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Teschen (deutsch für tschechisch Těšín)
Die am Fluss Olsa (Olza, Olše) gelegene, heute zwischen Polen (Cieszyn) und der Tschechischen Republik (Český Těšín) aufgeteilte schlesische Stadt T. ist erstmals 1155 durch eine Urkunde von Papst Hadrian IV. belegt. Das am Ende des 13. Jh.s entstandene Herzogtum T. kam aufgrund des Vertrags von Trentschin (Trenčín/CZ) zwischen dem böhmischen Kg. Johann v. Luxemburg und dem polnischen Kg. Kasimir dem Großen an Böhmen. 1374 wurde T. ein Stadtrecht nach Magdeburger Vorbild verliehen. 1526 fiel das Herzogtum T. an die Habsburger, das 1625 (nach Aussterben des T.er Zweigs der Piaster) zu einem Bestandteil der böhmischen Krone wurde. Im 19. Jh. erlebte T. einen Prozess der Industrialisierung, es entstanden Fabriken, v. a. in der Textil- und Holzindustrie. Mit der österreichischen Verfassungsreform von 1849 wurde T. Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines Kreisgerichtes.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Stadt zwischen Polen und der Tschechoslowakei aufgeteilt. Die Einwohner von T. waren ursprünglich deutsch-, polnisch- und tschechischsprachig, auch die Konfessionen waren gemischt, mit den Katholiken im Übergewicht. Aus T. stammt der evangelische Dichter und Komponist Jiří Třanovský (Georgius Tranoscius, Juraj Tranovský, Jerzy Trzanowski, 1592–1637), dessen in Leutschau (Levoča/SK) herausgegebene Sammlung Cithara Sanctorum zu den wichtigsten Quellen geistlicher Lieder seiner Zeit gehört. In der Kirchenmusik leistete v. a. Andrzej Hławiczka (1866–1914) viel. Er gründete einen Chor und stellte mehrere evangelische Gesangsbücher mit Liedern in eigener Bearbeitung zusammen. Die Pflege des Chorgesangs fand eine Fortsetzung im Sohn von A. Hławiczka, dem Musikwissenschaftler, Pianisten und Komponisten Karol Hławiczka (1894–1976), und dem von ihm 1949 gegründeten gemischten Chor Harfa, einem der besten in der Region.

Im 19. Jh. wirkte die Stadt als kultureller Vermittler zwischen Polen und Nordmähren, Einflüsse von Krakau (Kraków/PL) lassen sich z. B. in Troppau feststellen; ein Beispiel stellte in den 1830er und 1840er Jahren die besondere Vorliebe für Werke F. Chopins dar. T. wurde von mehreren bedeutenden Persönlichkeiten der Musik besucht, 1844 z. B. von J. Strauss Vater mit seiner Kapelle; 1846 spielte F. Liszt im T.er Schloss.

Eine bedeutende kulturelle Rolle spielten die bürgerlichen Musiksalons, wobei die Produktionen in einer Art von Reprisen in verschiedenen Städten der Region (Ostrau, Troppau, T. usw.) wiederholt wurden. Zu den Organisatoren von musikalischen Veranstaltungen gehörten auch die Musikinstrumentenbauer. Deren Tradition in T. reicht bis ins 16. Jh. zurück. Die drei Generationen der Familie Kriwalski, die im 1. Drittel des 19. Jh.s Violinen, Zithern, aber auch Blasinstrumente bauten, fanden ihre Nachfolger in den drei Generationen der Familie Slawinski: Jan Slawinski (Sławiński, 1889–1945) und Leopold (1921–92), dessen Söhne Jan (* 1948) und Stanislav (* 1953) heute in der tschechischen Stadt Karwin (Karviná/CZ) die Arbeit fortsetzen.

Die gemischte ethnische Basis verlieh der Volksmusik einen eigenen Charakter, der v. a. von der Tanzrhythmik und den Texten im schlesischen Dialekt gekennzeichnet ist. Im tschechischen Teil der Region T. lebt bis heute eine beträchtliche polnische Minderheit, die ihre eigene Kultur pflegt und eigene Institutionen und Kulturvereine betreibt. Viele Persönlichkeiten waren gleichzeitig in mehreren Orten der Region tätig, so z. B. der Komponist, Dirigent, Musikorganisator und Lehrer Eugeniusz Firla (1910–86), zu dessen Wirkungsstätten Orlau (Orlová/CZ), Ostrau, Kattowitz (Katowice/PL), Warschau, Brünn, Karwin, T. (er komponierte u. a. Bühnenmusik für das T.er Theater) gehörten.

