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Slowakei (deutsch für slowakisch Slovensko)
Staat im Nordosten an Österreich grenzend, zwischen Tschechien und Ungarn; Hauptstadt Pressburg. Anfänge slawischer Besiedlung in diesem Gebiet im 4./5. Jh., 630 erste Staatsgründung auf diesem (Reich des Samo) und 827/28 Weihe der ersten westslawischen christlichen Kirche in Neutra (Nitra/SK, ung. Nyitra) unter dem Fürsten Pribina; letzterer wurde 833 durch den Mährer Wojmír verdängt, worauf er sich in das pannonische Mosapurc (Zalavár/H, zw. 838/40 ausgebaut) zurückzog. Die von Salzburg ausgehende, auch in der Conversio Bogariorum et Carantanorum (Salzburg um 870) behandelte Christianisierung wurde ab 864 durch die von Byzanz ausgehende (sog. Slawenapostel Kyrill und Method, in slawischer Sprache und Schrift [cyrilika, glagolica]) abgelöst (Methods Bibelübersetzung ins Slawische von 883 wurde bis ins 13. Jh. hier verwendet).Nach dem Zusammenbruch des Großmährischen Reichs (906) gehörte die S. als „Oberungarn“ über ein Jahrtausend lang zu Ungarn (ab 1526 unter den Habsburgern, Pozsony [= Pressburg] blieb bis 1848 Haupt- und Krönungsstadt). Im 10./11. Jh. Vertreibung der Anhänger des slawischen Ritus nach Pannonien, Böhmen und dem Balkan sowie Annahme des römisch-lateinischen Ritus. Im 19. Jh. s.e Nationalbewegung. 1918 Gründung der Tschechoslowakei (mit dem Versuch, eine gemeinsame Nation zu bilden); 1939 mit deutscher Hilfe Gründung eines selbständigen s.en Staats unter Präsident Jozef Tiso, 1945 Erneuerung der Tschechoslowakei, 1989 Föderalisierung, schließlich 1993 aufgrund wirtschaftlicher, politischer und nationaler Spannungen abermals Auflösung dieses Staats und Schaffung derS.en Republik.

Die skizzierten politischen und religiösen Verhältnisse legen nahe, dass lange Zeit von einer im engeren Sinne s.en Musikgeschichte (in Bezug auf die Kunstmusik) nur mit Vorbehalten die Rede sein könnte. Sie geht zum gewissen Teil in der ungarischen auf, aber auch die dabei erkennbaren Beziehungen (zu deutschen Ländern im Norden und Süden, slawischen im Westen) haben oft recht unterschiedliche Bedeutung.

Von der Pflege des gregorianischen Chorals in mittelalterlichenKlöstern zeugen erhaltene liturgisch-musikalische Quellen aus dem 11.–15. Jh. Eigene Scriptorien gab es in Neutra, Sankt Benedikt (Hronský Benadik, Szent-Benedek), Pressburg, Mons sancti Martini (Zipser Kapitel, Spišská Kapitula), Bartfeld ( Bardejov, Bartpha), Pressow (Prešov, Eperjes) und Lechnica [Červený Kláštor/SK]. Im 15. Jh. ist der mehrstimmige franko-flämischeGesang in Quellen aus Pressburg und Kaschau ( Košice) belegt, die Renaissance-Polyphonie in der Zentralslowakei, und im 16./17. Jh. die mitteleuropäischen mehrchörigen Gattungen auf dem Gebiet der Zips (Spiš). Die Tradition des Kirchenlieds (insbesondere Marienlieder) und des reformierten Gesangs liegen in zahlreichen Codices und Editionen vor. Tanz- und Instrumentalmusik barocker Prägung wurden im 16. und 17. Jh. allgemein gepflegt. Vom 18. Jh. an wird klassizistische Musik v. a. in den Adelsresidenzen gespielt und komponiert, v. a. unter Einflüssen und mit Repertoireübernahmen aus den böhmischen Ländern und Wien.

Mit dem Ende des 18. Jh.s beginnt die bewusste Suche nach nationalen Musikelementen in s.en Volksliedern, Volkstänzen (Hajduckentänze) und der Instrumentalmusik, um ihnen im Musikleben Geltung zu verschaffen. Um die Mitte des 19. Jh.s kam die Chormusikbewegung auf, mit Volksliedarrangements und Vertonungen romantischer Poesie der Generation Ľudovít Štúr (1815–56), der als Begründer der modernen s.en Schriftsprache gilt. Es entstanden Klavierkompositionen im nationalen Stil. Um die Mitte des 19. Jh.s wirken zahlreiche nationale Chöre, für welche eine Reihe von Musikern, wie Ľudovít Vansa (1825–73), Milan Laciak (1826–1904), Štefan Fajnor (1844–1909), Milan Lichard (1853–1935) u. v. a., komponierte. Der geistige Begründer der s.en Musik war J. L. Bella. 1863 wurde die Matica slovenská als s.e Kulturorganisation gegründet, die das Volkslied- und Chorwesen unterstützte, von der magyarischen Regierung aber 1870 verboten wurde.

