Logo ACDH-CH
OeML Schriftzug
Logo OeML
Logo Verlag

Schmidt, Schmidt, true Franz
* 1874-12-2222.12.1874 Pressburg (Bratislava), † 1939-02-1111.2.1939 Perchtoldsdorf/NÖ. Komponist, Pianist, Violoncellist, Pädagoge. Entstammte einer partiell ungarischsprachigen Familie. Erster Klavierunterricht durch Mutter Maria, geb. Ravasz (* 4.6.1853 Szakolca [Skalitz]/Ungarn [Skalica/SK], † 17.5.1931 Wien), dann bei Pressburger Lokalgrößen wie R. Mader, Norbert Burger und dem Franziskanerpater F. Moczik, der ihm Orgel- und Theorieunterricht gab. Als pianistisches Wunderkind – gefördert von Erzhzg.in Isabella – Auftritte u. a. im Palais Grassalkovich. 1888 Übersiedlung der Familie (auch der beiden Schwestern Maria, Emma) nach Wien. Kurze Zeit Privatunterricht bei Th. Leschetizky, dann am Konservatorium der GdM (Violoncello bei Ferd. Hellmesberger, Komposition bei R. Fuchs), Matura. 1896 beendete Sch. das Studium mit Auszeichnung und wurde ab September als Cellist ins Orchester der Wiener Hofoper (bis 1913/14) und der Wiener Philharmoniker (bis 1911) berufen. Als er – nach einigen Jahren pädagogischer Tätigkeit als Lehrbeauftragter – ab 1911 ordentliche Professuren für Violoncello, Klavier, Kontrapunkt und Komposition an der Wiener MAkad. erhielt, quittierte er den Orchesterdienst und widmete sich seinem kompositorischen Schaffen, der Lehre und weiterhin einer regen Konzerttätigkeit als Solist, Begleiter, Kammermusiker (u. a. mit dem Rosé-Quartett) und Dirigent. 1925–27 Direktor der MAkad. Wien, 1927–31 Rektor der Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst. Aufgrund von Sch.s Initiative konnte M. Reinhardt ein Schauspielseminar installieren. Er pflegte Jahrzehnte lange Freundschaften mit Komponistenkollegen wie A. Berg, A. Schönberg und F. Schreker. Das Privatleben war von Schicksalsschlägen und jahrelanger, schwerer Krankheit gezeichnet. Seine 1. Frau, Karoline Perssin (* 1878, Heirat 1899 im Pressburger Dom), zeigte bald Anzeichen einer Geisteskrankheit und musste ab 1919 in der Heil- und Pfelgeanstalt „Am Steinhof“ leben (ihr gewaltsamer Tod erfolgte 1942 durch die Euthanasiekampagne der Nationalsozialisten). Die gemeinsame Tochter Emma (1902–32) starb kurz nach der Geburt der Enkelin Marianne (1932–89): Sch. konzipierte die 4. Symphonie als „Requiem für meine Tochter“. 1923 war er eine 2. Ehe mit der Klavierschülerin Margarethe Franziska Aloisia Jirasek (* 17.6.1891 Wien, † 4.1.1964 Wien; Schwester von A. Jirasek) eingegangen, die sich nach seinem Tod um die Verbreitung seines Werks bemühte. Mit Elise Zirner hatte Sch. außerdem den Sohn L. Zirner. Sch.s letzte Lebensjahre wurden durch viele lebensbedrohende Krankheiten stark beeinträchtigt. Zu seinen zahlreichen Schülern gehörten u. a. Th. Berger, Walter Panhofer, M. Rubin, W. Taussig, F. Wührer, Rudolf Wimmer und A. Uhl. Sch. widmete P. Wittgenstein 2 Klavierkonzerte, 3 Quintette und eine Solo-„Toccata“ für „die linke Hand allein“ . Sein bester Freund war der Studienkollege, Philharmoniker und Pädagoge A. Wunderer, der handschriftliche Erinnerungen hinterließ. In den letzten Lebensjahren war Sch. vor allem mit dem Dirigenten O. Kabasta sowie dem Organisten und späteren NS-Funktionär F. Schütz befreundet, letzterer ist Widmungsträger der meisten Orgelwerke.

