Das Programm wurde sofort verändert: Um während des Personalaustauschs keine Sendepausen entstehen zu lassen, übernahm der R. ab 12.3.1938 Marschmusik und Nachrichten von verschiedenen Reichssendern. Massive negative Reaktionen auf diese Maßnahme erzwangen Kompromisse seitens des „Dritten Reichs“: Gewöhnt an Kommunikation mit der RAVAG, die in den 14 Bestandsjahren akustische Identität aufgebaut und kontinuierlich vermittelt hatte, protestierte die Hörerschaft brieflich und, als sich das Programm nicht änderte, durch Niederlegung der Abonnements. Dabei ging es weniger um Klischee-hafte Verbreitung von Wienerliedern und Walzer-Seligkeit, sondern um das Angebot einer umfassenden Bandbreite an Musikstilen, einschließlich Jazz der damaligen Zeit und zeitgenössischer Musik, die mit einem Mal verschwunden war. Da Indoktrinierung durch ein ungenutztes Medium nicht funktioniert, lenkte man ein. Zunächst versuchten sich deutsche Dirigenten erfolglos im „Wiener Genre“. Daher holte man Publikumslieblinge zurück, etwa den 35-jährigen M. Schönherr, der, von der Zensur offenbar unbemerkt, sein erstes Konzert unter NS-Herrschaft mit C. M. Ziehrers Polka „Loslassen!“ beendete. Er, der den Beitritt zur NSDAP grundsätzlich verweigerte, Verfolgte schützte und verbotene Musikdrucke versteckte, suggerierte bis Kriegsende einen Torso an musikalischer Identität unter latenter Bedrohung, denn im ehemaligen RAVAG-Orchester, organisatorisch den Wiener Symphonikern zugehörig, nunmehr Großes Unterhaltungsorchester des R.s genannt, waren längst nur mehr regimetreue Musiker tätig. Viele von ihnen verdankten ihre Position dem Musikdirektor der Wiener Symphoniker, O. Kabasta, der bereits im Vorfeld nur Musiker mit NS-Gesinnung im Orchester geduldet hatte.
Während des Kriegs konnte ein Mindestmaß an „unverdächtigen“ eigenständigen Programmelementen erhalten bleiben, nicht aber die Qualität. Der Verlust von hochqualifizierten Fachleuten jüdischer Herkunft und von wehrtauglichen Künstlern machte weitere Umstrukturierungen notwendig. Das Große Unterhaltungsorchester des R.s wurde 1941 von der sog. „Stadtkapelle“ der Wiener Symphoniker getrennt. Der Versuch, ab 9.6.1940 für alle von den Nationalsozialisten besetzten Gebiete ein einheitliches „Reichsprogramm“ anzubieten, scheiterte beim R., sodass dieser ab 28.4.1941 an Vormittagen eigene Sendungen ausstrahlen durfte. Auch Musikverbote ließen sich nicht lückenlos realisieren. Im Krieg verstärkte sich der Druck, zeitgemäße Unterhaltungsmusik, abseits von Volks- und Wienerlied, zu senden. Daher nahm der R. 1942 unter der Leitung von L. Babinsky für den Europa-Sender, seit 1942 vom Wiener Funkhaus für Osteuropa betreut, populäre Swingnummern auf, welchen unverdächtige Texte unterlegt wurden. Das am 30.8.1939 verhängte Abhörverbot zeitigte auf lange Sicht ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg. Im November 1942 statuierte man ein drastisches Exempel, indem man einen Landwirt aus Niederösterreich wegen Abhörens verbotener Sender vom Sondergericht Wien zum Tod verurteilte.
Nach der Proklamation des „totalen Kriegs“ am 18.2.1943 nahm der Zerfallsprozess von innen und außen seinen Ausgang. Der R. erfüllte die Aufgabe, Luftlagemeldungen mit dem Kuckucks-Ruf als Signal auszustrahlen. Am 14.1.1945 wurde das Wiener Funkhaus zum ersten Mal, am 15.2.1945 zum zweiten Mal bombardiert. Bis zum 6.4.1945 blieb der Sendebetrieb aufrecht, dann flüchteten die Mitarbeiter vor der russischen Besatzung, ohne jene Kollegen zu warnen, die sich ihr kritisches Bewusstsein bewahrt hatten. Noch drei Tage vor dem Neuaufbau des Österreichischen Rundfunks am 16.4.1945 unter Czeija sprengte die SS den Sender Bisamberg.
E. Kobau, Wr. Symphoniker 1991; A. Lamb (Hg.), Unterhaltungsmusik aus Österreich – Max Schönherr in seinen Erinnerungen und Schriften 1992; M. Permoser, Die Wr. Symphoniker im NS-Staat 2000; R. G. Reuth, Goebbels – Eine Biographie 1995; M. Saary, Die Musik der audiovisuellen Medien. Von romantischer Allmacht zu medialer Allgegenwärtigkeit , Hab.schr. Wien 1997; G. Schifter in Leseheft der österr. Phonothek 1/1 (1998).