Die Isolation vom Publikum, in die die Neue Musik insbesondere in Österreich und Deutschland schon seit Beginn des 20. Jh.s allmählich und um 1910 in dramatischer Weise geraten war, wurde unter dem Eindruck des durch das Ende des Ersten Weltkriegs, die Errichtung der Weimarer bzw. der Ersten Republik und v. a. den 1923/24 einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung ausgelösten kulturellen Wandels in den 1920er Jahren von vielen Komponisten, insbesondere der um 1900 geborenen Generation, zunehmend als Belastung empfunden. Die Wiedergewinnung oder eigentlich Neugewinnung von Öffentlichkeit, also der Versuch, mit dem eigenen Komponieren den Anschluss an die durch die politischen und ökonomischen Umwälzungen, den Kontakt mit über Westeuropa vermittelter oder direkt importierter amerikanischer populärer Musik, speziell mit Jazz, und technische Innovationen wie die öffentliche Ausstrahlung des Rundfunks gewandelten Bedürfnisse einer gegenüber der Vorkriegszeit hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung sowie des Freizeitverhaltens insbesondere der eigenen Generation stark veränderten und v. a. quantitativ stark erweiterten musikalischen Öffentlichkeit nicht nur nicht zu verlieren, sondern eigentlich überhaupt erstmals zu finden, löste bei diesen Komponisten die an Fragen des kompositorischen Materials oder des Ausdrucks des Unbewussten orientierten zentralen ästhetischen Problemstellungen der etwa eine Generation älteren Komponisten des Expressionismus weitgehend ab. In einem programmatischen Aufsatz von 1927 als Bezeichnung für diese Haltung und die aus ihr heraus komponierte Musik den Begriff N. S. zu übernehmen, legte sich für Krenek deshalb nahe, weil der Begriff seit seiner Prägung durch den Aussteller G. Hartlaub 1923 in ähnlicher Verwendung im kunstkritischen Tagesgebrauch bereits eingebürgert und auch auf andere Gebiete übertragen worden war. Da weniger kompositionsästhetische Erwägungen im engeren Sinn, sondern die veränderten Rezeptionsbedingungen von Musik, v. a. ihre technische Reproduzierbarkeit durch das Grammophon, im Rundfunk und im Film, der ausschlaggebende Faktor für diese ästhetische Umorientierung war, schlug sich dieser Wandel am deutlichsten in der Veränderung und Erweiterung der von den Komponisten der N.n S. bedienten Genres nieder. An die Stelle von primär für die Aufführung im Konzertsaal geschriebener Musik traten v. a. gegen Ende des Jahrzehnts mehr und mehr Kompositionen, die eigens für die Verwendung im Schulunterricht oder bei Großveranstaltungen im öffentlichen Raum komponiert wurden, ferner primär für die Sendung im Rundfunk komponierte Musik ab 1929, selbstverständlich Filmmusik oder – gewissermaßen als Nebeneffekt der Begeisterung für die Triumphe der Technik – auch Werke für mechanische Musikinstrumente. Hinsichtlich der Kompositionstechnik standen v. a. Fragen der Besetzung, des Tonsatzes und der Form, die unmittelbar mit der Wahl des Genres, mit den in Abhängigkeit vom Genre und von der technischen Reproduktion zu erwartenden Veränderungen des Hörverhaltens und v. a. mit den damaligen technischen Möglichkeiten des gewählten Mediums zusammenhingen, viel stärker im Zentrum der Überlegungen, als das in der Neuen Musik bis dahin notwendig gewesen war. Ob auch im Kontext der Jugendmusikbewegung entstandene Gemeinschaftsmusik zu diesen neuen Genres gezählt werden sollte, scheint in erster Linie aus ideologischen Gründen fraglich, da diese an