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Pastorale
Entweder als Adjektiv oder Substantiv verwendet, dient der Begriff seit der Antike in Musik, Literatur oder bildender Kunst als Bezeichnung für Hirten- oder Schäferstücke, die das Landleben, besonders aber das Hirten- und Schäferleben, in idealisierter oder utopischer Form darstellen (ital. pastore = Hirte). Von der poetischen Darstellung in Mythen ausgehend, wurden nach dem Vorbild der Eidyllia (Idyllen) von Theokrit (um 270 v. Chr.) und dem von Vergil († 19 v. Chr.) erschaffenen und stark idealisierten Land Arkadien die Themen der pastoralen Poetik mit Hauptfiguren wie Hermes, Pan, Nymphen, Hirten, Narziss, Echo, Acis, Galatea, Daphnis und Chloe und insbesondere Orpheus und Eurydike zum immer wiederkehrenden Bestandteil von künstlerischen Bearbeitungen und Vertonungen, wie auch im Repertoire der Troubadours und Trouvères (Pastourelle). Das erste bekannte Schäferspiel stammt von Adam de la Halle (Le Jeu de Robin et de Marion, 1283/84). In der Renaissance wiederentdeckt, findet sich der Topos in Chanson und Frottola um 1500 sowie regelmäßig im italienischen und englischen Madrigal, mit lyrischen Texten von Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio, Torquato Tasso u. a. Seit dem späten 16. Jh. wurde das P. in zunehmendem Maße in Theaterproduktionen an den italienischen Höfen und Akademien, insbesondere in der frühen Oper verwendet.

Die wichtigsten Schäferdichtungen der Zeit, die zugleich erheblichen Einfluss auf verschiedene Musikgattungen (Intermedien, polyphones Madrigal) ausübten, stellen Aminta (1581) von T. Tasso und Il pastor fido (1589) von Giovan Battista Guarini dar (Il Rè pastore 1756 von Ch. W. Gluck und 1775 von W. A. Mozart vertont). Zu den ältesten und zugleich meistvertonten Sujets der Musikgeschichte zählt neben Dafne (vgl. z. B. J. J. Fux, Dafne in Lauro, 1714, A. Caldara, Dafne, 1719, R. Strauss, Daphne, 1938) insbesondere die Orfeo-Saga. Nach der Favola d’Orfeo (1471) von Angelo Poliziano mit verschiedenen instrumentalen Einlagen und Tänzen z. B. Euridice von Jacopo Peri (Florenz 1600) und Giulio Caccini (Florenz 1602), Orfeo von Claudio Monteverdi (Mantua 1607) und Luigi Rossi (Paris 1647), L’Orfeo des bedeutenden Venezianers Antonio Sartorio (Venedig 1673), und das Componimento per musica Orfeo ed Euridice von J. J. Fux (Wien 1715, 1728), die Azione teatrale Orfeo ed Euridice von Ch. W. Gluck (Wien 1762), L’anima del filosofo ossia Orfeo ed Euridice von J. Haydn, E. Kreneks Oper Orpheus und Euridike (Kassel 1926), Orphée von Philip Glass (1993), oder Orpheus ex machina (Graz 1977/78, Oper in zwei Akten) von I. Eröd.

