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Volksmusikpflege
Aktive Förderung von Volksmusik in der Kulturpraxis, also im Bildungswesen, im Vereinsleben, in freien Gruppen, in den Medien. Sie ist das Anliegen einer bürgerlichen, städtisch orientierten Schicht mit einem gewissen Bildungsanspruch und einem Wertbewusstsein vorwiegend im geistig-kulturellen Bereich. Die hinter der V. wirkende Ideologie hat sich im Lauf der Geschichte mehrfach geändert. Die V. beginnt in Österreich mit J. Pommer, dem Begründer der systematischen Volksmusikforschung in Österreich, der 1889 den Deutschen Volksgesangverein und 1899 die Zeitschrift Das deutsche Volkslied gegründet hat. Sein Bestreben war, in das im 19. Jh. aufblühende Chorwesen (Gesangvereine, Männergesang) das Volkslied hineinzutragen, das für ihn eine vorwiegend nationale Bedeutung hatte. Gepflegt wurden deutsche Volkslieder aller Landschaften, Stile und historischen Epochen in einfachen Sätzen. Dass dieser Chorgesang das angestrebte Ziel, nämlich die Erneuerung des Volksgesanges im Volk selbst, eigentlich nicht erreichte, wurde ihm zwar im Lauf seiner Arbeit bewusst, doch gelang es ihm nicht, diese Kluft zu überwinden. Das grundsätzliche Problem, von „außen“ bzw. von „oben“ die Erneuerung einer Kultur von „unten“ bewirken zu wollen, stellt sich seither den Exponenten der V. immer wieder und wird kritisch kommentiert. Etwa gleichzeitig mit Pommers Aktivitäten entstanden in Österreich auch die ersten Trachtenvereine, die sich mit ihren Schuhplattlergruppen hauptsächlich der Tanzpflege (Volkstanz) widmeten. Ausgehend von bayerischen Vorbildern wurde als erster österreichischer Trachtenverein 1891 die Salzburger Alpinia ins Leben gerufen. Auch die Trachtenvereine verloren zunehmend die Verbindung mit der tatsächlichen ländlichen Kultur, auf die sie sich beriefen, und entwickelten ihr eigenes Vereinsleben, ihre Vereinstrachten und Vereinstänze.

Etwas anders gelagert waren die Aktivitäten von R. Zoder, der in der Zwischenkriegszeit entscheidende Verbindungen zur Volksbildung knüpfte und dadurch zum ersten Mal auch die einfachen Menschen auf dem Land erreichte. Hunderte solcher Laien gingen durch seine Kurse im Volksbildungsheim Hubertendorf/NÖ, manche waren Gewährsleute, Sammler und Pfleger in einer Person. Zoders V. orientierte sich musikalisch an den Quellen, auch in Hinblick auf die Aufführungspraxis, und organisatorisch am Volksleben unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede. Mit der Gründung des Pfeifertages, einem alljährlichen Treffen der Seitelpfeifer (Schwegel) des Salzkammergutes auf einer Alm am 15.8.1925 war Zoder ein nachhaltiger Erfolg beschieden; das Treffen existiert bis heute (2006) und erfreut sich steigender Beliebtheit. Einer der ersten Pfeifertage wurde bereits von der österreichischen Rundfunkgesellschaft RAVAG übertragen, die dann in Zusammenarbeit mit dem Volksliedsammler und Obmann des Deutschen Volksgesangvereines G. Kotek und mit dem Journalisten Andreas Reischek in den 1930er Jahren an verschiedenen Orten die sog. RAVAG-Singen veranstaltete, Wettsingen (Wettbewerbe) vor Mikrophon, zu denen Überlieferungsträger eingeladen und von einer Fachjury bewertet wurden. Das erste Volksliederwettsingen fand 1932 in St. Johann im Pongau/Sb statt nach dem Vorbild der Oberbayerischen Preissingen in Egern am Tegernsee 1930 und in Traunstein 1931, organisiert von dem Musikanten Georg Windhofer. Die Riederinger Sänger und die Gruppe Sontheim-Burda-Vögele-Treichl aus dem Chiemgau, die in St. Johann auftraten, sangen damals österreichische Lieder, die sie durch Publikationen kennengelernt hatten, „in reizvollster lebendiger Erneuerung des mehrstimmigen Zusammensingens“, wie der Volksliedforscher C. Rotter formulierte. Die v. a. im niederösterreichischen Schneeberggebiet aufgezeichnete enge Dreistimmigkeit entsprach den Klangvorstellungen vieler Sänger so sehr, dass sie diese mehr und mehr zu übernehmen begannen. Die enge Dreistimmigkeit ist bis heute Standard in der alpenländischen V.

