Logo ACDH-CH
OeML Schriftzug
Logo OeML
Logo Verlag

Friaul
Landschaft (etwa entsprechend den heutigen italienischen Provinzen Udine und Pordenone in Julisch-Venetien), benannt nach der römischen Stadt Forum Julii, von Rätoromanen mit eigener Mundart bewohnt; 568 langobardisches Herzogtum, seit dem 8. Jh. Markgrafschaft des Reiches (seit 952 unter bairischen Herzögen als Markgrafen); im 15. Jh. kam der östliche Teil (Grafschaft Görz und Gradiska) zu Österreich, der westliche zu Venedig, 1797 mit diesem ebenfalls zu Österreich und 1866 endgültig zu Italien, 1947 Teile an Jugoslawien (Slowenien). Der Mittelstellung zwischen dem Patriarchat Aquileia und der Salzburger Kirchenprovinz sowie den politischen Gegebenheiten entsprechend, waren die kulturellen Beziehungen oft sehr eng, ohne dass man, mit Ausnahme der Gegend um Venedig, von eigentlichen musikalischen Beeinflussungen sprechen könnte. Auch der Austausch zwischen F. und Julisch-Venetien (den heutigen Provinzen Gorizien und Triest, die am längsten Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie waren und unterschiedliche administrative Modalitäten entwickelten) hatte keine außergewöhnliche Annahme von Gewohnheiten oder Repertoires aus dem deutschen Sprachraum zur Folge.

I. Kunstmusik

Während der römischen Herrschaft (X. Regio, Venetia et Histria) setzte sich in glanzvoller Weise die Stadt Aquileia durch, die nach Durchsetzung des Christentums zwischen dem 5. und 9. Jh. eine eigene Liturgie mit repräsentativem Gesangsrepertoire entwickelte. Nach der Zerstörung der Stadt durch die Hunnen unter Attila (452) wurde Forum Iulii (das heutige Cividale) zum wichtigsten Zentrum und dieses mit der Machtergreifung durch die Langobarden (7. Jh.) Hauptstadt des Herzogtums. Nach dem Fall Desiderios lassen sich hier Franken nieder, und F. wird zur Grenzmark; seit der Grenzziehung Karls d. Gr. (811) gehörte alles Gebiet südlich der Drau geistlich zum Patriarchat Aquileia. Diese langobardisch-karolingische Zeit ist geprägt von kultureller Öffnung und künstlerischen Interessen auf beachtlichem Niveau. Es ist die Zeit eines Paulus Diaconus (ca. 720–799?). Nach dem Einfall der Ungarn wurden die friulanischen Gebiete (Marca orientale oder Austria) der Mark Verona einverleibt, die von Otto I. mit der Mark Kärnten (Carantanien) vereinigt wurde. Das bewirkte eine weitere Öffnung nach dem Norden hin und einen permanenten Kontakt des Klerus von Aquileia (das wieder politisches und religiöses Zentrum geworden war) mit dem Reich. Der nordische Einfluss in der Liturgie und in den Gesängen (Choral, gregorianischer) lässt sich in zahlreichen noch vorhandenen Codices der Epoche beobachten. Elemente aus berühmten deutschen Klöstern (wie Fulda, Reichenau, St. Emmeran, oderSt. Gallen) kehren immer wieder. Z. B. war der Codex Aquileiensis Oxford, Bodl. Libr. Can. Lit. 319 (11. Jh.) vorher auf der Reichenau verwendet worden und ein Grossteil der Codices von Moggio stammt aus dem deutschen Sprachraum. Sowohl paläographisch als auch inhaltlich kam es in den liturgischen Handschriften schließlich zu gegenseitigen Beeinflussungen zwischen Norditalien und dem Reich.

