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Schellenbaum
Klanggerät (Schüttel-Idiophon) in der jüngeren europäischen Militärmusik. Die verschiedenen Bezeichnungen (engl. Turkish Crescent, Jingling Jonny, Chinese Pavillon; frz. Chapeau Chinois, Pavillon Chinois) beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte der keiner bestimmten Form oder Regel unterworfenen Bauweise: dt. Sch. auf die Stange, an die verschiedenartige Figuren, öfters auch ein Rossschweif gebunden sowie Glöckchen oder Schellen gehängt waren. Hinsichtlich seines Ursprungs ist der Sch. das rätselhafteste unter den Instrumenten, die im 20. Jh. von musikwissenschaftlicher Seite den „Janitscharen“ oder „Türken“ (Türkische Musik) zugeordnet wurden. Das „Chinesische“ daran ist eine konische Kappe auf der Spitze der Stange, welche an einen chinesischen Hut erinnert. In den heutigen (2005) Rekonstruktionen der osmanischen Feldmusikkapellen in der Türkei heißt dieses Instrument „Cevgan“. Das beruht auf dem Irrtum, dass Henry George Farmer das Wort „Tschäwgan“ (Schlagstock der Osmanen des Polo-Spiels zu Pferd) in Reiseberichten des osmanischen Chronisten Ewlija Tschelebi (17. Jh.) mangels Sprachkenntnissen als ein Musikinstrument missdeutet hatte.

Die ältesten Sch.e sind bei Napoleonischen Regimentern nachweisbar. Sie dürften als Accessoires der marschierenden Bürgerbrigaden zu Zeiten der Französischen Revolution entstanden sein. Wahrscheinlich wurden die Rasselinstrumente der geplünderten Kirchen einfach an einen „Tug“ gehängt. Dies war ein kunstvoll geflochtener und an eine Stange gebundener Rossschweif und bei den Osmanen ein Rangabzeichen staatstragender Personen. Französische Offiziere, die gegen Ende des 18. Jh.s als Ausbildner des Reform-Heers der Osmanen tätig waren, brachten die Tugs als Souvenir nach Frankreich. Napoleon-Regimenter schmückten ihren Sch. auf der Spitze mit einem napoleonischen Doppeladler, Italiener ersetzten diesen durch ein Sonnenbildnis. 1828 brachte Gius. Donizetti das Instrument für die von ihm neu gegründete europäische Militärmusikkapelle nach Konstantinopel. Dort wurde aufgrund des islamischen Bilderverbots das Sonnenbild von dem „chinesischen Pavillon“ entfernt.

Ende des 18. Jh.s wurde der Sch. von den Bürgerkorpskapellen in Südtirol und ab 1806 von den k. u. k. Regiment-Bandas übernommen. Erst Instrumentenbauer in Wien waren es, die ihn mit einem Halbmond und einem Stern krönten und so „türkisierten“. Daher identifizierten ihn Farmer und Panoff als „türkisches Instrument“, als das es in die musikwissenschaftliche Literatur einging.


Literatur
NGroveDMI 1 (1984); NGroveD 25 (2001) [Turkish crescent]; H. G. Farmer, Turkish Instruments of Music in the Seventeenth Century 1937; P. Panoff, Militärmusik in Gesch. und Gegenwart 1938; H. Palecziska, Die Entwicklung der altösterr. Militärmusikkapellen, Diss. Wien 1939; T. Incirci, Türk Müzigi 1980; eigene Forschungen.

Autor*innen
Memo G. Schachiner
Letzte inhaltliche Änderung
20.6.2005
Empfohlene Zitierweise
Memo G. Schachiner, Art. „Schellenbaum“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 20.6.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0007eae4
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Schellenbaum (Österreich, 1. Hälfte 19. Jh.). Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig, Inv.-Nr. 2012.© Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig, CC BY-NC-SA 4.0, 
			via Europeana
© Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig, CC BY-NC-SA 4.0, via Europeana

DOI
10.1553/0x0007eae4
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