell gewann zu dieser Zeit das Musikvereinswesen (bürgerliche Musikkultur) an Bedeutung, das Musizieren in Adels- und Bürgerhäusern der ersten Hälfte des 19. Jh. wurde von öffentlichen Konzerten abgelöst, für die man Eintritt bezahlte. Laut Statuten des Musikvereins hatte dieser sich „die Erhaltung, Vervollkommnung und Verbreitung der Musik in unserer Stadt“ zur Aufgabe gemacht, ferner die „Bereitung musikalischer Genüsse durch öffentliche Produktionen, endlich Gründung von Unterrichtsanstalten zur Heranbildung eines Nachwuchses an musikalischen Kräften“. Ihm standen vor: J. F. S. Lutz 1855–62 und M. Nagiller 1862–66, die sich beide für die Aufführung von Werken der Klassik und Romantik einsetzten, dann G. Anzoletti 1867–80, der italienische Komponisten und Kammermusik in B. bekannt machte. Das Streichquartett des Musikvereins mit Anzoletti als Primgeiger konzertierte am 7.2.1879 im Gesellenhaus mit Fr. Schuberts Forellenquintett. Dabei spielte der 12-jährige F. Busoni den Klavierpart, gleichzeitig sein drittes und letztes Konzert, das der junge Künstler in B. als Abschluss einer langen Tournee im Trentino, die er mit seinen Eltern absolviert hatte, gab. Weitere Direktoren des B.er Musikvereins waren: der Pianist und Dirigent Friedrich Rietz, Sohn von August Wilhelm Julius Rietz (* 1812 Berlin, † 1877 Dresden/D), der Pianist und Komponist Josef Armin Töpfer 1885/86, der Geiger und Pfarrchorregent J. Zipperle 1886–96. Unter Zipperle wurden J. Haydns Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten aufgeführt, der Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy sowie erstmals in B. L. v. Beethovens Violinkonzert (Solist: M. Anzoletti). Der aus Mähren stammende Komponist Adolf Peter leitete den Musikverein 1897–1912, er dirigierte von J. Brahms das Deutsche Requiem und einige der größten Symphonien der Spätromantik als B.er Erstaufführungen. Sein Nachfolger 1915–24, der Organist Alois Kofler (1877 Bruneck [Brunico/I], † 1965), dirigierte die B.er Erstaufführung der Haydn-Variationen von Brahms, wiederum die beiden Haydn-Oratorien und den Paulus von F. Mendelssohn Bartholdy. 1924–27 stand Oswald Gasteiger (1886–1943) an der Spitze des Musikvereins, 1928 übernahm der Dirigent Mario Mascagni (* 1882 San Miniato bei Pisa/I, † 1948 B.) die Leitung. Er erneuerte grundlegend die Statuten des Musikvereins und benannte ihn in Philharmonische Gesellschaft (Società Filarmonica) um. Über Initiative M. Mascagnis entstand die Orchesterkonzertgesellschaft (Ente Concerti orchestrali), die Konzertpremiere war am 16.12.1930 im Stadttheater. Im vorletzten Konzert des Ente Concerti orchestrali am 21.5.1931 dirigierte M. Mascagni die Sinfonietta für kleines Orchester nach alten deutschen Weisen von E. Lucerna. 1933 wurde die Philharmonische Gesellschaft in eine neue Organisation umstrukturiert, die Amici della Musica (Musikfreunde).

Gleichzeitig mit der Unterrichtstätigkeit und den Konzertveranstaltungen des Musikvereins waren im 19. Jh. in B. Militärkapellen und andere Musikvereine aktiv: der Zitherclub, das Dilettantenorchester (Orchesterverein), die Feuerwehrmusikkapelle, die Kurkapelle Gries. Männergesang wird in B. seit 1861/62 gepflegt (Gründung der Liedertafel B., seit 1876 MGV B.). Oft wirkten die Orchester und Gesangvereine bei verschiedenen Veranstaltungen in der Stadt zusammen, im Theater, bei Konzerten oder bei Gottesdiensten in der Pfarrkirche. Sie begleiteten auch durchreisende Solisten, die hier auftraten. Der Jurist Hermann Ludwig Eichborn (* 1847 Breslau [Wrocław/PL], † 1917 B.) gründete ein Orchester aus 20 Berufsmusikern, das er dirigierte und finanzierte. Er widmete sich schließlich nur noch der Musik, spielte Horn und komponierte, schrieb Essays und ließ sich 1891 in Gries nieder. Zwei 1857 bzw. 1861 in B. geborene Komponisten gelangten zu internationalem Ruhm: S. Lazzari und L. Thuille. Ab 1927 gab auch das Orchester des B.er Rundfunks (Ente Italiano Audizioni Radiofoniche/E.I.A.R.) Konzerte, zuerst unter seinem Gründer, dem Dirigenten Mario Sette (* 1891 Trient, † 1981 B.). Nach ihm kam Ferdinando Limenta (* 1877 Offanengo bei Cremona/I, † 1948 Crema/I) als Dirigent, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs löste man das Ensemble auf.

