Wirkungen des P. in Österreich können partiell bzw. mittelbar angenommen werden. Einen starken, wenn auch territorial und zeitlich begrenzten Eindruck hinterließen v. a. in Oberösterreich der Begründer der pietistisch beeinflussten Allgäuer katholischen Erweckungsbewegung, Martin Boos (1762–1825), als Pfarrer in der Diözese Linz (1799–1816), die unter dem Einfluss des Grazer Titularkanonikers Engelbert Maurer (1758–1814) stehenden Brüder und Schwestern von Zion und die chiliastisch ausgerichtete Gruppe um den Priester Thomas Pöschl (1769–1837). Der österreichische Protestantismus erfuhr durch den mit Boos befreundeten Nürnberger Kaufmann und Pietisten Johann Tobias Kießling (1742–1824) jahrelang maßgebliche geistliche und materielle Unterstützung. Pietistische Lieder kamen erstmals 1783 mit dem infolge des Toleranzpatents (1781) eingeführten (rationalistischen) Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch der Evangelischen Gemeinde in den k. k. Österreichischen Erblanden (Kirchengesangbuch) nach Österreich. Die Einführung des volkssprachlichen Gemeindegesangs unter Joseph II. (Josephinismus) verdankt sich dem Einfluss des Jansenismus. Im katholischen Gesangbuch Gotteslob (Österreich 1975 bzw. 2013 [GL]) und im Evangelischen Gesangbuch (Österreich 1994 bzw. 2000 [EG]) finden sich diverse pietistische Lieder wie z. B. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (Joachim Neander; GL 392, EG 316/317), Herz und Herz vereint zusammen (Nikolaus L. Graf v. Zinzendorf; EG 251), Ich bin getauft auf deinen Namen (Johann Jakob Rambach; EG 200), Macht hoch die Tür (Melodie: Geistreiches Gesangbuch, Halle 1704; GL 218, EG 1).
Die Rezeption des P. in der Musik gewinnt zunehmend an Beachtung. Besonderes Interesse finden die grundsätzliche Frage einer pietistischen Ästhetik, Kirchenlied und Gesangbuch (z. B. Geistreiches Gesangbuch, Halle 1704/08; Johann Porst, Geistliche und liebliche Lieder Berlin 1708; Nikolaus L. Graf v. Zinzendorf, Christ-Catholisches Singe- und Bet-Büchlein, 1727 [konfessionsübergreifend konzipiert]).
Das bis in die Gegenwart kolportierte Klischee vom kunstfeindlichen P. ist spätestens seit Rainer Bayreuthers Arbeiten widerlegt. Im Rückgriff auf die antike Adiaphora-Lehre richtet sich die Kritik des P. nicht gegen die Kunst an sich bzw. die Musik und deren Gattungen, sondern gegen deren Funktion, sofern sie nicht Gottesdienst im weitesten Sinne ist. Anders als im Barock, entkoppelt die pietistische Kunstkritik Form und Inhalt. Die Ausbildung besonderer pietistischer Gattungen, wie sie Martin Geck 1965 in der geistlichen Aria bei Dietrich Buxtehude gegeben sah, ist in der Weise nicht mehr haltbar. Wohl aber erfahren Aria-Melodien im Geistreichen Gesangbuch spezielle Ausformungen im Sinne pietistischer Ästhetik. Sie bevorzugen eine vom Rhetorisch-Figurhaften unabhängige Zweiermelismatik, verzichten auf barocke Affektgebundenheit, entwickeln sich eigenlogisch, dienen im Sinne eines Adiaphorons dem „Fiktionalen“, einer „Metarealität“ (Bayreuther). Die pietistische Liedmelodik Hallescher Prägung wird damit zu einem entscheidenden Faktor des frühklassisch-empfindsamen Ausdrucksprinzips. Ihre Nachwirkungen reichen über Georg Philipp Telemanns und J. S. Bachs Kantaten bis zum frühklassischen Instrumentalstil der Klaviersonaten C. Ph. E. Bachs, die ihrerseits für die Sonatenentwicklung J. Haydns bedeutsam gewesen sind.
Lit (alphabet.): R. Bayreuther u. L. Lüttken in K. Eberl/W. Ruf (Hg.), [Kgr.-Ber.] Musikkonzepte – Konzepte der Musikwissenschaft. Halle 1998, 1 (2001); R. Bayreuther in W. Miersemann/G. Busch (Hg., P. u. Liedkultur 2002; R. Bayreuther, Das pietistische Lied u. sein Einfluß auf die Musik des 18. Jh.s, Hab.schr. Halle 2003; M. Brecht et al. (Hg.), Gesch. des P., 4. Bde. 1993–2004; M. Geck, Die Vokalmusik D. Buxtehudes und der frühe P. 1965; MGG 7 (1997); H.-J. Goertz, Religiöse Bewegungen in der frühen Neuzeit 1993; P. Hersche, Der Spätjansenismus in Österreich 1977; R. Kropf in P. u. Neuzeit 23 (1997); H. Lehmann et al. (Hg.), Jansenismus, Quietismus, P. 2002.