Trotz dieser Schwierigkeiten spielt in der Musikgeschichte (besonders seit dem 19. Jh.; Romantik) v. a. die Darstellung von patriotischen (z. B. C. M. v. Webers Freischütz) und nationalen Momenten (z. B. Ideologie Rich. Wagners), von sog. „nationalen Schulen“ (z. B. eine skandinavische, russische, polnische, tschechische usw.) eine große Rolle. Letztere entstanden meist in deutlicher Abgrenzung (seltener im Sinne eines bloßen Nachholbedarfs) gegenüber der italienischen, französischen und einer – meist undifferenzierten – deutschen (d. i. inkl. der österreichischen) Musik, also als Alternativen zu den damals „tonangebenden“ Musik-Nationen, allenfalls sogar in offener Gegnerschaft dazu. Meist werden solche „nationalen Schulen“ v. a. an einer prägenden Rolle der jeweils eigenen Volksmusik in der Komposition festgemacht oder wenigstens an Inhalten, die durch diese getragen werden. Das setzt nicht nur den Glauben daran voraus, dass Musik überhaupt bestimmte Inhalte vermitteln kann, sondern zum einen, die usuelle Volksmusik generell als „alt“ (jedenfalls genetisch älter als artifizielle Musik) und „beständig“ (was jeweils zu beweisen wäre und sie allein ethnologischer Betrachtung entzieht; Ethnomusikologie) sowie durchaus als Musik der sog. gesellschaftlichen Grundschichten (Bauern, allenfalls Arbeiter) anzusehen. Zum andern werden „Volk“ und „Nation“ äußerst diffus gehandhabt, ja weitgehend in eins gesetzt. Von einer gewissen Wirkung sind schließlich bestimmte Klischees, aber auch (zwar seriöser gemeinte, jedoch nicht allzu weit gediehene) Ansätze der Völkerpsychologie. Als vornehmlich anzuwendende Methode legt sich der Vergleich nahe (ohne die Frage des N.s an die Vergleichende Musikwissenschaft abzuschieben, jedoch mit Folgen für – auf jeden Fall bloß relative – Ergebnisse).
Vor diesem Hintergrund sind insbesondere im 20. Jh. unternommene Versuche zu sehen, auch ein „Österreichisches in der österreichischen Musik“ festzumachen. Dass dies besonders schwierig ist, ergibt sich allein aus der Tatsache, dass es sich bei Österreich bis 1918 um ein multinationales Staatsgebilde handelte (innerhalb dessen auch „nationale Schulen“ entstanden, z. B. neben der tschechischen eine ungarische) und seither bloß um dessen deutschsprachigen „Rest“ (unter Einschluss einiger Minderheiten). Immerhin könnte mehr als nur Wunschdenken sein, dass sich bei dessen (neuerlicher) Identitäts-Suche und schließlich Nationsbildung auch Lernprozesse während der Jh.e dauernden kulturellen Vorgeschichte ausgewirkt haben. Faktum ist, dass die gewissermaßen offizielle Argumentation, besonders in den 1920/30er Jahren, ganz besonders auf kulturelle, und da wiederum besonders auf musikalische Momente abstellte sowie dass mehr oder weniger dieselben Gesichtspunkte für die Bestimmung eines österreichischen Spezifikums auf die Musik angewandt wurden, nämlich insbesondere: der Stammescharakter (die heutigen Österreicher als Produkt vielfältiger „Blut“-Mischungen), die ebenso differenzierte (Gebirge und Flussebenen verbindende) Landschaft, die lange Tradition einheitlicher Kulturverhältnisse (aufgrund der Herrscherhäuser; Babenberger, Habsburger), die große Rolle des Gemüts (der sog. „Gemütlichkeit“) im Alltagsleben, die Anziehungskraft Österreichs für ausländische Musiker, schließlich Einflüsse vonseiten der Volksmusik. Allerdings gehört unter diesen ausgerechnet das zuletzt genannte Argument, d. h. dasjenige, das im Falle der „nationalen Schulen“ meist am ehesten überzeugen kann, hier zu den schwächeren, u. zw. aus mehreren Gründen: Zum einen gibt es kein „österreichisches“ Volkslied, sondern nur ein über-nationales alpenländisches in regionalen Ausprägungen; zum andern wurden Volkslieder hierzulande bereits im 19. Jh. zunehmend nur mehr bedingt als soziale (als Träger trat die Bürgerschaft immer mehr in den Vordergrund; Musiksoziologie), auch mehr als regionale oder sonstwie eingeschränkte, aber eben nicht als nationale Phänomene verstanden (Folklore); allein dies hätte einen allzu einfachen Gebrauch (etwa als Zitat oder gar als Thema in einem symphonischen Werk, wie für den Russen Michail Glinka oder den Finnen Jean Sibelius) weitgehend verboten und wäre allenfalls eine sehr viel abstraktere Handhabung (wie z. B. Bela Bartók in Ungarn) in Frage gekommen. Dafür fehlte in der laufenden Stilentwicklung jedoch nicht nur die Veranlassung; vielmehr wäre dem seit L. v. Beethoven auch das Postulat der Originalität, das hier bereits das 19. Jh. zu prägen begann und im 20. Jh. zu einer Dominanz der Neuheit (Neue Musik) mutieren sollte, im Wege gestanden.
