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Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV)
Musikgruppe; nicht über das Wienerlied, sondern direkt aus dem Kabarett in Verschmelzung mit der Konzept-Idee einer Rock-Gruppe entstanden. Der österreichische Beatnik H. Qualtinger brachte bereits in den frühen 1960er Jahren Literatur und Musik im Dienste des Widerstandes der beginnenden Jugendkultur zueinander. G. Bronner begründete das Dialektlied im mainstream, die politischen Konzeptformationen im Folk-Rock der Schmetterlinge und der aktionistischen Drahdiwaberl sind weitere österreichische Quellen. International wurde der ebenfalls im Umfeld der Kunstschulen entstandene Comix-Rock der EAV durch die post-pop-art Ära und die explizite Reflexion des Pop-Geschäftes im Performance Rock wie später in der Medienkonzeptarbeit von Malcolm MacLaren mit den Sex Pistols vorbereitet. Die massenhaft rezipierte Rocky Horror Picture Show hat möglicherweise die Rezeption theatralischer Show-Rockformen begünstigt.

Die Gruppe Antipasta ist die Urzelle der EAV. Eik Breit und Nino Holm, die zuvor kurzzeitig mit Th. Rabitsch und Zak gespielt hatten, holten 1977 den Kunststudenten Thomas Spitzer als Gitarristen in die Band. Aus seiner Idee, eine Konzeptgruppe zu kreieren, entsteht die – von ihm auch grafisch entsprechend aufbereitete – Rock-Comix-Band EAV, als Medienaufmerksamkeit heischende provokante Verunsicherung einer großen Versicherungsanstalt. Wilfried agierte 1978 als Frontman, kehrte aber bald in den mainstream zurück, wo seine Vorreiterrolle als Alpenrocker weit vor der politischen Trendwende keine Basis fand. Sein Nachfolger G. Steinbäcker hat sich stärker dem Trio STS als der EAV gewidmet, die mittlerweile von einer Wiener zu einer Grazer Gruppe wurde und in der Umgebung von Graz kommunenhaft wohnte. Das Programm Ihr Kinderlein kommet, in Deutschland erfolgreicher als in Österreich, ist in EAV-STS-Verschmelzung entstanden. Café Passé, Teil des Wiener Festwochen-Programms 1980, hat die Parodie (der Beatles, von Gilbert Becaud, A. Heller, Ronald Reagan) zum Tenor; Alpenpunk ist eine raue Version des Kufstein-Liedes.

1981 kommt der Nicht-Musiker Klaus Eberhartinger in die Gruppe, 1983 folgt der Schauspieler und Kabarettist Mario Bottazzi G. Steinbäcker, der mit STS und dem Hit Fürstenfeld den Durchbruch geschafft hatte. Spitalo Fatalo ist eine bunte unterhaltsame Show. Klamauk, Slapstick und Schüttelreim ersetzen musikalisch getragene Doppelbödigkeit. Dennoch: die BRD boykottiert die Häme auf den Massentourismus in Afrika, die DDR hingegen lädt die EAV zum Festival des politischen Liedes ein.

Seit 1983 bei EMI unter Vertrag, steigen die Beliebtheit und der finanzielle Wert im deutschsprachigen Gebiet. Der Vertrieb in Japan und einigen nicht deutschsprachigen Ländern ist mäßig erfolgreich, in Großbritannien wird Ba-Ba-Bankrobbery 1986 zum schlechtesten Video gekürt.

1987 ist der Hack aufgegangen: die Erste Allgemeine Versicherung wird Hauptsponsor der EAV, eine Anzeige 1988 bei der Pinguin Tour gegen eine Waldheim-Karikatur wird eingestellt, die Gruppe ist als Kritiker etabliert. Dennoch, die Beleidigung der Gefühle Behinderter nach dem Verständnis des Bayerischen Rundfunks im Lied über den Atommutanten Burli findet kein Medieninteresse.

1990 verlässt Bottazzi die Gruppe, der Nicht-Musiker Andy Töfferl übernimmt 1991 für die Gruppe den World Music Award in Monaco. 1992 gehen Thomas Spitzer und Klaus Eberhartiger halbjährlich nach Kenia, Nino Holm auf die Malediven – die Gruppe zerfällt zunehmend in Einzelpersonen.

1995 übernimmt David Bronner (Sohn G. Bronners) den Platz von Nino Holm in der Nie wieder Kunst-Tour bzw. -CD. Eik Breit geht zum älpischen Rockgesangsverein 4Xang. Viele Musiker der Grazer Szene aus der frühen Phase des nachspielenden Lernens spielen kurzzeitig in der Gruppe oder machen Einzelprojekte mit EAV-Mitgliedern. Finanzielle Schwierigkeiten der sich technisch selbst versorgenden Gruppe machen weitere Probleme. Der Verkauf alter Hits sichert das Weiterbestehen, Best ofs und Remixes – weniger im technostyle als kommerziell motiviert – bestimmen den musikalischen Output. Einzig Thomas Spitzer bringt themenzentriert zur Jahrtausendwende 2000 Jahre Austropop (sind genug) im Kabarettstil heraus. Für 2002 ist ein Album Lümmels in love geplant; jedenfalls reproduziert sich die EAV selbst, um ihr finanzielles Bestehen zu sichern.

In der hedonistischen digital culture der new electronic music findet die EAV wenig Gehör; ihre Wirkungen sind möglicherweise eher in der Dominanz des Kabarettistischen in der österreichischen Alltagskultur zu sehen, die mit den starken eigenen kabarettistischen Wurzeln wie mit der Verschmelzung des Kabaretts/Wienerliedes mit dem internationalen Rock zum Austro-Pop allein unzureichend erklärbar wäre.


Ehrungen
Amadeus Austrian Music Award 2019 für das Lebenswerk.
Werke
Alben: 1. allgemeine Verunsicherung 1978; Café Passé 1981; Spitalo Fatalo 1983; à la Carte 1984; Geld oder Leben 1985; Liebe, Tod und Teufel 1987; Kann denn Schwachsinn Sünde sein 1988; Neppomuks Rache 1990; Watumba 1991; Nie wieder Kunst 1994; Live Kunst Tour ’95 1995; Im Himmel ist die Hölle los 1997; Himbeerland 1998; Frauenluder 2003; Amore XL 2007; Neue Helden braucht das Land 2010; Werwolf-Attacke – Monsterball ist überall 2015; Was haben wir gelacht... 2016; Alles ist erlaubt 2018.
Literatur
Beiträge von E. Weiss und W. Gröbchen in W. Gröbchen (Hg.), Heimspiel. Eine Chronik des Austro-Pop 1995; www.eav.cc (8/2001); www.verunsicherung.de (4/2019); https://oe1.orf.at/artikel/657881/EAVk (11/2019).

Autor*innen
Werner Jauk
Letzte inhaltliche Änderung
13.11.2019
Empfohlene Zitierweise
Werner Jauk, Art. „Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 13.11.2019, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001fdea
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001fdea
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