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Marienbad (deutsch für tschechisch Mariánské Lázně)
Der zum Kloster Tepl (Teplá/CZ) gehörige Ort wurde bereits im 17. Jh. durch seine Quellen bekannt. Um 1808 begann sich hier eine kleine Siedlung zu entwickeln. Als der Arzt Johann Josef Nehr (1752–1820) die Quellen analysierte und mit deren Heilwirkung erste Erfolge erzielte, fand er bei Abt Karl Prokop (Kaspar Karl) Reitenberger (1779–1860) Unterstützung. Aufgrund eines Regierungserlasses vom 6.11.1818 wurde die Siedlung als öffentlicher Kurort unter dem Namen M. anerkannt. Als erster Kurarzt war J. J. Nehr tätig, der gemeinsam mit Abt Reitenberger als Begründer des Kurortes gilt.

Bereits die Anfänge sind mit einem Musikbetrieb verbunden. Der erste namentlich bekannte Musiker, der zum Vergnügen der Kurgäste mit seiner Gruppe gespielt hat, war 1814–17 Wenzel Voigt. Sein Nachfolger Karl Beer konnte das Ensemble um einige Mitglieder erweitern. 1821 erhielt Josef Schurwonn die Erlaubnis zur Gründung eines Kurorchesters, dieses Jahr gilt als offizieller Beginn der Orchestergeschichte. Das Kurorchester in M. ist damit das älteste seiner Art in Böhmen. 1820 wurde eine überdachte Kolonnade gebaut, 1847 ein Musikpavillon, in dem die 14-köpfige Kapelle spielte. Die Saison dauerte vom 10. Mai bis 15. September, nach ihrer Schließung wurde das Orchester üblicherweise vorerst aufgelöst. Eine lange Periode (1843–81) ist mit dem Kpm. Theodor Krüttner (1814–93) verbunden, der auch außerhalb der Kursaison mit der Kapelle wiederholt Tourneen in die Schweiz unternahm; 1860 hatte die Kapelle 36 Mitglieder. Verschiedentlich wird die Anerkennung Krüttners und seiner Kapelle vonseiten R. Wagners erwähnt, diese ist jedoch quellenmäßig nicht nachweisbar. Allerdings schickte Wagner an Krüttner eine Abschrift seiner Oper Rienzi, die Krüttner in seiner eigenen Bearbeitung 1871 aufführte. Opern-Bearbeitungen gehörten zu den beliebtesten Stücken des Repertoires der Kurkapelle.

1820 wurde in der Mitte der heutigen M.er Kolonnade auch ein Theater gebaut, die erste Vorstellung, von einer Wandertruppe bestritten, fand am 14. Juni statt. Dieses Gebäude wurde bald wieder aufgegeben und ein neues, nach den Plänen des Architekten Friedrich Zickler errichtetes Theater am 8.8.1868 eröffnet. Das Gebäude wurde 1905 und 1967–77 modernisiert. Ein eigenes Theaterensemble hatte das M.er Theater nie; an den Vorstellungen der gastierenden Ensembles war aber zu jeder Zeit auch das Kurorchester beteiligt.

1865 wurde M. zur Stadt erhoben, was einen allgemeinen kulturellen Aufschwung mit sich brachte. 1878 wurde auch ein Musikverein gegründet. Eine weitere Erweiterung des Orchesters auf 42 Mitglieder erfolgte 1882–95 unter dem erfahrenen Militärkapellmeister Michael Zimmermann (1833–1907); in seinem Repertoire erschienen die stets beliebten Opernpotpourris, er führte auch Werke tschechischer Komponisten auf und gab mit seinem Orchester Gastspiele in Dresden/D und Naumburg/D. 1896 kam vom Linzer Theater A. Schreyer als Kurkapellmeister, und die Anzahl der Konzerte (bis zu vier pro Tag) stieg weiter an. Das Repertoire wurde um Werke von zeitgenössischen Komponisten bereichert. 1900 erfolgte die Eröffnung eines neues Konzertsaals im Gesellschaftshaus (Casino). In M. gastierten aber auch andere Orchester, wie z. B. das des Militärkapellmeisters J. Fučík; seine Programme umfassten außer eigenen Werken Kompositionen von A. Dvořák, R. Wagner, Karel Šebor u. a.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte eine Stagnation; 1915 fand kein Konzert statt. In den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren (1916–21) wurde das Kurorchester von Kpm. F. Hellmesberger geleitet, der 1921 von Louis Kunz abgelöst wurde; in diesem Jahr feierte das Orchester sein hundertjähriges Bestehen. Kunz blieb an der Spitze des Orchesters bis zu seinem Tod 1934. Ab 1923 veranstaltete das Orchester regelmäßige Nachmittagskonzerte, ab 1926 an jedem Mittwoch symphonische Konzerte im Casino. Seinen Plan eines ganzjährigen Betriebes konnte Kunz jedoch nicht durchsetzen.

