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Maria am Gestade (Wien)
Eine der ältesten Marienkirchen Wiens, früher „Unsere liebe Frau auf der Gstetten“ oder „Maria-Stiegen“ genannt. Nach einer anonymen Schrift von 1720 soll bereits 882 durch den Passauer Chorbischof Madalwin eine Marienkapelle an diesem Ort erbaut worden sein, urkundlich ist ihr Bestand jedenfalls Mitte des 12. Jh.s gesichert. Diese romanische Kapelle fiel 1262 einem Brand zum Opfer, wurde aber rasch wieder erneuert. 1332–57 wurde ein neuer Chor erbaut, 1391 der Grundstein für ein neues Langhaus gelegt, das 1414 vollendet werden konnte. Kurze Zeit später war auch der schlanke Turm mit seiner filigranen Steinkuppel fertig gestellt. 1357–1783 war M. passauische Offizialatskirche, verblieb also auch nach der Gründung des Wiener Bistums (1469/80) sowie Erzbistums (1723) als Enklave Teil des Passau unterstehenden Diözesangebietes. Nach den Josephinischen Reformen blickte dieses Gotteshaus in eine ungewisse Zukunft, der Abriss konnte zwar verhindert werden, nicht jedoch, dass es in den Wirren der Napoleonischen Zeit seiner Inneneinrichtung beraubt und als Pferdestall und Magazin verwendet wurde. Erst 1817 befahl K. Franz I. eine umfassende Renovierung der Kirche, die 1820 als tschechische Nationalkirche der Kongregation der Redemptoristen übergeben wurde. Hier befinden sich auch die Reliquien des Wiener Stadtpatrons, des hl. Klemens Maria Hofbauer.

Nach der ersten Erwähnung einer an dieser Kirche gebrauchten Orgel (1411) fehlen jahrhundertelang gesicherte Informationen. Während der Barockzeit und hinauf bis Anfang des 19. Jh.s befand sich über dem südlichen Chorportal eine schwungvoll herausragende Musikempore mit einer Orgel (II/14), die möglicherweise vom Wiener Orgelbauer J. Hencke um 1740/50 verfertigt worden war. Anlässlich der Renovierung der Kirche zu Beginn des 19. Jh.s erwies sie sich jedoch als unbrauchbar und man entschloss sich zu einem Neubau auf der Westempore (II/17), den F. Deutschmann 1821 durchführte und von dem das neugotische Gehäuse erhalten geblieben ist. 1884 wurde durch J. Lachmayr unter Verwendung vorhandener Teile eine neue Orgel mit mechanischen Kegelladen erbaut. 1911/12 errichtete M. Mauracher die jetzige Hauptorgel (II/32), wiederum unter Einbeziehung von Pfeifenmaterial aus den Vorgänger-Instrumenten.

