Die Geschichte des Wiener (Hof-)Opernballetts reicht in die Mitte des 18. Jh.s zurück (Ballett, Wiener Hofoper). Die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs umbenannte und umstrukturierte ehemalige Hofoper (bald u. a. Operntheater, erst 1938 endgültig Staatsoper, zuletzt – auch offiziell – Wiener Staatsoper genannt, in der Literatur überwiegend so bezeichnet; ebenso das Ballettensemble) brachte eine Verringerung der Anzahl an Tänzern und auch der Ballettaufführungen mit sich – vorwiegend wurden die im Opernbetrieb anfallenden Balletteinlagen angesetzt. Das Ensemble selbst blieb damit zwar weiterhin ein Bestandteil der Institution Oper, eigenverantwortliches Agieren war aber noch nicht möglich. Abhängig war man von den Interessen des jeweiligen Operndirektors, die Suche nach einem neuen künstlerischen Weg wurde dadurch wie auch von der aus politischen Gründen erzwungenen Beendigung der Kontakte z. B. zum russischen Ballett erschwert. Kurzzeitig brachte nach dem Ersten Weltkrieg der auswärtige Choreograph und bekannte moderne Tänzer Ernst Matray (1881–1978) erfolgreiche Unterstützung. 1920–22 war Carl Raimund sen. (1871–1951) Ballettmeister. Stärkere Beachtung fand das Ballett hinsichtlich seiner Präsentation dann u. a. von R. Strauss, der selbst erfolgreiche Tanzwerke schrieb: Choreograph H. Kröller, bis 1928 als Ballettmeister (1924–28 gemeinsam mit L. Dubois) im Haus, gestaltete u. a. meisterhaft dessen Josephs Legende und Schlagobers. Ihm folgten als Ballettmeister hintereinander drei Choreographen unterschiedlicher Stilrichtungen: Georges Kjakscht (1873–1936) aus der Schule von St. Petersburg/RUS, die international anerkannte Bronislawa Nijinska (1891–1972) und der moderne Tänzer Sascha Leontjew (1897–1942). Zahlreiche ausländische Solisten, Truppen und Choreographen bereicherten seitdem das Ensemble. Als Choreographen und Ballettmeister bewährten sich die auch als Solotänzer und Lehrer tätig gewesenen T. Birkmeyer (1931–34) und W. Fränzl (1935–62; v. a. erfolgreich mit Darstellungen des Wiener Walzers). In dieser Zeit feierte auch G. Wiesenthal Erfolge, rasch wechselnde Haus-Choreographen bei auf ca. 50 Mitglieder verringertem Ensemble weniger. 1934–39 sorgte M. Wallmann mit dem Titel Ballettregisseurin immerhin für Kontinuität. 1940–42 leitete die vorwiegend in Hamburg/D tätige Choreographin Helga Swedlund (1904–nach 1995) das Ballett. Zwischen 1942/58 suchte den Anschluss an die internationale Szene E. Hanka, deren Ziel und Stil es war, dem bis dahin fast alles beherrschenden klassischen Ballett modernen Ausdruckstanz gegenüberzustellen (sie schuf 38 Ballette, 16 davon nach eigenem Libretto). Sie bemühte sich auch mit Erfolg (bei wieder ansteigender Ensemblemitgliederzahl) um Heranziehung talentierten Nachwuchses und konnte zahlreiche Tänzerinnen zu Primaballerinen formen. Sie bereitete auch den Weg dafür, klassisches Ballett wieder in Originalfassungen einstudieren zu lassen. Auf Hanka folgte (unter Operndirektor H. v. Karajan) D. Parlić als Ballettmeister, 1962–66 und 1971–74 der dem Mythos-Ballett eher als dem realen Handlungsballett huldigende A. v. Miloss, der bedeutende Gast-Choreographen verpflichten konnte (Dame Ninette de Valois, George Balanchine, Léonid Massine). Den ersten international gewürdigten Höhepunkt erlebte das Wr. St. in dieser Ära durch die Verpflichtung R. Nurejews, der zwischen 1964/88 als Tänzer und Choreograph mit dem Wiener Ensemble intensiv arbeitete und wichtige Weichen für die Zukunft stellte. 