der Idee einer Gemeinschaftskultur orientierte Bewegung als konservative Gegenbewegung zur modernen Massenkultur, der das Interesse der N.n S. galt, zu betrachten ist. Neben den neuen Genres galt das Interesse der N.n S. auch einem ganz traditionellen, nämlich der Oper, mithin also jenem Genre, mit dem die meisten Menschen erreicht werden konnten und das immer noch das populärste war. Die Komponisten der N.n S. wollten sich indessen nicht mit der von vornherein gegebenen relativen Popularität der Oper zufrieden geben, sondern auch auf dem Feld des Musiktheaters eine größere und v. a. eine andere Art von Öffentlichkeit als das herkömmliche Opernpublikum erreichen, und zwar mit der Schaffung der neuen Gattung der Zeitoper. Kennzeichen der Zeitoper ist v. a. die Wahl eines Stoffes aus dem großstädtischen privaten Leben der Gegenwart der 1920er Jahre, häufig eines Stoffes, der Beziehungsprobleme, die die Existenz einer modernen Kleinfamilie bedrohen, behandelt. Weitere Kennzeichen sind das Sichtbar- und gelegentlich auch Hörbarmachen der Ansiedlung dieses Stoffes in der unmittelbaren Gegenwart, mit Auswirkungen v. a. auf die Gestaltung des Bühnenbildes, der Kostüme und Requisiten bis hin zum gelegentlich auch akustischen Einsatz moderner technischer Geräte wie Fotoapparat oder Telefon und der Verwendung von Grammophon- oder Radiomusik sozusagen als Bühnenmusik, das Aufgreifen populärer Musikarten wie etwa des Jazz, meist allerdings nur in der Form eher vager Allusionen, und generell das Weben eines Netzes von musikalischen Zitaten oder zitatartigen Anspielungen und Stilreferenzen. Als unzulässige Verkürzung muss dagegen gelten, dass Zeitopern generell komische Opern seien oder generell aus revueartiger Unterhaltungsmusik bestehen. Kreneks Jonny spielt auf etwa ist als Künstleroper im Stoff wie im Ton mit H. Pfitzners Palestrina, A. Schönbergs Glücklicher Hand oder F. Schrekers Fernem Klang eher zu vergleichen als mit einer Opera buffa wie Paul Hindemiths Neues vom Tage. Ganz allgemein kann von einem einheitlichen musikalischen Stil oder gar von einem neuen Stil der N.n S. nicht die Rede sein. Den Komponisten der N.n S. ging es im Gegensatz zu den romantischen und expressionistischen Komponisten auch nicht um einen möglichst originellen oder individuellen Personalstil. Im Gegenteil kennzeichnet die Musik der N.n S., in der Hoffnung, dass es dadurch der Öffentlichkeit ermöglicht werde, dieser Musik möglichst problemlos zu folgen, in ihr ganz bewusst auf bereits vorhandene Stile, Stilelemente und Stilmittel zurückzugreifen. Folglich mussten die Komponisten im Idealfall auf Distanz zu den von ihnen verwendeten musiksprachlichen Mitteln gehen. In der kompositorischen Praxis ließen sich diese theoretischen Positionen allerdings nur bedingt verwirklichen. Die Komponisten, die sich der N.n S. verpflichtet fühlten, waren häufig einfach nicht in der Lage, auf alle Stile oder Stilmittel, die sie verwenden wollten, in der gleichen Weise erfolgreich zuzugreifen. Einerseits waren für einzelne Komponisten besonders erfolgreich handhabbare Stilmittel ausgerechnet solche, die der Öffentlichkeit eben nicht vertraut waren, besonders dann, wenn bei einigen Komponisten die eigene spätromantische oder expressionistische Vergangenheit doch immer wieder so stark durchschlug, dass sie die selbst auferlegte Distanz zu den Sprachmitteln nur bedingt einhalten konnten. Andererseits erwiesen sich ausgerechnet solche Stilmittel, die