Nach einem vorübergehenden Desinteresse in Italien um 1650 wurde die Pastoraloper gegen Ende des 17. Jh.s und insbesondere seit dem Beginn des 18. Jh.s auch außerhalb Italiens (Deutschland, Frankreich) zum bevorzugten Unterhaltungsobjekt des adeligen Publikums (vgl. Jean-Baptiste Lullys La Pastorale comique, 1667, das Ballett Les Fêtes de l’amour et de Bacchus, 1672). Auch am Wiener Hof wurden unter den verschiedenen Bezeichnungen wie Poemetto dramatico p. (M. A. Ziani, Flora, 1706), Favola per musica (G. Bononcini, Endimione, 1706), Componimento p. eroico (J. J. Fux, La Decima fatica d’Ercole, 1710), Dramma p. (F. Conti, Il Trionfo dell’amicizia e dell’amore, 1711, 1723), Favola p. (F. Conti, I Satiri in Arcadia, 1714), Festa p. per musica (J. J. Fux, La Corona d’Arianna, 1726), P. à due voci (A. Caldara, Nigella, e Tirsi, 1726), P./Dramma per Musica (A. Caldara, Imeneo, 1727) zahlreiche Pastoralopern aufgeführt. Gelegentlich findet sich der Begriff P. direkt im Titel des Werkes (vgl. P. von I. Conti, im Untertitel als Festa di camera à. 2. Voci bezeichnet, oder Dialogo P. tra il Decoro, e la Placidezza, 1732, von G. Porsile). Im Unterschied dazu wurden manche Opern mit p.r Thematik völlig neutral bezeichnet (vgl. die Festa teatrale Galatea vendicata, 1719, 1724, von F. Conti). Darüber hinaus wurden die Pastoralszenen fester Bestandteil zahlreicher weiterer Opern, mit den typischen kompositorischen Merkmalen wie 12/8-, 3/8- oder 6/8-Takt, Siciliano-Rhythmus, Terz- oder Sext-Parallelbewegung über einem Orgelpunkt, Dreiklangsmelodik, Echoeinwürfen, Beschränkung auf die tonalen Hauptfunktionen und Tonarten mit wenig Vorzeichen, vorwiegend homophonem Satz oder spezifischer Instrumentation (Bevorzugung von Holzbläsern wie Flöte, Oboe bzw. Bläsertrio mit zwei Oboen und Fagott). Caldara setzt diesen Topos auch in Form von selbständigen Instrumentalstücken (Sinfonia P. aus dem 1. Akt der Semiramide in Ascalona, 1725, für ein Bläsertrio) ein, ähnlich wie er das Bläsertrio ohne weitere Begleitinstrumente in der Chorbegleitung (Coro di Pastori aus A. Caldaras Imeneo, 1727) verwendet. In den Drammi per musica des Wiener Hofdichters P. Metastasio kommen die Pastoralszenen jedoch nur selten, die Landschaft Arkadien überhaupt nur ein einziges Mal vor (L’Olimpiade, zum ersten Mal von A. Caldara 1733 vertont), nicht zuletzt als Folge der sich allmählich verändernden Wahrnehmung der Natur. Trotzdem blieb die Pastoraloper bis zur Französischen Revolution aktuell (vgl. etwa Bastien und Bastienne, 1768, von W. A. Mozart), darüber hinaus finden sich pastorale Elemente auch im Singspiel wieder.

Neben der Oper wurde die P., ausgehend von der Rolle der Hirten im Evangelium, auch zu einem Topos für die Weihnachtszeit, Hand in Hand damit (seit ca. 1650) auch in zahlreiche andere Gattungen übernommen, wie die geistliche und weltliche Kantate, das Oratorium (J. S. Bach, Weihnachtsoratorium, J. Haydn, Die Schöpfung, Hob. XXI:2, 1796–98, Die Jahreszeiten, Hob. XXI:3, 1799–1801) sowie die Instrumentalmusik (Instrumentalensembles, Violin-, Orgel- und Cembalomusik). Nach der Sonata pastorale à 4. Due Violini, Viola, e Trombone, ò Leuto (1637) von Francesco Fiamengo findet sich das musikalische P. bei G. Torelli (Concerti grossi con una P. per il Santissimo Natale op. 6, Nr. 8, gedr. 1712) oder in Österreich bei J. H. Schmelzer (Suite Pastorella, vor 1669, Pastorella in der Sammlung mit Violinmusik Codex Rost, A. Bertalli (Sonata di Natale à 13 für zwei Trompeten, zwei Violinen, drei Violetten, zwei Zinken und vier Posaunen) oder H. I. F. Biber (Pastorella für Violino Solo und B. c., Wien, Minoritenkonvent, Kodex 726, 160v). Aus der Zeit Karls VI. sind drei Kompositionen von J. J. Fux (K 395–397) und Go. Muffat (zwei Pastorellen und eine Fuga pastorella) überliefert.

