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Wittgenstein, Wittgenstein, true Familie
Wiener Industriellenfamilie jüdischer Herkunft, eine der „für das Musikleben bedeutendsten Familien Wiens“ (Landerer, 11).

Den Grundstock für das Familienvermögen legte der Textilhändler Hermann Christian W. (1803–78) – Sohn von Moses Meier W. aus Korbach bei Kassel/D –, seit 1839 mit der Wienerin Fanny Figdor (1814–90) verheiratet, 1851 von Leipzig/D nach Vösendorf/NÖ, 1860 nach Wien übersiedelt, mit Immobilien- und Grundstücksgeschäften. Sein Sohn Karl W. (* 8.4.1847 Gohlis bei Leipzig/D, † 20.1.1913 Wien) verschaffte sich mit z. T. nicht unumstrittenen Methoden (wiederholte Polemiken von K. Kraus in der Fackel) die unangefochtene Führungsposition in der Eisen- und Stahlindustrie der Habsburgermonarchie (ab 1898 sukzessive Rückzug ins Privatleben) und ein riesiges Vermögen, das der Familie eine einzigartige Position innerhalb des Wiener Großbürgertums sicherte und zugleich die Grundlage für erhebliche karitative Zuwendungen und künstlerisches Mäzenatentum bildete. So wurde z. B. der Bau des Sezessionsgebäudes durch finanzielle Zuwendungen Karl W.s – der auch eine beachtliche Gemäldesammlung erwarb – mit ermöglicht, bildende Künstler und Musiker wurden z. T. großzügig finanziell unterstützt. Bereits unter unter Hermann Christian W. entwickelte sich das Haus der W.s zu einem Treffpunkt von Musikern und Komponisten, in dem u. a. der Geiger J. Joachim (ein Cousin von Fanny W.), dessen Ausbildung Hermann Christian W. finanzierte, J. Brahms und J. Labor regelmäßig verkehrten. Seine Kinder erhielten musikalischen Privatunterricht, in Leipzig u. a. von C. Schumann, in Wien u. a. von Brahms. Karl W. war selbst aktiver Musiker (Violine, Horn), während seines USA-Aufenthaltes 1865/66 verdiente er sich seinen Lebensunterhalt z. T. als Musiker und Musiklehrer, seine Frau Leopoldine, geb. Kalmus (1850–1926), eine Schülerin von K. Goldmark, war eine exzellente Pianistin. Unter Karl W. entwickelte sich das Haus W. in der Alleegasse 4 (im Zweiten Weltkrieg ausgebombt, später abgetragen, heute: Wien IV, Argentinierstraße 16) zu einem der Zentren des Wiener Musiklebens. Zu den Gästen bei ihren Hauskonzerten, an denen sich das Ehepaar selbst aktiv beteiligte, gehörten neben Brahms, Labor und Joachim u. a. G. Mahler, B. Walter, R. Strauss, das Rosé Quartett, M. Soldat-Röger, M. Baumayer, Pablo Casals, die Geigerin E. Morini), die Sängerin Marcella Pregi (1866–1958) und die Kritiker E. Hanslick und M. Kalbeck. Wiewohl Karl W. prinzipiell auch moderne Komponisten (z. B. A. Schönberg) unterstützte, orientierte sich die musikalische Praxis im Haus W. am traditionellen Kanon der klassischen und romantischen Musik, bei deutlicher Distanz zum „Wagnerianismus“ (Rich. Wagner), was auch das musikalische Verständnis der Kinder (fünf Söhne und drei Töchter erreichten das Erwachsenenalter), die z. T. intensiven privaten Musikunterricht erhielten, nachhaltig prägte.

