Das M. des 16. Jh.s (das keine direkte entwicklungsgeschichtliche Beziehung zum M. des Trecento aufweist) entstand zwischen 1520 und 1540 in Rom und Florenz aus der Interaktion einer am Vorbild Francesco Petrarcas orientierten Poesie, einheimischen mehrstimmigen Liedformen (Frottola und canto carnalescio) und dem vokalpolyphonen Satz der franko-flämischen Chanson und Motette. Mehrere Faktoren trugen dazu bei, dass sich das M. um die Jh.mitte als quantitativ bedeutendste und ästhetisch-kompositorisch erstrangige Gattung der italienischen Musik etablieren konnte: Die Komponisten setzten sich zum Ziel, eine dem hohen Stilniveau der petrarkistischen Dichtung adäquate musikalische Gestaltung von großer Subtilität und Kunstfertigkeit zu erreichen. Der Notendruck v. a. in Venedig, das in den 1540er Jahren zum Zentrum des M.s geworden war, sorgte für eine weite Verbreitung der stetig anwachsenden Produktion. Gleichzeitig stieg das M. zur erlesenen, in den Renaissanceakademien (Akademie, Renaissance) bzw. in der höfischen Kammermusik der adeligen und patrizischen Elite bevorzugten Kunstform auf, was wiederum zu einem erhöhten Innovationsdruck bzw. zu gesteigerten Anforderungen an die Komponisten führte.
Gattungskonstitutives Merkmal des M.s war die im Schlagwort „imitar le parole“ zum Ausdruck gebrachte enge Bezugnahme auf den Text, die schon um 1550 unterschiedliche Formen annehmen konnte: präzise am Sprachrhythmus orientierte Textdeklamation in einem dichten, polyphon-imitierenden Satz (bei Adrian Willaert) oder ebenfalls prosodisch korrekter, durch strikte Homophonie aber in allen Stimmen simultaner Textvortrag (im sog. madrigale arioso) oder darüber hinausgehend bildhaft-tonmalerische Umsetzung einzelner Wörter oder Textzeilen (sog. Madrigalismen, insbesondere bei Cyprian de Rore).
Als Folge der großen Verbreitung und intensiven Pflege des an die Spitze der Gattungshierarchie gelangten M.s kam es in der 2. Jh.hälfte zu einer immer stärkeren (personal)stilistischen Pluralisierung sowie zur Ausdifferenzierung von Teilgattungen und Sonderformen. Komplementär zum Aufstieg des ernsthaften M.s von hohem künstlerisch-ästhetischem Anspruch entwickelten sich Genres von niedrigerem Stilniveau wie die Villanella, die Canzonetta und schließlich der Balletto, die durch strophischen Aufbau, heitere Texte teilweise mit dialektalen Einschlägen, einem einfacheren musikalischen Satz mit Anklängen an die Volks- oder Tanzmusik zunächst eine Art parodistisches Gegenstück zum M. darstellten, in weiterer Folge damit aber in wechselseitigen Austausch traten, sodass auch gewisse Mischformen wie das Canzonetten-M. entstanden.
Neben diesem leichten, gerne für pastorale Lyrik herangezogenen Stil (insbesondere bei Luca Marenzio) und dem vom madrigale arioso herkommenden rezitativisch-deklamatorischen Idiom (u. a. bei A. Gabrieli) stieß man in Vertonungen emotional intensiver Texte zu einer Musiksprache vor, die – bereits auf den Ausdruck von Affekten abzielend – extravagante bis extreme, u. U. die Normen des traditionellen Kontrapunkts überschreitende Formulierungen ausprägte (Giaches de Wert, Carlo Gesualdo). Steigende gesangstechnische Anforderungen infolge einer ornamental-virtuosen Stimmführung ließen das M. immer mehr zu einer auf professionelle, konzertmäßige Darbietung angewiesenen Gattung werden. Alle diese Entwicklungen liefen direkt auf den sog. Stilwandel um 1600 (Monodie) hinaus.