Die s.e Musik wurde an der Schwelle des 19. zum 20. Jh. von einer ersten Gründergeneration s.er moderner Komponisten geprägt, wie Mikuláš Schneider-Trnavský (1881–1958), M. Moyzes (1872–1944) oder Viliam Figuš-Bystrý (1872–1963), die in ihren Werken alle Gattungen von Chorwerken, Oper und Operette, Lied und Kammermusik bis zur Symphonie abdeckten. Zu dieser Generation gehörten auch Frico Kafenda (1883–1963), mit Anlehnungen an die Wiener Romantik in seiner Kammermusik, und der zwischen Romantik und Moderne komponierende Alexander Albrecht (1885–1958). Wesentlich günstigere Möglichkeiten schufen die ehemals verwehrten und nach 1918 neu gegründeten s.en Institutionen wie: das S.e Nationaltheater (1920), die erste S.e Philharmonie (1920), die Akad. für Musik und dramatische Kunst (1928), die Comenius Univ. (1921), das Orchester des S.en Rundfunks (1929), die S.e Akademie der Wissenschaften und Künste (mit dem Institut für Musikwissenschaft 1943), die neu gegründete S.e Philharmonie (1949), die HSch. für musikalische Künste (1949), das Studio für elektronische Musik (1960), die Musikzeitschrift Slovenská hudba (ab 1958), das Musikmuseum (1965), die Zeitschrift Musicologica slovaca (et Europea, ab 1969).

Die zweite Generation der Begründer moderner Musik deckte in ihrem Œuvre den gesamten Kreis der Musikgattungen ab und erlangte mit Kantaten, Symphonien und Opern europäische Bedeutung, z. B.: Eugen Suchoň (1908–93), A. Moyzes (1906–84), Ján Cikker (1911–89). Als ihre Schüler und Mittelgeneration knüpften an sie stilistisch stark differenzierte Persönlichkeiten an wie Andrej Očenáš (1911–95), Dezider Kardoš (1914–91), Šimon Jurovský (1912–63), Tibor Frešo (1918–87), Ladislav Holoubek (1913–94), Oto Ferenczy (1921–2000), Ján Zimmer (1926–93) und Ladislav Burlas (* 1927). Neben diesen erstand in den späten 1950/60er Jahren eine junge Komponistengeneration, die an die Zweite Wiener Schule, Neue Musik, Serialismus und elektronische Musik (elektroakustische Musik) anschlossen und eine sehr eigenständige neue s.e Musik schufen. Zu dieser gehören: Ilja Zeljenka (* 1932), Tadeáš Salva (1937–95), Miroslav Bázlik (* 1931), Ladislav Kupkovič (* 1936), Ivan Parík (* 1936), P. Kolman (* 1937), Roman Berger (* 1930), Jozef Malovec (* 1933), Pavol Šimai (* 1930), Juraj Pospíšil (* 1931). Ihnen folgten jüngere und z. T. zur Tradition zurückkehrende Komponisten wie Vladimír Bokes (* 1946), Juraj Beneš (* 1940), Juraj Hatrick (* 1941), Jozef Sixta (* 1940), die auch bis zu Serialismus, Aleatorik usw. gelangten.

Für die Interpretation Neuer Musik enstand 1963 das Ensemble Musik der Gegenwart und wurde 1968 das Seminar für Neue Musik gegründet. Ihre Aktivitäten wurden nach der sog. politischen „Normalisierung“ stark eingeschränkt. Jedes Jahr wurde vom S.en Komponistenverband eine Woche Neuer s.er Musik veranstaltet. Neue Strömungen kamen erst nach 1989 wieder zu voller Geltung, insbesondere durch spezialisierte Festivals (z. B. ab 1993 Melos Ethos als Internationales Festival für Neue Musik). Mit diesen identifizierte sich eine neue Generation von Komponisten: Vladimír Godár (* 1956), Peter Cón (1949–92), Martin Burlas (* 1955), Norbert Bodnár (* 1956), Daniel Matej (* 1963), Peter Martinček (* 1962), Peter Breiner (* 1957) u. v. a., deren musikalische Sprache vielschichtiger und differenzierter ist. Durch das Studium, Festivals (z. B. in Trenčianske Teplice, Pressburg, Piešt’any, Humenné, Trnava, Prešov, Kosiče), wissenschaftliche Konferenzen und Zusammenarbeit an Projekten haben sich die Beziehungen zwischen der S. und Österreich positiv entwickelt und sind auf historische Gemeinsamkeiten in der Musikentwicklung eingegangen. Aus der s.en Opern- und Sängerschule gingen u. a. L. Popp, E. Gruberová, Gabriela Beňačková (* 1944) und Peter Dvorský (* 1951) hervor.