Auf dem Sektor der Instrumentalmusik ist in den 1930er Jahren von dem Salzburger Musikanten und Volkskultur-Aktivisten Tobi Reiser gemeinsam mit dem Musikinstrumentenbauer Heinrich Bandzauner das chromatische Salzburger Hackbrett entwickelt worden, das großen Anklang in der V. fand und nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der bis heute überaus beliebten Stubenmusik wurde. Während der Zeit des Nationalsozialismus unterstützten viele große und kleine Volksmusikpfleger den propagandistischen Missbrauch der Volksmusik, darunter leider auch Persönlichkeiten von so weittragender Bedeutung wie T. Reiser. Nach dem Krieg folgte in der V. zunächst ein Rückzug auf heimatliche und religiöse Werte, deren Ausdruck v. a. das von T. Reiser gemeinsam mit dem Heimatdichter Karl Heinrich Waggerl 1946 initiierte Adventsingen ist, das viele Orte zu ähnlichen Veranstaltungen veranlasste und ein Pendant im Passionssingen (Passionslied) hat, sowie das Entstehen von Mundartmessen, inspiriert vom Vorbild der Deutschen Bauernmesse von Annette Thoma (UA 1933). In Kärnten entstand in dieser Zeit das „Neue Kärntnerlied“ mit gefühlvollen lyrischen Texten, das sich durch die Singwochen rasch verbreitete. In den 1960er Jahren hat der Volksmusikforscher Wa. Deutsch im Niederösterreichischen Rundfunk eine Rückbesinnung auf den authentischen Volksmusikklang eingeleitet, dem bis zur Einführung des Formatradios in den 1990er Jahren Volksmusik- und Volkskulturreferenten in allen Landesstudios mehr oder weniger gefolgt sind.

Heute wird die V. in allen Bundesländern weitgehend von privaten Vereinen getragen, von der öffentlichen Hand unterstützt und durch entsprechende Publikationen gefördert; Singwochen und Musikantenwochen erfreuen sich großer Beliebtheit. Eine der ältesten Singwochen ist die unter H. Derschmidt aus der 1948 gegründeten Welser Rud hervorgegangene Almsingwoche in Oberösterreich, die von Walther Hensel beeinflusst war, ebenso wie die 1952 von A. Anderluh gegründete Turnersee-Singwoche in Kärnten. Volksmusikwettbewerbe sind seit 1960 das Bischofshofner Amselsingen und der seit 1996 als Preis vergebene Pongauer Hahn; als überregionales Ereignis findet seit 1974 im Zweijahresrhythmus in Innsbruck der Alpenländische Volksmusikwettbewerb statt. Aus dem Unbehagen mit der konzertanten Vorführung von Volksmusik sind die Sänger- und Musikantentreffen, die Musikantenstammtische und der Geigentag entstanden, die danach trachten, die volksmusikalischen Aktivitäten in die Geselligkeit von Familien, Freundeskreisen und Wirtshäusern zurückzuholen.

Ein Netz von Aktivitäten (Feldforschung, Servicestellen für Liedanfragen, Weihnachtsliederbüro, Herausgabe von Zeitschriften, Liederblättern und -büchern, Veranstaltung des Geigentages, von Singtagen, Musikantenwochen u. ä., Vergabe der Auszeichnung Musikantenfreundliche Gaststätte) kennzeichnet die Arbeit des Steirischen Volksliedwerkes, das hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Das Thema Volksmusik in der Schule – durch die Abwendung vom Singen eigener Volkslieder nach dem Missbrauch deutschen Liedgutes in der Zeit des Nationalsozialismus sehr schwierig geworden – ist seit den 1990er Jahren wieder mehrfach thematisiert worden. Seit 1997 wird mit dem Projekt Mit allen Sinnen vom Österreichischen Volksliedwerk gemeinsam mit den Volksliedwerken der Bundesländer und den FachinspektorInnen für Musikerziehung Volkskultur in Schulen vermittelt.


Literatur
H. Derschmidt in W. Deutsch (Hg.), Tradition u. Innovation 1987; W. Deutsch/U. Hemetek, Georg Windhofer (1887–1964). Sein Leben, sein Wirken, seine Zeit. Gelebte Volkskultur im Land Salzburg 1990; W. Deutsch, Tobi Reiser. 1907–1974. Eine Dokumentation 1997; W. Deutsch in W. Haas (Hg.), [Kgr.-Ber.] Volkskunde u. Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Salzburg 1994, 1996; G. Glawischnig in F. Koschier (Hg.), Karntnarisch gsungan – karntnarisch gspielt. Beiträge zur Volksmusikforschung u. -pflege 1972; F. Grieshofer in H. Schnur (Hg.), Tagungsbericht zum Symposium „Ländliche Kulturformen – ein Phänomen in der Stadt“ (1994); G. Haid in W. Deutsch/F. Pietsch (Hg.), Sommerakad. Volkskultur 1993, 1994; H. Härtel, Vorträge, Leitartikel, Reden, Glossen, Zitate 1999, 47–64; A. Mauerhofer in Zur Praxis u. Theorie gegenwärtiger V. 1977 [Protokoll der Arbeitstagung 1976, veranstaltet v. der Kommission f. Lied-, Musik- u. Tanzforschung in der Dt. Ges. f. Volkskunde]; Th. Nußbaumer et al. (Hg.), Musikpädagogik u. Volksmusikforschung – Chancen einer Zusammenarbeit 2003; Th. Nussbaumer in M. Oebelsberger/W. Reinstadler (Hg.), [Fs.] J. Sulz 1996; Sätze und Gegensätze. Beiträge zur Volkskultur 1993ff; J. Sulz/Th. Nußbaumer, Religiöse Volksmusik in den Alpen. Musikalisch-volkskundliche u. theologische Aspekte 2002.

Autor*innen
Gerlinde Haid
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Gerlinde Haid, Art. „Volksmusikpflege‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e5d8
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