Sch. gilt als „Spätromantiker“ in der Nachfolge J. Brahms’ und A. Bruckners, deren Intentionen er v. a. in den vier Symphonien zu vereinen wusste. Er strapazierte jedoch die Tonalität bis an die äußerste Grenze (z. B. im unter dem Einfluss Schönbergs stehenden 2. Streichquartett oder im Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln) und war auch dem Œuvre von R. Strauss, F. Schreker, H. Pfitzner verbunden. Die jahrelange Orchestererfahrung zeigt sich in einer subtilen Instrumentation und einem ausgeprägten Klang- und Formsinn, gepaart mit motivisch-thematischer Arbeit. Seiner Herkunft verdankt er ungarische Einflüsse, die in vielen Werken in verschiedenen Ausprägungen aufscheinen und einen wichtigen Baustein seines Personalstils bilden. Im umfangreichen Orgelwerk gelang Sch. die Synthese einer an J. S. Bach geschulten Polyphonie, strenger Kontrapunktik mit spätromantischer Harmonik und traditionellen Formen.

Sch.s letztes Werk, die unvollendet gebliebene Jubel-Kantate Deutsche Auferstehung birgt fortbestehende Kontroversen. Durch Vermittlung von F. Schütz trat das Wiener Reichspropagandaamt 1938 mit der Aufforderung an Sch. heran, eine Kantate zu schreiben, die „den Dank der Ostmark an den Führer“ zum Inhalt haben sollte. Den Text von Oskar Dietrich begann der bereits schwerkranke Sch. im Herbst 1938 zu vertonen und konnte vor seinem Tod lediglich eine Partiturskizze hinterlassen. Sein Schüler Ro. Wagner vollendete das Werk, das am 24.4.1940 im Musikverein uraufgeführt wurde. Der Text illustriert die militärische Stärke der deutschen Armee seit dem 1. Weltkrieg (hierbei die Dolchstoßlegende aufgreifend), die Größe der Nation und ergebene Führertreue. Die Motivation zur Komposition bleibt ungeklärt: Sch. hatte sich zwar 1938 öffentlich zum ‚Anschluss‘ bekannt, war jedoch nie Mitglied der NSDAP und soll der nationalsozialistischen Ideologie auch privat nicht nahegestanden haben. Kolportierte Gründe für seine Zusage, wie eine angebliche Erpressung, die Androhung eines Aufführungsverbotes, Opportunismus oder reine Autoritätshörigkeit, sind nicht nachgewiesen.