der Öffentlichkeit vertraut waren, für viele Komponisten als nicht handhabbar. Zahlreiche Werke der N.n S. führen eindrucksvoll vor Ohren, wie weit entfernt komponierter von improvisiertem Jazz sein kann. Die Frage, ob und gegebenenfalls wie die N. S. auf die im Durchschnitt eine Generation älteren expressionistisch orientierten Komponisten zurückgewirkt habe, muss als unentschieden gelten. Versuche, den Übergang von der expressionistischen atonalen Musik zur Zwölftonmusik bei Schönberg und seinen bedeutendsten Schülern und damit die Tendenz zur stärkeren logischen und rationalen Fundierung des atonalen Satzes mit Hilfe des Begriffs der N.n S. zu deuten, oder den hinter der Zwölftonmusik stehenden zentralen ästhetischen Begriff der Fasslichkeit mit dem der N.n S. zusammenzubringen, wie sie etwa in der Philosophie der neuen Musik von Th. W. Adorno zumindest anklingen, dürften nicht sehr weit führen, da sie den Begriff der N.n S. von seinem ursprünglichen Entstehungs- und Verwendungszusammenhang ablösen und so weit entfernen, dass der Begriff entleert zu werden droht. Auch die gelegentliche Verwendung des Adjektivs „sachlich“ oder des Substantivs „Sachlichkeit“, allerdings ohne das Attribut „neu“, in Schriften von Komponisten der Wiener Schule, etwa in A. v. Weberns unter dem Titel Der Weg zur Neuen Musik veröffentlichten Vorträgen von 1932/33 dürften eher auf eine gewisse allgemeine Modernität oder Attraktivität dieser Begriffe Anfang der 1930er Jahre als auf eine ernsthafte Selbstverortung Weberns im Kontext der N.n S. zurückzuführen sein. Eine gewisse Parallele zur Entindividualisierung des Komponierens, wie sie die N. S. fordert, besteht allenfalls in der Haltung J. M. Hauers, die in seiner Selbstdefinition als „Entdecker“ und nicht als Erfinder des Zwölftonspiels zum Ausdruck kommt. Neben diesen nur vagen Bezügen zwischen österreichischen Avantgardebewegungen und der sich allgemein ganz überwiegend in Deutschland realisierenden N.n S. besteht der Bezug zu Österreich v. a. darin, dass einer der wichtigsten Vertreter dieser Musikrichtung eben Krenek war. Als weiterer österreichischer Vertreter ist F. Petyrek zu nennen. Dass sich die Gattung der Zeitoper zwar nicht so sehr hinsichtlich der musikalischen Stilmittel als hinsichtlich der Sujets auf die Wiener Schule ausgewirkt hat, zeigen Schönbergs Von heute auf morgen und Alban Bergs Lulu. Beide Opern waren in erster Linie für den deutschen Markt gedacht. In Österreich dagegen scheint man im Allgemeinen, ähnlich wie etwa in Frankreich, Italien oder der Tschechoslowakei, die Notwendigkeit für eine N. S. gar nicht so sehr empfunden zu haben. Einerseits dürften sich die klassische und romantische ernste Musik, u. a. mit Hilfe der Arbeiter-Sinfoniekonzerte, und v. a. leichtere Gattungen wie die Operette in Hinblick auf das Erreichen der modernen Öffentlichkeit etwas erfolgreicher als in Deutschland über den Umbruch von 1918 und der Folgezeit hinweggerettet haben, andererseits ging mit der Wiener Schule die bedeutendste österreichische Avantgardebewegung mit der Gründung des Vereins für musikalische Privataufführungen 1918 dieser Öffentlichkeit zunächst konsequent aus dem Weg. Für eine Bewegung, die „modern“ und „öffentlich“ zugleich hätte sein können, dürfte schließlich der österreichische Markt zu klein gewesen sein.
W. Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 1963; E. Krenek in i 10 6 (1927); N. Grosch, Die Musik der N.n S. 1999; MGG 7 (1997).