Hans (1877–1902), der bereits mit 4 Jahren komponiert und als 9-Jähriger öffentliche Konzerte als Geiger gegeben hatte, daneben auch Orgel und Klavier spielte und als musikalisches Wunderkind galt, beging nach anhaltenden Konflikten mit dem Vater, der ihn in eine wirtschaftlich-technische Laufbahn zwingen wollte, während eines USA-Aufenthaltes 1902 Selbstmord, auch Rudolf (1881–1904) und Kurt (1878–1918) nahmen sich das Leben. Während Tochter Margarete (verehel. Stonborough; 1882–1958), seit ihrer Heirat 1905 US-amerikanische Staatsbürgerin, und Bruder Paul nach dem sog. „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland emigrierten (Exil), blieben Hermine (1874–1949) und Helene (verehel. Salzer) (1879–1956) in Wien und überlebten die nationalsozialistische Judenverfolgung durch eine Vereinbarung mit den NS-Behörden, aufgrund derer sie gegen Überlassung eines großen Teils des in der Schweiz veranlagten Devisenbesitzes der Familie als „Mischlinge ersten Grades“ im Sinne der „Nürnberger Gesetze“ anerkannt wurden. Die Schwestern – Margarete Stonborough-W. kehrte nach Kriegsende nach Wien zurück – führten bis zu ihrem Tod in allerdings deutlich verkleinertem Maßstab die Tradition des Mäzenatentums und der Hauskonzerte fort.


Gedenkstätten
ehrenhalber gewidmetes Grab am Friedhof Mauer (Wien XXIII).
Literatur
K. W., Zeitungsartikel u. Vorträge 1913; P. Kupelwieser, Aus den Erinnerungen eines alten Österreichers 1918; G. Günther in Neue Österr. Biographie 1815–1918, 1. Abt. 4 (1927); H. W., Familienerinnerungen [unveröff. Typoskript 1944]; J. K. Bramann in Zeitgesch. 2 (1974); J. K. Bramann/J. Moran in The Austrian History Yearbook 15–16 (1979/80); K. W., Politico-economic Writings 1984; J. C. Nyíri in J. C. Nyíri (Hg.), Am Rande Europas 1988, 68–90; M. Huter (Hg.), [Kat.] W. Biographie – Philosophie – Praxis 1989; B. McGuinness et al. (Hg.), W. Familienbriefe 1996; J. Schiffer in J. Feichtinger/P. Stachel (Hg.), Das Gewebe der Kultur 2001; U. Prokop, Margaret Stonborough-W. 2003; N. L. Immler, Das Familiengedächtnis der W.s, Diss. 2005; M. Iven (Hg.), Ludwig sagt … Die Aufzeichnungen der H. W. 2006.


Paul Carl Hermann: * 5.11.1887 Wien, † 3.3.1961 New York/USA. Pianist und Musikpädagoge. Unterricht durch Privatlehrer, musikalische Ausbildung als Pianist durch M. Brée, Th. Leschetizky und J. Labor, öffentliche Konzerttätigkeit ab 1913. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges Kriegsfreiwilliger, unmittelbar nach Kriegsbeginn schwere Verwundung an der Ostfront, verbunden mit dauerhafter Invalidität (Verlust des rechten Armes). Nach der Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft bemühte sich P. ungeachtet seiner Behinderung um Reaktivierung im Militärdienst und um die Fortsetzung seiner Laufbahn als Pianist; Wiederaufnahme der Konzerttätigkeit 1916 (u. a. mit den Variationen in D-Dur für Klavier linker Hand von J. Labor [1915]). P. griff einerseits auf vorhandenes Material zurück (z. B. Wilhelm Tapperts [1830–1927] 50 Übungen für die linke Hand allein [1867] – deren Neuausgabe er betrieb – und Kompositionen, die u. a. von F. Liszt für den einarmigen Pianisten G. v. Zichy-Vásonykeő geschrieben worden waren), andererseits fertigte er selbst eine Reihe von Bearbeitungen von Kompositionen u. a. von J. S. Bach, L. v. Beethoven, J. Brahms, F. Chopin, Edvard Grieg, J. Haydn, F. Mendelssohn Bartholdy, G. Meyerbeer, W. A. Mozart, G. Puccini, Fr. Schubert, R. Schumann, J. Strauss Sohn, Rich. Wagner u. a. an (veröffentlicht in drei Bänden). Sein ererbtes Vermögen erlaubte es P. überdies, eine Reihe von Kompositionsaufträgen für Klavier linker Hand zu vergeben; längerfristige Zusammenarbeit v. a. mit J. Labor, E. W. Korngold, Fr. Schmidt und dem britischen Komponisten Ernest Walker. Zu den Komponisten, die Stücke für P. schrieben, gehörten weiters u. a. S. Bortkevič, R. Braun, W. Bricht, Benjamin Britten, H. Gál, L. Godowsky, F. und M. Rosenthal, R. Strauss, J. Takács und K. Weigl. In vielen Fällen unterzog P. die für ihn komponierten Werke umfassende Überarbeitungen. Zu den bedeutendsten für P. komponierten Werken gehören Maurice Ravels Klavierkonzert für die linke Hand (1930; EA 7.11.1931 Wien, Schallplatteneinspielung mit P. und dem Concertgebouw Orchester Amsterdam unter B. Walter 1937), Paul Hindemiths Klaviermusik op. 29 (1923; EA 9.12.2004 Berlin, Leon Fleisher, Berliner Philharmoniker, Dgt.: S. Rattle] und Sergej Prokofieffs Klavierkonzert Nr. 4, op. 53 (1931). Während P. Ravels Konzert nach anfänglicher Ablehnung in einer von ihm selbst überarbeiteten Fassung in sein Repertoire aufnahm, lehnte er die Kompositionen Hindemiths und Prokofieffs ab und brachte sie nie öffentlich zur Aufführung.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland 1938 und dem in der Folge über ihn verhängten Auftrittsverbot emigrierte P. mit seiner Frau und seinen Kindern über die Schweiz in die USA (ab 1946 amerikanischer Staatsbürger), wo er sich in New York niederließ, hier seine Karriere als Pianist fortsetzte und am Ralph Wolfe Conservatory in New Rochelle (1938–1943) sowie an seiner eigenen privaten MSch. (1938–1960) unterrichtete.


