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Lombardei (deutsch für italienisch Lombardia)
Region Italiens mit der Hauptstadt Mailand und den Provinzen Bergamo, Brescia, Como, Cremona, Mantua, Mailand, Pavia, Sondrio und Varese, ab Beginn des 18. Jh.s unter habsburgischer Herrschaft; benannt nach den Langobarden, die im 6. Jh. in der letzten Phase der Völkerwanderung aus Pannonien kamen und die Region bis ins 11. Jh. (mit Zentrum Pavia) beherrschten. Unter Karl d. Gr. kam das Gebiet unter den fränkischen, danach unter kaiserlichen Herrschaftsbereich. Ab dem 11. Jh. kam es zur Entwicklung von Stadtrepubliken (Commune), die miteinander auch konkurrierten und bewaffnete Konflikte austrugen. Nach der Eroberung Mailands durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa 1162 und dessen Niederlage gegen die Lombardische Liga bei Legnano (1176) wurden im Frieden zu Konstanz (1183) die Selbstbestimmungsrechte der Städte mit der Anerkennung der kaiserlichen Oberhoheit als Gegenleistung bestätigt. Im 13. Jh. wurde die Herrschaftsform der Kommunen durch die der Signoria abgelöst: 1277 kam das Geschlecht der Visconti an die Macht, unter deren rund eineinhalb Jh.e währenden Herrschaft die L. sowohl eine gewaltige Ausdehnung (zeitweise bis Padua, Siena und Assisi) als auch eine kulturelle Hochblüte erreichte (u. a. Bau des Mailänder Doms und der Univ. von Pavia). Nach einer Phase des Zerfalls aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen, in deren Folge Brescia (1428), Crema und Bergamo (1430) an Venedig fielen (und bis 1797 unter venezianischer Herrschaft blieben), erfolgte ab 1450 unter der Herrschaft der Sforza wieder ein wirtschaftlicher und kultureller Aufschwung, v. a. unter Lodovico il Moro (1494–1500) und seiner Frau Beatrice d’Este. Nach mehreren Konflikten mit Frankreich, das Ansprüche auf das Herzogtum Mailand erhob, gelang es erst Karl V. 1525, die Franzosen aus der L. zu vertreiben. 1535 ging Mailand in den Besitz der spanischen Habsburger über (bis 1706). Unter dem Mailänder Erzb. Carlo Borromeo (1560–84) wurde dieL. ein Zentrum der Gegenreformation. Das eigenständige Herzogtum Mantua (seit 1328 von den Gonzaga beherrscht) kam 1631 über die Linie Gonzaga-Nevers in den Einflussbereich Frankreichs. Mit dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701–14) gerieten die Herzogtümer Mailand (1706) und Mantua (1708) in die Herrschaft der österreichischen Habsburger. Die Regierungszeit Maria Theresias und Josephs II. war durch soziale und wirtschaftliche Reformen (Steuerreform, Einführung des Katasters, Bau von Straßen, Kanälen und Bewässerungsanlagen, Abschaffung der Folter, Ausbau des Bildungswesens) geprägt, die sich auch auf die kulturelle Entwicklung der Region positiv auswirkten. Mit dem Einmarsch der Armee Napoleons 1796, wurde die L. unter Einbeziehung von Bergamo und Brescia Teil der Cisalpinischen Republik unter dem Vizekönig Eugène de Beauharnais. Durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses kam die L.1815 wieder zu Österreich und bildete gemeinsam mit Venetien bis 1859 das Königreich Lombardo-Venetien mit der Hauptstadt Mailand. Die Zeit der Restauration war durch eine großangelegte Verwaltungsreform geprägt, die auch den kulturellen Sektor (Regulierung der Theater und Konservatorien, Verschärfung der Zensur) betrafen. Das Risorgimento, die Epoche der italienischen Unabhängigkeitsbestrebungen, war durch Aktivitäten von Geheimbünden (Carboneria, Giovine Italia) geprägt. Nach dem Aufstand von 1848 (Cinque giornate) und der Rückkehr der Österreicher nach ihrer vorübergehenden Vertreibung blieb die L.noch bis 1859 im habsburgischen Herrschaftsbereich und wurde anschließend Teil des Königreichs Italien, während Venetien noch bis 1866 österreichisch blieb.

