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Hip Hop
(Ursprünglich schwarze) Gattung der Popmusik. Hat seine Wurzeln seit den 1970er Jahren im Musizieren mit Platten, vom Auflegen bis zum DJ-ing. DJ Hollywood habe sein Auflegen mit diesen Worten kommentiert, seit Malcolm X bezeichnet der Begriff Jugendpartys, DJ Afrika Bambaataa habe das Ganze der H.-H.-Kultur eingeschlossen, dessen musikalisches wie außermusikalisches Zentrum Rap ist. Dieses rhythmische Sprechen findet seine musikalischen Vorformen im Chat des Dixie-Jazz ebenso wie in den mitreißenden Wortkaskaden der Gospel-Sänger/Prediger, deren Zentralpassagen, vom Publikum wiederholend verstärkt werden. In diesem aus der schwarzen Kirche mitgebrachten agitatorischen Element liegt der partizipatorische Charakter der vom MC (= Master of Ceremony) geleiteten H. H.-Events; der hedonistische Charakter ist ebenfalls aus der schwarzen Kirche mitgebracht, die im Gegensatz zum passiv aufklärerischen, eine spätere Heilsversprechung verkündigenden europäischen Katholizismus der Unmittelbarkeit des Hier und Jetzt huldigt; H. H. ist dieses Postulat.

Rap findet soziale Vorformen in den spielerischen Wortkämpfen, dem „Niederrappen“ schwarzer Männer, politische in der oralen Informationsübermittlung der „Griots“ in Schwarzafrika – Rap ist demnach die „schwarze Ghetto-Version des CNN“ (Chuk D./Public Enemy).

Obwohl es um die Vermittlung von Botschaften geht, um die Geschichte der Black Community und ihrer sozialen und politischen Outsider, ist es nicht ein Referieren von Fakten, sondern deren gleichsam literarische Verarbeitung, ihre Interpretationen – Rap ist damit die Etablierung/Distribuierung der Sprache und zugleich Denkhaltung schwarzer Minderheiten, aber auch jener der schwarz infiltrierten Latinostaaten, in einer, verglichen mit den Vorformen (Jazz, Rhythm & Blues, Soul, Funk), aggressiveren Art durch die Kinder der Bürgerrechtsbewegung und der Black Power Movement.

In dieser politischen Intention ist H. H. autark, er ist seine eigene Geschichtsschreibung, die Produktions- und Lebensbedingungen sind Inhalte der Texte; zugleich „erzählt“ H. H. von Opfern der Gewalt, wie er zu Gewalt appelliert – damit ist diese Variante des Dancefloors im Sinne des CCCS (Centre for Contemporary Cultural Studies, Birmingham/GB) als authentisch zu bezeichnen, wenn auch die den Pop allgemein kennzeichnende Kommerzialisierung zugleich zu seiner Entseelung wie seiner Distribution beitrug.

Die old school sieht H. H. als eine authentische event trias von rap/graffiti/break-dance, die new school geht die Ehe mit dem Video und dem fame durch kommerziellen Erfolg ein, strebt diesen an, wenn auch darin Mittel der Dekonstruktion gesehen werden. Political correctness im H. H. ist nicht mit dem mitteleuropäischen intellektuellen Massstab zu messen: Obwohl von outsidern gemacht, werden andere outsider (Schwule, Lesben etc.) ausgegrenzt, Frauenfeindlichkeit geht mit Gewalt und Herrschaftsanspruch einher.

H. H. meint nun nicht nur eine von der Hegemonie des rhythmisch gesprochenen politisch aufwiegelnden Textes bestimmte Musik im basic lineup mit 2 turntables, die als Instrument gebraucht werden, sondern deren gesamtes kulturelles Umfeld, von äußerlichen Signs und Fetischen bis zu Haltungen und politischen Überzeugungen.

Als identifikationsstiftendes Medium der Schwarzen hat H. H. in Europa zuerst in den ehemaligen Kolonialstaaten eigene Szenen geschaffen (MC Solaar in Frankreich).

Seine authentische Kampfansage, aggressive Rebellion, als das intendierte Grundmuster musikbezogener Jugendkultur, mag der Grund für den Zugang nicht schwarzer, meist mittelständischer, gebildeter weißer Jugendlicher zu dieser ursprünglichen Ghetto-Musik sein. Hier wiederholt sich das Paradigma der Adaption schwarzen Outsider-Gedankenguts durch die pubertierende Jugend, aus dem das Gebilde Rock ’n’ Roll hervorging, das mehr der (pubertären) Sehnsucht nach Alternativen entspricht als der konkreten Konstruktion von solchen. Dennoch, dieses oppositionelle Aufbegehren führt zu harten Brüchen in einem System, wie Pop im Zuge des Informalisierungsschubs zu alternativen Parteien geführt hat.

