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Tonträgerproduktion
Auf die Herstellung von massenreplizierten Musikmedien spezialisierter Zweig der Musikindustrie. Der Begriff T. umfasst den Gesamtzusammenhang von Konzeption, Herstellung (inkl. sämtlicher Bereiche aller aufführungstechnischen und -ästhetischen sowie aufnahmetechnischen Gestaltungsprozesse; Tontechnik), Vervielfältigung und Verwertung von Medien, auf denen Schallereignisse aufgezeichnet und gespeichert sowie beliebig oft wiedergegeben werden können. Man unterscheidet analoge Tonträger, sie umfassen im Wesentlichen: Wachszylinder, Schellackplatte, Vinylschallplatte (Langspielplatte, Single), Magnetband und Compact-Cassette sowie digitale Tonträger: Compact Disc, Digital Audio Tape (DAT), Mini Disc, Super-Audio-CD und DVD (Tondokumente).

In Österreich entwickelte sich eine T. auf kommerzieller Ebene ab ca. 1900. Die großen deutschen Produktionsfirmen errichteten zu dieser Zeit die ersten Niederlassungen in Wien (1901 Edison-Import-House und Deutsche Grammophon Actien-Gesellschaft, 1902 Columbia Graphophone Company und Zonophone Company). Ursprünglich als einfache Vertriebsstellen konzipiert, begannen ab ca. 1907 erste Produktionstätigkeiten: Die Deutsche Grammophon AG richtete ihr eigenes Aufnahmestudio samt Aufnahmeingenieur in Wien ein. Zur selben Zeit sorgte eine dramatische Zollerhöhung für die Einfuhr von phonographischen Walzen und Platten zuerst für Aufruhr, letztendlich aber erwuchs daraus eine eigenständige T. in Österreich: Die Monarchie wurde zum Hoffnungsgebiet der in Deutschland gerade von stark abflauenden Tendenzen geplagten Sprechmaschinenindustrie. Im Umland der großen Städte entstanden Produktionsstätten, vorerst von deutschen Investoren aufgebaut, nach und nach aber von einheimischen Industriellen übernommen. Die älteste Schallplattenfabrik Österreichs war die Firma Schiff & Cie (gegr. 1907) in Schwechat, die alle für den Verkauf in Österreich-Ungarn bestimmten Fabrikate der Firma Odeon, einer Tochtergesellschaft der International Talking Machine Company, die später der Carl Lindström Gesellschaft zufiel, herstellte. Ab 1908 wurden laufend weitere Schallplattenpressereien errichtet (1908/09 Dacapo Record Company; 1908 Dr. Grünbaum & Thomas AG Berlin – ab 1913 fusioniert mit der Carl Lindström Gesellschaft; 1911 Pathé-Frères, in weiterer Folge dann 1909 die Österreichische Grammophon Gesellschaft mbH, eine im nordböhmischen Aussig angesiedelte Niederlassung der Deutschen Grammophon AG, 1909 Lyrophon Record Gesellschaft, 1911 Kalliope-Schallplatten-Gesellschaft, später Columbia, Janus Records u. a.).

Besonders zu erwähnen sind in damaliger Zeit die rein österreichische Firma Scala Record, deren Inhaber Siegmund Weiß als einer der Pioniere der österreichischen Schallplattenbranche galt, und die Erste Ungarische Schallplattenfabrik in Budapest. Diese war Produzentin der Premier Records, beschäftigte sich mit der Selbstaufnahmeapparatur Autograffon und war an der Eufongesellschaft beteiligt. Das Eufon war eines der ersten trichterlosen Grammophone und dadurch für den Export besonders interessant. Das Eufon war das einzige erfolgreiche Produkt des österreichischen Sprechmaschinenapparatebaus im großen Stil.

Neben den Fabriken entstand auch eine Anzahl von Aufnahmestudios, allen voran die Studios der Favorite Record Gesellschaft im Theater an der Wien, die Platten der Firma Dacapo Record wurden von der Firma Weiß (Scala Record) im Wiener Konzerthaus aufgenommen. Ebenso gab es Aufnahmestudios der Firmen Janus Records (im Hotel „Goldenes Lamm“, Wien IV), der ungarischen Firma Premier Records, die erwähnten Räumlichkeiten der Deutschen Grammophon AG u. v. a. Bei allen diesen Firmen konnten auch Privatpersonen Aufnahmen machen lassen, allerdings war dies sehr teuer. Daher entstanden bald erste private Aufnahmestudios, v. a. Geschäftsleute nutzten diese Gelegenheit und stellten Aufnahmeräumlichkeiten, oftmals samt Begleitpianisten, zur Verfügung.

Die folgenden Jahre waren von wirtschaftlichen Krisen und den Balkankriegen dominiert, und der Tonträgerbedarf stagnierte. Der Markt begann sich zu sättigen, die Branche zeigte erste Überfüllungserscheinungen.

Der Erste Weltkrieg brachte einen totalen Zusammenbruch der Schallplattenproduktion. Die wenigen überlebenden Firmen stellten auf die Herstellung von Kriegsmaterial um, internationale Verbindungen der österreichischen T. wurden schwer geschädigt. Erst Ende der 1920er Jahre sollte Österreich wieder eine Blütezeit der T. erleben.

