Spohr, Spohr, Louis
Familie
Louis
(Ludewig):
*
1784-04-055.4.1784
Braunschweig/D,
†
1859-10-2222.10.1859
Kassel/D.
Komponist, Violinist, Dirigent und Violinpädagoge.
Nach dem Violin- und Theorieunterricht in Seesen/D und Braunschweig wurde er 1799 Mitglied der Hofkapelle des Hzg.s Karl Wilhelm Ferdinand v. Braunschweig. Nach Reisen nach St. Petersburg/RUS (1802/03) und Mitteldeutschland, Berlin und Leipzig/D (1804/05), die seinen ausgezeichneten Ruf als Violinvirtuose und Komponist begründeten, wurde er zwischen 1805/12 Konzertmeister der Gothaer Hofkapelle. Die Zeit zwischen Ende 1812 und Anfang 1815 verbrachte er in
Wien. Am 17.12.1812 und 27.1.1813 stellte er sich gemeinsam mit seiner Frau mit Erfolg der Wiener Öffentlichkeit als Violinvirtuose vor. Mit der Aufführung seines Oratoriums
Das jüngste Gericht zugunsten des
Pensionsvereines für Witwen und Waisen österreichischer Tonkünstler (
Tonkünstler-Sozietät, Wiener) unter der Leitung von
A. Salieri erwarb sich Sp. auch die Anerkennung des Wiener Publikums als Komponist großer Vokalwerke. In verschiedenen Privatgesellschaften konkurrierte Sp. u. a. mit
J. Mayseder und
P. Rode. Darüber hinaus machte er auch die Bekanntschaft
L. v. Beethovens. Im Februar 1813 trat er eine Stelle als Kapellmeister und erster Orchesterdirektor des
Theaters an der Wien an, die er im Herbst 1814 wieder niederlegte. In dieser Zeit entstanden neben der Oper
Faust (aufgeführt 1816 von
C. M. v. Weber in
Prag) auch das 7. Violinkonzert e-Moll op. 38, das Nonett F-Dur op. 31 sowie das Oktett E-Dur op. 32. Die alleinigen Aufführungsrechte der Kammermusikwerke überließ er während seines Wiener Aufenthaltes dem Geschäftsmann
J. Tost gegen entsprechende Honorierung. Durch seinen Wiener Aufenthalt erlangte Sp. internationales Ansehen. Danach folgten Reisen nach
Deutschland,
Italien und in die
Schweiz (1815–17), eine Anstellung als Leiter der Oper am Frankfurter Theater (1817–19) sowie ausgedehnte Reisen nach London (1820) und Paris (1820/21). Den Höhepunkt seiner Laufbahn bildete die Anstellung als Hofkapellmeister in Kassel 1822–57, wo er mit großem Erfolg Opern (
Rich. Wagners
Holländer, 1843,
Tannhäuser, 1853) und Oratorien (u. a.
Matthäus-Passion von
J. S. Bach) aufführte und sich der Komposition widmete (Kammermusik, Oper, Oratorium). Als Dirigent und Komponist, der sich mit seinem ungemein umfangreichen Œuvre zwischen
Wiener Klassik (
W. A. Mozart) und deutscher Frühromantik (
Romantik) bewegt, wurde er in ganz Europa hochgeschätzt und vielfach ausgezeichnet. Viele seiner Werke (Opern
Zemire und Azor, Faust, Jessonda, die Sinfonie
Weihe der Töne op. 86, die
Historische Sinfonie op. 116 sowie die Sinfonie
Irdisches und Göttliches im Menschenleben op. 121 u. a.) gelangten auch in Wien oft zur Aufführung; seine 5. Symphonie c-Moll schrieb Sp. für die Wiener
Concerts spirituels. Als Violinist sowohl von der Sangbarkeit des Mozartschen Stils als auch der klassischen französischen Violinschule (Giovanni Battista Viotti, P. Rode) beeinflusst, war Sp. Vertreter des verfeinerten, von oberflächlichen Effekten befreiten
virtuosen Violinspiels (mit sehr gemäßigtem Einsatz des Vibrato), mit dem er sich entschieden vom
„Charlatanismus“
N. Paganinis distanzieren wollte. Seine Violinschule
Metodo Per Violino (1830/31, Wien 1832) zählte zu den wichtigsten Unterrichtswerken seiner Zeit.