Werke
Schule f. die linke Hand, 3 Bde. 1957.
Literatur
E. F. Flindell in The Music Review 32 (1971); S. Y. Kim-Park, P. W. u. die für ihn komponierten Klavierkonzerte für die linke Hand 1999; I. Suchy et al. (Hg.), Empty Sleeve. Der Musiker u. Mäzen P. W. 2006; Piano Music for the Left Hand Alone in http://hjem.get2net.dk/Brofeldt/ (6/2006).


Ludwig Josef Johann: * 26.4.1889 Wien, † 29.4.1951 Cambridge/GB. Philosoph. Als Kind Privatunterricht, 1903–06 Besuch der Realschule in Linz, Ingenieursstudium an der TU Berlin-Charlottenburg abgebrochen, ab 1908 in Manchester/GB, ab 1912 Philosophiestudium am Trinity College Cambridge (u. a. bei Bertrand Russell und George Edward Moore). Im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger, 1918/19 italienische Kriegsgefangenschaft. In der Zeit des Militärdienstes Abfassung des Tractatus logico-philosophicus, der 1921 in einer fehlerhaften Version erstmals im Druck, 1922 in korrigierter Fassung als selbständige Veröffentlichung (deutsch-englisch) erschien und W.s einziges zu seinen Lebzeiten publiziertes größeres philosophisches Werk blieb. L. verzichtete zugunsten seiner Geschwister auf den größten Teil seines ererbten Vermögens und verschenkte den Rest, hauptsächlich an Künstler (u. a. Georg Trakl, Oskar Kokoschka, Rainer Maria Rilke). 1920–26 Volksschullehrer in verschiedenen niederösterreichischen Landgemeinden, 1926–28 gemeinsam mit dem Loos-Schüler Paul Engelmann (1891–1965) Planung und Errichtung des Hauses seiner Schwester Margarete Stonborough in Wien (sog. W.-Haus, Kundmanngasse 19, Wien III, heute Bulgarisches Kulturinstitut). Ab 1927 intensiver Kontakt mit den neopositivistischen Philosophen des Wiener Kreises. 1929 Rückkehr nach Cambridge, ab 1930 Fellow, ab 1939 Prof. am Trinity College der Univ. Cambridge. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland 1938 Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft. 1947 Zurücklegung der Professur, Übersiedlung nach Irland, aus gesundheitlichen Gründen (Prostatakrebs) 1949 Rückkehr nach England.

