In weiterer Folge konnte insbesondere A. W. Ambros auf der Basis einer breiteren Quellen- und Repertoirekenntnis ein wesentlich umfassenderes wie detaillierteres Bild der niederländischen Musik zeichnen. Der Einschätzung des 19. Jh.s, wonach die N. noch eine unterentwickelte Vorstufe der Tonkunst von allenfalls dokumentarischem Interesse repräsentierten, blieb Ambros aber insofern verhaftet, als er erst bei Josquin Desprez einen Ansatz zur Überwindung des spröden, gekünstelten Kontrapunkts des Mittelalters in Richtung auf die wohlklingende und ausdrucksvolle Polyphonie der Renaissance konstatieren zu können meinte. Dieser ästhetischen Beurteilung entspricht, dass im 19. Jh. die Beschäftigung mit den N.n fast gänzlich auf die Historiographie beschränkt blieb. Falls in historischen Konzerten (von Palestrina abgesehen) überhaupt alte Vokalpolyphonie zur Aufführung kam, erklang mit wenigen Ausnahmen nur Musik des 16. Jh.s (insbesondere O. di Lasso, u. a. bei J. Brahms).
Einen durchaus hohen Stellenwert nahm die Befassung mit den N.n in der Schule G. Adlers ein. Aus ihr gingen einige auf niederländische Musik spezialisierte Forscher hervor (R. v. Ficker, A. Orel, D. Plamenac, A. Smijers), einschlägige Dissertationen verfassten unter Anleitung Adlers weiterhin u. a. V. Ebenstein, H. Kraus, J. Lechthaler, L. Nowak, A. v. Webern. Ein Schwerpunkt lag – nicht zuletzt in national-patriotischer Absicht – auf der niederländischen und niederländisch geprägten Musik des österreichischen Raums, v. a. auf den Trienter Codices und auf H. Isaac (Werke aus dieser Sammlung bzw. dieses Komponisten wurden auch in jeweils mehreren Bänden der Denkmäler der Tonkunst in Österreich herausgegeben). Durch ihren auf die Entwicklung der musikalischen Faktur gerichteten stilgeschichtlichen Ansatz unterscheiden sich die Untersuchungen der Adler-Schule vom stärker ästhetisch und kulturgeschichtlich bestimmten, insbesondere von Johan Huizinga beeinflussten Zugang des seit den 1930er Jahren führenden deutschen N.-Forschers Heinrich Besseler.
In der Zwischenkriegszeit begann niederländische Musik vermehrt in die Praxis bzw. das Konzertleben einzudringen. Während sich in Westeuropa vereinzelt schon professionelle Spezialensembles formierten, spielte sich die praktische N.-Rezeption des deutschen Sprachgebiets im amateurhaften bis semiprofessionellen Milieu der Chor- und Jugendmusikbewegung bzw. der universitären collegia musica ab. Aus technischen wie ideologischen Gründen wurde dabei ein Repertoire bevorzugt, das sich in erster Linie aus „deutschen“ Gesellschaftsliedern und aus Werken von N.n zusammensetzte, die wie H. Isaac und O. di Lasso in Deutschland gewirkt hatten.
Nicht zuletzt infolge der Vertreibung (Exil) europäischer Wissenschaftler durch den Nationalsozialismus wurden seit den 1940er Jahren die USA zu einem Zentrum der N.-Forschung; dort ist auch die nach dem Zweiten Weltkrieg wichtigste einschlägige Editionsreihe, das Corpus mensurabilis musicae, beheimatet.
Nach 1945 haben österreichische Musikwissenschaftler immer wieder einzelne Beiträge zur Erforschung der N. geleistet, u. a. im Rahmen von Studien zu den österreichischen Hofkapellen des 15. und 16. Jh.s (H. Federhofer, W. Pass, W. Senn, O. Wessely). In den DTÖ erschienen die Gesamtausgaben der Werke J. Vaets und P. Maessins. Die N., und besonders Josquin Desprez nahmen (wie schon in der Zwischenkriegszeit) einen wichtigen Platz in Lehre und Praxis des bedeutenden Impulsgebers der österreichischen Alte Musik-Bewegung, J. Mertin, ein. Seit den 1960er Jahren hat sich R. Clemencic nicht zuletzt durch zahlreiche Platteneinspielungen um die Pflege n.er Musik verdient gemacht. Der aktuellste, von englischen und amerikanischen Historikern bzw. Praktikern in Gang gesetzte Trend in der Aufführungspraxis mittelalterlicher Vokalpolyphonie, die rein vokale solistische Besetzung, wurde in Österreich vom Vokalensemble Nova aufgegriffen. Weiterhin beziehen sich einige österreichische Gegenwartskomponisten in ihrem Schaffen auf niederländische Musik (z. B. G. Neuwirth auf Josquin).
L. Finscher (Hg.), Die Musik des 15. und 16. Jh.s 1 (1989); H. Haskell, The Early Music Revival 1988; J. Stenzl in H.-K. Metzger/R. Riehn (Hg.), Josquin des Prés 1982; C. Szabó-Knotik in E. Th. Hilscher (Hg.), [Fs.] Th. Antonicek 1998.