Die österreichische Adaption des H. H. geschieht in enger Beziehung zum deutschen H. H. in deutscher Sprache, seltener im (kleineren Verkaufsbereich des) Wienerischen (z. B. Fünfhaus Posse) und ist als stark durchlässige Szene von Gruppen von DJs organisiert, jüngst mit rockmusikalischen Instrumenten erweitert. Schönheitsfehler, waxolusionists, Texta, Total Chaos sind ältere Repräsentanten unterschiedlicher lokaler Szenen, die sich nun zunehmend mit den jüngeren(Kamp, Symbiose, Kayo & Phekt) in Wien konzentrieren. Die Clubszene bietet Auftrittsmöglichkeiten, verstärkt durch die mediale Distribution des ORF, der mit Tribe Vibes, einer FM4-Sendung mit Matthias „Funcionist“ Schönauer, das Interface zwischen Szene und Medium bietet, in dem Produktion, Distribution und Rezeption verschwimmen.

Schönheitsfehler stehen für autarkes Musizieren: Christoph Weiss (Operator Burstop) ist DJ, Produzent und Labelbetreiber (Duck Squad). Im Stile von Low-Tech-Productions hat das Linzer Quintett Texta (Flip [Philipp Kroll], Huckey [Harald Renner], Laima, Skero und Dan) bislang (2002) 5 Alben produziert. Im Kerkerstudio und mit dem Independent-Plattenlabel Tonträger Rec. agieren sie als Katalysatoren der (Linzer) Szene (Kayo & Phekt, Brotlose Kunst), der mit MissVerständnis (Judith Lissberger) eine der wenigen Frauen dem männerdominierten H. H. angehört. Ist Sprache das Material von H. H., so zeugt das Verständnis des reflektiert „kunst“-vollen Umgangs mit ihr vom Prozess der Aneignung gerade authentischer Pop-Formen im studentisch-akademischen Milieu.

In der für H. H. typischen „Ehe“ mit Sport hat sich das Innsbrucker Duo Total Chaos (Manuva & D.B.H) mit der Hymne für die Air & Style – Snowboard Show Energie etabliert; 2002 nach Wien übersiedelt, haben Total Chaos mit Goalgetter einen eigenen Verlag und gemeinsam mit den waxolusionists ein Studio gegründet. Im Zuge der Vermassung des vermeintlich Authentischen tritt eine Konzentration der unabhängigen Szene um die massenmedialen Distributoren ein und eine Vermengung der Club-Szene mit der Disco-Culture.

Die waxolusionists sind ein DJ Kollektiv: Zuzee + Petz, die sich 1996 beim battle of the dj’s in Hamburg trafen und das mixtape starmix 603 veröffentlichten, wurden auf der Produktion smart blip experience um dj buzz erweitert. Im Sommer 1999 wurde mit deck 8 (Dortmund) als Lizenzpartner die Maxi nachtschattengewächs unter der Produktion von bionic kid featuring manuva aufgenommen. Das Debütalbum war critics choice, 2001 folgte das zweite Album supercity (featuring skaraab, thaistylee & manuva, incl. uwe walkner remix); die waxos sind auf eps und compilations (fm4 soundselection 5, 6, & 7) vertreten. Im Herbst 2001 kam es zu einem Zusammenschluss der Gruppen waxolusionists, total chaos, symbiose, slime, & twintowas zum supercity soundsystem. Dabei wurde die live Combo der waxos um drei Instrumental-Musiker erweitert, daniel & fabian schreiber, aka twintowas & slime (drums, bass, percussion): 2002 erschien plastic people.

H. H. in Österreich ist Teil einer multikulturellen Bewegung. Die Emanzipation des Fremden gerät als Intention der old school zunehmend in den Sog der kommerziellen städtischen Disco-Szene, die primär mit den Schwarzen das Spiel mit Exotismus treibt, eingebunden in ein nicht immer politisch korrektes Weltbild.

Die österreichische Sprache würde den heimischen, stets problematisierenden H. H. finanziell nicht ausgrenzen, sie könnte ihn spezifizieren; Remixes von Austro-Pop-Songs – so Funcionist weiter – könnten die Abgrenzung von der weitaus kommerzielleren deutschen Szene weitertreiben. Im Gegensatz zu jener Soundqualitäten als „Stimulans“ verwendenden elektronischen Musik der dritten Wiener Schule agiert hier österreichischer H. H. extrem zeichenhaft verweisend innerhalb einer dennoch durch Hedonismus dekonstruierenden Jugendkultur.


Literatur
S. H. Cissé/J. Callens, Rap en Nord 1992; U. Poschardt, DJ-Culture 1995; D. Toop, Rap Attack 1991 (dt. 1992); R. Weinzierl, Fight the Power 2000.

Autor*innen
Werner Jauk
Letzte inhaltliche Änderung
30.6.2002
Empfohlene Zitierweise
Werner Jauk, Art. „Hip Hop“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 30.6.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d195
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