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Geschmack
Begriff der Ästhetik für die Fähigkeit, Schönes von Hässlichem zu unterscheiden; wurde in Hinblick auf die Musik (Musikästhetik) erstmals durch J. J. Fux (1725), dann von Johann Adolph Scheibe (1730) und Johann Joachim Quantz (1752) abgehandelt. Fux stellt G. traditionellerweise in Analogie zum Geschmackssinn (Gaumen) und beschreibt ihn als ein zunächst ebenso spontanes wie sicheres Urteilen, das jedoch nachträglich anhand der jeweils zutreffenden Regeln begründbar und v. a. bildungsfähig ist. Der G.s-Begriff von Scheibe und Quantz hingegen konvergiert bereits stärker mit Stil, mit dem das Wort G. auch später oft vermengt, wenn es nicht einfach als Ausdrucksform des Gefühls verstanden wird. Die Herkunft des Fuxschen Verständnisses aus der Rhetorik, seine Grundlegung durch Gracian (Handorakel 1647) und Beeinflussung sowohl durch französische Ästhetiker (z. B. Jean Baptiste Dubos) als auch englische Sensualisten (v. a. Antony Ashley-Cooper of Shaftesbury) scheint ebenso klar zu sein, wie die entscheidende Änderung: die notwendige Rechtfertigung anstelle einer bloßen Behauptung. (Hingegen ist die Bedeutung des Wortes G. bei der Bestimmung des idealen Aristokraten des 18. und der „guten Gesellschaft“ des 19. Jh.s durchaus verschwommen.) Seit Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft (1790) ist der als allgemeines Vermögen ästhetischer Wahrnehmung verstandene Ausdruck G., ob nun als common sense akzeptiert oder bloß Fachleuten („Kenner und Liebhaber“) zugestanden und deshalb schließlich als Diktat einer bloßen Minderheit angesehen, aus dem ästhetischen Diskurs nicht mehr verschwunden. Allerdings wird er in Musikästhetiken selten näher behandelt, sondern vorausgesetzt, und umso extensiver in deren Trivialisierungen (musikalische Alltagssprache, Musikkritik) verwendet. G. gilt meist als Vorstufe intentional-ästhetischen Verstehens und wird als durch Umfeld und Erziehung geprägt und daher mit der Zeit veränderlich angesehen, nur dementsprechend gelten G.s- gewissermaßen als Vorstufen zu Wert-Urteilen. Die Frage eines spezifisch musikalischen G.s jedoch ist bisher kaum ernsthaft abgehandelt worden. Daher besteht Übereinstimmung bestenfalls darüber, dass nicht nur von verschiedenen Arten der Musik (Kunst-, Liebhaber-, Popular-, Tanz-, Volks-, Unterhaltungsmusik usw.), sondern auch verschiedenen Zugängen zu diesen sowie von Graden des je adäquaten Hörens (Musikpsychologie, Musiksoziologie) auszugehen wäre. Erst damit aber könnte G. zu einem Fachausdruck einer Reihe von Teildisziplinen der Musikwissenschaft werden.
Literatur
J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste 1771; C. Dahlhaus, Musikästhetik 1967; C. Dahlhaus, Analyse und Werturteil 1970; R. Flotzinger in Jb. d. österr. Ges. zur Erforschung des 18. Jh.s 10 (1995); H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode 1960; F. Busoni, Entwurf einer neuen Aesthetik der Tonkunst 1907; A. Gebesmair, Grundzüge einer Soziologie des Musikgeschmacks 2001.

Autor*innen
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Flotzinger, Art. „Geschmack“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001cf01
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