Wiener Sängerknaben
1924 gegründete Knabenchorvereinigung als Nachfolgeinstitution des 1920 geschlossenen
Sängerknabeninstituts an der Wiener
Hofmusikkapelle. Nach dem Ende der Monarchie 1918 wurde das bereits unter
Maria Theresia [I] auf ca. 10–15 Knaben reduzierte Hofsängerknabeninstitut aufgelassen (1919 Kündigung des Vertrags mit dem Löwenburgischen Konvikt, 1920 Mutation und somit Ausscheiden der letzten Hofsängerknaben); die Partien der hohen Stimmen in der Hofkapelle wurden in der Folge von den Damen des Staatsopernchores übernommen. Da sich der Rektor der
Hofkapelle,
J. Schnitt, und Hofkapellmeister
C. Luze mit dem Traditionsbruch nicht abfinden wollten, gründeten sie aus eigener Initiative einen Nachfolgeverein, der ab November 1924 mit 12 Knaben in der Wiener
Hofburgkapelle in Erscheinung trat, aber auch (ein Novum gegenüber den „alten“ Sängerknaben, die exklusiv für den Hofdienst eingesetzt wurden) bei zahlreichen Hauskonzerten. Der ursprünglich gewählte Name
Sängerknaben der ehemaligen Hofmusikkapelle wurde 1927 (auch in Hinblick auf die regelmäßigen Auftritt in Konzerten der
RAVAG ab 1925) in
Wr. S. umgewandelt. 1926 kam es zu ersten Auftritten im Ausland (
Schweiz,
Deutschland), 1932/33 erste Nordamerika-Tournee. Da der dichte Proben- und Konzertplan den Besuch einer öffentlichen Schule zunehmend unmöglich machte, gründete Schnitt 1928 eine eigene Privatschule für die
Wr. S. Wohnort der
Wr. S. waren anfangs die traditionellen Räumlichkeiten in der Hofburg, die jedoch aufgrund des regen Zustroms (1938 umfassten die
Wr. S. bereits 60 Knaben) bald zu eng wurden: 1934 zogen die
Wr. S. in das Schloss Wilhelminenberg (Wien XVI); bereits 1925 hatten sie in Hinterbichl/Osttirol ein Sommerquartier erhalten. Nach den finanziellen Problemen der Anfangszeit (1925 standen die
Wr. S. deswegen bereits nach einem Jahr fast vor dem Aus) hatten sie durch Rundfunkauftritte und Tourneen eine solide finanzielle Basis ihrer Tätigkeit schaffen können – der Kapelldienst, die ursprüngliche Aufgabe, war dem gegenüber zunehmend in das Hintertreffen geraten, was zu wachsenden Differenzen mit den Dirigenten der Hofmusikkapelle führte (
C. Krauss,
F. Großmann). In der Zeit des
Nationalsozialismus galten die
Wr. S. als wichtige Kulturträger und durften ihre Arbeit nicht nur fast ungestört (Rektor Schnitt wurde hingegen seines Amtes enthoben) fortsetzen, sondern wurden gezielt für Propagandazwecke eingesetzt. Erst ab 1943 kam es zu einer Einschränkung des Konzertbetriebes, im März 1945 wurden die Knaben zur Sicherheit auf das Sommergut nach Osttirol gebracht. Unmittelbar nach dem Ende der Kämpfe nahmen Rektor Schnitt und
J. Krips die Arbeit wieder auf, und zu Pfingsten 1945 sangen die
Wr. S. wieder an der Hofkapelle, im Herbst wurde das Tourneeprogramm wieder aufgenommen. Nachdem die
Wr. S. während der NS-Zeit in das Maria Theresien-Schlössel in der Lange Gasse (Wien VIII) übersiedeln mussten, wurde ihnen nun das Palais Augarten (Wien II) zugewiesen.
Ab den 1950er Jahren kam es unter Rektor Schnitts Nachfolgern, W. Tautschnig sen. und jun., zu einer wachsenden Kommerzialisierung der Sängerknaben, wobei vermehrt künstlerische und pädagogische Aspekte zugunsten von Vermarktung hintangestellt wurden, bis in den 1980er Jahren zunehmend prominente Persönlichkeiten des Musiklebens (z. B. I. Holender) eine Neuorientierung und Maßnahmen zur Verbesserung der künstlerischen Qualität einforderten. Unter A. Großmann und K. Schenk wurden grundlegende Strukturreformen (z. B. Gründung eines gemischten Sängerknaben-Kindergartens zur Nachwuchsförderung) getätigt und auch unter Großmanns Nachfolger N. Balatsch und dem derzeitigen künstlerischen Leiter Gerald Wirth an der Verbesserung der Qualität und Erweiterung des Repertoires gearbeitet. Präsident des Vereins Wr. S. war 2001–08 Eugen Jesser, der seit 2003 auch das Institut leitete, auf ihn folgte Walter Nettig, seit September 2013 ist G. Wirth auch in dieser Funktion tätig. Derzeit singen ca. 100 Knaben bei den Wr. S., die in vier Konzertchöre aufgeteilt sind. 2012 erhielten die Wr. S. einen eigenen Konzertsaal namens MuTh.
1952 gründete Schnitt aus den Mutanten der Wr. S. den Chorus Viennensis, der seither oft mit den Wr. S. gemeinsam auftritt, aber auch als Männerchor; Mitglieder des Chorus Viennensis bilden die Choralschola (Choral) der Wiener Hofburgkapelle.
K. Schenk in [Kat.]
Musica Imperialis Karlheinz Schenk/Theophil Antonicek, Die Wiener Musikkapelle im Abendrot der untergehenden Monarchie, in: Günter Brosche (Hg.), Musica Imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien 1498-1998 Ausstellung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Tutzing 1998, 175–184.1998; E. Hilscher,
Mit Leier u. SchwertElisabeth Theresia Hilscher, Mit Leier und Schwert. Die Habsburger und die Musik. Graz–Wien 2000. 2000; K. Schenk,
Die Wr. Hofmusikkapelle von 1918 bis 1955Karlheinz Schenk, Die Wiener Hofmusikkapelle von 1918 bis 1955. Dipl.arb. Wien 1997., Dipl.arb. Wien 1997;
www.chorusviennensis.at (6/2006);
www.wsk.at (6/2006);
www.orf.at (9/2013).
4.4.2023
Elisabeth Th. Hilscher,
Art. „Wiener Sängerknaben‟,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
4.4.2023, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e6d4
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