1966–71 wirkte W. Orlikowsky mit üppig ausgestatteten Inszenierungen an der Spitze des Wr. St.s, aus dem Haus folgte 1974–78 der ehemalige Solotänzer R. Nowotny als Ballettmeister, 1981 wurde mit G. Dill die erste Frau aus der Wiener Ballettschule Ballettmeisterin. 1976 wurde (bis 1991) ein nicht aus der Praxis Stammender zum Direktor des Wr. St.s berufen: G. Brunner, der davor als Tanz- und Musikkritiker gewirkt hatte, beauftragte zahlreiche in der modernen Szene bekannte Choreographen mit der Schaffung neuer Werke. G. Dill unterstützten bei den in der Folge rasch anwachsenden Aufgaben für das Ensemble (1986: 85 Mitglieder) der Kubaner Carlos Gacio (* 1937), der Pressburger Milan Hatala (* 1943) und der Budapester Zoltan Nagy (* 1941). Nach E. Tschernischova (1991–93) und A. Woolliams (1993–95) war ab 1995/96 der ehemalige Tänzer R. Zanella Direktor und trat ebenfalls mit zahlreichen Choreographien in Erscheinung. 2005–2010 war Gyula Harangozó (1981–91 Solotänzer an der Wiener Staatsoper) Direktor des Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper sowie Künstlerischer Leiter der hauseigenen Ballettschule, deren Wurzeln auf die 1771 von J. G. Noverre gegründete Theatral-Tanzschule zurückgeht und die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Regel von den jeweiligen Ballettmeistern geleitet wurde. 1980 erhielt sie eigene Räume im Hanuschhof in der Goethegasse 1 (Wien I). Seit der Vereinigung der Compagnien von Staats- und Volksoper wird dort (zunächst unter der geschäftsführenden Leitung der früheren Solotänzerinnen Jolantha Seyfried [* 1964], seit 2010 Simona Noja-Nebyla [* 1968 Huedin/ROM]) für beide Häuser gearbeitet. Seit 1.9.2010 steht das W. St. unter der Leitung von Manuel Legris (* 19.10.1964 Paris). – Der heutige (2019) Personalstand des Wr. St.s unter Balletdirektor Legris und der 1. Ballettmeisterin und Stellvertreterin des Ballettdirektors, Vesna Orlic: 15 Solotänzer(innen); 4 Gastsolist(inn)en; 23 Halbsolist(inn)en; im Corps de ballet: 21 Tänzerinnen und 16 Tänzer (Staatsoper) sowie 13 Tänzerinnen und 12 Tänzer (Volksoper).
Eine Tradition des Wr. St.s sind Gastspiele bei internationalen Festspielen, aber auch für dieses Ensemble geschaffene Veranstaltungen wie die – auf Kontakte des dortigen Fremdenverkehrsvereins mit Tänzern des Balletts, die regelmäßig dort ihren Urlaub verbrachten, zurückzuführenden – seit 1993 alljährlich in Altaussee/St, zunächst auf einer Holzbühne im sog. Seewirt-Saal, seit 1994 in einem eigens aufgebauten Zelt am Altausseer See, stattfindenden Produktionen mit verschiedenen Themenschwerpunktthemen. Nach einer Idee von R. Zanella wurde so z. T. ein Kontrastprogramm zum Ballettrepertoire der Wiener Staatsoper erarbeitet.
R. Raab in A. Seebohm (Hg.), Die Wr. Oper 1986; W. Sinkovicz, Das Haus am Ring 1996; Raab 1994; [Kat.] 100 Jahre Wr. Oper 1969; https://www.wiener-staatsoper.at/die-staatsoper/staatsballett/ (2/2019); https://www.wiener-staatsoper.at/die-staatsoper/junge-staatsoper/ballettakademie/ (2/2019); eigene Recherchen.
Monika Kornberger