Das Musikleben der L. wurde in erster Linie von Mailand dominiert, das sich spätestens seit dem 13. Jh. als politisches und kulturelles Zentrum etablierte, wobei insbesondere die Städte Como, Pavia und Cremona in enger Verbindung mit Mailand standen.

Cremona entwickelte sich ab dem 16. Jh. zu einem Zentrum des Saiteninstrumentenbaus (Andrea und Nicolò Amati, Andrea Stradivari, Andrea Guarnieri). Musikalisches Zentrum war bis ins 18. Jh. die Domkapelle, an der u. a. 1570–94 M.’ A. Ingegneri als Sänger, dann als Domkapellmeister wirkte.

Eine eigenständigere Entwicklung weisen die bis Ende des 18. Jh.s unter venezianischem Einfluss stehenden Städte Brescia und Bergamo sowie das bis 1631 von den Gonzaga beherrschte Mantua auf. Brescia, ursprünglich Teil der lombardischen Liga, im 14./15. Jh. von den Visconti, dann den Malatesta regiert, stand auch zur Zeit der venezianischen Herrschaft (1428–1797) in enger Beziehung mit Mailand. Musikalischer Mittelpunkt war die Domkapelle, an der u. a. C. Merulo Kapellmeister war. Bereits im 15. Jh. wurde Brescia ein bedeutendes Zentrum für Instrumentenbau, was sich wiederum befruchtend auf die Instrumentalmusikpflege auswirkte. Im Orgelbau war die Orgelbauer- und Organistendynastie Antegnati lange Zeit in der L. führend. Auf dem Gebiet der Saiteninstrumente brachte Brescia im 16. Jh. eine bedeutende Lautenmacherschule hervor und gilt als Wiege des modernen Geigenbaus mit Gasparo da Salò als deren bedeutendstem Vertreter. Bergamo stand seit 1329 unter Herrschaft der Visconti, ab 1430 unter venezianischer Herrschaft. Musikalisches Zentrum war lange Zeit die Kapelle der Basilika Santa Maria Maggiore, der auch eine MSch. angeschlossen war und die u. a. von Franchino Gaffurio und P. A. Ziani geleitet wurde. Nach dem Vorbild Brescias brachte die Stadt bedeutende Orgelbauerdynastien (Bossi seit 1635, seit dem 18. Jh. Serassi) hervor. Die Etablierung eines regelmäßigen Theaterbetriebs erfolgte erst verhältnismäßig spät (1786 erstes öffentliches Theater). Einen wichtigen Impuls auf diesem Gebiet erhielt Bergamo v. a. durch das Wirken des gebürtigen Bayern Johann Simon Mayr (1763–1845), der bereits vor seiner Bestellung zum Domkapellmeister (1802–45) Erfolge als Opernkomponist in Venedig und Mailand gefeiert hatte und eine Schlüsselfigur in der Rezeption von Werken der Wiener Klassik darstellte. Mayr initiierte 1805 die Einrichtung des ersten Konservatoriums der L. (Lezioni caritatevoli di musica), wo er u. a. Lehrer von G. Donizetti und B. Merelli war, sowie die Gründung der Unione filarmonica und der Società del Quartetto zur Verbreitung von Instrumentalmusik. Sein ebenfalls aus Bergamo stammender Enkelschüler M. Salvi war 1861–67 Direktor der Hofoper in Wien. Die Geschichte von Mantua war ab dem 14. Jh. durch seine unabhängige politische Entwicklung geprägt: 1328–1708 von den Gonzaga regiert (seit 1530 Herzogtum), kam es danach bis 1859 unter österreichische Herrschaft. Zu einer Hochblüte gelangte die herzogliche Kapelle im 16. und 17. Jh., mit dem Wirken von Claudio Monteverdi (ab 1589) wurde Mantua ein Zentrum des Musiktheaters in der sonst aufgrund der Gegenreformation eher theaterfeindlichen L.