Als „national“ angesehene Unterschiede wurden im Laufe der Musikgeschichte immer wieder festgestellt, von verschiedenen Ausführungen des Chorals dies- und jenseits der Alpen im Mittelalter (noch durch Franchinus Gaffurius, 15. Jh.) über besondere Neuerungen (z. B. der Franko-Flamen), die Differenzierung von verschiedenen (allenfalls einzuebnenden) Vortragsweisen der Instrumentalmusik (insbesondere eines italienischen, französischen und deutschen „Stils“) durch A. Kircher, Ge. Muffat (17. Jh.) und Johann Joachim Quantz (18. Jh.) oder die Eignung bestimmter Sprachen für die Oper betreffend (z. B. Jean-Jacques Rousseau, Ch. W. Gluck), bis zur bewussten Erarbeitung spezifisch „nationaler“ Kompositionsstile im 19. Jh. (z. T. als Folge des unter Einfluss Johann Gottfried Herders erwachenden Nationalbewusstseins bislang unterdrückter Völker, d. h. infolge von Emanzipation).
Zwar hat auch in der österreichischen Musik (was immer man darunter versteht) des 19. Jh.s die Idee des Nationalismus eine Rolle gespielt, jedoch weniger als Ausdruck der Vorstellung, dass der „Volksgeist“ auch in den Künsten das fundamentale und die Entwicklung weiter treibende Moment darstelle (Georg Wilhelm Friedrich Hegel). Dem stand auch eine im Vergleich zu Deutschland andere, nämlich stärker empiristische Ausrichtung der österreichischen Philosophie entgegen (Ästhetik). Eher drückt sich eine bestimmte Form von Nationalismus in gewissen, stärker politisch als musikalisch begründeten Vereinnahmungen (z. B. R. Wagners oder der sog. Neudeutsche Schule von großdeutscher Seite, z. T. auch die Rezeption A. Bruckners) aus. Allenfalls könnte ein gewisser Parallelismus zu den „nationalen Schulen“ in einzelnen musikalischen Auswirkungen jenes Österreich-Patriotismus gesehen werden, der besonders ab den 1870er Jahren gefördert wurde und sich gegen den neuen deutschen Einheitsstaat richtete. Diese erschöpften sich jedoch v. a. in der Produktion patriotischer Lieder oder in der Interpretation der Vergangenheit (z. B. Gegenüberstellung der „Weimarer Klassik“ der deutschen Dichtung und der Wiener Klassik der Musik), wurden aber kaum, jedenfalls anders als in jenen kompositorisch wirksam (z. B. sind Bruckners Ländler-Stilisierungen aus seiner engeren [oberösterreichischen] Heimat heraus zu verstehen, während G. Mahlers Einbeziehung sämtlicher Musikformen der Monarchie in die Symphonik einen weiteren, eben übernationalen Blick zeigt). Vielmehr wird ersichtlich, wie stark der Einsatz der Mittel jeweils von der Rezeption (d. i. von Zusammenhängen ebenso wie von Konventionen und Interpretationen) abhängig ist und nicht (nur) in der Sache selbst (z. B. in einer Melodie, einer Tanzart, einem bestimmten Rhythmuselement) begründet liegt. Andernfalls hätte z. B. ein Zitat der Volkshymne durch F. Smetana in seiner Triumph-Symphonie (op. 6) eher als Verrat am tschechischen Nationalismus als im Sinne von Mehrfach-Identität eines Bewohners der Österreichisch-Ungarischen Monarchie aufgefasst werden können. In ähnlichem, keineswegs aber deutschnationalem Sinne ist auch A. Schönbergs bekannte Formulierung zu verstehen, seine Entdeckung der Zwölftonmethode werde die Vorherrschaft „der deutschen Musik für weitere hundert Jahre sicherstellen“ (daneben stünden zahlreiche andere Aussprüche mit dem Wort „österreichisch“ anstatt „deutsch“).
Dass jh.elange multikulturelle Traditionen in Österreich einer entsprechenden Aufnahmefähigkeit (wenn schon nicht Toleranz im heutigen Sinn) förderlich waren, zeigt sich auch in zahlreichen hierzulande gepflegten Volkstänzen, deren Bezeichnungen eine entsprechende Herkunft suggerieren: vom „Boarischen“ (Bayrisch-Polka) über den „Schottischen“ bis zum „Warschauer“. Demgegenüber ist festzuhalten, dass der Wiener Walzer zuerst in Opern und Balletten nicht-österreichischer Komponisten (also von außen) als Signet für Österreich und/oder Wien verwendet wurde und erst im 20. Jh. zum Klischee verkam. Nicht zu unterschätzen ist schließlich, dass gewisse Merkmale in bestimmten Ausführungsformen, rhythmischen Differenzierungen u. ä., die als Träger von musikalischen Charakteren fungieren könnten, sich meist nur „schwer beschreiben und kaum notieren lassen und darum in wissenschaftlichen Darstellungen oft nicht das Gewicht erhalten, das ihnen von der Sache her zukommt“ (Dahlhaus). So beruht auch der Hinweis, dass sie eher gefühlsmäßig wahrgenommen oder in ihrer Wirkung „erspürt“ werden könnten, nicht immer auf methodischer Unzulänglichkeit oder bloß auf Bequemlichkeit. Wieweit sich aber Spezifika gegenüber allgemeinen Universalisierungstendenzen durchzusetzen vermögen, ist (2004) nicht abzusehen.
Z. Lissa in Aufsätze zur Musikästhetik 1969; R. Flotzinger/G. Gruber in MGÖ 1 (1977) [Einleitung]; R. Flotzinger in StMw 44 (1995); C. Dahlhaus in Colloquia musicologica Brno 1972/73, 1979; W. Wiora in W. Wiora (Hg.), Historische und systematische Musikwissenschaft 1972; E. Bücken, Die Musik der Nationen 1937; G. Adler, Der Stil in der Musik 1911; H. de la Motte-Haber (Hg.), Nationaler Stil und Europäische Dimension in der Musik der Jh.wende 1991; O. Brusatti, Nationalismus und Ideologie in der Musik 1978.