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Sterzing (deutsch für ital. Vipiteno)
Stadt in Südtirol/Italien. An den strategisch wichtigen Passstraßen über den Brenner und Jaufen gelegen, so dass früh Handelsniederlassungen entstehen konnten, zudem ein ertragreicher Bergbau in den umliegenden Tälern führten zu einem reichen Bürgertum. 1181 erstmals urkundlich bezeugt, erfolgte 1295 die Erhebung zu einer Stadt, die bis zum Ende des 16. Jh.s zu den wesentlichen kulturellen Zentren Tirols zu zählen ist. In dem gut erhaltenen Stadtbild weisen der Stadtturm (Zwölferturm, 1486), das Rathaus (1468–73), die Spitalkirche zum Heiligen Geist (um 1380), sowie der „St.er Altar“ (1456–58) im ehem. Spital, heute Multscher-Museum, auf die große historische Vergangenheit hin.

Bereits 1326 ist in St. eine lateinische Schule beurkundet, die „seit unfürdenklichen Zeiten“ (1437) unter der Leitung des Deutschen Ordens Unterricht in den „Freien Künsten, besonders in trivialibus“ sowie im Kirchengesang erteilte. Die Schüler waren zum Kirchengesang an den Kirchen der Stadt verpflichtet, wobei polyphone Kirchenmusik nur an den Hochfesten erklang. Seit 1544 ist von Figuralmusik bei der Darstellung von Passionen die Rede. V. a. aber handelte es sich im 15. und 16. Jh. um Aufführungen geistlicher und weltlicher („Vasnacht“-)Spiele, die St. berühmt gemacht haben. Das St.er Stadtarchiv verwahrt bedeutende Codices aus dieser Zeit, darunter die sog. St.er Miszellaneen-Handschrift sowie die Manuskripte zahlreicher Spiel- und Liedertexte, manche davon mit Hinweisen auf Melodien in Neumen auf 4–5 Linien, in schwarzer oder weißer Mensuralnotation (Notation). Diese Spiele und Lieder hat der St.er Maler, Bildhauer, Schauspieler und Regisseur Vigil Raber (* 1480er Jahre, † vor 14.12.1552) gesammelt, aus dessen Besitz auch die Miszellaneen-Handschrift stammen dürfte. Der Text des St.er Bergreihens (Bergmannslied) ist zwar verschollen, seine Melodie aber lebte fort als Ton-Angabe zu dem 1588/89 in Graz gedruckten Eisenerzer Bergreihen. Im 16. und 17. Jh. werden vielfach eigene und fremde Spielleute und Pfeifer genannt, die das Bürgermahl und den Schwerttanz der Knappen begleitet haben.

Unter dem Rückgang des Bergbaues im 17. und 18. Jh. litt v. a. die Kirchenmusik. Ein Inventar von 1673 verzeichnet noch beachtliche Kompositionen u. a. von Gasparo Casati, Kaspar Endres, J. K. Kerll, Georg Mengel, Ch. Sätzl, J. Stadlmayr, unter den Neuankäufen bis 1727 finden sich Werke von B. Aufschnaiter, Giovanni Battista Bassani, G. A. Bernabei, M. S. Biechteler, Giacomo Carissimi, Th. Eisenhut, Cajetan Kolberer, Francesco Vignali. Nach einer Übergangszeit führte der Komponist, Dirigent und Regens chori Joh. Gänsbacher d. Ä. die Kirchenmusik auf neue Höhe. Sein in St. geborener Sohn Joh. Gänsbacher d. J. wurde 1824 zum Wiener Domkapellmeister bestellt. Gebürtige St.er waren zudem der Opernsänger A. Mitterwurzer, ein Neffe von J. Gänsbacher d. J., sowie der Komponist J. E. Ploner. Die Bürgerkapelle St. nennt als Gründungsjahr 1832.


Literatur
Lit (alpabet.): W. M. Bauer (Hg.), St.er Spiele. Die weltlichen Spiele des St.er Spielarchivs 1982; K. Drexel/M. Fink (Hg.), Musikgesch. Tirols 1 (2001) u. 2 (2004); W. Lipphardt/H. G. Roloff (Hg.), Die geistlichen Spiele des St.er Spielarchivs, Melodieedition v. A. Traub, 6 Bde. 1986–96; K. Mittermaier/C. Wild (Hg.), St. 1996; B. Röck, Musikleben in St., Dipl.arb. Salzburg 1996; M. Siller (Hg.), [Kgr.-Ber.] St.er Osterspiele 1991/1992/1995, 1992, 1994, 1996; M. Siller in A. Schwob/A. Vizkelety (Hg.), [Kgr.-Ber.] Entstehung u. Typen mittelalterlicher Lyrik-Hss. Graz 1999, 2001; E. Thurnherr/M. Zimmermann (Hg.), Die St.er Miszellaneen-Hs. in Abb.en 1979; M. Zimmermann (Hg.), Die St.er Miszellaneen-Hs. Kommentierte Edition der dt. Dichtungen 1980; Verfasserlex. 29 (1993), 314–316; www.tessmann.it(2/2005) [weitere Lit. der Landesbibliothek Dr. F. Tessmann, Bozen].

Autor*innen
Wolfgang Suppan
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Wolfgang Suppan, Art. „Sterzing (deutsch für ital. Vipiteno)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00022068
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