Die zeitweise Verflechtung der lombardischen Geschichte mit der österreichischen sowie die zahlreichen dynastischen Beziehungen führten auch auf musikalischem Gebiet zu teilweise engen Wechselwirkungen. Bei der Italianisierung der Hofmusikkapelle ab dem 17. Jh. wurden auch lombardische Musiker nach Wien berufen, wobei hier Mantua eine herausragende Bedeutung zukommt, v. a. durch die Heirat Ferdinands II. mit Eleonora (I.) v. Gonzaga (1622) sowie Ferdinands III. mit Eleonora (II.) v. Gonzaga (1651), was sich wiederum befruchtend auf die Wiener Opern- und Oratorienpflege auswirkte. Unter den zahlreichen Musikern, die aus Mantua nach Wien gelangten, waren u. a. A. Caldara, G. B. Buonamente und M.’A. Ziani. Zu den in Wien tätigen Vertretern der lombardischen Organistenschule zählen G. G. Arrigoni sowie die Brescianer G. B. Pederzuoli und F. Turini. In Salzburg wirkte kurze Zeit (1590/91) der aus Cremona stammende T. Massaini, um dann 1600–08 als Domkapellmeister nach Lodi zurückzukehren. Die aus Mantua angereisten Sänger F. Rasi und F. Compagnolo waren an der Rezeption der Oper in Salzburg maßgeblich beteiligt. An der Innsbrucker Hofkapelle wirkten im 16. Jh. insbesondere die Mailänder Orfeo de Cornay und P. M. de Losy sowie T. Massaini.

Das 18. Jh. brachte in der L. mit der Gründung erster öffentlicher Theater in den Provinzstädten Brescia (1664), Pavia (1701), Como (1712), Mantua (1732), Cremona (1745) u. a. einen Aufschwung des Theaterwesens und eine Blüte der Instrumentalmusik, insbesondere durch das Wirken von G. B. Sammartini in Mailand. Seit dem 19. Jh. wurde das kulturelle Leben der RegionL., begünstigt durch die politische Konstellation, von der Hauptstadt Mailand dominiert. Nach Mailänder Vorbild wurden in den größeren Provinzhauptstädten Konservatorien eingerichtet, formierten sich Gesellschaften zur Förderung von Aufführungen von Instrumentalmusik wie etwa die 1816 mit einer Aufführung von J. Haydns Schöpfung gegründete Società Filarmonica in Cremona oder die 1822 von J. S. Mayr gegründete Unione filarmonica in Bergamo.

Zu den bedeutendsten Musikarchiven der L. außerhalb von Mailand gehören in Bergamo das Museo Donizettiano und die Biblioteca Civica Angelo Mai (Nachlass J. S. Mayrs). Cremona beherbergt neben Instrumentensammlungen (Museo Stradivariano, Palazzo Comunale) seit 1955 auch die Scuola di Paleografia e Filologia Musicale (Univ. Pavia).


Literatur
MGG 1 (1994) [Bergamo], 2 (1995) [Brescia, Cremona], 5 (1996) [Mailand, Mantua]; NGroveD 3 [Bergamo], 4 [Brescia], 6 [Cremona], 16 [Mantua, Milan] (2001); Dizionario enciclopedico universale della musica e dei musicisti 1 (1983) [Bergamo, Brescia, Como, Cremona], 3 (1984 ) [Mantova, Milano, Pavia]; MGÖ 1–3 (1995); G. Galasso (Hg.), Storia d’Italia 11 (1984), 18,1 (1991), 18,2 (1987), 19 (1998); G. Donati-Petteni, L’arte della musica in Bergamo 1930; A. Mazza (Hg.), La musica a Brescia 1979; S. Martinotti, Ottocento strumentale italiano 1972.

Autor*innen
Angela Pachovsky
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Angela Pachovsky, Art. „Lombardei (deutsch für italienisch Lombardia)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d7f1
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001d7f1
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