Unter dem Patriarchen Poppo (1019–42) wurde die aquileiensische Liturgie wieder stärker betont und kam es durch den Versuch, den Einflussbereich der Kirche von Cividale bis nach Istrien auszudehnen, auch zum Streit mit Salzburg über die Nordgrenze. Aus dieser Zeit stammt, als ältestes kirchliches Drama aquileiensischer Tradition, auch eine Visitatio Sepulcri (Graduale Udine, Bibl. Arcivesc. Cod. 234, Geistliche Spiele). Auf die erste Welle deutschen Einflusses folgte ein Erfahrungs- und Traditionsaustausch, der seinen Höhepunkt unter dem Patriarchen Vodalrico (Ulrich v. Eppenstein, 1086–1121, zugleich Abt von St. Gallen) fand. Als geradezu symbolhaft dafür kann die Weihe des Benediktinerklosters Moggio/Mosach im Kanaltal (1118) an den Heiligen Gallus angesehen werden; daran schliessen eine Reihe noch vorhandener Codices deutscher Herkunft an. Im 13. Jh. etablierte der bayerische Patriarch Wolfger v. Leubrechtskirchen (1204–18) in Aquileia einen prächtigen Hof, der Zentrum politischer und kultureller Einflüsse wurde. Häufig von Fahrenden und Minnesängern besucht, war man in ständigem Kontakt mit wichtigen Künstlern jener Zeit, u. a. Walter v. der Vogelweide. Zu dieser Zeit (1215/16) schrieb auch Thomasin von Zerklaere (aus dem Ministerialengeschlecht Cerchiari) sein mittelhochdeutsches Lehrgedicht Welscher Gast. Um die Mitte des 13. Jh.s ging die Macht wieder an Patriarchen italienischer Herkunft über, was in dieser Phase der frühen Mehrstimmigkeit v. a. romanische Einflüsse zur Folge hatte. Im 14. Jh. kommen die ersten Musiker franko-flämischer Herkunft nach F., die neue Einflüsse mitbrachten (z. B. Enrico di Bruxelles, Magister Nicolaus Frangens de Leodio, Guglielmo Morescot und der Musiker und Verleger Gerardo di Lisia).

Nach schweren Auseinandersetzungen endete 1420 die Vormachtstellung des aquileiensischen Staates und es begann jene des venezienischen, die bis 1797 andauern sollte. In der Musik ist nun endgültig die Ära der Polyphonie angebrochen. Erinnert sei an Namen wie Antonius de Civitate (ein Dominikanermönch, dessen datierte Kompositionen aus den Jahren 1422/23 stammen) und Pietro Capretto (Pordenone 1427–1504), der die Vermischung von italienischen und flämischen Elementen beispielhaft repräsentiert, während in den Kapellen unter den Lehrmeistern, Sängern und Organisten sowohl flämische wie französische und deutsche Namen zu finden sind. Die Polyphonie verbreitete sich u. a. durch Philippo da Lurano (* ca. 1470 Cremona?, † nach 1520 [Ort?]) und Floriano Candonio (* Ende 15. Jh. Cividale, † August 1557 Udine?; Madrigali 1546), die in Venedig publizierten; auch Tanzkompositionen erfreuten sich immer grösserer Beliebtheit (z. B. Primo libro de’balli von Giorgio Mainerio, Antwerpen 1583).

Vom 16. Jh. an verwendet man in den Kapellen auch Blasinstrumente und im F. entsteht eine MSch., deren Musiker in Italien wie im Ausland Anstellung finden. In der 2. Hälfte des Jh.s verfügte die Gemeinde Udine über eine Reihe exzellenter Instrumentalisten; auch die Brüder Della Casa (Girolamo: * 1. Hälfte 16. Jh. Udine, † 1601 Venedig; Nicolò: * 16. Jh. Udine, † 1617 Venedig; Giovanni: * 16. Jh., † 1607 Venedig), die später in Venedig aktiv waren, hatten sich hier ausbilden lassen. Zu dieser Gruppe gehörten auch Musiker, die in verschiedenen ausländischen Kapellen tätig waren, z. B. A. Orologio, G. B. Galeno, S. Casentini, G. G. Arrigoni; zur Wiener Zeit des letzteren lebte hier auch der kaiserliche Dichter Aurelio Amalteo aus Pordenone (1626–1690?).

Im 17. Jh. begann der venezianische Einfluss stärker zu werden, v. a. in Hinblick auf die Oper; trotzdem blieben die engen Kontakte zu den benachbarten Territorien erhalten. Zwischen 1630 und 1650 wurde wiederholt der österreichische Organist Georg Rop nach F. geholt, der u. a. in Gemona, Cividale, Palmanova und Udine tätig war. In den Kapellen bevorzugte man offensichtlich Musiker venezianischer Ausbildung, aber mit ausländischer Erfahrung. So auch in Cividale, wo mehrere Maestri nach Auslandsaufenthalten ihre Karriere beendeten (z. B. A. Gualtieri, P. R. Pignatta).