Das zentrale Thema von L.s philosophischem Lebenswerk ist die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Welt. Im Tractatus versucht L., Sprache als Instrument der Weltbeschreibung zu analysieren und daraus deren fundamentale logische Struktur abzuleiten. Dabei geht er von einer Abbildtheorie aus, d. h. von der Möglichkeit sprachlicher Abbildung von „Sachverhalten“, die in ihrer Gesamtheit „die Welt“ bilden. Sinnvolle Sätze bilden Wirklichkeit wahr oder falsch ab, Sätze, die nicht Wirklichkeit abbilden, sind umgekehrt nicht sinnvoll. Diese „sinnvollen“ Sätze sind allerdings selbst nicht Bestandteil der Logik oder der Philosophie, sondern der Naturwissenschaften. Der berühmt gewordenen Schlusssatz des Tractatus lautet: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (eine auf den ersten Blick paradox klingende Festlegung, die L. noch dazu explizit auch auf seine eigenen Sätze im Tractatus bezieht). Was die Ausführungen L.s von einer rein neopositivistischen Auffassung fundamental unterscheidet, ist der Umstand, dass er nicht exakt formulierbare Sätze als sprachlich „sinnlos“, aber keineswegs als unwesentlich einstuft. Was nicht gesagt werden kann, kann „sich zeigen“ und wird von L. dann als „das Mystische“ definiert, das „außerhalb der Welt“ liegt. Konkret etwa auf die Ethik bezogen – die für L. von hervorragender Wichtigkeit ist – bedeutet dies, dass Ethik keine philosophische Disziplin im Sinne eines Systems von Aussagessätzen darstellt, sondern sich ausschließlich in konkretem ethischen Handeln vollzieht, das als solches nicht theoretisch begründbar ist. In seinen späteren philosophischen Texten schließt L. einerseits an den Tractatus an, rückt aber andererseits explizit von einigen der dort zentralen Auffassungen ab (die daraus resultierende Frage nach dem Zusammenhang von L.s Früh- und Spätphilosophie hat zu sehr unterschiedlichen Deutungen geführt, die sich jeweils auf eigene Aussagen L.s stützen können). Die Bedeutung eines Wortes liegt in L.s Spätphilosophie nicht mehr im Gegenstand, den es bezeichnet, sondern in seiner konkreten Verwendung in der sprachlichen Praxis. Da es aber potenziell unendlich viele sprachliche Praktiken mit unterschiedlichen Kontexten gibt – L. bezeichnet diese als regelgeleitete „Sprachspiele“ und hebt hervor, dass sie nicht auf eine einzige untergeordnete und damit allgemeingültige Bedeutungsebene reduziert werden können –, entfällt mithin jede Möglichkeit, sprachlichen Aussagen einen einzigen und eindeutigen, von konkreten Kontexten unabhängigen Sinn zu verleihen.

Seine Auseinandersetzung mit Fragen der Musik, „in gewissem Sinne die raffinierteste aller Künste“ (Vermischte Bemerkungen 9), war für ihn nach eigenem Bekunden von hervorragender Bedeutung und beschäftigte ihn sein ganzes Leben lang intensiv; eine nachvollziehbare systematische Argumentation zu einer „Philosophie der Musik“ liegt von ihm ungeachtet dessen nicht vor, seine konkreten Urteile beschränken sich durchwegs auf isolierte Einzelaspekte bzw. Bezugnahmen auf musikalische Aspekte zur Erläuterung außermusikalischer Fragestellungen (z. B. im Bereich der Abbildungs- bzw. Bedeutungstheorie). Für L. lässt sich Musik, wenn auch eingeschränkt, als eine Art von Sprache auffassen. „Die musikalischen Themen sind in gewissem Sinne Sätze. Die Kenntnis des Wesens der Logik wird deshalb zur Kenntnis des Wesens der Musik führen“ (Notizbücher, 14.2.1915). In diesem Sinn könne man „gewiß manche Musik […] eine Sprache nennen, manche Musik aber gewiß nicht“ (Vermischte Bemerkungen 62). In der „Tonsprache“ (Philosophische Grammatik 179) – ausdrücklich spricht L. vom Sprechen der Musik (Zettel 161) –, können zwar „Mitteilungen abgefaßt werden, diese werden aber nicht im Sprachspiel der Mitteilung verwendet“ (ebd.), können daher auch nicht verbalisiert werden. Ungeachtet dessen betont L.: „Die Menschen heute glauben, die Wissenschaftler seien da, sie zu belehren, die Dichter und Musiker etc., sie zu erfreuen. Daß diese sie etwas zu lehren haben; kommt ihnen nicht in den Sinn“ (Vermischte Bemerkungen 36). Musik bezieht sich aber trotz ihres sprachlichen Charakters auf nichts außerhalb ihrer selbst, eine Festlegung, die sich möglicherweise dem Einfluss E. Hanslicks verdankt, mit dem L. in seinem Elternhaus in Kontakt gekommen ist – wobei allerdings explizite Bezugnahmen auf Hanslick fehlen. „Die Melodie ist eine Art Tautologie, sie ist in sich selbst abgeschlossen; sie befriedigt sich selbst.“ (Notizbücher, 3.5.1915). „Das Verstehen der Musik ist weder eine Empfindung, noch eine Summe von Empfindungen“ (Zettel 166). L.s Aufzeichnungen enthalten zudem in unsystematischer Form zahlreiche, meist metaphorisch, seltener explizit formulierte Erläuterungen zu einzelnen Komponisten und musikalischen Werken, aus denen eine Vorliebe für die Musik der Klassik (Wiener Klassik) und Romantik, bei gleichzeitiger Ablehnung der modernen Musik, der L. nach eigenem, in der dritten Person formulierten Bekunden „das größte Mißtrauen entgegenbrächte (ohne ihre Sprache zu verstehen)“ (Vermischte Bemerkungen 6), abgeleitet werden kann. Die Musik L. v. Beethovens – als „kosmisch“ attribuiert (Vermischte Bemerkungen 81) – wird von L. als allgemeingültiger Maßstab zur Beurteilung klassischer Musik überhaupt betrachtet. Zu Felix Mendelssohn Bartholdy finden sich zahlreiche, meist einschränkende Urteile, während Brahms „musikalische Gedankenstärke“ attestiert wird (Vermischte Bemerkungen 23); über G. Mahler äußert L. explizit, seine Musik sei „schlecht“ und „nichts wert“ (Vermischte Bemerkungen 67); Bruckner und Labor, dem L.s besondere Wertschätzung galt, werden neben F. Grillparzer und Nikolaus Lenau als Repräsentanten des „gute[n] Österreichische[n]beurteilt, dessen „Wahrheit […] nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit“ liege (Vermischte Bemerkungen 3).