Das vokalpolyphone a cappella-M. wurde bis in die 1630er Jahre, allerdings mit deutlich fallender Tendenz, gepflegt. Die Zukunft lag beim Generalbass-gestützten „stile nuovo“, der dem M. eine Fülle von neuen Gestaltungmöglichkeiten eröffnete. Das Spektrum reichte nun von der Monodie über das (besonders beliebte) Duett und Terzett bis hin zu vielstimmigen, solistische und vollstimmige Partien kontrastierenden Besetzungen, zunehmend unter Einschluss konzertierender Instrumente; zur durchkomponierten Form traten (mitunter innerhalb eines Stückes wechselnd) strophische Arien, Strophenvariationen bzw. auf Ostinato-Bässen aufgebaute Formverläufe. Durch diese wachsende Vielfalt wurde die Bezeichnung „M.“, an der man anfangs des 17. Jh.s aus Konventionsgründen zunächst noch festhielt, immer unspezifischer und schließlich durch Begriffe wie Aria, Duetto, Concerto, Cantata usw. verdrängt.
Eine erste Phase der Rezeption des italienischen M.s im deutschsprachigen Raum fällt in die 1540er Jahre. Vereinzelt wurden (oft ihres Originaltexts entkleidete) M.e in Handschriften oder Drucke gemischten Inhalts, d. h. zusammen mit (den nach wie vor deutlich dominierenden) Chansons und deutschen Tenorliedern (Gesellschaftslied), aufgenommen (u. a. bei W. Schmeltzl 1544). Trägerschicht war das Patriziat süddeutscher Städte, insbesondere Augsburgs. In den 1560er Jahren begann die Gattung in den höfischen Bereich einzudringen, dabei spielten die italienisch bestimmten Höfe in München, Dresden/D und in Österreich die Vorreiterrolle. Es setzte die lange Reihe der österreichischen Regenten und Fürsten gewidmeten M.sammlungen ein, auch von nicht hier wirkenden Komponisten (erstmals Francesco Portinaro 1568, gefolgt u. a. von so prominenten Autoren wie Marc’Antonio Ingegneri 1572, A. Gabrieli 1580, O. Vecchi 1597, Sigismondo d’India 1615, bis hin zu Claudio Monteverdi 1638). V. a. aber wurde das M. gleichsam automatisch, infolge der immer häufigeren Beschäftigung italienischer oder italienisch geprägter Musiker importiert. Der progressiven, d. h. an Italien orientierten Ausrichtung des Grazer Hofs entspricht die große Zahl der dort tätigen M.komponisten (A. Padovano 1564, F. Rovigo, P. A. Bianco 1582, F. Stivori 1583ff, G. Priuli 1604, 1607). Eine nicht minder beachtliche Produktion stammt von Angehörigen der kaiserlichen Kapelle, allen voran Ph. de Monte, weiterhin M. Flecha d. J. 1568, J. Regnart 1574/1581, Ch. Luython 1582, L. de Sayve 1582, A. Orologio 1586ff, C. Zanotti 1587, 1589, Giovanni Battista Galleno 1594, 1598, H. L. Hassler 1596, J. Hassler 1600. Unter den Innsbrucker Hofmusikern trat G. Flori 1590 mit einem M.buch hervor.
Bei aller stilistischen Diversifikation dominierte nördlich der Alpen zumindest quantitativ der in einem transparenten Satz gehaltene, zur Homophonie neigende, besondere Virtuosität oder extreme experimentelle Züge meidende M.typus (in diesem Zusammenhang sind z. B. die in einem eher einfacheren Idiom geschriebenen Werke de Montes aus den 1580er Jahren zu sehen). Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die leichteren strophischen Genres wie Villanella und Canzonetta (zu den Veröffentlichungen in Österreich tätiger Komponisten zählen M. Ferrabosco 1585, A. Orologio 1593ff, H. L. Hassler 1590). Diese Kleingattungen wurden in ausgeprägten regionalen Abarten über deutsche Texte weitergeführt (insbesondere J. Regnart 1574, 1577 und 1579, H. L. Hassler 1596). Das u. a. von L. Lechner gepflegte deutschsprachige M. spielte im Vergleich dazu eine geringere Rolle. Zudem wurde es stilistisch mitunter so stark an die Villanella und die Canzonetta angenähert, dass als M.-spezifische Merkmale nur die durchkomponierte Form und die Fünfstimmigkeit verblieben. Zu einer Aufweichung der Gattungsgrenzen kam es auch im Verhältnis zum mehrstimmigen deutschen Lied, das in der 2. Jh.hälfte zunehmend unter den Einfluss des M.s geriet. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung wird zumeist O. di Lassos Produktion der 1560er Jahre genannt, Ansätze zu einer Kontaktnahme von M. und deutschem Lied finden sich aber schon in der von W. Schmeltzl 1544 herausgebenen Sammlung. Die Tendenz setzte sich bei A. Utendal, Regnart 1580 und Lechner 1580 und 1582 fort und führte teilweise so weit, dass vom strophischen Aufbau abgesehen eine Angleichung des Lieds an das deutschsprachige M. stattfand. Einen Sonderfall stellen M.e über lateinische (didaktische bzw. moralisierende) Sprüche dar (J. Gallus 1589/90 und 1596).