1910 wurde im heutigen polnischen Cieszyn das Adam Mickiewicz-Theater (Teatr imeni Adama Mickiewicza) eröffnet. Das Gebäude war nach den Plänen der Wiener Architekten F. Fellner und H. Helmer errichtet worden. 1910–39 wurde es vom Deutschen Theaterverein betrieben, es gab aber auch polnische Vorstellungen. 1945–93 stand es unter der Verwaltung des polnischen Theaters in Bielitz-Biala (Bialsko-Biała/PL), seit 1993 ist es wieder selbständig. Das Repertoire bilden Schauspiel, Oper, Operette, Ballett, aber auch folkloristische Veranstaltungen usw. Das Theater in Český Těšín wurde 1945 als Zweigstelle des Landestheaters in Ostrau gegründet, es hatte kein eigenes Theatergebäude. Die erste Vorstellung fand am 6.10.1945 im Restaurant Na střelnici (An der Schießbude) statt, auch später wechselte das Ensemble zwischen verschiedenen Sälen. Die polnische Minderheit gründete 1951 ein eigenes Ensemble (Scena Polska Teatru Cieszyńskiego); beide Ensembles, das tschechischsprachige und das polnischsprachige, bestehen bis heute (2015). Im Jahre 1961 erhielt das Theater eine neue Spielstätte, womit auch eine anspruchsvollere Dramaturgie (v. a. Schauspiel, aber auch Musical) ermöglicht wurde.

Seit 1990 werden in T. jährlich Festivals der tschechischen, slowakischen und polnischen Schauspieltheater organisiert. Die polnische Minderheit hat auch ein eigenes Puppentheater (Teatr Lalek Bajka). Das kulturelle Leben für die polnische Minderheit organisiert die im Jahre 1999 gegründete Vereinigung Ars Musica, zu der der Gemischte Chor Canticum Novum, die Volksmusikkapelle Zorómbek u. a. gehören. Auch die tschechische Bevölkerung hat mehrere folkloristische Ensembles (Slezan, ein Kinderensemble Slezánek usw.).

Aus T. stammen der Komponist V. Ullmann und der Violinist M. Rostal.


Literatur
A. Peter, Gesch. der Stadt T. 1888; G. Biermann, Gesch. des Herzogtums T. 21894; J. Vavřík, Lidová píseň ve Slezsku [Das Volkslied in Schlesien] 1931; Z. Bokesová-Hanáková, Hudba v díle Třanovského [Die Musik im Werk von Jiří Třanovský] 1937; M. M. Sigle in Těšínsko 23/2 (1980); V. Gregor, Hudební místopis Severomoravského kraje [Musikalische Topographie Nordmährens] 1987; [Fs.] 40 lat męskiego chóru Harfa [40 Jahre Männerchor Harfe] 1989; M. Borak, Nástin dějin Těšínska [Ein Entwurf der Geschichte der T.er Region] 1992; M. Malura in Slezsko a Severovýchodní Morava jako specifický region [Schlesien und nordöstliches Mähren als eine spezifische Region] 1997; Česká divadla. Encyklopedie divadelních souborů [Tschechische Theater. Enzyklopädie der Theaterensembles] 2000; P. Chmiel/J. Drabina (Hg.), Die konfessionellen Verhältnisse im T.er Schlesien vom Mittelalter bis zur Gegenwart 2000; J. Štika et al., Těšínsko (sv 4). Lidová píseň a hudba. Lidový tanec. Prozaická ústní slovesnost. Lidové umění výtvarné [T.er Region (Bd. 4). Volkslied und Volksmusik. Volkstanz. Mündliche literarische Überlieferung. Bildende Volkskunst] 2002.

Autor*innen
Vlasta Reittererová
Letzte inhaltliche Änderung
18.6.2015
Empfohlene Zitierweise
Vlasta Reittererová, Art. „Teschen (deutsch für tschechisch Těšín)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.6.2015, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x003262fc
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Teschen im 17. Jh. Federzeichnung von Friedrich König nach Matthäus Merians Topographie (1650)© Bildarchiv Austria, ÖNB

DOI
10.1553/0x003262fc
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