Im 18. und 19. Jh. profitierte F. v. a. von seiner geographischen Lage zwischen Venedig und Wien, v. a. was den Austausch von Opern betraf. In Udine wurden häufig Werke aufgeführt, die nur kurz vorher in einem dieser großen Opernzentren herausgekommen waren. V. a. im 19. Jh. nahmen viele Künstler und Gruppen auf der Durchreise von oder nach Wien die Gelegenheit wahr, in Udine aufzutreten oder öffentliche Gesellschaftsabende im Theater zu geben. Solisten heuerten dafür vor Ort Musiker zur Begleitung an, was zusätzliche Folgen zeitigte. Unter diesen Künstlern seien erwähnt: der Geiger Giovanni Battista Polledro (1781–1853, aus dem Piemont, zwei Akademien in Udine), die Harfenistin Luigia Pascal (ursprünglich aus Triest, hatte aber lange Zeit in Wien verbracht, 1813 eine Aufführung, die von Francesco Mora de Malfatti, „Komponist und Klavierlehrer “, begleitet wurde), der Geiger Angelo Casirola (gab im April 1819 vor seiner Übersiedlung nach Wien Konzerte in Udine und Triest). Einzelne berühmte Instrumentalisten, die von internationalen Erfolgen heimkehrten, ließen sich für einige Zeit in Udine nieder, z. B. der Oboist G. Ferlendis. Enger noch stellt sich die Beziehung W. A. Mozarts zu F. im Falle Giovanni Battista Gussetti in Salzburg (1744–1788) dar: er war ein Kind von Friulaner Emigranten, dilettierender Geiger und persönlicher Freund Mozarts, der seiner in Briefen von 1770 gedenkt. Eine weitere Friulanerin, die Kontakte zu Mozart hatte, war Adriana Ferrarese (* 1759 Valvasone, Pordenone, † nach 1804 [Ort?]), eine in Venedig ausgebildete Sängerin (wo sie Luigi del Bene heiratete), die 1788 in Udine gemeinsam mit dem aus Padua stammenden Oboisten Domenico Scolari, der ebenfalls auf der Durchreise nach Wien war, einen musikalischen Abend gab, dort die Geliebte von L. Da Ponte und erste Fiordiligi in Così fan tutte (1790) wurde. Sie setzte ihre Karriere in ganz Europa fort, gab dann auf der Rückreise von Wien 1794 abermals einen Abend in Udine, bevor sie endgültig nach Italien zurückkehrte.

Seit dem 17. Jh. haben sich in F. in gewissem Rahmen auch Aufführungen örtlich ansässiger adeliger Amateurmusiker (z. B. der mit der Salzburger verwandten Familie Colloredo-Mels) eingebürgert, die häufig auch als Komponisten auftraten (Dilettant). Außerdem ist in den Häusern der hier ansässigen Familien die Vertrautheit mit aktuellen Repertoires aus dem österreichisch-böhmischen Raum nachweisbar: Z. B. beinhaltet die Musikaliensammlung der Bibliothek V. Joppi in Udine (von der Familie Caratti-Caiselli stammend) eine weitgefächerte Auswahl an Werken von J. Haydn, K. Stamitz, J. Gelinek, J. B. Vanhal u. a.

Ein Friulaner, der zu Beginn des 19. Jh.s in der Wiener Musikwelt tätig war, ist der Dichter Jacopo Nicolò Craigher de Jachelutta (* 1797 Ligosullo, † 1885 Cormons), der in deutscher Sprache dichtete und mit Fr. Schubert befreundet war. Er übersetzte für ihn den Text von Colley Cibber Der blinde Knabe (D 833) aus dem Englischen und schrieb die Texte zu den Liedern Die junge Nonne (D 828) und Totengräbers Heimwehe (D 842)

Im 19. Jh. gab es häufig Auftritte von Militärkapellen (Blasorchester, Militärmusik), die in der Region einquartiert waren (z. B. eine Akademie der Militärkapellen der Regimenter Chleber und Thuom im Theater von Udine 1798, die Regimentskapelle des Generals v. Hohenzollern im Adelskasino 1801 oder die musikalische Begleitung eines Diners und Balls im Haus des adeligen Agricola durch die Kapelle des Generals Dedovig 1803). Die Militärkapellen bildeten auch ein Modell für Gesellschaften zur „Förderung der Wissenschaften und der Künste“ und zahlreiche Philharmonische Vereine (Musikvereine; Gemona 1827, in der Folge Udine, Cividale, S. Vito, Latisana, Spilimbergo usw.). Schließlich leisteten friulanische Musiker des 19. Jh.s wie Alberto Mazzucato (* 1813 Udine, † 1877 Mailand), Giovanni Battista Candotti (* 1809 Codroipo/Udine, † 1876 Cividale) und Jacopo Tomadini (Cividale 1820–83) ihren Beitrag als Musikforscher, -historiker und -erzieher und wiesen auch im Ausland auf die alten friulanischen Musiküberlieferungen hin. Tomadini war außerdem auf dem Gebiet der Kirchenmusik tätig und unterstützte energisch die cäcilianische Bewegung.