Im Gegensatz zur Mehrheit seiner Geschwister, die von Kindheit an aktiv musizierten, erlernte L., der allerdings als Kind einige Klavierlektionen erhalten hatte, erst im Zuge seiner Ausbildung zum Volksschullehrer – in deren Rahmen dies zwingend vorgeschrieben war – ein Instrument (Klarinette). Sein kompositorisches Werk – sofern dieser Ausdruck angebracht ist – beschränkt sich auf ein vier Takte umfassendes, von ihm selbst mit „leidenschaftlich“ überschriebenes Motiv in a-Moll (UA 6.11.2003, Emmanuel College, Cambridge). L.s. philosophisches Werk hat, wenn auch kaum direkt bezogen auf seine Aussagen zur Musik, einige Komponisten inspiriert. Vertonungen philosophischer Texte L.s stammen u. a. von M. A. Numminen (* 1940), Tractatus Suite. Sechs Lieder nach L. W., 1966/67 [UA Turku/FIN 1967] und von Bernd Alois Zimmermann (1918–70) Requiem für einen jungen Dichter. Lingual (UA 1969).

Während die philosophische Wirkung L.s sich zu seinen Lebzeiten auf einen vergleichsweise kleinen Kreis von Kollegen und Schülern beschränkte, wird er heute (2006), ausgehend vom angelsächsischen Raum – beginnend ab etwa den 1970er Jahren (und damit im internationalen Maßstab spät) auch im deutschen Sprachraum – weltweit als der vermutlich bedeutendste und jedenfalls einflussreichste Philosoph des 20. Jh.s angesehen. Sein Werk, das als fundamentaler Beitrag zu einer Reihe unterschiedlicher philosophischer Strömungen gedeutet wird, hat eine stetig wachsende Flut von sehr unterschiedlichen Interpretationen und Deutungen erfahren. Da L. nur einen Bruchteil seines komplex argumentierenden philosophischen Schrifttums in publikationsreifer Form abgeschlossen hat und der überwiegende Teil in zumeist mehreren unterschiedlichen, manchmal ineinander verwobenen Fassungen vorliegt – was L.s eigenem Verständnis von Philosophie als einer Tätigkeit, nicht aber einem abgeschlossenen System von Lehrsätzen entspricht –, lassen sich aus dem umfangreichen Nachlass prinzipiell kein eindeutiges „Gesamtwerk“, sondern nur ausgewählte Lesarten erschließen.


