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Blues
„Volksmusik“ der afro-amerikanischen Bevölkerung der USA; entstanden um 1900 aus einer Vermengung afrikanischer und europäischer musikalischer Elemente. Der B. folgt zumeist einem zwölftaktigen Drei-Verse-Schema der Struktur A-A-B (je vier Takte). Kennzeichnende Elemente sind weiters die sog. Blue-Notes, d. h. die Erniedrigung der Terz und der Septime (manchmal auch der Quinte) in den Durtonarten, die modulartige Verwendung mehr oder weniger standardisierter melodischer und textlicher Versatzstücke sowie das ineinander greifende Wechselspiel vokaler und instrumentaler Phrasen. Ursprünglich in den ländlichen Gebieten der Südstaaten (v. a. Mississippi-Delta) entstanden (Country B.), folgte der B. der Wanderbewegung der schwarzen Landarbeiter in die Industriegebiete des Nordens (v. a. Chicago, Detroit), wo er ab den frühen 1940er Jahren stärker rhythmisiert und hauptsächlich mit elektrisch verstärkten Instrumenten gespielt wurde (City B., Rhythm & B.). Im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre erlebte jedoch auch der traditionelle, mit akustischen Instrumenten gespielte Country-B. einen neuerlichen Aufschwung (B.-Revival). Der B. übte maßgeblichen Einfluss sowohl auf die Entstehung des Jazz als auch auf jene der Rock- und Popmusik (Rock 'n' Roll) aus.

Anders als der Jazz wurde der in seinem Entstehungsmilieu lange Zeit als primitive Race-Music angesehene B. in Europa erst nach dem Zweiten Weltkrieg als eigenständige Musikform rezipiert, wobei sich ab den 1950er Jahren, unter dem prägenden Einfluss von Alexis Korner (Sohn eines Österreichers), London als europäisches B.-Zentrum herausbildete. Die Vermittlung erfolgte anfangs hauptsächlich über Tonträger, erst ab Anfang der 1960er Jahre traten verstärkt auch amerikanische B.-Musiker in Europa auf (Gründung des jährlichen Tourneeunternehmens American Folk B. Festival 1962). Die Erfolge vom B. beeinflusster britischer Rockmusiker ab Mitte der 1960er Jahre (v. a. Rolling Stones, Animals, Eric Clapton) führte auch in Kontinentaleuropa zur Entstehung einer eigenständigen B.-Szene, die sich jedoch anfangs mehr an britischen als an amerikanischen Vorbildern orientierte.

Die österreichische B.-Szene der 1960er Jahre war geprägt von der Dominanz musikalischer Amateure, die in häufig kurzlebigen Bands mit oft wechselnder personeller Zusammensetzung hauptsächlich live spielten, wobei sich das Repertoire meist auf bekannte Fremdkompositionen (Standards) im Stil des elektrifizierten City B. beschränkte. Als publizistisches Szene-Organ etablierte sich die in Österreich produzierte Zeitschrift B. Notes (1969–79), die später durch B. Life (1978–95) abgelöst wurde; überdies entstand ein Vienna B. Fan Club. Erster „Star“ der Szene wurde der aus Bad Ischl gebürtige Al Cook (eig. Alois Koch), der seit 1964 mit akustischen Instrumenten (Gitarre, Klavier) Musik im Stil des Country B. produziert. Einen Aufschwung erlebte die österreichische B.-Szene Anfang der 1980er Jahre, als sich erstmals Bands etablieren konnten, die mit einer gewissen personellen Kontinuität über einen längeren Zeitraum bestehen blieben, sich ein Repertoire von Eigenkompositionen erarbeiteten und auch eigene Tonträger produzierten. Überregionale Bedeutung erlangten die Wiener Mojo Blues Band (gegr. 1976) um Erik Trauner (Gitarre) und Christian Dozzler (Mundharmonika, Akkordeon) – Letzterer gründete Mitte der 1990er Jahre seine eigene Band Blue Wave –, die niederösterreichische Bluespumpm (gegr. 1978) um Johann „Zappa“ Cermak (Gesang, Mundharmonika, Gitarre) und die Kärntner Bluesbreakers (gegr. 1983) um D. Themel (Gesang, Mundharmonika). Während die Mojo Blues Band mit einer eklektischen Mischung verschiedener amerikanischer B.-Stile (unter Dominanz des stark rhythmisch akzentuierten Swamp-Blues aus Louisiana) auch international Erfolge feierte und sogar von amerikanischen B.-Solisten als Begleitband verpflichtet wurde, schuf sich die Bluespumpm mit ihrem eigenwilligen, teilweise bewusst „primitiven“ Stil eine regionale Fangemeinde. Den Bluesbreakers, die einen stärker am „Mainstream“ der Rockmusik orientierten Stil pflegen, gelang es Ende der 1980er Jahre zeitweilig, über den vergleichsweise engen Bereich der B.-Szene hinaus ein breiteres Publikum anzusprechen; 1989 wurden sie als eine der ersten westlichen Musikgruppen aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik zu einer Tournee durch die Volksrepublik China eingeladen.

