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Japan (Nippon)
Inselreich in Ostasien, konstitutionelle Monarchie (Hauptstadt: Tokio).

(I) Mitte des 16. Jh.s brachten v. a. portugiesische und spanische Missionare europäische Musik nach J. Mit dem Verbot des Christentums 1588 und der Isolationspolitik nach 1639 endete zunächst der meiste ausländische Einfluss, weiterhin wurden mit den Niederlanden, China, Korea und Formosa (Taiwan) Kontakte gepflegt. Erst 1854 begann sich das Land wieder vermehrt ausländischen Einflüssen zu öffnen. Mit dem Zusammenbruch des Tokugawa-Shôgunates im Jahre 1868 endete die Politik der gewaltsamen Abschließung des Landes. Mit der Errichtung der konstitutionellen Monarchie geriet eine Zeit lang auch das traditionelle Gebäude der japanischen Musik ins Wanken: der Öffnung nach außen folgte ein überwältigender Zustrom westlicher Kultur und Zivilisation. Die Meiji-Regierung (1868–1912) gilt als Schöpferin des modernen J., förderte die Kenntnisse der europäischen Kultur, bewahrte aber auch die Schöpfungen der japanischen Kultur vor Verfall und Vergessenheit.

1870 erfolgte die Neugründung des Amtes der kaiserlichen Hofmusik (Gagaku-kyoku) im Hofministerium, kaiserliche Musiker lernten nun auch europäische Instrumente und spielten unter der Leitung des Engländers John William Fenton (1828–1890). Das erste öffentliche Konzert fand 1881 statt, 1887 absolvierten die ersten Schüler ihre Ausbildung. In der Anfangsphase wurde nur Singen in den Volksschulen praktiziert, da es noch keine europäischen Instrumente gab. Japanische Instrumente lernte man nur im privaten Unterricht. 1879 wurde im Kultusministerium ein Amt für Musikforschung gegründet, dessen erster Leiter Shuji Isawa (1851–1917) war, der eine bedeutende Rolle für die Musikerziehung im modernen J. spielte. Die neue westliche Musik wurde als Symbol einer nicht mehr feudalistisch in Stände gegliederten Gesellschaft angesehen. 1880 begann schließlich der Amerikaner Luther Whiting Mason (1828–96) auf Wunsch der japanischen Regierung mit der Ausbildung von Musiklehrern. Er importierte westliche Musikinstrumente und lehrte westliche Notation und Musiktheorie. 1881 erschienen erste Lehrbücher für den Musikunterricht in Schulen. Aus dem genannten Musikinstitut entstand 1887 die Kaiserliche Akademie für Musik, die seit 1947 neben den städtischen und privaten MSch.n in Tokio, Osaka und Kyoto die einzige staatliche MHsch. J.s ist. Die besten Schüler der Staatlichen MHsch. wurden zum Studium nach Berlin, Leipzig oder Wien geschickt.

1867 wurden bereits Militärkapellen nach ausländischem Vorbild gegründet: in der Marine 1871 unter J. W. Fenton nach englischem Vorbild und im Heer 1872 unter Georges Dacron (1845–98) nach französischem Vorbild.

Bald gastierten auch ausländische Musiker in J. Der Geiger E. Reményi spielte als erster europäischer Künstler 1886 im Rahmen einer Konzerttournee vor dem Tenno (Kaiser). Der Flötist und Komponist Adolf Terschak (* 6.4.1832 Prag, † 3.10.1901 Breslau [Wrocław/PL]), der seine Ausbildung am Konservatorium der GdM genossen hatte, unternahm 1890 eine Tournee nach J.

1890 wurde das erste japanische Musikjournal (Ongaku zasshi) begründet, 1894 fand die erste Aufführung einer westlichen Oper (Faustvon Charles Gounod) statt. In der Folge waren Gastspiele ausländischer Opernensembles (v. a. aus Russland und Italien) Höhepunkte im Kulturleben J.s. In den 1880er Jahren wurden das Orchester des Ministeriums des kaiserlischen Haushaltes und das der Staatlichen MHsch. Tokio gegründet. 1887 fand bereits die EA europäischer symphonischer Musik statt (2. und 3. Satz der 1. Symphonie von L. v. Beethoven). Bis zum Ersten Weltkrieg wurde in den Konzertprogrammen die Musiktradition der deutschen Klassik und Romantik favorisiert.

