(I) Die über die Folgen des Weltkriegs hinausreichenden historischen Wurzeln des N. liegen zu einem bedeutenden Teil in den inneren Konflikten der k. u. k. Monarchie (ungelöstes Nationalitätenproblem). Im rassisch argumentierenden Antisemitismus schließt der N. – neben anderen Quellen – maßgeblich an österreichische Traditionen an (einerseits an Georg Schönerers an die Massen appellierenden deutschnationalen Kurs, andererseits an noch radikalere Positionen, namentlich jener von Jörg Lanz „v. Liebenfels“, die jedoch nicht von einer Massenpartei getragen wurden). Für Adolf Hitler, der sich mit der Gründung der NSDAP in kurzer Zeit an die Spitze der verschiedenen vordem oft zerstrittenen Strömungen setzte und als „Führer“ zur quasireligiös verehrten Leitfigur der Ideologie wurde (Einführung des „Führerprinzips“ auf allen Ebenen 1921), war zudem die politische Praxis des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger, der den Antisemitismus konsequent als politisches Kalkül einsetzte, erklärtermaßen ein Vorbild gewesen. Mit der am 17.1.1904 im nordböhmischen Aussig (Ústí nad Labem/CZ) gegründeten Deutschen Arbeiterpartei entstand auch die dem Namen (und der Ideologie) nach wichtigste Vorläuferorganisation der NSDAP auf dem Gebiet des k. u. k Staates. 1918 erfolgte die Umbenennung der Partei in Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei. Im Jahr darauf veröffentlichte der Parteitheoretiker Rudolf Jung (ein Sudetendeutscher) mit Nationaler Sozialismus eine viel beachtete programmatische Schrift. Im Verlauf der frühen 1920er Jahre zeigte die nationalsozialistische Bewegung wiederholt heftige innere Auseinandersetzungen zwischen den Feldern „national“ und „sozialistisch“. Allgemein ist festzuhalten, dass ein in der Frühzeit immerhin auch vorhandener „Arbeiterpartei“-Zug durch die Abdrängung Gregor Strassers, der die Leitfigur des sozialrevolutionären Flügels war (begonnen bereits 1926, beendet 1932 durch Strassers Rückzug), spätestens jedoch mit der gewaltsamen Entmachtung der Sturmabteilung (SA), die der NSDAP zuvor „die Straße erobert“ hatte (1934), in der Ideologie des N. eine klar untergeordnete Rolle spielte, was jedoch dem Eindringen bis tief in die Kernschichten der Arbeiterschaft nicht abträglich war (wie auch der antibürgerliche Aspekt des N. keineswegs Klein- und Großbürgertum nachhaltig abschreckte).
Allen Erscheinungsformen des Übernationalen steht der N. ablehnend gegenüber, somit auch der katholischen Kirche, zu der er jedoch in der politischen Praxis eine durchaus ambivalente Beziehung unterhielt. Paradebeispiel des vom N. heftigst bekämpften Übernationalen stellt in der Ideologie des N. das „Weltjudentum“ dar, dessen Wirken immer wieder mittels teilweise sehr alten Stereotypen als „Weltverschwörung gegen die arische Rasse“ dargestellt wurde. Eine exakt festgelegte Ideologie hat der N. jedoch nicht aufgebaut, charakteristischerweise galt auch Hitlers Mein Kampf (geschrieben 1925–27) als staatlich verordnetes ideologisches Orientierungswerk, eine Verbreitung, die Der Mythus des 20. Jh.s des offiziellen Parteitheoretikers Alfred Rosenberg niemals erreichte. Daher finden sich mitunter sehr konträre Richtungen und Ideologien in zentralen Gestalten des N. verkörpert, von jugendbewegt (Baldur von Schirach) über Ständeideologie (z. T. bei Joseph Goebbels) bis zu extrem quasireligiösem Rassismus als „Kulturideologie“ (Rosenberg). Heftiger Irrationalismus kennzeichnete zahlreiche ideologische Elaborate des N. Charakteristisch war die Verbindung zwischen dieser – teilweise auf Mythos und sehr alte Traditionen zurückgreifenden – maßgeblich irrationalen Ideologie mit einer Verbreitungstechnik, die schon während der 1920er Jahre, verstärkt aber nach der „Machtergreifung“ konsequent die technisch modernsten Kommunikationsmittel zum Einsatz brachte (Goebbels’ Ministerium „für Volksaufklärung und Propaganda“).
