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Streichtrio
Der Begriff bezieht sich seit dem späteren 18. Jh. entweder auf eine Komposition für drei Streichinstrumente (engl. string trio, frz. trio à cordes, ital. trio d’archi), üblicherweise Violine, Viola und Violoncello oder zwei Violinen und Violoncello, oder aber auf eine Besetzungsformation. Obwohl die Bezeichnung Trio eine Zugehörigkeit zur Triosonate zu implizieren scheint, handelt es sich beim St. im Gegensatz zur Triosonate mit ihren zwei gleichberechtigten Melodieinstrumenten und B. c. um eine Gattung mit drei klanglich abgestuften Instrumenten und einer eigenständigen Entwicklung. Die Unabhängigkeit des St.s sowohl von der Triosonate als auch vom Streichquartett wird u. a. dadurch belegt, dass gegen 1800 all diese Gattungen parallel nebeneinander existierten.

Vom Beginn des 17. Jh.s an wurde der dreistimmige Satz insbesondere in der Sonata da chiesa (Kirchensonate) und Sonata da camera (Kammersonate) gepflegt, darüber hinaus gegen 1700 und danach intensiv in Form des Bläsertrios mit zwei Oboen und Fagott. Nach dem Vorbild Jean-Baptiste Lullys verbreitete sich das Bläsertrio rasch in der italienischen Oper, insbesondere in Deutschland und in Wien (F. T. Richter, G. und A. Bononcini, J. J. Fux, A. Caldara). Bezog sich jedoch der Besetzungshinweis a tre (bzw. a due) in der Sonatenproduktion des 17. Jh.s noch allgemein auf eine dreistimmig gesetzte Komposition (ohne Berücksichtigung der Anzahl der tatsächlich mitwirkenden Instrumentalisten), änderte sich die Bedeutung nach 1750 im Sinne einer Komposition für drei Streichinstrumente oder Cembalo (Pianoforte) und zwei begleitende Instrumente. Eine Sonderform bildet in diesem Zusammenhang das Barytontrio J. Haydns.

Um 1720 wurde der dreistimmige Satz mit Unisono-Violinen, Viola und B. c. anstatt der früheren Besetzung mit zwei Violinen und B. c. in der italienischen Oper inn- und außerhalb Italiens aktuell. In der Wiener Hofoper finden sich derartige dreistimmig gesetzte Arien bei A. Caldara (Il Coriolano, 1717, Il Tiridate, overo La Verità nell’Inganno, 1717) oder F. Conti (La Galatea Vendicata, 1719); besonders aufschlussreich ist hier das regelmäßige Weglassen des Cembalos (senza Cembalo) in den vokalen Abschnitten, das einen reinen dreistimmigen Streicherklang entstehen lässt. Die Hypothese der Verwurzelung des St.s im dreistimmigen Orchestersatz bestätigt nicht nur das sog. Orchestertrio (Ch. Wagenseil, Anton Kammel, J. Mysliveček), sondern auch die Tatsache, dass zahlreiche frühe Werke aufgrund der flexiblen Aufführungspraxis für alternierende (Orchester- oder Kammer-)Besetzung komponiert wurden (J. Stamitz, Six sonates à trois parties concertantes qui sont faites pour exécuter ou à trois, ou avec toutes l’orchestre, op. 1, 1755 oder 1756; Christian Cannabich, Six Sonates en trio Qui sont fait pour exécuter a trois ou avec tout l’orquestre, op. 3, 1766). Ähnlich war bis in die 1780er Jahre die sog. ad libitum-Praxis üblich, nach der Trios mit alternierenden Instrumenten aufgeführt werden konnten (z. B. F. Aspelmayr, Six Trios modernes pour deux Violons […] avec la Basse bzw. in einer anderen Ausgabe per il Flauto traverso, Violino, ed il Basso). Die zunehmende Professionalisierung des Instrumentalspiels in Zusammenhang mit der steigenden instrumentalen Virtuosität führte jedoch schon nach 1750 dazu, dass die Besetzung der Werke zunehmend genauer und zugunsten der solistischen Besetzungen (nach 1775) von den Komponisten fixiert wurde. Parallel mit diesem Wandel verlief der Ersatz der charakteristischen Orchestersprache mit klanglich effektvollen Idiomen wie Unisono, Tremolo, Tiraten oder Dreiklangsmelodik durch verfeinerte, subtilere Melodik, gepaart mit dem allmählichen Verzicht auf den → Generalbass. Die Bezeichnung des St.s variiert in dieser frühen Phase noch zwischen Sonata, Sinfonia, Notturno (A. Kammel, op. 19, ca. 1785) u. ä. Aus der Serenaden- und Notturno-Tradition entwickelte sich insbesondere im süddeutsch-österreichischen Raum das sog. große Trio, mit dem sechssätzigen Divertimento Es-Dur KV 563 von W. A. Mozart (1788) als unübertroffenem Höhepunkt. An Mozarts formales zyklisches Schema mit gleichberechtigten Stimmen als hervorstechenden Merkmalen orientierte sich L. v. Beethoven (Serenaden op. 8 und op. 25), darüber hinaus scheint bei ihm vor 1800 der Begriff Grand Trio als Bezeichnung für sowohl spieltechnisch als auch kompositorisch anspruchsvolle Kompositionen auf (Gran Trio op. 3, op. 8, 1796/97; op. 9, 1797/98). Nach diesem Vorbild entstanden Kompositionen unter dem Titel Grand Trio von zahlreichen Komponisten wie J. Eybler, Jos. Hoffmann, F. Krommer (Großes Trio op. 96, 1818), I. v. Mosel (Grand Trio mit zwei Violinen, Bass) u. a. Einen anderen Typus, der auf dem solistischem Hervortreten der beteiligten Instrumente basiert, stellt das sog. Trio concertant dar. Scheinen schon in den frühesten St.s, die von Luigi Boccherini stammen (op. 2, 1762), Abschnitte mit solistischen Violoncello-Passagen auf, fand die Ausarbeitung des konzertierenden Prinzips hauptsächlich in Frankreich zunächst zwischen 1780 und 1800 (Giuseppe Maria Cambini, P. Wranitzky, I. Pleyel u. v. a.) und danach in Form des sog. Trio brillant (R. Kreutzer, A. Rolla u. a.) statt. Neben der Violine als bevorzugtem solistischen Instrument konnte sich jedoch nach 1800 auch das Violoncello mit Begleitung einer Violine oder Viola und Bass oder andere (auch Blas-)Instrumente behaupten. Sowohl das Trio concertant als auch das Trio brillant unterscheiden sich dabei durch ihren ausgereiften, virtuosen Charakter deutlich von den anderen, für pädagogische oder hausmusikalische Zwecke geschaffenen Trios (vgl. etwa das Terzett für zwei Violinen und Violoncello von J. v. Blumenthal, A-Wn). Insgesamt betrachtet, lässt sich nach 1800 jedoch ein deutlicher Rückgang des St.s beobachten; Fr. Schuberts Trio B-Dur (1816, D 471, Fragment) sowie das an die Divertimento-Tradition anknüpfende viersätzige St. B-Dur (1817, D 581), ähnlich wie das Terzetto C-Dur op. 74 (1887) für zwei Violinen und Viola von A. Dvořák stellen qualitativ gesehen Ausnahmen dar.