Nach 1915 kamen vermehrt ausländische Besucher nach J., nach 1917 erhöhte sich der Zustrom von ausländischen Musikern aus politischen Gründen (u. a. Sergej Prokofiev), viele waren auf der Durchreise nach Amerika (Exil). Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich auch der Einfluss des französischen Impressionismus.

(II) Mit der Unterzeichnung eines Handelsschiffahrts- und Freundschaftsvertrages 1869 begannen die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und J. Kaiser Franz Joseph I. schickte aus diesem Anlass einen Bösendorfer-Flügel als Gastgeschenk nach J. Bei der Wiener Weltausstellung 1873 konnte J. einen großen Erfolg erzielen. In der Folge kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern in verschiedenen Bereichen, v. a. Musik, Medizin, Architektur, Rechtswissenschaft, Literatur und Sport. Gleichzeitig wirkte die Ausstellung nicht nur auf den Jugendstil in Österreich, sondern auch auf den „Japonismus“ in ganz Europa. 1884 wurde ein österreichisch-ungarisches Konsulat in Yokohama eröffnet. 1893 besuchte der Thronfolger Erzhzg. Franz Ferdinand J. Von seiner Reise brachte er zahlreiche Kunstgegenstände nach Wien, die dann öffentlich gezeigt wurden. 1935 wurde eine Japanisch-österreichische Gesellschaft gegründet.

Zahlreiche Österreicher machten sich um die Ausbildung und die Musikpflege in J. verdient: R. Dittrich wurde 1888 von der japanischen Regierung über Vermittlung von J. Hellmesberger an die MSch. in Tokio berufen. Bis 1894 gab er mehr als 50 Konzerte und begleitete die Chöre der Schule am Klavier. Er wird in J.„erster wirklicher Musiker“ und „Vater der europäischen Musik in J.“ genannt. Eine seiner Schülerinnen, Nobu Koda (* 19.3.1870 Tokio, † 14.5.1946 Tokio), die 1890–95 in Wien lebte und hier 1891–95 am Konservatorium der GdM studierte, ist als erste Komponistin J.s im westlichen Stil zu bezeichnen.

1923 kam J. Laska nach J., wo er Lehrer an der Takarazuka-Oper in der Präfektur Hyogo wurde. In seinem ersten Konzert 1924 erklang u. a. eine Symphonie von J. Haydn, 1931 leitete er die japanische EA der 4. Symphonie von A. Bruckner. Willy Bardas (* 17.2.1887 Wien, † 29.9.1924 Neapel) war Pianist in Berlin, bevor er 1923–25 als Klavierlehrer an der Staatlichen MHsch. in Tokio tätig war. Josef Balthasar König (* 1874 Prag, † 1932 Harbin), der in Prag unter A. Dvořák und Fr. Smetana Violine, Dirigieren und Komposition studiert, 1892 im Orchester der Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen in Wien mitgespielt hatte und bis 1925 Geiger und Ballettdirigent am Mariinsky-Theater in St. Petersburg war, kam 1925 nach J., wo er der erste ausländische Orchestererzieher des heutigen NHK (Nippon Hosso Kyokai)-Symphonie-Orchesters wurde. Der Klaviervirtuose L. Sirota genoss seine Ausbildung in Kiew und St. Petersburg. 1907 kam er zu Studien bei F. Busoni nach Wien, wo er auch Philosophie und Musikgeschichte an der Univ. studierte. Nach Konzerttourneen durch Europa unterrichtete er 1929–46 an der Staatlichen MHsch. in Tokio Klavier.

1924 wurde mit dem 3. Satz der 1. Symphonie erstmals ein Werk G. Mahlers in J. aufgeführt. Dirigent war Hidemaro Konoe (1898–1973), Gründer und Chefdirigent des New Symphony Orchestra (NSO, heute NHK). In den Jahren 1932–37 leitete Klaus Pringsheim (* 24.7.1883 München, † 7.12.1972 Tokio) die EA.en der 5., 2., 6., 3. und 7. Symphonie von Mahler. Er war 1905/06 Voluntärkorrepetitor an der Wiener Hofoper unter Mahler, wurde 1931 als Leiter des Orchesters an die Staatliche MHsch. in Tokio berufen und 1937 entlassen. 1951–71 wirkte er an der Musashino Academia Musicae als Theorielehrer, wo er eine ganze Generation von japanischen Komponisten unterrichtete.