Österreich wurde im März 1938 an das nationalsozialistische Deutschland „angeschlossen“. Mit diesem militärischen Akt kam Hitler einer geplanten Volksabstimmung in Österreich zuvor. Angesichts der massenhaften Zustimmung zum „Anschluss“ in weiten Kreisen der Bevölkerung ist jedoch die besonders nach 1945 vertretene These vom „ersten Opfer“ historisch nicht haltbar. Massives Argument für die Einverleibung Österreichs war neben der ideologischen und machtpolitischen Komponente (in Österreich starke Manifestation des „Anschlussgedankens“ in weiten Teilen der Bevölkerung nach 1918) auch die Chance zur Inbesitznahme der bedeutenden Währungs- und Goldreserven sowie zur Übernahme namentlich der Montan- und Schwerindustrie. Umgekehrt erfolgten speziell in Linz („Hermann Göring Werke“) umfangreiche Investitionen in die Industrie im Zusammenhang mit der Rüstung für den Weltkrieg. Mit dem „Ostmarkgesetz“ wurde Österreich 1939 auch formal als Staat aufgelöst und als „Ostmark“ (1942 umbenannt in „Alpen- und Donaureichsgaue“) in das Deutsche Reich eingegliedert. Innerhalb Österreichs wurden durch die nationalsozialistische Herrschaft z. T. die Bundesländergrenzen (insgesamt 7 „Reichsgaue“) neu festgelegt. Bis zum Ende desN. fanden sich Österreicher in der Folge gleichermaßen auf der Täter- (überproportionaler Anteil an NS-Kriegsverbrechern) als auch auf der Opferseite (einerseits aus politischen Gründen Verfolgte und ÖsterreicherInnen im Widerstand gegen den N. – insgesamt ca. 35.000 Ermordete –, andererseits „rassisch“ Verfolgte, v. a. die österreichischen Juden und Roma – insgesamt über 70.000 Ermordete). 247.000 Österreicher starben als Soldaten der deutschen Wehrmacht, ca. 20.000 Zivilisten wurden Opfer des Bombenkriegs.
Der „Anschluss“ brachte für das österreichische Musikleben einschneidende Folgen: zunächst betraf er Diejenigen, die aus „rassischen“ Gründen ab März 1938 sofort einsetzenden Verfolgungen und Drangsalierungen ausgesetzt waren (das in den 1930er Jahren boomende Genre Kabarett war vielleicht am extremsten betroffen, fast ebenso stark die jedoch seit Beginn der 1930er Jahren stagnierende Operettenbranche) sowie Diejenigen, die davon (oft bis lange nach 1945) profitierten. Wer sich nicht rechtzeitig in die Emigration (Exil) flüchten konnte, kam in den Nazi-Todeslagern um. Eindrucksvoll dokumentiert ist dieser Aspekt der „Säuberung“ von Institutionen am Beispiel der Wiener Symphoniker. Wie bereits zuvor im „Reich“ setzte auch in der „Ostmark“ die „Gleichschaltung“ des Musiklebens ein und stieß auf freudige Zustimmung bei den Profiteuren. „Artfremdes“, besonders Jazz und Swing, aber auch „entartete“ moderne und avantgardistische Musik wurden verfemt und offiziell verboten. Dennoch war es möglich, in „Nischen“ weiterhin Jazz auf erstaunlichem Niveau zu spielen, wie anhand der Musiker um E. Landl in der „Steffl-Diele“ und an privaten Orten dokumentiert ist. Ironischerweise förderte sogar der nationalsozialistische Rundfunksender Wien gegen Kriegsende jazzverwandtes Musizieren, als – vergleichbar der Propagandaswingband Charlie and his Orchestra im „Reich“ – der prominente Bandleader und Trompeter L. Jaritz mit der Zusammenstellung eines Swingorchesters für Rundfunkpropagandazwecke beauftragt wurde. Auch im Umgang mit zeitgenössischer Musik scheint in Wien mehr möglich gewesen zu sein, als die einschlägigen Richtlinien vermuten ließen (deutlich etwa in der Woche der zeitgenössischen Musik 1942). Was jedoch diesbezüglich dem Ehrgeiz des Reichsleiters Baldur v. Schirachs in seinem Konkurrenzkampf mit Propagandaminister Joseph Paul Goebbels in Berlin zuzuschreiben ist, müsste erst seriös geklärt werden. Deklariert der Ideologie des N. verpflichtet war jedoch die 1940 offiziell eröffnete Reichshochschule für Musikerziehung in Graz-Eggenberg, die in eine Reihe mit den „neuen Typen der nationalpolitischen Erziehungsanstalten, wie etwa Ordensburgen und Adolf Hitler-Schulen“ (so ihr Leiter F. Oberborbeck) gestellt wurde.