Im 20. Jh. erfolgte der musikalische Austausch vornehmlich auf Wegen, die durch geografische Nähe bestimmt sind; so hat sich der Alpe-Adria-Raum schließlich als besonders fruchtbar für Austauschbeziehungen herausgestellt: auf wirtschaftlichen Gebieten ebenso wie auf kulturellen, nicht zuletzt auch musikalischen.


Literatur
G. Pressacco in Enciclopedia monografica del Friuli Venezia-Giulia 3/4 (1977); A. Zanini in Ecco mormorar l’onde. La musica nel Barocco 1994; Circolo Comunale de Cultura di Palmanova (Hg.), Pietro Alessandro Pavona e la musica sacra a Palma 1996; L. Nassimbeni, Paganini, Rossini e la ferrarese 1999; A. Alfarè/L. Nassimbeni/A. Zanini, Musica e Teatro a Udine (1595–1866), 1999; C. Corsi/P. Petrobelli (Hg.), Le polifonie primitive in Friuli e in Europa 1989; R. Flotzinger, Choralhandschriften österreichischen Provenienz 1991; R. Flotzinger in [Kgr.-Ber.] Il monachesimo benedittino in Friuli 2002.


II. Musik mündlicher Überlieferung

1. Gesangsrepertoire. Die Lieder mündlicher Überlieferung in F. sind hinsichtlich Sprache und musikalischen Charakters sehr unterschiedlich. Der überwiegende Teil wird durch die friulanische villotta gebildet (die keine Verbindung zur Villotta der Renaissance besitzt), zu einem geringeren Anteil durch erzählende und religiöse Lieder sowie Gesänge für rituelle Anlässe. Der friulanische Ausdruck vilote wird seit der 2. Hälfte des 19. Jh.s verwendet (frühere Synonyme: cjanzon, cjanzonete). Er bezeichnet ein lyrisches einstrophiges Lied, das zumeist Liebe oder Satire zum Gegenstand hat, bestehend aus Strophen mit zwei oder vier achtsilbigen Zeilen, die für sich stehen oder verkettet sein können. Heute (2001) erfüllen die Villotte meist keine spezielle Funktion mehr. Sie werden zu verschiedenen Anlässen des Gemeinschaftslebens oder zu Festen neben Liedern gesungen, die jüngeren volkstümlichen Gattungen nahestehen oder von Chören in verschiedenen Bearbeitungen und Harmonisierungen aufgeführt. Die zugrunde liegenden Melodien, die untereinander austauschbar sind, spiegeln die Schichtungen der unterschiedlichen Herkunft wider: Es finden sich Melodien älteren Ursprungs geringer Ausdehnung neben solchen instrumentalen Ursprungs, Abwandlungen von Kirchenliedern oder komponierten Liedern bestimmter Autoren. Die Anpassung der Verse an die Melodie kann ohne Wiederholung oder mit Wiederholung der Verse, Wiederholung von Worten oder auch die Einfügung von „euphonischen“ oder „sinnlosen“ Worten (orà, lerà, joplatele u. ä.) geschehen.

Hinsichtlich der Ausführung liegt die Annahme nahe, dass früher die Villotte von nur wenigen Personen, langsam, mit reichlicher Verwendung von Verzierungen und in freiem Takt gesungen wurden. Mehrstimmige Ausführung sah normalerweise Terzparallelen mit unterstützendem Bass vor, aber auch andere Stegreif-Techniken waren nicht ausgeschlossen. Der Gebrauch durch organisierte Chöre, insbesondere zwischen den beiden Weltkriegen, hat jedoch standardisierte Ausführungen hervorgebracht: mit drei oder vier Stimmen, regelmäßigem Rhythmus, ohne Verzierungen und mit sorgfältiger Stimmgebung.

