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Wiener Tschuschenkapelle
Multikulturelles Ensemble. Über die Etymologie des Wortes „Tschusch“ gibt es verschiedene Theorien. Vermutlich war es die dem Slawischen angepasste Form von „Teitsch“ (deutsch) für die deutschsprachige Minderheit in Südosteuropa. In Wien wird „Tschusch“ von bestimmten Kreisen gegen Serben (Serbien), Auswanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien und ab den 1970er Jahren gegen alle MigrantInnen (Migrantenmusik) aus Südosteuropa und der Türkei als diskriminierendes Schimpfwort gebraucht. Durch die Selbstbenennung als „Tschuschen“ machte die Kapelle sich nicht nur über diesen Begriff lustig, sondern führte ihren gehässigen Inhalt ad absurdum. Während ausländerfeindliche Kreise sich politisch organisierten, bildeten in den 1990er Jahren Kreise des „anderen“, „weltoffenen“ Wien, die für Multikulturalität und für ein friedliches Miteinander eintraten, viele Zivilorganisationen humanitären und menschenrechtspolitischen Zuschnitts (z. B. Wiener Integrationshaus, Lichtermeer, SOS Mitmensch, Innsbrucker Flüchtlingsball). Diese und die W. Tsch. verhalfen einander gegenseitig zu einer größeren Popularität in Österreich durch regelmäßige Auftritte, Aktionen und Benefizkonzerte des Ensembles in Zusammenhang mit den erwähnten Initiativen. Die Tsch. feierte 2004 ihr 15-jähriges Bestandsjubiläum. Mit ihren musikalisch-politischen Botschaften ist die Kapelle mittlerweile fast eine österreichische „Institution“ gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geworden und erreichte auch international große Popularität.

Der Initiator und Ensembleleiter, Slavko Ninić, ist gebürtiger Kroate (Kroatien, Burgenländische Kroaten). 1972 wollte er nach eigener Aussage „nach der Matura kein Buch mehr sehen, in die Welt gehen und arbeiten“. Er kam nach Wien und begann zunächst eine typische „Gastarbeiterkarriere“ als Bauarbeiter. Dann entschloss er sich zu einem Soziologiestudium in Zagreb und absolvierte in Wien ein Dolmetsch-Studium mit Diplomprüfung, blieb in Wien und wurde zum Berufsmusiker. Er gründete in den 1980er Jahren mit zwei Freunden „eine Gaudi-Partie“ (Erste W. Tsch.), 1989 entwickelte sich daraus ein professionell arbeitendes Ensemble (W. Tsch.). Die Besetzung der Kapelle wurde immer wieder verändert. Konstant blieben S. Ninić (Gitarre und Gesang) und die bunte ethnische Zusammensetzung als Markenzeichen. Die MusikerInnen stamm(t)en aus Österreich, dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, Bulgarien, Griechenland, Polen, Ungarn, Rumänien, Russland usw.

V. a. nachsingbare „Ohrwurm“-Melodien und die tanzbaren Rhythmen ließen die Popularität der Kapelle wachsen, obwohl sie auch für das österreichische Publikum fremde, ungerade Rhythmen wie 5/8-, 7/8-, 9/8-Takte verwendet. Ninić definiert das Repertoire der Kapelle folgendermaßen: „Unser Repertoire setzt sich aus traditionellen und komponierten Liedern der Balkanländer, Serenaden des Mittelmeeres, türkisch- orientalen Weisen, griechischem Rembetiko, und der bosnischen Sevdalinka zusammen. Wir machen Ausflüge nach Russland, streifen das Wiener Lied (schließlich heißt es ja Wiener Tsch.), experimentieren mit Zigeunerjazz und wagen uns sogar ins Klassische. (Wir spielten schon mit den Wiener Philharmonikern in der Wiener Staatsoper ).“ Jedoch richtet sich der hauptsächlich aus traditionellem „Hochzeitsmusikrepertoire“ von Südosteuropa stammende musikalische Stoff an die Hörgewohnheiten des „weltoffenen“ österreichischen Publikums. Die Musiker, die aus den Stilrichtungen wie Volksmusik, Jazz, Klassik usw. kommen, bereichern alte Volksweisen mit neuen Elementen. Ninić ergänzt die musikalische Darbietung der Kapelle mit verbalen und theatralischen Mitteln der Wiener Conferencier-Tradition und „Wiener Schmäh“.


Tondokumente
TD: W. Tsch. 1990 (CD EX 108-2); W. Tsch. 1992 (MC, CD EX 147-2); G’rebelt live 1994 (CD EX 205-2); Wie schön Österreich ist 1997 (CD EX 305-2); ... und davon 2001 (CD EX 405-2); Exil 2003 (CD EX 505-2); 15 Jahre W. Tsch. 2004 (Ö1-ORF).
Literatur
U. Hemetek, Mosaik der Klänge. Musik der ethnischen u. religiösen Minderheiten in Österreich 2001; CD- Booklets; www.tschuschenkapelle.at (2/2006); pers. Mitt. S. Ninić.

Autor*innen
Memo G. Schachiner
Letzte inhaltliche Änderung
25.2.2019
Empfohlene Zitierweise
Memo G. Schachiner, Art. „Wiener Tschuschenkapelle“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.2.2019, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00041e52
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

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DOI
10.1553/0x00041e52
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