Die erste öffentliche MSch.e wurde 1775 in Pressburg gegründet, weitere folgten im 18. Jh. (Kaschau). Sie führten nach 1918 bzw. 1945 zur Gründung von Konservatorien (Bratislava, Žilina, Kosiče, Banská Bystrica, Topol’čany) und musikpädagogischen HSch.n (Nitra, Trnava, Prešov, Bratislava, Banská Bystrica) und schließlich zu MHsch.n (Bratislava, Banská Bystrica). Die moderne Musikforschung wurde nach 1919 durch die Gründung des musikwissenschaftlichen Seminars der Comenius Univ. eingeleitet (Ordinarien: D. Orel, Konštantín Hudec [1901–52], Jozef Kresánek [1913–86], Oskár Elschek [* 1931]), 1940 wurde die Musikabteilung der Matica slovenská, 1943 das Institut für Musikwissenschaft der S.en Akademie der Wissenschaften und Künste gegründet.

Durchaus stärkere Eigentümlichkeit besitzt die s.e Volksmusik. Sie ist ein typisches mitteleuropäisches Musikphänomen, in dem sich archaische ost- und südosteuropäische Elemente mit neuen Stilen der west- und mitteleuropäischen Musik vereinen. Ihre Grundlage bildet die mittel-osteuropäische slawische Volksmusik, die um zahlreiche Stilelemente der westeuropäischen Völker und Kunstmusik erweitert wurde. Sie ist – aufbauend auf schon im 19. Jh. einsetzenden Bemühungen und die Forschungen Béla Bartóks, v. a. aber aufgrund umfangreicher, bis 1900 zurück reichender akustischer und verschriftlichter Sammlungen – vergleichsweise gut erforscht und typologisiert.


Literatur
MGG 8 (1988); NGroveD 23 (2001); M. S. Ďurica, Dejiny Slovenska a Slovákov [Gesch. der S. u. Slowaken] 1996; F. Zagiba, Dejiny slovenskej hudby od najstarších čias až do reformácie [Gesch. der s.en Musik von den ältesten Zeiten bis zur Reformation] 1943; L. Burlas et al. (Hg.), Dejiny slovenskej hudby [Gesch. der s.en Musik] 1957; I. Hrušovský, Slovenská hudba v profiloch a rozboroch [S.e Musik. Profile u. Analysen] 1964; L. Burlas, Slovenská hudobná moderna [S.e moderne Musik] 1983; R. Rybarič, Dejiny hudobnej kultúry na Slovensku I. Stredovek, renesancia, barok [Gesch. der s.en Musikkultur I. Mittelalter, Renaissance, Barock] 1984; I. Vajda, Slovenská opera [S.e Oper] 1988; D. Múdra, Dejiny hudobnej kultúry na Slovensku II. Klasicizmus [Gesch. der s.en Musikkultur II. Klassik] 1993; D. Múdra, Hudobný klasicizmus na Slovensku v dobových dokumentoch / Musikalische Klassik in der S. in Zeitdokumenten 1996; O. Elschek (Hg.), Dejiny slovenskej hudby [Gesch. der s.en Musik] 1996; M. Jurik/P. Zagar (Hg.), 100 slovenských skladateľov [100 s.e Komponisten] 1998; E. Veselovská, Mittelalterliche liturgische Kodizes mit Notation in den Archivbeständen von Bratislava 2002; O. Elschek (Hg.), A history of Slovak music. From the earliest times to the present 2003. – A. Elscheková in Dt. Jb. f. Volkskunde 6 (1960); O. Elschek (Hg.), Methoden der Klassifikation von Volksliedweisen 1969; A. Elscheková (Hg.), Stratigraphische Probleme der Volksmusik in den Karpaten u. auf dem Balkan 1981; O. Elschek, Die slowakischen Volksmusikinstrumente 1983; O. Elschek in W. Deutsch/R. Pietsch (Hg.), Dörfliche Tanzmusik im westpannonischen Raum 1990; A. Elscheková in JbÖVw 42/43 (1993/94).

Autor*innen
Oskár Elschek
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Oskár Elschek/Rudolf Flotzinger, Art. „Slowakei (deutsch für slowakisch Slovensko)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e2a5
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001e2a5
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