(I) Ostasiatische, auf dem Weg über die Seidenstraße in den Vorderen Orient gelangte Praktiken der „musikunterstützten“ Kriegsführung wurden im Abendland von türkischen Truppen erstmals im 12. Jh. mit Erfolg eingesetzt: als Kreuzfahrer mit türkischen Heeren zusammenprallten. Dass es sich dabei um eine „neue“, bislang im Abendland nicht in dieser Form übliche Nutzung von Musik handelte, wird aus dem Bericht von Geoffrey de Vinsauf deutlich, der als Teilnehmer am Kreuzzug Richards I. in das Heilige Land 1188 den „horrid clang“ der Trompeten und Schlaginstrumente beschreibt, der in seiner ungewohnten Lautstärke und Klangfarbe die christlichen Truppen vor Angst erschaudern ließ. Bei der Belagerung von Konstantinopel (1191) wurde der Klang der Alarmglocken in der Stadt von der tagelang vor dem Angriff bereits den Verteidigern zugespielten „Musik“ der Angreifer überlagert. Musik wurde so in der psychologischen Kriegsführung der Türken zu einer Waffe von besonderer Wirksamkeit. Noch aus der Darstellung der Musikgruppen auf dem großen Bild von der Schlacht bei Mohács/H (1526), in der das Christenheer eine vernichtende Niederlage hinnehmen musste ( Türkenlieder), wird deutlich, wie sehr sich das Verständnis von Militärmusik in Okzident und Orient bis in das 16. Jh. unterschieden hat. Dies konnte den christlichen Feldherren nicht verborgen bleiben, und so begann sich das Verständnis von der Funktion der Militärmusik auch im christlichen Abendland zu verändern.
Durch türkische Delegationen kam die T. M. an europäische Kaiser- und Fürstenhöfe. Plakativ erscheint der Einzug der T.n M. durch den Panduren-Obersten Franz von der Trenck 1741 in das mariatheresianische Wien. Daraus leitet die neuere österreichische Militärmusik symbolisch, wenn auch nicht de facto, ihren Beginn ab.
In der Folgezeit finden sog. „Türkische Märsche“ (s. Tbsp.) Eingang in die abendländische Kunstmusik, werden sogar in Symphonien und Opern verwendet. An der Mode der türkischen Kompositionen beteiligten sich alle größeren und kleineren Meister, von Ch. W. Gluck über J. und M. Haydn sowie W. A. Mozart bis zu L. v. Beethoven. Es handelt sich dabei um stilisierte Formen des „Angst machenden“ Urbilds, wobei v. a. die typisch-türkischen Oboen- und Trompeteninstrumente, eine Melodik mit scharfen Vorschlägen, Becken (die in der österreichischen Blasmusik noch immer als Tschinellen = chinesisch J’in bezeichnet werden), Triangel, Glöckchen (als Schellenbaum-Ersatz), zum Einsatz kommen.
Das in diesem Zusammenhang auch gebrauchte Wort „Janitscharen-Musik“ ist irreführend. Die türkische Elitetruppe der Janitscharen, die 1329–1826 nachzuweisen ist, rekrutierte sich aus zwangsweise dem Islam zugeführten christlichen Gefangenen und Untertanen. Diese hatten zwar die „türkische“ Kriegsmusik (auch) auszuführen, es handelte sich aber keinesfalls um „ihre“ Musik.