Neben der Gattung Villotta, die durch Metrum und Thematik ein charakteristisches lokales Produkt der eigentlichen Volkskultur in F. darstellt, umfasst das gesungene Repertoire auch Kinder- und Schlaflieder, Gesänge für Hochzeiten, erzählende Lieder (zumeist italienisch oder in venezianischem Dialekt) sowie Autorenlieder in Nachahmung der volkstümlichen Villotta. In einigen Gebieten an der Küste sowie im westlichen F., wo nicht friulanisch gesprochen wird, werden größtenteils Lieder im venezianischen Dialekt gesungen, die nicht zur Gattung Villotta gehören, ebenso sind entlang der Grenze zu Slowenien Lieder in verschiedenen slowenischen Dialekten verbreitet. Besonders originell und interessant sind die Lieder und instrumentalen Tänze (mit Verwendung von Geige und dreisaitigem Violoncello) der slowenisch sprechenden Gemeinde Resia/Rezija, Spuren kärntnerischer Tradition sind noch im Kanaltal, insbesondere in den Gemeinden Sauris/Zahre und Timau/ Tischlwang zu beobachten.

2. Religiöse und liturgische Gesänge, rituelle Lieder und Musik. In einigen Gemeinden der Carnia werden noch liturgische Lieder mit lateinischem Text aus mündlicher Überlieferung benützt. Die musikalische Herkunft dieses Repertoires (Lieder zum Ordinarium missae und Officium) ist nicht ganz klar. Traditionellerweise wird es als patriarchino angesehen. Es besteht aus einem möglicherweise antiken Kern (wohl zunächst aus dem Patriarchat Aquileia, dann aus Venedig), in dem durch Adaptierungen und Veränderungen durch das Volk gregorianische Gesänge und vielleicht auch Lieder aus klösterlichen Traditionen jenseits der Alpen sowie mehrstimmige Stücke ineinander verschmolzen wurden.

Nicht-liturgische rituelle Anlässe im Jahreskreis sehen verschiedene Formen musikalischen Ausdrucks, vorwiegend gesungene vor. Mit Heischebräuchen der Zeit zwischen Weihnachten und Epiphanie verbunden sind Glückwunschformeln und Lieder zum Heilig-Drei-Königs-Brauchtum (Sternsingen), das es heute nur noch in den Bergregionen des F. gibt. Dabei werden besonders italienische Lieder verwendet, die auf Modelle, die in der ganzen Alpenregion verbreitet waren, zurückzuführen sind (z. B. Noi siamo i tre re dell’oriente [Wir sind die drei Könige aus dem Orient] oder Dormi, dormi bel bambin [Schlaf, schlaf schönes Kind]). Besonders interessant ist wiederum das Liederrepertoire zum Sternsingen in der Gemeinde Sauris/Zahre (z. B. Gegriaset seist du Jesulein oder Bas bolt ein Jeger iagen). Wahrscheinlich hat auch die Melodie des Liedes Puer natus in Bethlehem seinen Ursprung im friulanischen Weihnachtslied Staimi atenz staimi a sintî (Passt auf, hört mir zu). Dieses Lied ist heute nur mehr in fragmentarischer Form erhalten, aber die Quellen verlegen seine Ursprünge bereits in das 17. Jh. und schreiben es der musikalischen Pastoraldichtung der Jesuiten zu. Es wurde erstmals 1895 von Ella de Schoultz Adaïewsky publiziert.

Die traditionellen religiösen Lieder der Osterzeit haben heute eine stark eingeschränkte Bedeutung. Es wird nur noch das Lied O gran pari di pietât (O Vater der Barmherzigkeit) über die Leidensgeschichte während der Karwoche verwendet.

Unter den weiteren gesanglichen und instrumentalen Ausdrucksweisen, die mit rituellen Handlungen in Verbindung stehen, finden sich Schreie zum Scheibenschlagen, einem in Carnia zu unterschiedlichen Gelegenheiten des Jahres verbreiteten Brauch: es handelt sich um Glückwünsche an einzelne Personen oder Paare aus der Gemeinschaft (Ansingen). Beeindruckend ist auch die Verwendung von großen Ratschen (in Claut) und Trommeln (in Erto) bei der Karfreitagsprozession.

3. Tänze. In der Vielfalt der friulanischen Lieder stechen besonders einige Beispiele von Tanzliedern hervor, bei denen schon vor langer Zeit der choreutische Aspekt verlorengegangen ist. Neben diesen ist an Instrumentalmelodien zu erinnern, die den Volkstanz, der heute in folkloristischer Art rekonstruiert ist, noch vor den Tänzen des 19. Jh.s (Walzer, Mazurka, Polka, später auch Gesellschaftstänze) belegen. Der am weitesten verbreitete Tanz war die stajare (Steirischer), im Dreivierteltakt in der Art der Mazurka stehend und von unverwechselbar nordalpinem melodischem Geschmack sowie mit besonderen Texten in sechssilbigen Zeilen.