Gedenkstätten
Ehrengrab Wr. Zentralfriedhof (s. Abb.); Denkmal im F. Sch.-Park, Ghelengasse (Wien XIII); Tafel am Wohn- u. Sterbehaus in Perchtoldsdorf, Lohnsteinstraße 4; F.-Sch.-Gasse (Perchtoldsdorf); F.-Sch.-Weg (Graz XII).
Ehrungen
Beethovenpreis für die 1. Symphonie 1899; Franz Josephs-Orden 1914; Länderpreis der Columbia Gramophone-Society für die 3. Symphonie 1928; Österr. Ehrenzeichen f. Kunst und Wissenschaft 1934; Dr. h. c. der Univ. Wien 1934; Ehrenmitglied der AKM 1935; Komturkreuz des Österr. Verdienstordens 1937; Ehrenmitglied der Wr. Philharmoniker; Hofrat.
Werke
Orchesterwerke (Karnevalsmusik und Zwischenspiel aus der Oper Notre Dame, 4 Symphonien, Variationen über ein Husarenlied, Chaconne f. Orch.), 2 Klavierkonzerte (Concertante Variationen über ein Thema von Beethoven; Es-Dur), Kammermusik (2 Streichquartette, 3 Quintette: 1 m. Streicher, Kl., 2 m. Klar., Streicher, Kl.), 2 Klavier-Solostücke (Toccata, Romanze), umfangreiches Orgelwerk (3 Werke auch mit Bläser, Pauken), 2 Opern (Notre Dame [nach Victor Hugo], Fredigundis [nach Felix Dahn]), Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln (nach der Apokalypse des Johannes, s. Tbsp.), Dt. Auferstehung (T: Oskar Dietrich, unvollendet).
Schriften
Auswahl in A. Liess, F. Sch. 1951 (u. a.: Skizzen zu Vorlesungen über Organologie, Gedenkrede auf Franz Schubert [100. Todestag 1928], Gutachten betreffend einer Rundfunkorgel, Einige Bemerkungen zu dem Text des Oratoriums „Das Buch mit sieben Siegeln“ [Programmheft zur UA 15.6.1938 im Wr. Musikverein]).
Literatur
NGroveD 22 (2001); MGG 14 (2005); Beiträge von G. Botz In Arbeit , G. Winkler In Arbeit u. H. Krones In Arbeit in C. Ottner (Hg.), Musik in Wien 1938–45, 2006; Riemann 1961; A. Liess, F. Sch. 1951; H. Haupt, Verzeichnis des Schrifttums über F. Sch. (1895–1954), 1955; C. Nemeth, F. Sch. 1957; R. Scholz, Die Orgelwerke von F. Sch. 1971; N. Tschulik, F. Sch. 1972; H. Truscott, The Orchestral Music of F. Sch. (1984); Th. Corfield, F. Sch. A Discussion of his Style 1989; C. Ottner in ÖMZ 51 (1996); C. Ottner in H. Loos (Hg.), [Kgr.-Ber.] Musikgesch. zwischen Ost u. West. Chemnitz 1995, 1997; C. Ottner in E. Exl (Hg.), [Kgr.-Ber.] Oswald Kabasta. Mistelbach 1996, 1998; Studien zu F. Sch. 1 (1976) [O. Brusatti (Hg.), Aufsätze zu Leben und Werk], 2 (1984) [W. Obermaier (Hg.), Ausgewählte Briefe], 3 (1985) [G. Scholz, Die 2. Symphonie von F. Sch..], 4 (1985) [C. Ottner, Quellen I], 5 (1987) [C. Ottner, Quellen II]; 6 (1988) [W. Obermaier (Hg.), (Kgr.-Ber.) F. Sch. und seine Zeit. Perchtoldsdorf 1985, 1988], 7 (1989) [G. W. Gruber, F. Sch. als Rektor]; 8 (1990) [R. Schuhenn, F. Sch.s oratorische Werke], 9 (1991) [C. Ottner (Hg.), (Kgr.-Ber.) Oper in Wien. 1900–25. Wien 1989], 10 (1991) [C. Ottner (Hg.), (Kgr.-Ber.), F. Sch. und die Orgelmusik seiner Zeit. Wien 1991], 11 (1995) [C. Ottner (Hg.), (Kgr.-Ber.) Kammermusik zwischen den Weltkriegen. Wien 1994), 12 (1999) [C. Ottner (Hg.), F. Sch. und Pressburg], 13 (2001) [C. Ottner (Hg.), (Kgr.-Ber.) Apokalypse. Wien 1999], 14 (2003) [C. Ottner (Hg.), (Kgr.-Ber.) Frauengestalten in der Oper des 19. und 20. Jh.s. Wien 2001]; G. E. Schmidt, Ehrenzeichen und Orden im Österreich der Zwischenkriegszeit 1918–1938, 1994; O. Rathkolb in P. Autengruber et al., Forschungsprojektendbericht Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“ 2013 (wien.gv.at/kultur/abteilung/pdf/strassennamenbericht.pdf); Sterbebuch des Alservorstadtkrankenhauses 1931, fol. 142; www.akm.at (2/2015).

Autor*innen
Carmen Ottner
Meike Wilfing-Albrecht
Letzte inhaltliche Änderung
14.8.2023
Empfohlene Zitierweise
Carmen Ottner/Meike Wilfing-Albrecht, Art. „Schmidt, Franz“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.8.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e118
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Wiener
					Bilder 12.2.1933, 10© ANNO/ÖNB
F. Schmidt im Garten seiner Villa in Perchtoldsdorf
				(1938/39)© ÖNB
© ÖNB
Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof© 2021 Hermann Zwanzger
© 2021 Hermann Zwanzger
HÖRBEISPIELE

Zwischenspiel II für Orgel aus dem Oratorium Das Buch mit den sieben Siegeln (1935/37)
© 2004 Studio Weinberg, 4292 Kefermarkt

DOI
10.1553/0x0001e118
GND
Schmidt, Franz: 118608762
OBV
Weiterführende Literatur

ORTE
Orte
LINKS
Österreichisches Biographisches Lexikon Online



ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft

Publikationen zur Musikwissenschaft im Verlag