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Wettbewerb
Veranstaltung, um die/den Beste/n (hier: auf dem Gebiet der Musik und besonders in Österreich) zu ermitteln; das Bestimmungswort bezieht sich also nur auf eine der beiden Grundbedeutungen von „Wette“.

Am besten sein zu wollen, ist nicht nur eine auf Macht(gewinn) gerichtete Erscheinung wie Krieg oder Terror, sondern eine anthropologische, im Daseinskampf geborene und im Spiel entwickelte Eigenschaft. Daher sind von Analogisierungen zum Ausdruck „Wettkampf“ abgeleitete Verallgemeinerungen nicht völlig unangebracht. Die besagte Eigenschaft erklärt alte kultische Wettspiele zu heiligen und magischen Zwecken ebenso wie den stellvertretenden Wettstreit zur sozialen Konfliktlösung, nicht zuletzt auch den αγών μουσικός (d. i. den musischen, nicht nur musikalischen Agon) neben dem sportlichen (gymnischen) bei den alten Griechen (z. B. den Pythien in Delphi, jedoch nicht in Olympia). W.e für Gesang zur Kithara (Kitharodie) oder Spiel des Aulos (Aulodie) waren hier nicht nur (nach heutiger verkürzender Ausdrucksweise) „olympische“ Disziplinen, sondern in der Mythologie verwurzelt (z. B. Apollon als Führer der Musen [Museum], Vater von Orpheus, virtuoser Spieler der Leier; sein Sieg im Wettspiel über Pan und Marsyas u. a.), doch kann das Agonale keineswegs als eine Besonderheit der Griechen gelten und anderen Völkern abgesprochen werden. In der Hallstatt-Zeit gehörten musische wie sportliche W.e offenbar auch zu den Totenfesten für die „Fürsten“ von Kleinklein (s. Abb. zu Archäologische Funde). Vielmehr sind entsprechende von der Ethnomusikologie beschriebene Erscheinungen bis in jüngere Zeit (z. B. Singstreit der Inuit) und neuere Formen auch bei uns durchaus zu beobachten.

Sing-W.e und -streite waren im gesamten europäischen Mittelalter geläufig (z. B. der provenzalischen Trobadores, frz. Trouvères, dt. Minnesänger und Meistersinger). Das Motiv des ritterlichen musikalischen Agons durchzieht die volkssprachliche Dichtung der meisten Länder, in einzelnen Resten (z. B. mehr oder weniger freundliche Auseinandersetzungen mittels improvisierter Gstanzl im Wirtshaus oder bei Veranstaltungen) sowie im Prinzip (jedem Willen, etwas besser als andere zu können) ist er bis heute (2015) erhalten. Komponisten-W.e gab es wenigstens ab dem 16. Jh. (z. B. in Evreux/F, O. Lasso), entsprechende Ausschreibungen mindestens seit dem 19. Jh. (z. B. für Symphonien durch die Concerts spirituels in Wien 1835, ähnlich 1862; für eine einaktige Oper durch den Hzg. von Sachsen-Corbug und Gotha 1893 [Verismo], zu dessen Gewinnern J. Forster gehörte, anlässlich der Millenniumsfeier 1896 in Ungarn). Wettspiele zwischen Virtuosen waren v. a. im 18. (z. B. G. F. Händel mit D. Scarlatti 1709, J. S. Bach und dem Franzosen Louis Marchand [1669–1732] 1717 nicht ausgetragen, zwischen den Sängerinnen F. Bordoni und Francesca Cuzzoni in London 1726, W. A. Mozart mit Joseph Sigmund Eugen Bachmann in Biberach/D 1766 und mit M. Clementi vor K. Joseph II. in Wien 1781) und frühen 19. Jh. beliebt (z. B. L. v. Beethoven mit Abbé Franz Xaver Sterkel 1791; F. Liszt mit S. Thalberg in Paris 1837). Nur bedingt unter die Kategorie W. fallen allerdings Parteistreitigkeiten (z. B. G. Bononcini – Händel, Bouffons gegen die Oper, Ch. W. GluckN. Piccini, sog. Wagnerianer [Rich. Wagner] – Brahminen [J. Brahms]).