Ehrungen
Große Silberne Tapferkeitsmedaille der k. u. k. Armee 1917.
Schriften
Werkausgabe 1984ff; Wr. Ausg., hg. v. M. Nedo 1994ff; W.’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition 1998ff; Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung 1922; Wörterbuch f. Volksschulen 1926; Some Remarks on Logical Form in Proceedings of the Aristotelian Society Suppl. 9 (1929); Philosophical Occasions 1912–1951, hg. v. J. C. Klagge u. A. Nordmann 1993 [Reader]; W., hg. v. T. Macho 1996 [Reader]; Denkbewegungen. Tagebücher 1930–32/1936–37, 1999; zahlreiche, z. T. umstrittene Veröff.en aus dem Nachlass.
Literatur
G. E. M Anscombe, An Introduction to W.’s Tractatus 1959; R. Rhees, Discussions of W. 1970; D. Pears, L. W. 1971; A. Kenny, W. 1973; W. W. Bartley, W. 1973; E. Leinfellner et al. (Hg.), W. u. sein Einfluss auf die gegenwärtige Philosophie 1978; A. Janik/S. Toulmin, W.’s Vienna 1973; K. Wuchterl/A. Hübner, L. W. 1979; R. Rhees (Hg.), L. W. Personal Recollections 1981; S. A. Kripke, W. on Rules and Private Language 1982; M. Nedo/M. Ranchetti, W. Sein Leben in Bildern u. Texten 1983; N. Malcolm, L. W. A Memoir 21984; A. J. Ayer, W. 1985; G. H. v. Wright, W. 1986; R. Haller, Fragen zu W. u. Aufsätze zur österr. Philosophie 1986; M. u. J. Hintikka, Investigating W. 1986; P. M. S. Hacker, Insight and Illusion 1986; B. McGuinness, W.: A Life. Young Ludwig 1988; C. Bezzel, W. zur Einführung 1988; A. C. Grayling, W. 1988; J. Schulte, Texte zum Tractatus 1989; R. Monk, L. W. 1990; R. Haller/J. Brandl (Hg.), W. – eine Neubewertung 3 Bde. 1990; C. Diamond, The Realistic Spirit 1991; J. Schulte, W. Eine Einführung 1989; C. P. Berger, Erstaunte Vorwegnahmen 1992; P. Wijdeveld, L. W. Architect 1994; W. Vossenkuhl, L. W. 1995; H.-J. Glock, A W. Dictionary 1996; K. S. Johannessen/T. Nordenstam (Hg.), W. and the Philosophy of Culture, 3. Bde. 1996; P. M. S. Hacker, W.’s Place in Twentieth Century Analytic Philosophy 1996; E. M. Lange, L. W.: Logisch-philosophische Abhandlung 1996; A. Janik/H. Veigl, W. in Wien 1998; F. A. Flowers (Hg.) Portraits of W., 4. Bde. 1999; R. Wall, W. in Irland 1999; D. Edmonds/J. Eidinow, W.’s Poker: The Story of a Ten-Minute Argument Between Two Great Philosophers 2001; J. C. Klagge (Hg.), W. Biography and Philosophy 2001; J. C. Klagge/A. Nordmann (Hg.), L. W. Public and Private Occasions 2003; H. Veigl, W. in Cambridge 2004; V. A. Munz, Satz u. Sinn. Bemerkungen zur Sprachphilosophie W.s 2005; K. Buchholz, L. W. 2006.
Literatur
(Zu L. W. u. die Musik:) D. Birnbacher in E. Leinfellner et al. (Hg.), W. u. sein Einfluss auf die gegenwärtige Philosophie 1978; W. Laubscher, Musikzeichen/Zeichenmusik 1987; C. Sjögren in M. Huter (Red.), [Kat.] W. Biographie – Philosophie – Praxis 1989; M. Alber (Hg.), W. u. die Musik 2000; Ch. Landerer in ÖMZ 56/11–12 (2001); S. Tait in The Independent 12.11.2003, 54f (online 8/2011); C. Fanselau in C. Bezzel (Hg.), Sagen u. zeigen 2005.

Autor*innen
Peter Stachel
Letzte inhaltliche Änderung
27.4.2023
Empfohlene Zitierweise
Peter Stachel, Art. „Wittgenstein, Familie“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 27.4.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e721
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN

DOI
10.1553/0x0001e721
GND
Wittgenstein, Hans: 1047474050
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