Bereits für den Anfang des 14. Jahrhunderts ist verbürgt, dass hier unter Mitwirkung von Scholaren (aus welcher Schule bleibt offen) feierlich das Salve Regina gesungen wurde, spätestens 1385 feierte hier die Universität das Fest der Unbefleckten Empfängnis mit einer gesungenen Messe, an der auch Studenten mitwirkten. 1411 ist für das Frühamt bereits eine Teilnahme der Orgel vorgesehen, 1422 die Bezahlung eines Kantors erwähnt. 1415 wurde das Benefizium S. Antoni gestiftet, an dessen Jahrtag bis 1783 ein musikalisches Amt zu halten war. Einen Einblick in die Musizierpraxis des 15. Jh.s gewährt der größte Schatz dieser Kirche, die etwa 1460 entstandene Tafelmalerei der „Krönung Mariens“ mit Engelskonzert (singende sowie auf Laute, Fidel, Zink oder Großpositiv musizierende Engel). Die ältesten erhaltenen Gottesdienstordnungen (1606 sowie Mitte des 17. Jh.s) schreiben dezidiert die Mitwirkung der Kirchenmusik an besonders feierlichen Anlässen vor, zu deren Ausführung laut Dienstordnung aus jener Zeit ein Organist sowie Sänger und Musiker engagiert waren. Der erste bekannte Regenschori war V. Fux, der 1644–50 in dieser Position nachweisbar ist und auch kompositorisch tätig war, 1659 übernahm Hans Caspar Molitor seinen Posten (1676 entlassen). Sein Nachfolger war J. M. Zacher, der ab 1679 auch am Wiener Stephansdom wirkte und in Folge seine Aufgaben an M. zunehmend vernachlässigte. Im November 1676 wurde eine St. Leopolds-Bruderschaft gegründet, deren Gottesdienste ebenfalls musikalisch zu umrahmen waren. Am Fest Mariä Opferung musizierte jahrzehntelang die kaiserliche Hofkapelle in dieser Kirche. Da M. keine pfarrlichen Rechte besaß, hatte diese Kirche ständig mit Geldnöten zu kämpfen, wodurch bis 1783 bloß zwei Sänger (Tenor und Bass, die anderen Stimmen wurden mit Sängerknaben aus dem Schottenstift besetzt), ein Organist sowie zwei Violinisten ständig verpflichtet und besoldet werden konnten. Nach Zachers Tod zeigte J. J. Fux Interesse am Posten des Regenschori, jedoch erschien ihm die angebotene Besoldung viel zu gering. Zachers Nachfolger waren daher Martin Feichter (1713–17) sowie Christoph Joseph Wenzl (1717–27), der schon spätestens 1705 auf der Orgelbank dieser Kirche saß. 1728 übernahm der fruchtbare Kirchenkomponist Johann Franz Ehrenhardt (* ca. 1697 Rumburg/Böhmen [Rumburk/CZ], † 26.4.1753 Wien) den Regenschori- und Organistenposten, von ihm sind über 30 Messen sowie zahlreiche kleinere Kirchenwerke in österreichischen, süddeutschen, tschechischen und ungarischen Archiven nachweisbar. Ab 1743 erhielt er im Organisten J. G. Haroldt Entlastung. Die letzten Regenschori des 18. Jh.s waren Anton Ristl (1753–61) sowie Bartholomäus Lanz (1761–83), 1775–83 hatte J. Preindl den Organistenposten inne. Auf Grund der Josephinischen Reformen wurde im Mai 1783 die instrumental begleitete Musik an dieser Kirche untersagt. Die Forschungen über die 1820 wieder aufgenommene Musikpflege an dieser Kirche sind im Gange (2012), bekannt ist die Tätigkeit von J. F. Kloss, der 1849–54 rührig um den Gemeindegesang bemüht war. 1945/46 wirkte A. Reiman als Chorregent an der Kirche.

Seit 1995 ist D. Schmidt Kirchenmusikdirektor, der mit der Capella Clementina v. a. Werke der Wiener Klassik sowie mit dem Ensemble Vox Gotica Vokalmusik des Mittelalters und der Renaissance aufführt. Zweiter Organist ist derzeit (2012) Jan Blahuta.


Literatur
P. Erhart in Wr. Geschichtsbll. 67 (2012), H. 1 und 3; O. Biba in F. Heller (Hg.), Beiträge zur Musikgesch. des 18. Jh.s 1971; Česko slovenský hudební slovník 1963; P. C. Dilgskron, Gesch. der Kirche unserer lieben Frau am Gestade zu Wien 1882; R. Flotzinger, Vinzenz Fux – Ein erster Bericht 1983; G. Lade, Orgeln in Wien 1990; P. J. Löw, Maria am Gestade 1931; J. Mantuani, Gesch. der Musik in Wien 1904; G. Reichert, Zur Gesch. der Wr. Messenkomposition in der ersten Hälfte des 18. Jh.s, Diss. Wien 1935; F. W. Riedel, Kirchenmusik am Hofe Karls VI. (1711–1740) 1977; W. u. H. Ströher in SK 45/2 (1998); www.redemptoristen.com (11/2012); www.riha-journal.org (2/2014), eigene Recherchen (Wurzbach, Eitner, WStLA [TBP]).

Autor*innen
Peter Erhart
Letzte inhaltliche Änderung
17.12.2012
Empfohlene Zitierweise
Peter Erhart, Art. „Maria am Gestade (Wien)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 17.12.2012, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x002d81f9
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Innenansicht Richtung Hauptaltar. Stich von Kilian Ponheimer, Zeichnung von Josef Fischer, 1817© Bildarchiv Austria, ÖNB

DOI
10.1553/0x002d81f9
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