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Pantomime
Bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch sowohl den Darsteller als auch seine Darstellung (griech. παντόμιμος = der alles Nachahmende). Pantomimische Ausdrucksformen finden sich bereits in antiken Hochkulturen und kommen neben theatralischen Darbietungen auch im rituellen Brauchtum zum Einsatz. Obgleich sich der Begriff der Mimik in erster Linie auf den Gesichtsausdruck bezieht, während die P. den ganzen Körper involviert, wird dennoch häufig von einem Mimen gesprochen, wenn – genau genommen – ein P. gemeint ist. Zur weiteren Differenzierung unterschiedlicher Stile und Formen wurden Begriffe wie „Gestisches Theater“ bzw. „gestual theatre“, „le théâtre du geste“ oder „mime pure“ versus „mime corporel“ eingeführt, die sich insbesondere auf Strömungen seit dem beginnenden 20. Jh. beziehen.

Pantomimisches Bewegungsvokabular fand in unterschiedliche Theatersparten (Musiktheater, Theatertanz bzw. Tanztheater, Schauspiel bzw. Sprechtheater, Zirkus, Varieté und Kabarett etc.) sowie in Film und Fernsehen Eingang, wobei die pantomimischen Szenen als Einlagen in Monologe, Dialoge, Tanz- und Gesangsnummern integriert sein können. Konsequenterweise ist bei der Beschreibung pantomimischer Ausdrucksformen neben historischen, regionalen bzw. nationalen und institutionellen Rahmenbedingungen auch eine gattungsspezifische Kontextualisierung relevant.

Neben der gestisch-mimischen Bewegungssprache greift die P. auch auf tänzerisches oder akrobatisches Vokabular zurück, um Typen oder Rollen, Handlungsvorgänge oder psychologische Gehalte „nachahmend“ darzustellen. Im Zentrum stehen zumeist (auf der Basis einer Handlung vermittelte) emotionale Vorgänge und daraus resultierende Konflikte, seien sie tragischer, komischer oder tragi-komischer Natur. Zur Evozierung von Illusionseffekten bzw. einer betont grotesken, karikierenden oder ironisierenden Darbietung bediente sich die P. lange Zeit tradierter Techniken der Übertreibung und Verfremdung sowie scharfer Kontrastbildungen, die jedoch nur ansatzweise zu einem verbindlichen Kodex zusammengefasst werden können.

Obgleich die P. im engeren Sinne keine musiktheatrale Form ist, sollte sie dennoch gerade durch ihren Eingang in das Musiktheater bzw. ihre Verbindung mit dem Theatertanz zu besonderer Bedeutung gelangen. Schließlich werden auch Sätze konzertanter bzw. nicht szenisch intendierter Kompositionen als P. bezeichnet, um ihren (rein musikalisch) „ausdrückenden Charakter“ zu unterstreichen (vgl. z. B. Arthur Honeggers Suite archaïque, 1951, deren 2. Satz den Titel P. trägt). Musik zu pantomimischen Tanzsequenzen kann sich in der Regel wesentlich freier entfalten als zu konventionellen Tanzformen, in denen regelmäßige Akzentsetzungen und symmetrische Abschnittsbildungen lange Zeit verbindlich waren. Ein „epochaler“ Stellenwert fiel der Tanz-P. bei der Herausbildung des „Ballet en action“ (bzw. „Ballet d’action“) zu, (Ballett des späten 18. Jh.s, in denen man sich verstärkt bemühte, zusammenhängende dramatische Handlungsverläufe ausschließlich tänzerisch umzusetzen, und sich hierbei gestisch-pantomimischer Ausdrucksformen bediente), einem Prozess, der durch den Wiener Ballettmeister F. A. Hilverding entscheidende Impulse erhielt und von seinem – ab 1752 ebenfalls in Wien wirkenden – Schüler G. Angiolini erfolgreich fortgesetzt werden konnte. Dennoch kann nicht einfach von einem Aufgehen der P. im Ballett gesprochen werden (z. B. der zweifellos von Schülern aufgeführte und wohl nicht durchgehend getanzte Pantomimo von G. Pasterwiz, 1781). (Ballett-)P.n wurden im späten 18. und frühen 19. Jh. am Wiener Theater in der Leopoldstadt von F. Kauer, V. Tuczek und J. Drechsler v. a. F. Volkert und W. Müller, am Theater an der Wien I. v. Seyfried, A. Fischer, J. Kinsky und v. a. Ph. J. Riotte und F. Roser komponiert.

In der Folge zeigt sich im Ballett selbst – analog zur Oper und ihrer Untergliederung in Arien und Rezitativen – eine zunehmend deutlichere Trennung zwischen „gefühlsbetonten“, stimmungstragenden bzw. Atmosphäre bildenden und ebenso von technischer Brillanz geprägten Tanzsequenzen einerseits und gestisch-pantomimisch darstellenden Tanzszenen andererseits, mit denen die Handlung verdeutlicht bzw. vorangetrieben wird. Letztere bedienen sich einer konventionalisierten Gestik oder sind dem komischen (bzw. grotesken) Fach verpflichtet, das mehr Spielraum für individuelle Bewegungsgestaltungen zur Darstellung außergewöhnlicher „Charaktere“ bietet (dagegen zeichnet sich der „Charaktertanz“ zur Porträtierung bestimmter Volksgruppen – z. B. auf der Basis stilisierter Nationaltänze – wieder durch eine strengere Kodifizierung aus). Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks in der österreichischen Moderne fällt der P. wiederum besondere Bedeutung zu: Sie avanciert in der Literatur, im Theater, in der Musik und im Tanz zu einer eigenständigen Gattung, die die Grenzen wortgebundener Inhalte durch nonverbale Botschaften zu ergänzen sucht (vgl. z. B. F. Schreker, Der Geburtstag der Infantin, 1908, Dichtungen Die blaue Blume oder das Herz des Pierrot und Der Vogel oder Pierrots Wahn), wobei sie als tänzerisches Darstellungsmittel sehr divergierende Gestaltungen in bewusster Distanz zu dem klassischen Ballettkodex erfährt: Als prominente Wiener Vertreterinnen dieser im Zeichen des „Ausdrucks-“ bzw. „Freien Tanzes“ stehenden Bewegung seien hier die Schwestern Wiesenthal (insbesondere G. Wiesenthal unter dem literarischen Einfluss von H. v. Hofmannsthal), G. Bodenwieser und R. Chladek hervorgehoben.

Insbesondere im Bereich „alternativer“ Theaterstätten jenseits etablierter Bühnen konnte sich die P. mit ihren gestisch verschlüsselten Botschaften auch als politisches Instrumentarium, nicht selten sozialkritischen Charakters, bewähren. Der sie wesenhaft kennzeichnende Unterhaltungsanspruch bewahrt sie jedoch vor moralisierenden Zügen. Gerade die tief- bzw. hintergründige Heiterkeit durch subtil pointierte Bewegungsgestaltungen verschafft der wortkargen und doch so inhaltsreichen P. nachhaltige Wirkung.


Literatur
MGG 7 (1997); P. Tomek, Die Musik an den Wr. Vorstadttheatern 1776–1825. Theatermusik und Zeitgeist. Eine Bestandsaufnahme, Diss. Wien 1989; österreich tanzt 2001; J. Hera, Der verzauberte Palast. Aus der Gesch. der P. 1981.

Autor*innen
Stephanie Schroedter
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2005
Empfohlene Zitierweise
Stephanie Schroedter, Art. „Pantomime‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dc47
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