Auch die Sängerfeste der Männergesangbewegung im 19. Jh. waren oft mit „Wertungssingen“ verbunden. In neuerer Zeit kommen oft auch Preise aufgrund von W.en zustande. Der ab 1947 einige Zeit ventilierte Versuch, in Wien und Salzburg eine „Musikolympiade“ ins Leben zu rufen, scheiterte nicht nur am Widerstand des Internationalen Olympischen Komitees. Als institutionalisierte und oft regelmäßige Veranstaltungen sind Musik-W.e auf keine bestimmte Musikart beschränkt, jedoch verhältnismäßig jung (z. B. die Jazz-W.e um das „Goldene Band“, Wienerlied-W.e in Wien (s. Abb.) sowie Volkslieder-Wettsingen in Salzburg/Land in den 1930er Jahren; um das Große Silberne Band 1936; die Goldene Nadel der Volkskunst 1939; Volksmusikwettbewerb in Tirol seit 1974 im Zweijahresrhythmus). Soweit sie Zwecken der Qualitätssteigerung (z. B. Fritz Kreisler-W. Wien seit 1979, Chor-W. Spittal an der Drau 1964; der Blasmusik [dzt. Konzertwertungsspiele, Marschmusikbewertungen, Musik in kleinen Gruppen, Jugendblasorchester-W.], der MusicMaker in Mistelbach/NÖ seit 2002) und/oder Pädagogik (Musikunterricht) dienen (Jugendmusikwettbewerbe), gehorchen sie trotz vordergründiger Vergleichbarkeiten mit modernem Sport ursprünglicheren Motiven des W.s, während andere stärker, allerdings selten erklärtermaßen, von Denken des Musikmarkts (Musikindustrie) geprägt und auf künftige „Stars“ aus sind, daher nicht zufällig meist von Fernsehanstalten durchgeführt werden (z. B. Grand Prix oder Krone der Volksmusik seit 1991; Starmaniades ORF 2002/03, 2003/04, 2006/07 und 2008/09 oder Helden von morgen 2010/11). In vielen Fällen können Spitzenplätze bei W.en den Beginn einer einschlägigen Karriere einleiten, allerdings nicht unbedingt (z. B. wird die Wirkung des seit 1955 durchgeführten und seit 1968 so genannten europäischen Songcontests in Ländern mit besonders starker einschlägiger Tradition [2015] geradezu gegenteilig eingeschätzt). Es gibt auch nicht wenige Künstler, die grundsätzlich gegen W.s-Mechanismen oder davon ausgelöste Vereinnahmungen und Kommerzialisierungen auftreten (z. B. O. M. Zykan). Außerdem sind sowohl diese Erscheinung als auch Probleme nicht auf die Musik beschränkt, sondern z. B. auch im Literaturbetrieb (wie das Vorlesen im Zuge des in Klagenfurt vergebenen Ingeborg Bachmann-Preises) oder in der Architektur (nach Ausschreibungen) zu finden.


Literatur
J. Huizinga, Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel 1938; I. Weiler, Der Sport bei den Völkern der Alten Welt 1981; Ch. Kaden, Das Unerhörte u. das Unhörbare 2004; H. Wenzel in MusAu 22 (2003); E. Th. Fritz/H. Kretzschmer (Hg.), Wien Musikgesch. 1 (2006); M. Egg/D. Kramer, Krieger, Feste, Totenopfer.Der letzte Hallstattfürst von Kleinklein in der Steiermark = Mosaiksteine. Forschungen am Römisch-Germanischen Zentralmuseum 1 (Mainz 2005); Der Vierzeiler 32/2 (2012); eigene Recherchen.

Autor*innen
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
5.4.2023
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Flotzinger, Art. „Wettbewerb‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 5.4.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00034cdf
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Mizzi Färber, „Königin des Wiener Liedes“, bei einem vom Kroneggerbund ausgerichteten W. (Wiener Bilder, 23.7.1933, 6)© ANNO/ÖNB

DOI
10.1553/0x00034cdf
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