(II) Das NS-Regime konzentrierte seine kulturpolitischen Programme auf drei zentrale Bereiche des deutschen Musiklebens nach 1933: 1) Organisation des gesamten Musikbetriebes durch Zwangsmitgliedschaft in der Reichsmusikkammer und gleichzeitig Ausschluss von Juden und Jüdinnen durch rassistisch begründete Ausgrenzungsrichtlinien, die de facto Arbeitsverbot bedeuteten bzw. Gettoisierung durch Schaffung des „Jüdischen Kulturbundes“, der jedoch schließlich auch im letzten Zentrum Berlin am 11.9.1941 aufgelöst wurde. 2) Kontrolle der Ästhetik der Musikproduktion durch die Reichsmusikkammer, aber auch das Amt Alfred Rosenberg durch Herausgabe von Listen verbotener Musik und verbotener Komponisten, die nicht nur Musiker jüdischer Herkunft betraf, sondern auch politische Gegner wie Kommunisten stigmatisierte. 3) Schaffung eigener neuer deutscher Gegenwartsmusik von politisch klar instrumentalisierbaren Gebrauchsliedern für Hitler-Jugend, Wehrmacht, Schutzstaffel (SS) und SA bis hin zu Gegenwartsmusik (auch in der Opernliteratur).
In allen drei zentralen Bereichen baute das NS-Regime und die zentrale Leitungs- und Kontrollstelle im Reichspropagandaministerium auf kulturpolitische und kunsttheoretische Auseinandersetzungen vor 1933 auf. Deutlich wurden diese Zielsetzungen auf der Ausstellung Entartete Musik, die während der Reichsmusiktage in Düsseldorf 1938 die zentralen Feindbilder aus der Gegenwartsmusik und der Avantgarde (ausgehend von der Schule A. Schönbergs) an den Pranger stellte. Bereits 1940 wurde ein Lexikon verfemter Musik veröffentlicht, als Lexikon der Juden in der Musik mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke, mit den Namen der toten Verfemten wie Felix Mendelssohn Bartholdy, aber auch den „Größen“ der Zeit der Weimarer Republik wie Schönberg, F. Schreker oder K. Weill, bis hin zu zahlreichen privaten MusiklehrerInnen jüdischer Herkunft, die längst nicht mehr arbeiten durften.
Während die Kontrolle und Umsetzung dieser rassistischen Zensurpolitik gelang, scheiterte das NS-Regime – abgesehen von typischen Produkten der Gebrauchsmusik – an dem Ziel, einen eigenen wirklich genuin nationalsozialistischen Stil zu entwickeln, sondern überhöhte und übernahm Stilrichtungen, die durchaus punktuell in der Zwischenkriegszeit bereits in Diskurs und Umsetzung waren. Kaschiert wurde dieses ästhetische Scheitern des Regimes auch durch die propagandistische Inszenierung und Überhöhung im Deutschen Reich verbliebener „Heroen“ wie dem Komponisten R. Strauss, der auch bis 1935 die Reichsmusikkammer leitete, oder dem Dirigenten W. Furtwängler oder geförderten Jungstars wie H. v. Karajan. Im Musikleben dominierte letztlich – v. a. nach Kriegsbeginn 1939 und verstärkt nach den einsetzenden militärischen Niederlagen ab 1941 – Klassik und Unterhaltungsmusik. Entspannung und Unterhaltung sollten die psychologischen Voraussetzungen für Widerstand gegen das Regime verhindern. Selbst das tägliche Radio-Musik-Programm wurde von Propagandaminister Goebbels in dieser Richtung konkret beeinflusst. Bereits ab 1933 und verstärkt ab 1939/40 nach dem Kriegsbeginn suchte das NS-Regime öffentliche Legimitation in bürgerlicher Hochkultur und Entspannung im Bereich der Unterhaltungsmusik, in der auch die Grenzen zum „Entarteten Niggerjazz“ durchaus fließend und offen waren.
