Neujahr
Ein Termin im Brauchtum, der als Übergangsritus vielfach mit Musik gestaltet wird. In der römischen Antike wurde 153 v. Chr. der Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Jänner verlegt, was – gemeinsam mit den Glückwunschbräuchen, die sich damals schon an diesen Termin hefteten – in unseren Kulturkreis übernommen wurde. Das
„Ansingen“ zu
N. um Gaben von Haus zu Haus durch verschiedenste Gruppen (Kinder, Schüler, [Handwerks-] Burschen, Gemeinde- und Kirchendiener, Hirten, Nachtwächter usw.) ist seit dem
Mittelalter bezeugt. Möglicherweise war es auch mit
Tänzen verbunden. In den Texten von
Tanzliedern erscheinen oft die „goldenen Dinge“, die dem Hausherrn, der Hausfrau, den Kindern gewünscht werden: der goldene Tisch, die goldene Wiege usw. Wo kirchliche Institutionen Einfluss auf solche
Bräuche hatten, wurden geistliche Lieder verwendet, die u. a. im Zuge der
Gegenreformation für die kirchliche
N.sfeier geschaffen wurden. Geistliche
N.slieder wurden am Land oftmals durch die Institution der „Kirchensinger“ gepflegt, in größeren Orten auch von den Lateinschülern, die sich durch Singen vor den Häusern einen Teil ihres Lebensunterhaltes verdienen mussten. Im Volksbrauch hat jedoch in vielen katholischen Regionen nach und nach das
Sternsingen zum Dreikönigsfest, das etwa um 1550 aufkam, das ältere
N.ssingen verdrängt. Erhalten hat es sich bis an die Schwelle der Gegenwart v. a. im
Burgenland, in
Niederösterreich, in der
Steiermark, im
Salzkammergut, in
Kärnten und in einigen Tälern
Südtirols, überwiegend mit geistlichen Liedern. Allgemeiner verbreitet ist heute das
N.sblasen der Musikkapellen (
Blasorchester), die sich um die
N.szeit von Haus zu Haus oder bei gewissen Honoratioren mit einem flotten
Marsch einstellen und Geldspenden für ihre das Jahr über geleistete ehrenamtliche Tätigkeit erhalten. An manchen Orten ist zu diesem Termin auch das Blasen vom Kirchturm üblich. Dieses wurde laut archivalischen Nachrichten durch Jh.e von den städtischen
Thurnern ausgeführt.
N. ist auch ein alter Termin für Lärmbräuche: rituelles N.sschießen wird bis heute in verschiedenen Schützenvereinen gepflegt. Das „Aperschnalzen“, ein rhythmisiertes Peitschenknallen von Burschengruppen, das mit dem Wecken der Fruchtbarkeit nach dem Winterschlaf in Zusammenhang gebracht wird („aper“ = schneefrei), beginnt an einigen Orten zu N. Die Knallkörper und Leuchtraketen, die in der Silvesternacht allenthalben abgeschossen werden, sind als Fortführung solcher Lärmbräuche zu sehen. Aber auch Glocken spielen zu N. eine Rolle; so wählen einige Salzburger Perchtengruppen (Perchtentanz) den N.stermin für ihren Umzug, wobei gewisse Maskengestalten Glocken am Leib tragen, die durch Springen und Tanzen zum Klingen gebracht werden. Der Klang der Pummerin, der großen Glocke des Wiener Stephansdomes, begleitet alljährlich etwa 600.000 Teilnehmer des 1990 initiierten „Silvesterpfades“ der Bundeshauptstadt ins neue Jahr, was zusätzlich noch von vielen Österreichern in der Übertragung durch den ORF mitverfolgt wird. Inzwischen werden – einem internationalen Trend folgend – auch in anderen österreichischen Städten Silvesterevents mit Feuerwerken, Musik und Tanz in Straßen und Gasthäusern veranstaltet. Ein mediales Weltereignis ist das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.
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A. Anderluh, Kärntens VolksliedschatzAnton Anderluh, Kärntens Volksliedschatz. 3. Abtlg., Bd. 2: Brauchtumslieder (Buchreihe des Landesmuseums für Kärnten 28). Klagenfurt 1970. III/1: Brauchtumslieder 1970; W. Deutsch, Volksmusik in Niederösterreich, St. Pölten u. UmgebungWalter Deutsch, Volksmusik in Niederösterreich. St. Pölten und Umgebung (Corpus Musicae Popularis Austriacae 1). Wien–Köln et al. 1993. 1993; G. Haid in ÖMZGerlinde Haid, Das Lied zum Neuen Jahr. Einige Beispiele aus Niederösterreich, in Österreichische Musikzeitschrift 27/9 (1972), 473–482. 27 (1972); G. Haid, N.ssingen u. N.slied in Niederösterreich, mit besonderer Berücksichtigung des PiestingtalesGerlinde Haid, Neujahrssingen und Neujahrslied in Niederösterreich, mit besonderer Berücksichtigung des Piestingtales. Diss. Wien 1974., Diss. Wien 1974; K. M. Klier, Das N.ssingen im BurgenlandKarl Magnus Klier, Das Neujahrssingen im Burgenland (Burgenländische Forschungen 11). Eisenstadt 1950. 1950; A. Holtorf in Hb. des VolksliedesArne Holtorf, Neujahrslied, in: Rolf Wilhelm Brednich (Hg.)/Lutz Röhrich (Hg.)/Wolfgang Suppan (Hg.), Handbuch des Volksliedes 1: Die Gattungen des Volksliedes (Motive. Freiburger folkloristische Forschungen 1/I). München 1973, 363–389. 1 (1973); A. Quellmalz, Südtiroler VolksliederAlfred Quellmalz, Südtiroler Volkslieder. Kassel et al. 1968, 1972 , 1976. 3 (1976); H. Siuts, Die Ansingelieder zu den Kalenderfesten. Ein Beitrag zur Gesch., Biologie u. Funktion des VolksliedesHinrich Siuts, Die Ansingelieder zu den Kalenderfesten. Ein Beitrag zur Geschichte, Biologie und Funktion des Volksliedes. Göttingen 1968. 1968; H. M. Wolf, Das neue BrauchbuchHelga Maria Wolf, Das neue Brauchbuch. Alte und junge Rituale für Lebensfreude und Lebenshilfe. Wien 2000. 2000; H. M. Wolf, Österr. Feste u. Bräuche im JahreskreisHelga Maria Wolf, Österreichische Feste und Bräuche im Jahreskreis. St. Pölten–Wien–Linz 2003. 2003.
16.5.2004
Gerlinde Haid,
Art. „Neujahr“,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
16.5.2004, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001db1b
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