1938 übernahm der Theaterverein [Deputazione Teatrale], der auch das Stadttheater führte, die Veranstaltung von Konzerten. 1942 wurde die "Società dei concerti" gegründet, um „planmäßig und ständig musikalische Abendveranstaltungen durchzuführen, die einen gebührenden Platz im kulturellen Leben der Stadtbevölkerung haben“. Es wurden zwei Konzertsaisonen durchgeführt mit Solisten, Kammerensembles und erstklassigen Orchestern. Das erste Konzert am 24.2.1942 spielte der 22-jährige Arturo Benedetti Michelangeli, zu Beginn seiner internationalen Karriere, nachdem er 1939 den internationalen Wettbewerb von Genf/CH gewonnen hatte. Der Società dei concerti / Konzertverein B. fand sich gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zusammen. Das erste Konzert am 11.2.1947 im Saal des Hotels „Greif“ („Grifone“) spielten der Geiger Georg Kulenkampff und der Pianist Antonio Beltrami. Zum Ende der dritten Saison wurde Anfang Mai 1949 der neue Konzertsaal des Konservatoriums eröffnet, mit einem Klavierabend von A. Benedetti Michelangeli und einem F. Chopin-Programm zum 100. Todestag des Komponisten. Juristisch konstituierte sich der Società dei concerti / Konzertverein am 25.10.1956, er „übernahm die Aktivitäten, Rechte und Lasten der vorhergehenden B. Società dei concerti“. Die künstlerische Leitung erhielten laut Statuten die Direktoren des Konservatoriums Claudio Monteverdi: M. Mascagni 1947–49, Cesare Nordio (* 1891 Triest/I, † 1977 Bologna/I) 1949–62, Giorgio Cambissa (* 1921 Bodio/CH, † 1998 Verona/I) 1962–80, Johanna Blum (* 1.1.1920 B., † 8.11.2005 B.) 1980/81, H. Stuppner 1981–95, seither Josef Lanz (* 1940), in Abänderung der Vereinssatzung, da er nicht Konservatoriumsdirektor ist.

Konservatoriumsdirektor C. Nordio initiierte den internationalen Klavierwettbewerb Ferruccio Busoni, der im Herbst 1949 zu dessen 25. Todestag erstmals stattfand. Die Jury mit Jacques Fevrier, Antonino Votto, E. Kornauth, Gino Tagliapietra, A. Benedetti Michelangeli unter dem Vorsitz von C. Nordio vergab keinen Preis. Erst im vierten Wettbewerbsjahr 1952 wurde der Preis dem Pianisten Sergio Perticaroli zuerkannt. Seit 2001 wird der Wettbewerb, nunmehr eine Stiftung, alle zwei Jahre ausgeschrieben. Im Rahmen des ersten Busoni-Festivals 2002 wurden 24 Pianisten ausgewählt, die 2003 zum 54. Busoni-Wettbewerb antraten.

Im 1957 umgebauten und neu eröffneten Augusteo-Kinotheater erklang am 15.11.1960 das erste Symphoniekonzert des von den Gemeinden B. und Trient neu gegründeten Haydn-Orchesters. Initiatoren waren der Komponist und Musikkritiker Andrea Mascagni (* 1917 San Miniato bei Pisa, † 2004 Trient) und Giorgio Pasquali, ab 1960 Bürgermeister von B. Am 7.4.2000 eröffnete das Haydn-Orchester das „J. Haydn-Auditorium“ (ehemals Augusteo), seinen neuen Sitz. 2001 wurde das Haydn-Orchester in eine Stiftung eingebracht (Präsidenten: G. Pasquali 1960–90, Giovanni Ondertoller 1989–2002, Franz v. Walther seit 2001). Die künstlerischen Leiter des Orchesters: A. Mascagni 1960–90, H. Stuppner 1990–2002, G. Kuhn seit Januar 2003. Kuhn ist auch Chefdirigent, in Nachfolge von Antonio Pedrotti 1960–75, Hermann Michael 1977–91, Alun Francis 1991–94, Christian Mandeal 2000.

