Die zeitlichen Umgrenzungen von M. und deren Begründung werden nicht nur sehr unterschiedlich vorgenommen, sondern sind auch vom Gültigkeitsanspruch abhängig, d. h. überhaupt nur für bestimmte Geltungsbereiche und auch dann nur höchst reduktionistisch anzugeben: z. B. für das (westkirchlich/römisch, d. h. katholisch geprägte) „Abendland“ als untere Grenze der Einbruch der Hunnen (Hauptanstoß für die sog. Völkerwanderung und zunehmenden Einfluss der germanischen Völker, 475) oder der Zerfall des Römischen Reiches (476; frühchristliche Musik) sowie als obere die Erfindung des Buchdrucks (um 1450), die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (1453), die Entdeckung Amerikas (1492) o. ä. Für Mitteleuropa würden der endgültige Abzug der Romanen aus dem Donauraum (um 500) bzw. das Auftreten Martin Luthers (1517) Argumente liefern können und somit nur geringfügige Verschiebungen bedeuten. Nicht nur für musikgeschichtliche Zusammenhänge kann die Anlegung vergleichbarer Momente für Beginn und Ende (z. B. Anerkennung des Christentums als [Staats-]Religion 313/326/381 bzw. endgültige Trennung von Ost- und Westkirche 1453) angebracht sein.
Wegen der außerordentlich langen Zeitspanne von tausend oder mehr Jahren hat sich eine (ihres biologistischen Ursprungs entkleidete) Unterteilung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter als praktisch erwiesen, doch ist deren Konkretisierung noch weniger einheitlich. So wird man für Österreich vernünftigerweise von den äußeren Verhältnissen (Herrschaft, Landwerdung) ausgehen, doch sind diese mit der üblichen Unterteilung nur bedingt zur Deckung zu bringen: könnte die Bezeichnung der Zeitspanne vom Beginn des 10. Jh.s (allmähliche Festigung der babenbergischen Mark) bis zum Aussterben der Babenberger (1246) als „Hochmittelalter“ hinsichtlich der allgemeinen Geschichte gerechtfertigt werden, wäre sie für eine musikhistorische Darstellung allzu grob. Besser kann der daran anschließende Zeitabschnitt bis etwa 1520 (Tod K. Maximilians I. 1519) als „Spätmittelalter“ (wie oft vonseiten der Kunstgeschichte als Zeit der „Gotik“) zusammengefasst werden.
An der Ausbildung einer speziellen musikalischen M.-Forschung (Mediävistik) könnte auch das „Institut für österreichische Geschichtsforschung“ in Wien einen gewissen Anteil beanspruchen: Gustav Jacobsthal (1845–1912), einer der deutschen Pioniere (u. a. Lehrer von Friedrich Ludwig [1872–1930] und Peter Wagner [1865–1931]), hatte hier 1871–73 unter Theodor v. Sickel (1826–1908) studiert. Allerdings fand dessen strenger Historismus wenig Fortsetzung. Auf einer Gegenlinie hat auch R. v. Ficker Forschungsgeschichte geschrieben, die mit seinem endgültigen Abgang aus Wien 1931 ebenfalls zum Erliegen kam. Trotz der Einrichtung einer eigenen Lehrkanzel an der Univ. Wien 1973 (F. Zagiba, W. Pass, B. Lodes) kann aufgrund der reichen österreichischen Überlieferung derzeit (2004) nicht auf allen Gebieten von Anschluss an die internationale Forschungsleistung gesprochen werden.
H.-W. Goetz, Moderne Mediävistik 1999; LexMA, 9 Bde. 1980–99 (dtv 2002); R. Flotzinger in GMA 1 (1975); MGÖ 1 (1977, 1995); R. Flotzinger in R. G. Plaschka/A. M. Drabek (Hg.), Österreich im Hochmittelalter (907 bis 1246) , 1991; H. Besseler, Musik des M.s und der Renaissance 1931; H. Möller/R. Stephan (Hg.), Die Musik des M.s 1991; J. Stenzl in H.-K. Metzger/R. Riehn (Hg.), Musik-Konzepte 107 (2000); ÖL 1995; P. Sühring in Concerto 152 (17/2000).