Besonderen Stellenwert hatte die sog. Pastorella (pastorela) in zahlreichen Ausformungen und Besetzungen im österreichisch-böhmischen Raum, bei Komponisten wie z. B. Jiří Ignác Linek (Symphonia pastoralis, Pastorella für Cembalo solo und Orchester), J. J. Ryba, F. X. Brixi sowie L. Hofmann, G. J. Werner (Pastorelen für 4 Stimmen und B. c.), wobei in der Kantoreipraxis auf dem Land die Pastorella die Weihnachtskantate oder das Oratorium ersetzte (Landmesse).

Nach 1750 erfreuten sich insbesondere die Pastoralsinfonien großer Beliebtheit, mit der Sinfonia p. op. 68 (ursprünglich Sinfonia pastorella), 1808, von L. v. Beethoven als Höhepunkt. Mit besonderer Intensität von den französischen Impressionisten (Claude Debussy, Prélude à l’après-midi d’un faune, 1892–94, Syrinx für Soloflöte, 1913; Maurice Ravel, Daphnis et Cloé, 1909, sowie Igor Strawinsky,Pulcinella, 1919, Oedipus Rex, 1926/27, Apollon Musagète, 1927/28 u. a.) angewendet, behielt die p. Tradition für das gesamte 19. und 20. Jh. und quer über alle Gattungen seine Gültigkeit, wie z. B. im Lied (nach W. A. Mozart und L. v. Beethoven vgl. Fr. Schubert, H. Wolf), in der Symphonik (H. Rott, P.s Vorspiel, 1880, R. Strauss, Eine Alpensymphonie, op. 64, 1915), Weihnachtsmusik (H. Wolf, Hymnus Christnacht, 1886–89, Weihnachtsmusik von A. Schönberg, 1921, Maria Saaler Weihnachtsmesse, 1984, von N. Fheodoroff), in Kompositionen mit archaischem Instrumentarium (vgl. z. B. P. Angerer, Pastorale für Viola da Gamba, 1951), als Parodie in der Operette (J. Offenbach, Orphée aux enfers, 1858, F. v. Suppè, Die schöne Galathee, 1865) sowie häufig in Werken ohne konkreten p.n Bezug.


Literatur
MGG 10 (1962) u. 7 (1997); NGroveD 19 (2001) [Pastoral]; J. Fukač/J. Vysloužil (Hg.), Slovník české hudební kultury 1997; G. Chew, The Christmas Pastorella in Austria, Bohemia and Moravia, Diss. Manchester 1968; O. Biba in Musica sacra 97 (1977); F. W. Riedel, Kirchenmusik am Hofe Karls VI. (1711–1740), 1977; O. Biba, Die P. Studien zur Gesch. eines musikalischen Topos, Diss. Bern/München 1980; M. Germer, The Austro-Bohemien Pastorella and Pastoral Mass to c. 1780, Diss. New York 1989; St. Kunze, Die Sinfonie im 18. Jh. Von der Opernsinfonie zur Konzertsinfonie 1993; G. Chew in D. W. Jones (Hg.), Music in eighteenth-century Austria 1996.

Autor*innen
Dagmar Glüxam
Letzte inhaltliche Änderung
22.3.2022
Empfohlene Zitierweise
Dagmar Glüxam, Art. „Pastorale‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 22.3.2022, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dc6e
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Leopold Birstinger, Hirtenfamilie, Mosaikwandbild (1958/59). Gemeindebau Lorenz-Mandl-Gasse 36–38 (Wien XVI)© Björn R. Tammen
© Björn R. Tammen

DOI
10.1553/0x0001dc6e
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