Weitere österreichische Musiker machten sich um die Musikausbildung in J. verdient bzw. wirkten in Orchestern mit: Karl Liebrecht (* 1898 Wien, † ?) genoss seine Ausbildung am Konservatorium der GdM, war Konzertmeister in Graz und Berlin und kam 1934 nach J., wo er als Solist in Orchestern mitwirkte; Robert Pollak (* 18.1.1880 Wien, † 1961) studierte ebenfalls am Konservatorium der GdM, lehrte bei Meisterkursen in Lausanne/CH und Genf/CH, war nach russischer Kriegsgefangenschaft Geigenlehrer am Moskauer Konservatorium und unterrichtete 1930–37 Violine an der Staatlichen MHsch. in Tokio; Josef Rosenstock (* 27.1.1895 Krakau [Kraków/PL], † 1985) genoss seine Ausbildung am Konservatorium in Krakau und an der MAkad. in Wien. 1936–46 war er Gastdirigent des NSO; P. Weingarten unterrichtete 1936–38 Klavier an der Staatlichen MHsch. in Tokio, 1938–45 in Budapest und 1945–48 schließlich an der Wiener MAkad.; K. Wöss wirkte 1951–54 als Dirigent des NHK-Orchesters, wo er die 4. und 7. Symphonie Bruckners dirigierte und das Niveau des Orchersters steigerte. Seine Frau Margarete hielt Vorlesungen an der Univ.; 1954 war H. v. Karajan Gastdirigent beim NHK, 1955–58 unterrichtete H. Kann an der Staatlichen MHsch. in Tokio, W. Loibner und Ed. Strauß dirigierten, E. Werba, J. Witt, J. Demus und F. Gulda konzertierten bzw. hielten Kurse ab. K. Rapf kam 1964 als Begleiter von H. Hotter erstmals nach J.

Der Musikforscher und -kritiker, Träger der Mozartmedaille und Gründer der japanischen Mozart-Gesellschaft, Keisei Sakka (* 17.10.1902 Korea, † 12.10.1994 Tokio) wirkte wesentlich am Aufbau des NHK mit und holte dazu als Unterstützung Musiker aus Österreich: Rolf Eichler (Klarinette), Josef Molnar (Harfe), J. Schäftlein (Oboe) und K. Wöss als Dirigenten.

Seit 1956 reisen die Wiener Philharmoniker zu Gastspielen nach J. (bis 1992: 136 Konzerte), ebenso die Wiener Staatsoper (v. a. mit Werken von W. A. Mozart, Rich. Wagner, R. Strauss, Alban Berg) und die Volksoper Wien (v. a. mit Werken von J. Strauß und F. Lehár) sowie zahlreiche andere Orchester-, Kammermusik- und Vokalensembles (u. a. der Wiener Männergesang-Verein) aus Österreich. In der Folge kam es auch zur Gründung zahlreicher Musikgesellschaften (1955 Mozart, 1963 Hugo Wolf, 1965 Mahler, 1970 Schubert, 1973 Brahms, 1975 J. Strauß, 1978 Bruckner, 1987 Liszt) und wurden Ausstellungen über österreichische Komponisten in J. gezeigt. 1987 wurde der Verein der Freunde der Wiener Philharmoniker in J. gegründet.

(III) In der Zeit von 1614 bis 1755 sind insgesamt 13 Jesuitendramen mit der Thematik „japanische Märtyrer“ in Wien nachweisbar. Der Deutsche Mediziner Philipp Franz von Siebold lebte 1823–29 in J., wo er „Japanische Melodien“ transkribierte, die 1836 in Leiden/NL und 1874 in Wien gedruckt wurden. H. v. Bocklet kam 1888 durch die Botschafterfamilie Graf Ujitaka Toda mit japanischen Melodien in Berührung.

