Tanzlied
Lied, das während des Tanzens von den Tanzenden selbst gesungen wird. Durch das ganze
Mittelalter sang man zum Reigen, entweder alle gemeinsam, oder der Vorsänger stimmte an und alle fielen in den Kehrvers ein. Als
T.er verwendet wurden
Liebeslieder, Epen (
Epos) und
Balladen, Rüge- und Spottlieder, Tiersagen, Rätsel, Wunsch-, Wett- und Lügenlieder, sogar geistliche Lieder. Unter den höfischen Dichtern, die zum Reigen vorsangen und vortanzten, war der mit dem
Wiener Hof verbundene
Neidhart von Reuenthal, in dessen Poesie sich zahlreiche Hinweise auf gesungene Reigen finden. Beim Tod von Hzg. Leopold VI. von
Österreich 1230 klagten die Wiener:
„Wer singet uns nû vor / zu Wiene ûf dem kor, / als er vil dicke hât getan? / wer stift uns nû den reien in dem herbst und in dem maien?“. Wie wichtig die Texte der Reigenlieder genommen wurden, zeigen Verbote durch die geistliche und weltliche Obrigkeit; so wird in einer Wiener Handschrift, die eine Predigt aus dem 15. Jh. wiedergibt, beim Tanz dem
„gesanck der frauwen“ mehrfacher moralischer Schaden nachgesagt. Die Reigenlieder verloren sich seit der Mitte des 17. Jh.s durch das Aufblühen der
Instrumentalmusik und das Aufhören des Tanzens im Freien, das mit dem Absterben der Reigentänze einherging. Ein Nachleben fand der gesungene Reigentanz lediglich im Kindertanz, in Spielen und in einigen Rückzugsgebieten. So bemerkt Pailler über das zu seiner Zeit noch aufgeführte St. Oswalder Weihnachtsspiel aus dem Mühlviertel/OÖ, dass bei einer Szene von den Hirten das Lied
„Ein Kind geborn zu Bethlehem“ gesungen und dabei
„gemessenen Schrittes ein Reigen um die Krippe geführt“ werde. An der bayerisch-tirolisch-vorarlbergischen Grenze im Allgäu war bis in die 1860er Jahre in einzelnen Orten zur Sommerszeit das „Reihen“ am Sonntag Nachmittag als gesungener Kreistanz der Ledigen üblich. Gesungen wird heute (2006) noch zum
„prvi rej“ (= erster Reigen) beim Gailtaler Kirchtagstanz (
Kirchtag) in Südkärnten (
Kärnten).
Im österreichischen Volkstanz sind einige ältere Singtänze erhalten geblieben, die nun zwar meist instrumental ausgeführt werden, zu denen aber nach wie vor auch gesungen wird, wie z. B. der 1819 im Montafon/V dokumentierte Siebensprung, weiters der Neubayrische, der Strohschneider, das Hiatamadl
, der Siebenschritt
, die Schusterpolka, der Polsterltanz, der Gibele-Gäbele, Drei lederne Strümpf, der Schwabentanz u. v. a. Dabei hat sich seit dem 17. Jh. das T. zum Ländler mit all seinen Sonderformen, das sog. Gstanzl, als die wichtigste Tanzliedgattung herausgebildet. In neuerer Zeit entstanden Tanzreime auf beliebt gewordene Instrumentalmelodien der Gesellschaftstänze (Schottisch, Polka, Galopp, Walzer u. a.), wie z. B. O du lieber
Augustin oder Wånns kan Schnee mehr åbaschneibt zu dem beliebten Schneewalzer von Th. Koschat. Solche und andere gemütliche Weisen wurden z. B. im Tullnerfeld/NÖ zum Ausklang dörflicher Tanzfeste aneinandergereiht zum Tanz gespielt und von den Tanzenden mitgesungen.
A. Anderluh in Tanz u. Brauch. Aus der musikalischen Volksüberlieferung KärntensAnton Anderluh, Das Tanzlied und die Tanzmelodie im Volkslied. Mit besonderer Berücksichtigung des Kärntnerliedes, in: Tanz und Brauch. Aus der musikalischen Volksüberlieferung Kärntens. Roman Maier, dem Sammler und Pfleger von Kärntnerlied- und Kärntnertanzgut, zur Vollendung seines 75. Lebensjahres dargebracht. (Kärntner Museumsschriften 19). Klagenfurt 1959, 79–90. 1959; F. M. Böhme, Gesch. des Tanzes in DeutschlandFranz Magnus Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland. Leipzig 1886., 2 Bde. 1886 (ND 1980); F. M. Böhme, Dt. Kinderlied u. Kinderspiel, Franz Magnus Böhme, Deutsches Kinderlied und Kinderspiel Volksu¨berlieferungen aus allen Landen deutscher Zunge. Leipzig 1924.Neudruck 1924; H. Derschmidt in JbÖVwHermann Derschmidt, Über Singtänze und Tanzlieder in Oberösterreich, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 32-33. Wien 1984, 175–192. 32/33 (1984); P. Haegele in M. Bröcker (Hg.), Tanz u. Tanzmusik in Überlieferung u. GegenwartPeter Haegele, Der Reihen und seine Verwandtschaft, in: Marianne Bröcker (Hg.), Tanz und Tanzmusik in Überlieferung und Gegenwart (Schriften der Universitätsbibliothek Bamberg 9). Bamberg 1992, 73–82. 1992; F. Hoerburger/H. Segler, Klare, klare Seide. Überlieferte Kindertänze aus dem dt. SprachraumFelix Hoerburger/Helmut Segler, Klare, klare Seide. Überlieferte Kindertänze aus dem deutschen Sprachraum. Kassel–Basel 1963. 1963; F. Koschier in JbÖVwFranz Koschier, Die Gailtaler Burschenschaft und ihr Lindentanz, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 6. Wien 1957, 79–87. 6 (1957); G. Meyer, Tanzspiele u. SingtänzeGertrud Meyer, Tanzspiele und Singtänze. Leipzig 1907. 1907; W. Pailler, Weihnachtslieder u. Krippenspiele aus Oberösterreich u. TirolWilhelm Pailler, Weihnachtslieder und Krippenspiele aus Oberösterreich und Tirol. Innsbruck 1881., 2 Bde. 1881; C. Rotter, Der Schnaderhüpfl-Rhythmus. Vers- u. Periodenbau des ostälpischen T.sCurt Rotter, Der Schnaderhüpfel-Rhythmus. Vers- und Periodenbau des ostälpischen Tanzlieds, nebst einem Anhang selbstgesammelter Lieder. Eine Formuntersuchung (Palaestra 90). Berlin 1912. 1912; K. Schnürl et al. (Hg.), Lieder aus dem Tullnerfeld aus der Slg. Leopold BergolthKarl Schnürl (Hg.)/Hans Sinabell (Hg.)/Heinrich Zawichowski (Hg.), Lieder aus dem Tullnerfeld. Aus der Sammlung Leopold Bergolth. Tulln–Mödling 1992. 1992; R. Zoder, Österr. Volkstänze, 3 Bde. 21958.
15.5.2006
Gerlinde Haid,
Art. „Tanzlied“,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
15.5.2006, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e43e
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