Unter künstlerischer Obhut des Haydn-Orchesters wurde 1972 das Festival Geistlicher Musik gegründet. Es sollte erstmals auf regionaler Ebene einheimische Musikensembles und die reiche historische Orgellandschaft vorstellen. 1975 hatte das erste Festival zeitgenössischer Musik Premiere, seither ist H. Stuppner künstlerischer Leiter. 1982 begündete der Komponist und B.er Konservatoriumsdozent für Komposition Francesco Valdambrini (* 1933 Turin/I, † 2007 Trient) das Musicatelier, das über mehrere Spielzeiten Uraufführungen präsentierte. 1987 rief der Geiger und Professor des B.er Konservatoriums Georg Egger die Streicherakademie B. ins Leben. Weitere Festivals in B.: Musica in aulis (seit 1991, künstlerischer Leiter seit 2000 Andrea Bambace) und Musica antiqua (seit 1992, künstlerische Leitung Marco Facchin). Seit 1982 hat B. regelmäßig im Sommer das European Union Youth Orchestra zu Gast, seit 1987 auch das Gustav Mahler Jugendorchester; die Dirigenten: C. Abbado, James Judd, Antal Dorati, F. Welser-Möst, Marc Albrecht, Jeffrey Tate, M. Gielen, Riccardo Chailly, Leonard Slatkin, Carlo Maria Giulini, Ivan Fischer, Pierre Boulez, Semyon Bychkov, Daniele Gatti, Bernard Haitink, Stefan Anton Reck, Vladimir Ashkenazy, Paavo Järvi. Die Stiftung Gustav Mahler Musik und Jugend besteht seit 1999. Jedes Jahr im Oktober hält sie in B. Meisterkurse für junge Musiker aus ganz Europa ab.

Die MSch. B. ging aus dem Musikverein hervor. Am 8.10.1855 begann der Unterricht in Gesang, auf Streich- und Blasinstrumenten unter der Leitung des jeweiligen Kapellmeisters. Zuvor hatte das Institut des Pfarrmusik-Chors diese Aufgabe wahrgenommen. Jedes Schuljahr schloss mit einem Prüfungskonzert. Die besten Schüler spielten im Orchester des Musikvereins mit oder gar als dessen Solisten. Im Schuljahr 1905/06 wurde eine erste feste Lehrstelle für Klavier vergeben, an die Pianistin Ida Hajek aus Wien. Ihr folgte 1912/13 die Pianistin Minnie Kühne-Hellmehsen, eine Schülerin von Alfred Reisenauer (1863–1907). 1926 bekam der Musikverein das Regime des Faschismus zu spüren, am 12.8.1927 musste er per Vertrag die Leitung der MSch. an die Stadt abtreten, nun Civico Liceo Musicale Gioacchino Rossini genannt. M. Mascagni wurde zum Direktor bestellt. Im Juni 1932 erhielt das Liceo Musicale die Gleichstellung mit einem staatlichen Konservatorium, 1939 den tatsächlichen Status eines solchen, damit den Namen Claudio Monteverdi. Seit 1946 ist es im ehemaligen Dominikanerkloster untergebracht. Die Konservatoriumsdirektoren waren nach M. Mascagni ab 1948 C. Nordio, ab 1962 der Komponist G. Cambissa, 1980/81 die Musikhistorikerin J. Blum, ab 1981 H. Stuppner, ab 1996 der Opernsänger Vito Maria Brunetti, ab 1997 die Pianistin Vea Carpi, 2008–14 Felix Resch, Heinrich Unterhofer 2014–17 und seit November 2017 Giacomo Fornari. Seit 2006 untersteht das Konservatorium B. der Verwaltung der Autonomen Provinz B.

Um musikalische Jugend- und Allgemeinbildung kümmert sich das Institut für Musikerziehung in deutscher und ladinischer Sprache, mit einem Referat Volksmusik, ferner das Istituto musicale Vivaldi (gegr. 1977). B. ist Sitz übergeordneter musikalischer Vereinigungen, so des Verbands der Südtiroler [Blas-] Musikkapellen (gegr. 1948), des Südtiroler Sängerbunds (gegr. 1949), des Verbands der Kirchenchöre Südtirols.


Literatur
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Autor*innen
Giuliano Tonini
Hildegard Herrmann-Schneider
Letzte inhaltliche Änderung
11.12.2023
Empfohlene Zitierweise
Giuliano Tonini/Hildegard Herrmann-Schneider, Art. „Bozen (deutsch für italienisch Bolzano)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 11.12.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0010f0c5
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Anonym, Allemande aus dem Mandorabuch des Franziskanerklosters Bozen

DOI
10.1553/0x0010f0c5
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