Seit den 1580er Jahren nahmen sich auch die Musikverleger im deutschen Sprachraum verstärkt des M.s an (wenngleich die dort wirkenden Komponisten ihre Sammlungen nach wie vor oft in Italien publizierten). Die nicht unerhebliche Zahl an Drucken mit breit gestreutem Repertoire und die vielen Stücke mit originalem oder die urspüngliche italienische Dichtung ersetzendem deutschem Text lassen auf ein wachsendes Interesse bei bürgerlichen Amateuren schließen. Hinzu kommt eine lange Reihe von M.-Intavolierungen (erstmals bei H. Newsidler 1544).
Dank enger Kontakte zu Italien wurde der neue Stil nach 1600 an einigen österreichischen Höfen sehr rasch aufgenommen. Neben Salzburg unter Erzb. M. S. v. Hohenems (wo sich kurzfristig auch der Caccini-Schüler F. Rasi aufhielt) ging einmal mehr Graz voran. Hier wirkte mit B. Mutis ab 1604 einer der ersten den stile nuovo außerhalb Italiens repräsentierenden Komponisten; er legte 1613 eine von Caccini beeinflusste Sammlung mit Stücken für 1–3 Stimmen und Gb. vor, die auch ein monodisches M. von F. Degl' Atti enthält. G. Priuli brachte 1612 nach dem Vorbild von Monteverdi (1605) ein Buch mit a cappella- und konzertierenden Gb.-M.en heraus. G. Valentini 1616 gilt als erste M.veröffentlichung, die Vokalstimmen und obligate Instrumentalparts kombiniert. Auch die weitere Produktion Valentinis (1619, 1621) zeichnet sich durch eine Vorliebe für große Besetzungen aus. Dem waren F. Stivoris M.e von 1598, 1603 und 1605 vorangegangen, die zwar noch keinen Gb. vorsehen, aber eine reiche vielstimmige bzw. mehrchörige Anlage aufweisen.
Das M. beruhte stets in erster Linie auf weltlicher und dabei überwiegend Liebeslyrik. Durch die Vertonung v. a. der Vergine-Stanzen Petrarcas (z. B. bei de Rore 1548) hatte sich aber schon früh ein religiöser Seitenzweig auszubilden begonnen. Als deutlich umrissenes Subgenre etablierte sich das madrigale spirituale schließlich im Zuge der Gegenreformation und parallel zu einer Welle geistlicher Dichtung, die in der 2. Jh.hälfte in Italien losbrach. Im Unterschied zur zeitgleich sich entfaltenden polyphonen Lauda und canzonetta spirituale liegt meist nicht-strophische Poesie zugrunde, die gerne biblische oder liturgische Texte paraphrasiert; im Unterschied zum weltlichen M. werden bei manchen Komponisten die Mittel expressiver Textdarstellung eher zurückhaltend eingesetzt. Das paraliturgische geistliche M., das ein typisches Produkt der nachtridentinischen Frömmigkeitsbewegung darstellt, diente der privaten Andacht besonders während der Fastenzeit an Höfen, in Akademien und Oratorien. Der gegenreformatorische Impetus wird bei einigen Sammlungen durch die Widmung an (hochrangige) Vertreter der Societas Iesu (Jesuiten) deutlich. Zentren des geistlichen M.s waren Rom, der bayerische und der kaiserliche Hof, Hauptkomponisten dementsprechend Palestrina, O. di Lasso und – als produktivster Meister auch auf diesem Gebiet – Ph. de Monte. Daneben haben viele Komponisten Einzelstücke oder eine einzelne Sammlung vorgelegt (u. a. so namhafte wie Marenzio und Monteverdi). Auch das geistliche M. wurde nach 1600 vom monodischen und vom konzertierenden Stil erfasst. Geringstimmige Vertonungen geistlicher, nicht-liturgischer Lyrik mit Gb. treten in Österreich relativ früh auf (Rasi 1612, H. Pfendner 1614, G. Bonometti 1615) und dürften im Kontext der intensivierten gegenreformatorischen Bewegung unter Ferdinand II. besondere Aktualität besessen haben.
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