Opern Faust (1813), Zemire und Azor (1818/19), Jessonda (1822), Oratorien Das jüngste Gericht (1812), Die letzten Dinge (1826), Des Heilands letzte Stunden (1835), Der Fall Babylons (1842); 10 Symphonien: Nr. 4 F-Dur op. 86, Weihe der Töne, 1832 (Wien 1834), Nr. 5 c-Moll, 1837 (Wien 1840), Nr. 6 G-Dur op. 116, Historische Sinfonie, 1839, Nr. 7 C-Dur op. 121, Irdisches und Göttliches im Menschenleben, 1841; 15 Violinkonzerte: Violinkonzert Nr. 6 g-Moll op. 28, 1808/09 (Wien 1813), das 8. a-Moll op. 47 in modo d’una scena cantante; 2 Concertante f. V. u. Hf., 4 Klarinettenkonzerte, Concertante f. 2 V., Hf. u. Orch. op. 48 (1808) u. f. 2 V. u. Orch. op. 88 (1833), Konzert f. Streichquartett u. Orch. op. 131 (1847); zahlreiche konzertante Stücke f. Soloinstrument (V., Klar.) u. (Streich)Orch.; Kammermusik: Nonett F-Dur f. V., Va., Vc., Kb., Fl., Ob., Klar., Hr. u. Fg. op. 31 (1813); Oktett E-Dur f. V., 2 Va., Vc., Kb., Klar. u. 2 Hr. op. 32 (1814), Septett a-Moll op. 147 f. Fl., Klar., Hr., Fg., V., Vc. u. Kl. (1855), Streichsextett op. 140 (1850), 7 Streichquintette, 3 Klavierquintette, 36 Streichquartette, 5 Klaviertrios, Harfentrio, Sonaten mit Harfe; Messen, zahlreiche vokale Kompositionen (m. Orch., f. zwei Stimmen m. Kl.) u. Lieder (s. Abb., Lied des verlassenen Mädchens, Wien 1815, Verlust, Wien 1839, Gruss, Wien 1844).
Selbstbiographie, Louis Spohr, Selbstbiographie, 2 Bände. Kassel 1860/1861.2 Bde. 1860/61 (NALouis Spohr, Selbstbiographie. Originalgetreuer Nachdruck, in Verbindung mit der Stadt Braunschweig und der Stadt Kassel hrsg. v. Eugen Schmitz. Kassel–Basel 1954. hg. v. E. Schmitz 1954/55).
Seine erste Frau
Dorette (geb. Scheidler): * 2.12.1787 Gotha, † 20.11.1834 Kassel. Harfenistin. Stammte aus einem musikalischen Elternhaus, ihr Vater, der Cellist Johann David Scheidler, war Gothaischer Kammermusiker, ihre Mutter Sofie Elise Susanna, geb. Preysing, Altistin. Harfenausbildung bei Johann Georg Heinrich Backofen. Heirat mit L. Sp. 1806, der Ehe entstammten vier Kinder. Sp. komponierte ab 1805 zahlreiche Werke für Violine und Harfe, die sie auf ihren gemeinsamen Konzertreisen erfolgreich aufführten. Ende 1812 gingen die beiden nach Wien und auch hier konnte D. Sp. das Publikum von ihren künstlerischen Fähigkeiten überzeugen. Im Theater an der Wien wurde sie als Erste Harfenistin engagiert. 1820 beendete sie ihre Karriere aufgrund gesundheitlicher Probleme. D. Sp. galt als bedeutendste Harfenistin des frühen 19. Jahrhunderts.
