Die Zahl der jeweils erzeugbaren Kombinationen ergibt sich aus der Anzahl der möglichen Augenzahlen für einen oder zwei Würfel (W) und der Takte des Stücks (T) als WT. Z. B. können in dem W. A. Mozart zugeschriebenen Walzer-Spiel für zwei Würfel mit zwei Teilen zu je acht Takten 1116 = 45.949.729.863.572.161 (über 45 Quadrillionen) „verschiedene“ Walzer anfertigt werden.
Als Prototyp einer streng periodisch gebauten sowie hinsichtlich Melodie und Rhythmus formelhaft standardisierten Werkgattung eignete sich das Menuett in besonderem Maße für Würfelspiele. Weitere Spiele wurden mit Polonaisen und Walzern komponiert. W. wird meist als Kuriosum der Musikgeschichte behandelt, ist aber insofern instruktiv, als sie den rational-mechanischen Aspekt von Kompositionstechnik offenbart. Sie muss zudem vor dem Hintergrund eines entsprechenden rationalistischen Weltbilds der Aufklärung verstanden werden.
Für den österreichischen Raum ist insbesondere das Würfelspiel erwähnenswert, das 1790 in Neapel/I von dem Verleger Marescalchi als Gioco filarmonico unter dem Namen J. Haydns veröffentlicht wurde, in Wahrheit aber von M. Stadler zwischen 1759/63 komponiert und bereits 1781 als Tabelle aus welcher man unzählige Menueten und Trio für das Klavier herauswürfeln kann bei Artaria in Wien verlegt worden war. Die Mozart zugeschriebenen Würfelspiele wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht: erstmals 1793 bei Johann Julius Hummel die Anleitung so viel Walzer man will mit zwei Würfeln zu componiren ohne musikalisch zu seyn oder Composition zu wissen und 1795 bei Nicolaus Simrock die auf denselben Tabellen beruhende Anleitung Englische Contretänze mit zwei Würfeln zu componiren so viele man will ohne etwas von der Musik oder Composition zu verstehen. Für diese Werke gilt eine Autorschaft Mozarts heute als sehr unwahrscheinlich. Sie wurden ab der 3. Aufl. des KV unter Anh. 294d, ab der 7. Aufl. unter C 30.01 geführt. Das als authentisch eingeschätzte Skizzenblatt KV 516f hingegen, das neben dem Beginn des Adagios aus dem Streichquartett KV 516 mehrere Systeme mit Zweitaktgruppen enthält, ist kein Würfelspiel im eigentlichen Sinn. Allerdings wurde die Kennzeichnung der Taktgruppen mit Buchstaben und Zahlen sowie ihre (eingeschränkte) Kombinierbarkeit als Beleg dafür gewertet, dass Mozart sich mit W. befasst hat.
In einem weiteren (eig. jedoch wörtlichen) Sinn lässt sich als W. auch die Aleatorik des 20. Jh.s bezeichnen, in der Zufallsprozesse in die Entstehung oder Interpretation eines Werks einbezogen werden. Historische Verbindungen zur W. der Aufklärung gibt es kaum. Immerhin aber nutzten John Cage und Lejaren Hiller 1969 in dem Abschnitt Solo II der aleatorischen Komposition HPSCHD für sieben Cembali auch die oben erwähnte Anleitung Englische Contretänze mit zwei Würfeln zu componiren.
Als Hauptvertreter aleatorischer Musik in Österreich können R. Haubenstock-Ramati, der in diversen graphisch notierten Werken den Interpreten begrenzte Freiheiten zu spontaner Ausdeutung einräumt, sowie der Wahlösterreicher A. Logothetis, der vielfach die Besetzung seiner Stücke und die Abfolge einzelner Teile offen lässt, gelten. In neuerer Zeit wird der Begriff der Aleatorik gelegentlich für Komponisten und Musiker angewendet, die das Verhältnis zwischen notierter Musik und Improvisation neu bestimmen (W. Mitterer, W. Dafeldecker u. a.). Aufgrund der historischen Verwurzelung des Terminus scheint er hier indes kaum mehr treffend.
MGG 9 (1998); P. Löwenstein in ZfMw 12 (1929/30); H. Noguchi in Mitt. d. Int. Stiftung Moz. 38 (1990); M. Schmidt in M. H. Schmidt (Hg.), Mozart Studien 12 (2003); G. Haupenthal, Gesch. der W. in Beispielen, 2 Bde., Diss. Saarbrücken 1994. – Aleatorik: NGroveD 1 (2001) [Aleatory]; P. Boulez in Nouvelle revue française (1957), Nr. 59 (dt. in Darmstädter Beiträge zur neuen Musik 1 [1958]).