Das Musikleben Wiens erlebte in diesen Monaten eine auch von staatlicher Seite geförderte dichte Abfolge von Bällen, Redouten, Festen, Feuerwerken, Hoftafeln, Konzerten und Opernaufführungen (es lassen sich ca. 84 Feste in den neun Monaten des Kongresses verzeichnen). Metternich nützte diese Versammlungen, um die Meinung der Unterhändler der einzelnen Länder durch Konfidente ausspionieren zu lassen bzw. sollte das Rahmenprogramm die Unterhändler ermüden und es Metternich erleichtern, seinen Willen in den Hauptverhandlungen durchzusetzen. In diesem Sinne ist auch der berühmte Ausspruche Karl Joseph von Lignes zu sehen: „Le Congrés danse et ne marche pas, ce qui fait rien ne transpire que ces messieurs“ („Der Kongress tanzt und kommt nicht weiter. Daher sickert [von den Verhandlungen] nichts durch = daher schwitzt niemand als diese Herren“). Dieses im späten 19. und 20. Jh. auf seinen ersten Teil reduzierte Zitat wurde zum Schlagwort des „tanzenden Kongresses“ reduziert (ein Bild, das sowohl z. B. ein „chronologisches Potpourrie“ mit diesem Titel von C. M. Ziehrer aus dem Jahr 1864, als auch die Filmindustrie der Brüder Marischka mit Die schöne Lügnerin und Der Kongress tanzt bis heute [2006] verfestigten). Die meisten der Feste fanden zwischen dem 29.9.1814 (Feuerwerk im Prater) und dem 7.2.1815 (Ende des Faschings) statt, in der Fastenzeit gab es vorwiegend Konzerte, doch auch nach Ostern fehlten die rauschenden Feste und Bälle und es überwogen Konzerte und Theater.
Wien befand sich zum Zeitpunkt des Wr. K.es an einem Wendepunkt der Entwicklung des Musiklebens: Der Hof wirkte noch einmal als Veranstalter von Festen und Opernaufführungen, doch dominierten die Bälle des Adels (v. a. Rasumowsky, Schönborn, Zichy-Vásonykeő, Metternich) bzw. der diversen Gesandten, Konzerte und Akademien (in der Mehlgrube, im Kärntnertortheater und Burgtheater bzw. Redoutensaal) und die unzähligen Theateraufführungen (in der Stadt wie in den Vorstädten – oft wurden pro Abend mehrere Aufführungen besucht) das Musikleben; von den Gesandten und Beobachtern wurde die Vielfalt und Qualität mit Staunen registriert; aufgrund der (teilweise gedruckten) Berichte und Beschreibungen entstand wohl der Topos (Klischee) von Wien als „Welthauptstadt der Musik“ (Musikstadt Wien).
Die Musikproduktion (Komposition wie Druck) erlebte einen Höhepunkt, was Musiker aller Gattungen von J. Wilde und M. Pamer über F. Starke bis L. v. Beethoven zu nutzen verstanden; v. a. im Bereich der Tanzmusik entstanden zahlreiche Kompositionen, die sich in Titel bzw. Widmung auf den Kongress bzw. die anwesenden Herrscher (z. B. Alexander-Walzer) bezogen.
In den Tänzen vollzog sich ebenfalls ein Wandel: der Walzer war eher noch ein Tanz des Volkes, zu dessen Tanzstätten sich gehobene Besucher lieber inkognito begaben; fallweise wurden sie auch schlicht falsch gedeutet (z. B. die Ernsthaftigkeit belächelt, mit der ein Ländler – als Menuett missdeutet – getanzt wurde). Tatsache ist, dass die in ihre Heimat Zurückkehrenden den Ruf Wiens als Musikstadt ebenso in ganz Europa verbreiteten wie das Interesse am nun erst modisch werdenden Walzer (daher erschien eine der frühesten systematischen Beschreibungen 1816 in London) – in wieweit es auf der anderen Seite zu einem „Musikimport“ durch die Gäste (die jedoch durchwegs ohne begleitende Musiker reisten) gekommen war, kann heute (2006) noch nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden.
ÖL 1995; MGÖ 2 (1995); [Kat.] 150 Jahre W. K. 1965; Der W. K. 1983; Chr. Schöndorfer, Lustspiele am Burgtheater im W. K., Diss. Wien 1956; [Kat.] Bürgersinn und Aufbegehren 1988; eigene Forschungen.
Rudolf Flotzinger