In der Zwischenkriegszeit besuchte die Kurorte Westböhmens das Tanzorchester von D. Dauber, der ab 1933 in der Tschechoslowakei lebte und auch in M. während der Kursaison auftrat. 1935–45 leitete das Orchester Paul Engler (1893–1969). Die Konzertätigkeit wurde ab 1938 eingeschränkt, der Musikpavillon an der Kurzquelle (Křížový pramen) 1941 abgerissen. Der Kurort diente während des Krieges als Sanatorium für Offiziere der Wehrmacht, das Orchester spielte v. a. bei Wohltätgkeitsveranstaltungen und Gottesdiensten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand das Orchester, dessen Mitglieder meistens deutschsprachig waren, vor dem Untergang. Doch 1951 wurde es als Krajský orchestr v Mariánských Lázních (Kreisorchester in M.) erneuert (heutiger Name: Západočeský symfonický orchestr/Westböhmisches Symphonisches Orchester). Die wichtigsten Dirigenten dieser neuen Etappe waren 1955–72 Jaroslav Soukup (1924–2001) und 1956–80 Miroslav Bervíd (1921–80), die 1959 auch bei der Gründung der Společnost Fryderyka Chopina (F. Chopin Gesellschaft) Pate standen. Die Společnost Fryderyka Chopina veranstaltet jährlich im August das Internationale Fryderyk Chopin Festival und kooperiert mit der Chopin Gesellschaft in Warschau (Towarzystwo im. Fryderyka Chopina w Warszawie). Von Bedeutung waren auch die Dirigentenjahre von Radomil Eliška (* 1931) bzw. Rostislav Hališka (* 1937), die 1991–98 abwechselnd am Pult des Orchesters standen. Gegenwärtig (2015) ist Martin Peschík (* 1981) der Dirigent des Orchesters.

Mit M. sind Aufenthalte von Johann Wolfgang von Goethe, F. Chopin, L. Spohr (Walzer Erinnerung an M. op. 89), Gaspare Spontini, R. Wagner, A. Bruckner, J. Strauß Sohn, A. Dvořák, G. Mahler u. a. verbunden. Mehrmals gastierten hier der Violoncellist D. Popper und seine Frau, die Pianistin Sophie Menter. In M. wurde 1944 der Tenor Peter Hoffmann geboren.


Literatur
J. J. Nehr, Beschreibung der mineralischen Quellen zu M. auf der Stiftherrschaft Tepl nahe bei dem Dorfe Auschowitz 1813; Nachruf an den Gründer von Marienbad Kaspar Karl Reittenberger [sic!] 1868; J. Kruettner, Entstehung und Entwicklung des M.er Kurorchesters 1914; M. Mrázek in Sborník Pedagogické fakulty. Umění IV, [Sammelband der Pädagogischen Fakultät. Kunst IV] 1965; Slovník české hudební kultury [Lex. der tschechischen Musikkultur] 1997; LdM 2000; J. N. Felbinger/J. Bartoš, Kronika Mariánských Lázní 1786–1855 / Chronik des Kurortes Marienbad 1786–1855, 2008; J. Fiala, Příspěvek k dějinám hudby západních Čech [Ein Beitrag zur Geschichte der Musik in Westböhmen] 2007; R. Švandrlík, Johann Josef Nehr (1752–1820), medicínský zakladatel Mariánských Lázní [..., der medizinische Begründer des Marienbades] 2008; www.hamelika.cz (mit weiterer Literatur, 6/2015); www.zso.cz/de/ (Gesch. des Orchesters und Liste der Kpm. und Dgt.en, 6/2015).

Autor*innen
Vlasta Reittererová
Letzte inhaltliche Änderung
8.6.2015
Empfohlene Zitierweise
Vlasta Reittererová, Art. „Marienbad (deutsch für tschechisch Mariánské Lázně)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 8.6.2015, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00325b39
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