Mit Einführung des Rundfunks (allgemein ab 1920, in Wien Radio Hekaphon 1923/24 bzw. erster Sender der RAVAG 1924) und der elektrischen Aufnahmetechnik (ab 1925, allgemein etabliert ab ca. Ende der 1920er Jahre) gewann das Medium Schallplatte nach anfänglichem Konkurrenzdasein zunehmend an Bedeutung. Auch die Operette und besonders der Tonfilm (Film) trugen zum Umsatzaufschwung der Schallplattenindustrie bei, viele neue Filmschauspieler wurden bald auch gefragte Plattenstars. Während die allgemeine wirtschaftliche Lage Ende der 1920er Jahre von Krisen geplagt war, konnte sich der Tonträgermarkt in Österreich stabil halten. Es kam sogar zu weiteren Geschäftsgründungen, z. B. 1929 zur Eröffnung der Zweigniederlassung der Berliner Firma Menzenhauer & Schmidt (Wien XIX). Dieses Schallplattenpresswerk wurde später von Polygram übernommen.

Die Wiener Gelatinewaren-Industrie G.m.b.H (Wien XVII) erzeugte die auch im Ausland immer beliebter werdenden Melograph Selbstaufnahmeplatten und betrieb ein eigenes Aufnahmestudio in Wien VIII, Schlösselgasse 11. Auch das weniger bekannte Tilophan-Studio war auf die Verwendung seiner 1931 eingeführten Selbstaufnahmeplatten für professionelle und private Anwendungen spezialisiert.

In den 1930er Jahren begann sich der wirtschaftliche Konzentrationsprozess mit seinen Monopolisierungstendenzen der Tonträgerindustrie allmählich auch in Österreich abzuzeichnen. Ab 1939 musste die phonographische Industrie in Europa ein weiteres Mal auf Kriegsbewirtschaftung umstellen, das Rundfunk- und Schallplattenrepertoire wurde auf regimekonforme nationale Lieder und Märsche umgestellt. Ab ca. 1943 kam die eigene Aufnahmetätigkeit der verbliebenen Plattenfirmen komplett zum Erliegen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich die T. allmählich wieder zu erholen. Ende der 1940er Jahre wurde Wien zunehmend ein interessanter Aufnahmeort für internationale Schallplattenproduktionen. Besonders amerikanische Independent Labels (von den globalisierten Konzernen des Musikmarktes unabhängige Firmen mit Schwerpunkt künstlerische Qualität und Integrität), wie z. B. Supraphon, Westminster, Grenell, Haydn Society etc. entdeckten und nützten das Überangebot an jungen musikalischen Talenten im Nachkriegs-Wien und das hervorragende Preis-Leistungsverhältnis. Ein wichtiger Faktor, der diese Produktionsweise unterstützte, war die Entwicklung und Nutzung des Tonbands als Zwischenspeicher. Es kam vermehrt zur Gründung von privaten Tonstudios (z. B. 1946 Austrophon Schallplattenstudio GmbH , 1947 Tonstudio Holly GmbH) und Schallplattenfirmen (1955 Otto G. Preiser & Co GmbH , 1956 Amadeo Österreichische Schallplatten AG etc.), die alle von der explosionsartigen Vermehrung amerikanischer Plattenfirmen angesichts der ungeheuren Expansion dieses Industriezweiges in der Nachkriegszeit profitierten. Als Aufnahmeräume fungierten neben den akustisch herausragenden Wiener Konzertsälen verschiedene weitere Räumlichkeiten, wie z. B. das Casino Zögernitz (Wien XIX) und das Aufnahmestudio in Dornbach (Wien XVII). 1948 war die Gründung der Symphonia – Wiener Symphoniker Tonaufnahme GmBH mit angeschlossenem Studio und damals modernster Technik ein Anstoß für die weitere Expansion internationaler Produktionstätigkeiten in Wien.

Alle großen Orchester gingen Verträge mit den Plattenkonzernen ein, zusätzlich wurden reine Aufnahmeorchester zusammenstellt, um Vertragsbindungen zu umgehen. Diese Phase der internationalen Aufnahmetätigkeit in Österreich erfuhr einen Höhepunkt mit der legendären Produktion von Rich. Wagners Der Ring des Nibelungen, einer Decca Produktion von 1958–65, mit den Wiener Philharmonikern und G. Solti. Die erste Studio-Stereo-Aufnahme dieses Werkes unter der Regie von John Culshaw, aufgenommen in den Wiener Sophiensälen, wurde ein durchschlagender Erfolg. Parallel zu diesen großen Klassik-Produktionen konnte sich Wien aber auch auf dem Gebiet der Unterhaltungsmusik durchsetzen: Schlagerstars wie P. Alexander, F. Quinn, Lolita u. a. trugen wesentlich zum Erfolg der T. in Österreich bei, wenngleich diese Interpreten bei internationalen Plattenfirmen unter Vertrag standen.