Der stajare ähnlich war auch die ziguzaine und in den Quellen finden sich auch noch zwei andere Volkstänze aus F.: sclave (der Slawe) und stiche (Tanz). Etwas komplexer erscheint die Bestimmung der furlana, die in ihrer volkstümlichen Version eher eine besondere (choreutische) gemeinschaftliche Bewegung auf „friulanische Art“ (die auch in gebildeten venezianischen Kreisen seit dem 17. Jh. verbreitet gewesen sein mag), als ein Tanz gewesen sein könnte. Beim Versuch, ihren Charakter zu definieren, haben einige einheimische Gelehrte sowohl mit der ziguzaine als auch sclave (beide im ¾ Takt) Gleichsetzungen vorgenommen. Die in alten Quellen (15.–17. Jh.) für diese Tänze erwähnten Musikinstrumente waren: die Sackpfeife (fulzìc, Dudelsack), Flöte (sivilòt), ab dem 19. Jh. auch Geige, Klarinette, Bass (Violoncello oder Kontrabass, liròn), ebenso Akkordeon und manchmal auch Gitarre. Im derzeit verwendeten Volkstanz haben sich das Repertoire des liscio romagnolo (aus der Emilia Romagna stammend) und einige lateinamerikanische Tänze durchgesetzt, aber auch Instrumentalmusik und typisch österreichische Volksmusik erfreuen sich v. a. in der Gebirgszone großer Beliebtheit.


Tondokumente
Canti rituali del Friuli, hg. v. R. Starec 1989; Friuli. Val di Gort. Canti liturgici di tradizione orale, hg. v. R. Starec 2000; Rezija. Canti e musiche della Val Resia 1997.
Literatur
(Chron.:) E. de Schoultz Adaïewsky in Rivista delle tradizioni popolari italiane 2/3 (1895); G. Perusini in Ce fastu? 20/5–6 (1944); J. Gartner in Carinthia I,152 (1962); J. Strajnar, Citira. La musica strumentale in val di Resia / Instrumentalna glazba v Reziji 1988; M. Macchi, Etnofonia friulana. Breve storia della villotta 1988; P. Wassermann, I canti popolari narrativi del Friuli (NA hg. v. R. Starec 1991); B. Martinelli, I repertori musicali della traditzione orale di Sauris/Zahre, Diss. Trieste 1992–93; R. Frisano, Canti religiosi della comunità resiana, Diss. Bologna 1995–96; Ch. Grillo, La messa dei defunti e l’ordo exequiarum, Diss. Bologna 1998–99; P. Barzan/A. Vildera, Il canto „patriarchimo“ di tradizione ne orale in area istriana e veneto-friulana 2000. – NA: A. Arboit, Villotte friulane 1876; V. Ostermann, Villotte friulane 1892; L. Ciceri (Hg.), Villotte e canti popolari del Friuli 1966; P. Merkù, Ljudsko izročilo Slovencev v Italiji zbrano v letih 1965–1974/Le tradizioni popolari degli sloveni in Italia raccolte negli anni 1965–1974, 1976; P. Ernetti (Hg.), Canti sacri aquileiesi della tradizione orale, raccolti da d. Giuseppe Cargnello = Jucunda Laudatio 1978–79; C. Noliani (Hg.), Anima della Carnia. Canti popolari 1980; M. Macchi, Mê agne Jacume...Canti di tradizione orale raccolti in Friuli (hg. v. R. Frisano 2000).

Autor*innen
Maria Grazia Sità
Rudolf Flotzinger
Roberto Frisano
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Maria Grazia Sità/Rudolf Flotzinger/Roberto Frisano, Art. „Friaul“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001ce0b
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
© Monika Kornberger
© Monika Kornberger
© Monika Kornberger
© Monika Kornberger
© Monika Kornberger
© Monika Kornberger
© Monika Kornberger
© Monika Kornberger

DOI
10.1553/0x0001ce0b
ORTE
Orte
LINKS
LOCI - Ortsdatenbank für Musik, Kultur und Geschichte


ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft

Publikationen zur Musikwissenschaft im Verlag