(II) Für das an Beliebtheit ständig zunehmende Pianoforte, das mehr und mehr als „Einmann-Orchester“ verstanden wurde, brachte man nun auch zahlreiche Orchester- und Operntranskriptionen heraus. Gleichzeitig wurden in die neuen und klangstärkeren Klaviere die dazugehörigen Effektregister übernommen (Klavierbau). Die älteste Mutation dieser Art dürfte das (ursprünglich nur mit Handknopf zu betätigende) Fagottregister gewesen sein, wobei eine mit Papier, Seide oder Jungfernpergament (Darmleder, kein Schreibpergament) garnierte Holzleiste an die tiefen Saiten geführt wird und einen trocken-schnarrenden Ton ergibt. Es ist nicht genau bekannt, wann und wo die Effektregister der „Janitscharenmusik“ mit Pauke, Tschinellen (Metallstreifen, die gegen die Basssaiten schlagen), Glöckchen und Fagott erstmals im Klavierbau eingesetzt wurden. Als frühestes datierbares Instrument mit einem Fagottzug gilt das vor 1793 in Wien gebaute Orgelklavier von F. X. Christoph (heute im Südmährischen Museum, Jevisovice/CZ). Heinrich Welcker v. Gontershausen schreibt, dass Vincenz von Blaha in Prag 1795 „einen Flügel bauen ließ, der die ganze Janitscharenmusik in sich vereinigte. Die Vorrichtung für Schlag- und Blasinstrumente wurde mit den Füßen [wohl mit Kniedrückern] regiert.” Quellenkundlich erscheint das Fagottregister in Wien erstmals in einer Annonce der Wiener Zeitung vom 3.12.1796. Die Angabe bei Gontershausen steht im Widerspruch zum Firmenverzeichnis von Anton Redl, worin 1826 der Wiener Klaviermacher A. Zierer als „Erfinder der T.n M. auf dem Fortepiano“ genannt wird. Da kein Klavier vor ca. 1810–15 bekannt ist, das die Mutationen Pauke, Glöckchen oder „Tschinellen“ aufweist, könnte es sein, dass Zierer letztgenannte Register erstmals für Pedalbetrieb einrichtete. Die „Verschiebung“ (una corda) und das „Piano“ (bzw. das mit zweilagigen Tuchzungen gebaute „Pianissimo“) gehörten neben der Dämpferhebung bald zur Standardausstattung des Klaviers. Beim „Lautenzug“ wurde eine mit Tuch oder weichem Leder garnierte Leiste gegen die Saiten gedrückt, beim „Harfen- oder Bürstenzug“ eine mit Tuchfransen garnierte Leiste auf die Saiten gesenkt. Insgesamt findet man bis zu sieben Pedale, in den Flügeln vor 1815 bisweilen noch mit Kniehebeln kombiniert.
Die Meinung der Zeitgenossen zu den Effektregistern war ambivalent. Die große Häufigkeit, mit der man diese Veränderungen in Klavieren der Frühromantik vorfindet, lässt auf eine rege Nachfrage seitens der Musikliebhaber schließen. Andererseits war die Meinung einiger Klavierbauer wie auch der Klavierpädagogen und Pianisten häufig ablehnend; in vielen Klavierschulen des frühen 19. Jh.s werden die Effektregister als unnötiger Humbug abgetan.
A. Streicher, der sich noch 1802 weigerte, ein Piano- oder Fagottregister zu bauen, beugte sich zwei Jahre später der Nachfrage seiner Leipziger Verleger Breitkopf & Härtel. Von Carl Dieudonné und Johann Schiedmayer wurden Trommel und Glöckchen zwar ebenfalls als „Kinderspielzeug“ bezeichnet, Piano und Fagott jedoch bei den etablierten Registern beschrieben. C. Czerny hingegen lehnte in seiner Klavierschule von 1839 alle klangverändernden Mutationen kategorisch ab.
G. Joppig in Das Musikinstrument 40/8 (1991); G. Oransay in Die Volkskultur der südosteuropäischen Völker. Südosteuropa-Jb. 6 (1962); M. Pirker in [Kat.] Die Klangwelt Mozarts. Wien 1991 , 1991; E. H. Powley, Turkish Music: An Historical Study of Turkish Percussion Instruments and Their Influence on European Music , Diss. Univ. of Rochester 1968; E. Schneider in E. Brixel (Hg.9), [Kgr.-Ber.] 4. Internationale Fachtagung zur Erforschung der Blasmusik. Uster/CH 1981, 1984; W. Suppan in Das Musikinstrument 34/4 (1985); W. Suppan in R. Schumacher (Hg.), [Fs.] J. Kuckertz 1992; W. Suppan in M. Büttner/W. Leitner (Hg.), Beziehungen zw. Orient u. Okzident 2 (1993); R. Harding, The Piano-Forte 21978; H. Welcker v. Gonterhausen, Der Flügel oder die Beschaffenheit des ganzen Pianos 1856, 115; R. Maunder, Keyboard instruments in Eighteenth-Century Vienna 1998, 182; A. Redl, Kalender u. Handlungsgremien-Schema der k. k. Haupt- u. Residenzstadt Wien f. das Jahr 1826 , 1826 (Nr. 41); W. Lütge in Der Bär. Jb. v. Breitkopf & Härtel auf das Jahr 1927 , 1927; J. L. Schiedmayer/C. Dieudonné, Kurze Anleitung zu einer richtigen Kenntnis u. Behandlung der Forte-Pianos 1824, 21; A. Huber in Scripta Artium 1 (1999); Ch. Ahrens, „... einen überaus poetischen Ton“. Hammerklaviere m. Wr. Mechanik 1999, 51–68.
Alfons Huber