Eine Wiederbelebung der St.-Tradition brachte das 20. Jh., wiederholt in Form einer Auseinandersetzung mit neuen kompositorischen Techniken wie Dodekaphonie oder Serialität. Charakteristisch ist dabei der oft autobiographische, durch die Intimität der Besetzung bedingte Charakter dieser Werke (Paul Hindemith, 2. Trio, 1933; A. Webern, Trio op. 20, 1927, A. Schönberg op. 45, 1946, aber auch Bohuslav Martinů, 1923, 1934; E. Krenek, op. 118, 1949, op. 122, 1950; E. Wellesz, op. 86, 1962). Die allgemein erkennbare Tendenz, nach der das St. auch nach 1945 im Rahmen des Œuvres eines Komponisten nur eine eher singuläre Erscheinung blieb, führte auch in Österreich dazu, dass diese Gattung im Vergleich mit anderen kammermusikalischen Formen wie etwa der Sonate oder dem Streichquartett verhältnismäßig im Hintergrund steht. Neben den Kompositionen mit der direkten Bezeichnung im Titel des Werkes (H. Ebenhöh, Suite für St. op. 9/1, 1965, St. op. 57/1, 1981; H. Eder, Trio für Violine, Viola und Violoncello op. 28, 1957; G. v. Einem, St. op. 74, 1984; R. Bischof, St. op. 27, 1990; Th. Ch. David, Erstes Trio für Violine, Viola und Violoncello, 1984, Zweites St., 1989, Trio für Violine, Viola und Violoncello, 1995; R. Haubenstock-Ramati, Zweites St. à Alban Berg, 1985) verbirgt sich die Besetzung jedoch gelegentlich auch hinter anderen Titeln (H. Kratochwil, Fantasie und Passacaglia für St. op. 116, 1979; A. Logothetis, Zwölf Inventionen für Violine, Viola, Cello, 1952; Triptychon für Violine, Viola, Cello, 1952; R. Haubenstock-Ramati, Ricercari, K. Essl: à trois/seul, 1998). Gelegentlich treten auch Besetzungen auf, die das St. mit anderen Instrumenten verbinden (H. Eder, Quartett für Flöte und St. „S. C. H.“ op. 80, 1983) oder als Bestandteil größerer Besetzungen verwenden (A. Logothetis, Texturen für zwei Klanggruppen, 1959, mit Pf., Perc. und Cembalo, Flöte, Klarinette und St.; B. J. Schaeffer, Naarah (Maa’ts) für Oboe, St. und Computer, 1983). Internationalen Erfolg erlebt das St. in der Besetzung zwei Violinen und Violoncello in den letzten Jahren durch Tristan Schulze (* 1964), der für das von ihm gegründete Ensemble Triology zahlreiche, durch südamerikanische, indische und afrikanische Elemente stark multikulturell beeinflusste und rhythmisch prägnante Kompositionen schrieb (u. a. Konzert für Triology und Orchester, 2001; einige sind im Doblinger-Verlag erschienen).


Literatur
MGG 8 (1998); NGroveD 24 (2001) [String trio]; E. Stein in Neue Musik-Ztg. 49 (1928); W. O. Strunk in MQ 18 (1932); H. Unverricht, Gesch. des St.s 1969; B. S. Brook in Current Musicology 36 (1983); M. A. Schmidt in Melos 47/3 (1985); H. Unverricht in E. Thom (Hg.), [Kgr.-Ber.] Der Einfluß der italienischen Musik in der 1. Hälfte des 18. Jh.s. Blankenburg 1987, 1988; B. Bischof in A. Riethmüller et al. (Hg.), Beethoven. Interpretationen seiner Werke 1 (1994); MGÖ 1–3 (1995); MaÖ 1997.

Autor*innen
Dagmar Glüxam
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Dagmar Glüxam, Art. „Streichtrio‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e3c0
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