In der Forschung bisher (2004) nur selten berücksichtigt wird die durchaus politische Inszenierung von unpolitischer klassischer Musik im Sinne ideologischer Vorgaben. Als es beispielsweise galt, W. A. Mozart als deutsches Genie zu instrumentalisieren, waren die jüdische Abstammung des Übersetzers seiner italienischen Libretti, Hermann Levi, und auch Mozarts und E. Schikaneders Freimaurermitgliedschaft ein Dorn im Auge der NS-Ideologen. Hitler selbst wischte alle Vorbehalte beim Reichsparteitag von Nürnberg 1937 vom Tisch, doch die Kunstszene setzte weiterhin den Zensurstift an und bearbeitete Schikaneders Text, wie eine Parade- und Vorbildinszenierung an der Staatsoper München von Rudolf Hartmann dokumentiert: Die Zauberflöte wurde als „Märchen vom Kampf um Liebe, vom Wege zwischen den Welten des Dunkels und des Lichtes, Sarastros Sonnenglauben, sein stilles, überlegenes Menschentum“ interpretiert und entsprechend ausstaffiert. Hinweise auf „Ordensgebräuche“ des Freimaurertums wurden vermieden. Elemente von Revuetheater tauchten in diesen Inszenierungen häufig auf und wurden ab 1943 von Hitler selbst als zentrales Element für die Zauberflöten-Regie eingefordert: Totale Unterhaltung im sich abzeichnenden Totalen Krieg.
In Österreich hatte sich bereits um die Jh.wende – symbolhaft deutlich gemacht durch die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahre 1907 während der Aufführung von Schönbergs Erster Kammersymphonie op. 9 – eine immer radikaler werdende Ablehnung von Avantgarde und Moderne artikuliert. Diese durchaus auch vom katholischen Mainstream und von konservativen bürgerlichen Schichten getragene Haltung (die sich in der Arbeiterbewegung trotz anderer Grundideologie wieder finden), steigerte sich in der Zwischenkriegszeit und wurde von den frühen Nationalsozialisten auch in Österreich instrumentalisiert, wie Krawalle, Plakat und Demonstrationen gegen E. Kreneks Oper Jonny spielt auf 1928 zeigen, als gegen die „freche jüdisch-negerische Besudelung“ der Wiener Staatsoper agitiert wurde. Im autoritären Dollfuß-Schuschnigg-Regime (1933–38; Faschismus) wurde zwar vereinzelt die österreichische Moderne (v. a. im Ausland) in die Auslage gestellt, letztlich teilten aber die Kulturverantwortlichen die Linie gegen den „Musikbolschewismus“ und versuchten auch die NS-Musikerkammerstrukturen zu kopieren – wohlgemerkt ohne den deutschen Antisemitismus und Rassismus einzufordern, aber mit starken Ausgrenzungstendenzen gegenüber allem, was „Links“ definiert wurde (wobei vereinzelt dann durchaus antisemitische Grundströmungen bedient wurden). Es muss aber festgehalten werden, dass aus Deutschland vertriebene KünstlerInnen bis 1938 eine Tätigkeit finden konnten, so es die hohe Künstlerarbeitslosigkeit in Österreich überhaupt zuließ. Stars wie der Dirigent B. Walter hingegen wurden vom Schuschnigg-Regime durchaus hofiert und politisch instrumentalisiert.
Gerade im Musikland Österreich setzte das NS-Regime die von Hitler selbst propagierte Politik fort, die durch bewusste Zerschlagung von moderner Musik letztlich in Klassikerpflege endete – oder wie es der spätere Präsident der Reichsmusikkammer nach 1935, Peter Raabe, bereits 1933 formulierte, in „Konzerten, die, so wie Hitler immer wieder preist, der Stärkung deutschen Wesens und deutscher Art dienen, die also nicht ein Luxus sind, sondern eines der edelsten Mittel, die Gesundung der Volksseele herbeizuführen“.
Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde in Österreich der Kulturrassismus des NS-Regimes binnen weniger Wochen und Monate umgesetzt, und Tausende MusikerInnen mit Berufsverbot belegt, in die Emigration getrieben und ab 1941 zunehmend in NS-Konzentrationslager und Vernichtungslager deportiert. Die lokalen Stellen der Reichsmusikkammer schlossen rasch zu den „deutschen“ Verhältnissen auf und der latente Antisemitismus förderte die Denunziationslisten und die Entlassungen von MusikerInnen aus dem öffentlichen Musikbetrieb. Auch Roma und Sinti – manche von ihnen ebenfalls MusikerInnen – wurden Opfer der NS-Verfolgung. Die Biographie-Datenbank des Orpheus Trust in Wien hat mit Stand Ende 2003 biografische und künstlerische Daten zu ca. 5.000 verfolgten, vertriebenen und ermordeten MusikerInnen zusammengetragen, die aus dem Raum Österreich-Ungarn stammten bzw. längere Zeit in Österreich nach 1918 engagiert waren, hier studiert haben bzw. hier geboren sind. Die Initiatorin des Orpheus Trust, Primavera Gruber, rechnet mit letztlich 10.000 Personen, was bedeutet, dass die Zahl für das Deutsche Reich in den Grenzen von 1939 noch viel größer sein dürfte, aber entsprechende Vergleichszahlen fehlen bisher.