War die japanische Kunst zunächst nur der höheren Schicht zugänglich gewesen, so drangen ab den 1850er Jahren mehr Kenntnisse über das fernöstliche Land, u. a. auch durch Bildungsreisen, nach Europa. Die J.-Mode wurde zum Motto für Bälle und Kränzchen, Ausstellungen (u. a. 1900 in der Secession) zeigten Kunstgegenstände. Die Begeisterung für J. wirkte auch auf die Bühne. 1873 wurde im Theater an der Wien Die Japaneserin, eine Operette „im japanischen Stil“ gezeigt (T: Jules Grangé und Victor Bernard, M: Emile Jonas). 1885/86 gastierte eine englische Operngesellschaft mit William S. Gilbert und Arthur S. Sullivans Der Mikado im Carltheater, 1888 folgte die deutschsprachige EA des Stückes im Theater an der Wien, 1897 erlebte die englische Operette Die Geisha von Sidney Jones ihre EA im Carltheater. In der Puppenfee von J. Bayer trat 1888 eine „Japanesin“ auf, 1897 schrieb Bayer die Musik zum Tanzpoem Die Braut von Korea. 1907 wurde G. Puccinis Madame Butterfly in Wien erstaufgeführt. Japanische Motive verwendeten auch R. Benatzky in Yu-shi tanzt (1920) und F. v. Weingartner in seiner Oper Die Dorfschule (1919) nach einem japanischen Theaterstück. 1923 hatte F. Lehárs Operette Die gelbe Jacke (1929 Neufassung alsDas Land des Lächelns) im Theater an der Wien Premiere.

Zahlreiche J.er studierten in Österreich: Hisatada Otaka (* 26.9.1911 Tokio, † 16.2.1951 Tokio) war 1935 Kompositionsschüler von J. Marx in Wien; Nobori Kaneko (* 23.11.1911 Kanagawa, † 6.7.1987 Kanagawa) studierte in Wien bei C. Krauss und K. Böhm und trat als erster J.er als Dirigent und Komponist von europäischer Musik im Musikverein auf. Daigoro Arima (* 12.9.1900 Hyogo, † 3.10.1980 Kunitachi/Tokio) studierte 1925–33 in Europa (1933 Promotion an der Univ. Wien) und war ab 1936 Lehrer an der MHsch. in Tokio, bis 1979 deren Rektor. 1968 wurde er Präsident der Österreichisch-Japanischen Gesellschaft.Er war Träger zahlreicher österreichischer Auszeichnungen (Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1965; Kulturpreis der Stadt Wien 1967; Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien 1967). Akio Mayeda (* 18.4.1935 Tokio) promovierte 1967 an der Univ. Wien, lehrte an der Univ. Zürich/CH und heute an den Univ.en von Heidelberg/D und Wien. Der amerikanische Dirigent japanischer Abstammung, S. Ozawa, war 2002–2010 Musikdirektor der Wiener Staatsoper.

Seit 1954 kommen Musikstudenten aus J. an die MHsch.en bzw. MUniv.en nach Österreich, in den 1960er und 1970er Jahre erreichten die Studentenzahlen ihren Höhepunkt.

Neben reger Konzerttätigkeit von japanischen Künstlern in Österreich fanden auch zahlreiche japanische Gastspiele in Wien statt: 1970 gastierte japanische Hofmusik (Gagaku) im Musikverein, 1982 das Nô-Theater im Theater an der Wien. Ab 1983 fanden Musikfeste zum Thema J. in Wien mit traditioneller Kultur und Sport, japanischer und europäischer Musik im Rahmen des Musikalischen Sommers statt. 1985 veranstaltete W. Pass eine wissenschaftliche Konferenz über Japanisch-Österreichische Musikbeziehungen in Geschichte und Gegenwart.


Literatur
MGG 6 (1957), 4 (1996); NGroveD 12 (2001); I. Suchy, Dtsprachige Musiker in J. vor 1945, Diss. Wien 1992; J. Krejsa/P. Pantzer, Japanisches Wien 1989; M. Okita, Musikbeziehung zwischen Österreich und J. nach dem Zweiten Weltkrieg, Diss. Wien 1990; N. Sato, Die Bedeutung des Studiums an der Hsch. für Musik in Wien für japanische Musikstudenten, Dipl.arb. Wien 1992; H. Hirasawa, Rudolf Dittrich. Leben und Werk, Diss. Wien 1996; M. Leiss, Der Handel zwischen Österreich-Ungarn und J., Dipl.arb. Wien 1991; K. Negishi in [Kgr.-Ber.] Bruckner Linz 1991, 1994; Hellsberg 1992.

Autor*innen
Andrea Harrandt
Kazumi Negishi
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Andrea Harrandt/Kazumi Negishi, Art. „Japan (Nippon)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d2f3
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001d2f3
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