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Neue Musik
Oberbegriff für musikalische Innovation, die sich konzeptuell, strukturell und ästhetisch von etablierten Verfahren, Gattungen oder Inhalten abzusetzen versucht. Obwohl in jedem Jh. innovative Strömungen als „neu“ empfunden wurden, steht der Terminus N. M. hauptsächlich für Entwicklungen im 20. Jh., unter dem Aspekt des Fortschritts in der Kunstmusik (Moderne). N. M. ist kein Epochen-, sondern ein Relations-Begriff und meint je nach Zeitsegment im 20. Jh. stets eine andere Musikrichtung.

Geprägt wurde der Begriff von Paul Bekker in seinem Vortrag über das jüngste Musikschaffen nach dem Ersten Weltkrieg (1919), den er in seinem gleichnamigen Sammelband 1923 eindeutig festlegte. Als Ausgangspunkt für N. M. gilt die Reorganisation des musikalischen Materials durch A. Schönberg und seine Schule (Zweite Wiener Schule). Nirgendwo offenbart sich der Bruch mit den Stilmitteln des 19. Jh.s deutlicher als in ihrem Schaffen, weil sie sich von dem durch die Tonalität determinierten Grundkonsens distanzierten. Diese Sichtweise impliziert, dass der Umgang mit der Tonalität zum Kriterium für N. M. geriet und andere Möglichkeiten, das verbrauchte Material unter Beibehaltung der Tonalität zu ersetzen, demgegenüber als konservativ herabgestuft wurden. So widerfuhr F. Schrekers dramaturgischer Innovation – immerhin für Alban Berg richtungweisend – Ignoranz. Gattungsspezifische Erneuerung etwa durch Jazz, Song, Medienmusik, Popularmusik etc. rubrizierte man nicht unter N. M.

Gleichwohl existiert eine Innovation, die musikalische Entwicklungen in neue Richtungen lenkte. Im Prinzip wurden im 20. Jh. zwei massive Erneuerungsschritte gesetzt: zum einen das Verlassen der Tonalität, zum anderen die Entwicklung neuer Techniken in der Popularmusik. Beide Neuerungen führten zur Befreiung von obsoleten Traditionalismen. Auf der einen Seite eröffneten sich Richtungen wie Expressionismus, serielle und postserielle Musik, Klang- und Lautkompositionen, Dadaismus, Bruitismus, Musique concrète, weiters Minimalismus, Aleatorik, elektronische Musik und Akusmatik, auch Musikgraphik (Notation) bis hin zu Meditationsmusik und Performance, zumeist für ein Spezialistenpublikum konzipiert, sofern die dahinter stehenden Verfahrensweisen nicht medial eingesetzt werden. Auf der anderen Seite führten Techniken der Popularmusik zur permanenten Verfügbarkeit von leicht fasslicher Musik, die in der Allgemeinheit verankert ist.

Während im 1. Drittel des 20. Jh.s Österreich durch das Wirken von Schönberg und seiner Schule Feder führend aufgetreten ist, reduziert sich die Position österreichischer Komponisten nach 1945 auf die – durchaus individuelle und sehr breit gestreute – kreative Rezeption der genannten internationalen Strömungen. Nichtsdestoweniger setzten einzelne Komponisten viel beachtete Impulse, etwa I. Radauer als Pionier der heimischen elektronischen Musik, G. Rühm als Mitbegründer der „Wiener Gruppe“ mit sog. „Visueller Musik“ – wobei Sprache, Musik und Bildende Kunst Synthesen mit unterschiedlichen Schwerpunkten eingehen – und nicht zuletzt G. Ligeti in der völlig unspezifischen Handhabung der Parameter Klang, Rhythmus, Diastematie.

1982 wurde in Wien unter dem Motto „Schöne N. M.“ ein Verein zur Förderung von traditionell komponierter Musik (Harmonia Nova, später Harmonia Classica) gegründet, die genau dem Gegenteil dessen entspricht, was zu Beginn des 20. Jh.s als N. M. figurierte.


Literatur
P. Stefan, N. M. und Wien 1921; R. F. Brauner, Österreichs N. M. 1948; Th. W. Adorno, Philosophie der N.n M. 1958; H.-H. Stuckenschmidt, N. M. zwischen den beiden Kriegen 1958; K. H. Wörner, N. M. in der Entscheidung 1956; W. Zillig, Die N. M. 1963; U. Dibelius, Moderne Musik 1 (1966) u. 2 (1994); R. Stephan, N. M. 1958; Ch. v. Blumröder in H.-H. Eggebrecht (Hg.), Terminologie der Musik im 20. Jh. 1995; R. Flotzinger in Studien zur Moderne 1 (1996).

Autor*innen
Margareta Saary
Letzte inhaltliche Änderung
16.5.2004
Empfohlene Zitierweise
Margareta Saary, Art. „Neue Musik‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 16.5.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001db15
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