Ähnlich wie im Deutschen Reich nach 1933 versuchte das NS-Regime auch in Österreich nach 1938 diese massive Elitenausgrenzung und Verfolgung durch sozialpolitische Propaganda zuzudecken, d. h., dass zielgerichtet Arbeitsplätze für arbeitslose MusikerInnen geschaffen wurden – durch die rassistische Säuberungspolitik –, bis ab 1939 durch die Requirierung von Soldaten hier eine gegenteilige und in vielen Fällen für die Betroffenen tödliche Politik Platz griff. Auch im Bereich des Publikums wurde durch kostengünstige Angebote und entsprechende Aktionen versucht, das stigmatisierte und rasch auch in Wien mit Theaterverbot belegte jüdische Publikum zu ersetzen. Diese Aktivitäten endeten letztlich ebenfalls mit kriegsbedingten Konzerten und Aufführungen für verwundete Soldaten.
Zwar schien es so, als ob der Reichsleiter Schirach in Wien durch Subventionierungen von modernen Komponisten wie Carl Orff oder Rudolf Wagner-Regeny und Konzertserien von „Deutscher Gegenwartsmusik“ in den frühen 1940er Jahren einen oppositionellen Kurs einschlug. Er selbst hatte jedoch bereits als Reichsjugendführer den rassistischen Kurs gegen die „undeutsche“ Musik mitgetragen und anlässlich der Ausstellung Entartete Musik unmissverständlich artikuliert: Was in der Ausstellung ‚Entartete Musik‘ zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbaths [sic!] und des frivolsten, geistig-künstlerischen Kulturbolschewismus dar und ein Abbild des Triumphes von Untermenschentum, arroganter jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung.“ Sein Einsatz für die verbliebene deutsche Gegenwartsmusik – so beispielsweise für Wagner-Regenys umstrittene Staatsopernaufführung von Johanna Balk 1941 – hatte ebenso wie sein scheinbarer Wien-Kult (Mozartfeiern) nur den Sinn, die Akzeptanz des N. und letztlich auch die „Abwehrbereitschaft“ im zunehmend kriegsmüden Wien zu steigern und sich als Nachwuchsführer des NS-Regimes zu profilieren.
Zusammenfassend ist es keine Übertreibung, der Bewertung der Rolle von Musik und deren Protagonisten für die Regimestabilisierung im deutschen Reich 1933–45 durch eine neutrale Beobachterin, der Basler Nationalzeitung 1945, zu folgen: „Ja, sie spielen wirklich Mozart und Beethoven, Schubert und Brahms, und man könnte sich fragen, was das mit Nazi-Politik zu tun hat. […] Sie verschleierten den Rauch, der aus den Krematorien von Majdanek und Auschwitz aufstieg mit dem Zauber Mozartscher Menuette und Strauss’scher Walzer.“
E. Weinzierl, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945 , 1969; G. Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich 1976; G. Botz, N. in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung 1938/39 , 1988; B. F. Pauley, Hitler and the Forgotten Nazis. A History of Austrian National Socialism 1981; S. Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938–1945 , 1986; E. Tálos et al., NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945 , 1988; R. G. Ardelt/H. Hautmann (Hg.), Arbeiterschaft und N. in Österreich 1990; H. Brenner, Musik als Waffe? Theorie und Praxis der politischen Musikverwendung, dargestellt am Beispiel der Steiermark 1938–1945 , 1992; W. Benz et al. (Hg.), Der N. 1993; R. Pohanka, Stadt unter dem Hakenkreuz. Wien 1938 bis 1945 , 1996; W. Benz et al. (Hg.), Enzyklopädie des N. 1997; M. Permoser, Die Wr. Symphoniker im NS-Staat 2000; DÖW (Dokumentationsarchiv des Österr. Widerstands) (Hg.), Die österr. Opfer des Holocaust 2001 (CD-Rom); A. Dümling/P. Girth, Entartete Musik. Zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938 , 1988; M. Kater, Die mißbrauchte Muse 2000; H.-W. Heister/H.-G. Klein (Hg.), Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland 1984; F. K. Prieberg, Musik im NS-Staat 1982; O. Rathkolb, Führertreu und Gottbegnadet 1991; M. Walter, Hitler in der Oper. Dt. Musikleben 1919–1945, 2000; J. Wulf, Musik im Dritten Reich 1963.
Oliver Rathkolb