Sein Bruder
Ferdinand: * 12.7.1792 Seesen/D, † 10.3.1831 Kassel. Geiger. Seine Ausbildung als Geiger erhielt er von seinem um 8 Jahre älteren Bruder, der ihn bereits ab 1799 als seinen ersten Schüler unterrichtete und ihn auch nach Gotha mitnahm, wo er in dessen Wohnung lebte. Unter der Leitung seines Bruders ab dem Frühjahr 1813 Geiger am Theater an der Wien. Mit diesem trat er am 19.12.1813 Jahres im Rahmen einer musikalischen Akademie auf, wo die beiden L. Sp.s Doppelkonzert aufführten. In der Kasseler Hofkapelle ab 1822 Geiger unter der Leitung seines Bruders mit einem Vertrag auf Lebenszeit und Bearbeiter einiger von dessen Werken für Klavier bzw. Klavier zu 4 Händen.
Hg. von Klavierauszügen von Vokalwerken L. Sp.s (Opern Jessonda, Der Burggeist, Pietro von Abano, Der Alchymist; Oratorium Die letzten Dinge), Bearb. von dessen Doppelquartetten Nr. 1 u. 2 f. Klavierquintett sowie Kammermusik f. Kl. zu 4 Händen.
E. Hanslick,
Gesch. des Concertwesens in WienEduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien. Wien 1869. 1869 (
NDEduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien. Hildesheim 1979. 1979); H. Heussner in
MozartJbHorst Heussner, Ludwig Spohr und W. A. Mozart, in: Mozart-Jahrbuch 1957. Salzburg 1958, 199–206. 1957; W. Lidke in G. Kraft et al. (Hg.), [Fs.]
L. Sp. Wolfgang Lidke, Übereinstimmung und Gegensatz der Violin-Schulen von Leopold Mozart und Louis Spohr, in: Günther Kraft (Hg.)/Paul Michel (Hg.)/Hans Rudolf Jung (Hg.), Louis Spohr. Festschrift 1959. Weimar 1959, 67–77.1959;
MGG 12 (1965) u. 16 (1979); R. Folter in
NZfMRoland Folter, Ludwig van Beethoven und Louis Spohr. Eine oft mißverstandene Musikerfreundschaft, in Neue Zeitschrift für Musik 127/2 (1966), 50–54. 127 (1966); F. Göthel (Hg.),
L. Sp., LebenserinnerungenLouis Spohr, Lebenserinnerungen. Erstmals ungekürzt nach den autographen Aufzeichnungen hrsg. v. Folker Göthel, 2 Bände. Tutzing 1968. 1968; P. Katow,
L. Sp.: Persönlichkeit u. WerkPaul Katow, Louis Spohr. Persönlichkeit und Werk. Luxemburg 1983. 1983; C. Brown,
L. Sp. A critical BiographyClive Brown, Louis Spohr. A critical biography. Cambridge–1984 1983. 1984;
NGroveD 24 (2001) [m. WV]; H. Becker/R. Krempien (Hg.), [Fs.]
L. Sp. zum 200. GeburtstagHartmut Becker (Hg.)/Krempien Rainer (Hg.), Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog zum 200. Geburtstag. Im Auftrage der Internationalen Louis Spohr Gesellschaft und der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz.. Kassel 1984. 1984; F. Göthel,
Thematisch-Bibliographisches Verzeichnis der Werke von L. Sp.Folker Goethel, Thematisch-bibliographisches Verzeichnis der Werke von Louis Spohr. Tutzing 1981. 1981; R. Dürre,
L. Sp. und die „Kasseler Schule“, Ronald Dürre, Louis Spohr und die „Kasseler Schule“. Das pädagogische Wirken des Komponisten, Geigenvirtuosen und Dirigenten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diss. Magdeburg 2004. Diss. Magdeburg 2004 (
online); eigene Recherchen.
Dagmar Glüxam
Monika Kornberger
15.5.2006
Dagmar Glüxam/
Monika Kornberger,
Art. „Spohr, Familie“,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
15.5.2006, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e303
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