Neben diesen überregional wirksamen Bands etablierten sich in verschiedenen Gebieten Österreichs auch regionale Größen: z. B. die steirische 20th Century Blues Band um Ripoff Raskolnikoff (Gitarre, Gesang) und Leo Kysela (Gesang, Gitarre, Mundharmonika), die Vorarlberger Blue Monday Blues Band, die niederösterreichische Backdoor Blues Band, die oberösterreichischen Rhythm Gangsters um P. Garstenauer (Gitarre), sowie die Wiener Bands Salty Dog und Henryk & Band. Europaweite Anerkennung erlangten die beiden in traditionellem Stil spielenden B.- und Boogie-Pianisten Martin Pyrker und J. Palden, Letzterer v. a. im Duo mit Sängerinnen (E. Scollo, D. Gillespie).

Kennzeichnend für die europäische B.szene ist generell der Umstand, dass sie stark von solchen amerikanischen Vorbildern beeinflusst ist, die zeitweilig ein breiteres Publikum ansprechen konnten: 1980 führte der Erfolg der US-amerikanischen Filmkomödie Blues Brothers zu einer starken Rezeption des von der Soul-Music beeinflussten Rhythm & Blues im Memphis-Style (in Österreich v. a. durch die Band The Untouchables vertreten). Ende der 1980er Jahre waren es die Erfolge des texanischen Gitarristen Stevie Ray Vaughan (1954–90), die weltweit, v. a. aber in Europa, den Texas-Style als führende Stilrichtung etablierten. In Österreich pflegen v. a. die steirische Sir Oliver's Blues Distillery um O. Mally (Gitarre, Gesang) und der oberösterreichische Gitarrist P. Garstenauer diesen stark gitarrebetonten, durch seine ausgefeilten, oft kleine Geschichten erzählende Texte geprägten B.-Stil; Garstenauer konnte sich auch im Mutterland des B., den USA, einen Namen machen.

Eine Sonderstellung innerhalb der österreichischen B.-Szene nimmt der aus den Niederlanden stammende, jedoch in Österreich lebende H. Theessink (Gesang, Saiteninstrumente) ein, der sich mit einem Stilmix aus B., karibischer Musik und Folkmusik – Solo, im Duett mit dem Tuba-Spieler John Sass oder mit der Band Blue Groove – weltweit als einer der führenden Vertreter eines stilistisch erneuerten Country B. etablieren und auch ein breiteres Publikum erreichen konnte; seine Aufnahmen gelten als „den meisten heutigen Produktionen amerikanischer Country-B.-Künstler, weiß oder schwarz, weit überlegen“ (Herzhaft).

Die österreichische B.-Szene hat aufgrund der mangelhaften Resonanz in den elektronischen Medien ein hohes Maß an Autonomie entwickelt. So produzieren und vertreiben die meisten Musiker ihre Tonträger selbst, wodurch der Rezipientenkreis von vornherein starken Beschränkungen unterliegt. Immerhin hat sich aber mittlerweile mit der Firma Wolf Records (WR) in Wien ein B.-Label etabliert. Amerikanische B.-Musiker treten in Österreich nur selten, zumeist im Rahmen von Jazz-Festivals (Wiesen, Velden/K, Wien) auf.


Werke
TD: Austrian Blues Summit (WR, 1993).
Literatur
P. Oliver, Die Story des B. 1979; Sh. Harris, B. Who's Who 1979; G. Oakley, B. 1981; S. P. Charters, Der Country-B. 1982; G. Herzhaft, Enzyklopädie des B. 1998; B. Notes. Zeitschrift für B. Erstes deutschsprachiges B. & Jazz-Magazin (Linz 1969–1979); B. Life. Deutschsprachiges B.magazin, hg. von Fritz Svacina/W. Osterbauer (Wien 1978–1995, mehrfach leicht abgewandelter Titel, auch unter B. Life Journal, hg. von Franziska Svacina); R. Santelli, The Big Book of B. 1993; R. Springer, Authentic B. 1995; F. Davis, The History of the B. 1995; C. L. Reichert, B. 2001; P. Stachel in S. Ingram et al. (Hg.), Reverberations: Representations of Modernity, Tradition and Cultural Value in-between Central Europe and North America 2002.

Autor*innen
Peter Stachel
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Peter Stachel, Art. „Blues‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001f8cd
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001f8cd
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