Obwohl die österreichische Wirtschaft von den regen Aufnahmetätigkeiten in Wien profitierte, wanderte der eigentliche Gewinn zunehmend in die Hände der großen Platten-Gesellschaften. Die Absatzmöglichkeiten im Inland waren zu gering, um der Kapitalkraft von Weltkonzernen gegenübertreten zu können. Eine exportorientierte Plattenherstellung war in Österreich angesichts der ungleich größeren Produktionsquanten im Ausland preislich auf Dauer kaum konkurrenzfähig.

Die Rock ’n’ Roll-Revolution in den 1950er Jahren und ihre Folgen, die amerikanische Pop- und Discomusik der 1960/70er Jahre, zog eine Überschwemmung des österreichischen Musikmarktes mit ausländischen Produktionen nach sich. Eine eigenständige T. konnte sich in Österreich dann wieder im Fahrwasser des Austro-Pop entwickeln. Die österreichischen Tochterfirmen der internationalen Schallplattenkonzerne nahmen heimische Künstler unter Vertrag und bauten ein ausdifferenziertes Produktionsnetzwerk mit engagierten Labels und Produzenten auf. 1980 trug M. Spiegel mit der Gründung von Gig Records und der Verbindung zu BMG Ariola als Vertriebspartner maßgeblich zur Professionalisierung der österreichischen Popmusikproduktion bei. Ende der 1970er Jahre wagten sich österreichische Musiker auch in das Disco-Genre vor. Die gerade entstandene Punk- und New-Wave-Szene war anfangs noch auf sich gestellt und musste sich eine eigene Infrastruktur schaffen. Es entstanden viele Klein- und Kleinstlabels, als Independentvertrieb, Label und Produzent leistete die 1977 gegründete Extraplatte Pionierarbeit. Im Zuge dieser aufstrebenden Szenerie florierten auch die Schallplattenproduktionsbetriebe. Koch International , 1975 als Tonstudio gegründet und durch sein Bestehen seit 1985 das zweitälteste CD-Presswerk Europas, wurde mittlerweile zu einer der bedeutendsten T.-Firmen weltweit. 1984 entstand die Viennola Bild- und Tonträger-Gesellschaft aus der Fusion der Fertigungsstätten der ATG und dem Plattenpresswerk der Polygram (in den 1960er Jahren Schmidt & Czeija). Sony DADC Austria AG folgte mit seiner Gründung 1986.

Bis Mitte/Ende der 1980er Jahre florierte die Branche auf den Wellen des Austro-Pop, allerdings kam es mit einer drastischen Sendereform von Ö3 in den 1990er Jahren zu einem heftigen Rückschlag. Einhergehend mit der zunehmenden Digitalisierung der Musikindustrie erfuhr die T. einen Einbruch. Erst durch systematische Analysen und Förderungsmaßnahmen, z. B. durch die Gründung des Music Information Center Austria (mica), des Österreichischen Musikfonds etc. scheint wieder Anlass zu Optimismus gegeben zu sein. Derzeit (2006) befindet sich die T. in einer Übergangsphase, vom Produkt zum Service, von Tonträgern zu digitalen Content-Strömen. Während der Handel mit CDs weiter einbricht, eröffnen Plattenfirmen einen Download-Shop nach dem anderen. Als Gegenpol entstand in den letzten Jahren im Umfeld zahlreicher „locations“, in denen sich verschiedenste Formen der DJ-Culture und elektronischen Musik institutionalisierten, eine Musikszene, die eine Reihe von innovativen Musikproduktionen hervorbrachte. Unter dem Aspekt der „institutionalisierten Berufsrollen“ ist diese Szene insofern interessant, als sie verschiedenste Rollen kreativ in ein neues musikalisches Selbstverständnis integriert. Sie agieren nicht nur als Musiker im herkömmlichen Sinn, sondern auch als Produzenten, Tontechniker, Labelbetreiber, DJs, Veranstalter – und das auf einem sehr hohen Niveau an Professionalität und Selbstorganisation. V. a. im Umgang mit den neuen Produktions- und Studiotechnologien entwickelten einige von ihnen eine Expertise, die auch international nachgefragt wird.


Literatur
S. Galoppi, Die Tonträgermedien in Österreich von 1900–1918, 1987; Die Tonwiedergabe 1930–38 (div. Artikel); H. Herzog in High Fidelity Magazin 11/1999; M. Grey, Westminster – Ein neues Label bei Speakers Corner Records; F. Wimmer, Der Österr. Tonträgermarkt – ein Branchenüberblick 1988; B. Koller, Der Österr. Tonträgermarkt 1989; E. Kobau, Die Wr. Symphoniker 1991; A. Gebesmair, Zur Bedeutungslosigkeit österr. Musik am globalen Musikmarkt 2001; A. Gebesmair, Alpen(ver)glüh’n. Die Entwicklung der österr. Popmusik im Zeitalter der Globalisierung dargestellt an den Austria Top 25 1979–2000, 2001; P. Tschmuck, Kreativität u. Innovation in der Musikindustrie 2003; eigene Erhebungen.

Autor*innen
Nadja Wallaszkovits
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Nadja Wallaszkovits, Art. „Tonträgerproduktion‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e4c6
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001e4c6
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