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Liturgische Bewegung
Im weiteren Sinne mehrere Ansätze in der katholischen Kirche seit dem Spätmittelalter, den Laien den Gottesdienst zu erschließen (insbesondere die Spaltung zwischen dem allein handelnden Priester und dem sich irgendwie fromm beschäftigenden Volk zu überwinden); im engeren Sinn der betreffende Aufbruch seit Beginn des 20. Jh.s, der schließlich zur Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils (1962–65) führte. Man erkannte, dass Liturgie Feier der ganzen Kirche ist und forderte deshalb die „tätige Teilnahme“ aller (erstmals ausgesprochen 1903 im Motu proprio Pius’ X. Tra le sollecitudini [Einleitung und Nr. 3]). Eine der führenden Persönlichkeiten war der Klosterneuburger Chorherr P. Parsch. Er hat die L. B. popularisiert. Sein Programm fasste er in das (tautologische) Wort „Volksliturgie“ (s. Abb.). Durch eine Unzahl von Vorträgen, Artikeln – v. a. in der von ihm 1926 gegründeten Zeitschrift Bibel und Liturgie – und Schriften – seit 1925 im eigenen Verlag Volksliturgisches Apostolat – verbreitete er die neuen Ideen. Aus schon bekannten Arten der Mitfeier (dem Liedgesang während der stillen Messe und der [lateinischen] „Missa recitata“, 1920 im deutschen Jugendbund Quickborn aufgekommen, von 1921 an in der Krypta der Abtei Maria Laach regelmäßig gefeiert) entwickelte Parsch Modelle, welche die Teilnahme der Gläubigen ermöglichten, ohne den gültigen Ritus anzutasten: die anspruchsvollere „Chormesse“ (auch als „Chorhochamt“ oder „Deutsches Hochamt“, bei welchem Priester und Assistenz ihren Part lateinisch kantillierten) mit lateinischem oder deutschem Ordinarium und deutschem Proprium sowie die volkstümliche „Betsingmesse“ mit Kirchenliedern. Während der Priester die Texte still lateinisch rezitiert, trägt sie (außer im Chorhochamt) ein Vorbeter synchron deutsch vor; die Gemeinde beteiligt sich betend und singend; die Dialoge („Dominus vobiscum“ / „Et cum spiritu tuo“ usw.) sprechen Priester und Volk laut lateinisch. Parschs Behelfe hiezu verbreiteten sich millionenfach im deutschen Sprachgebiet – besonders nach dem Wiener Katholikentag von 1933, dessen Festgottesdienst mit 200.000 Teilnehmern als Betsingmesse begangen und im Rundfunk übertragen worden war. Die Betsingmesse wurde so in vielen Pfarren zur Gemeindemesse schlechthin.

Der Einsatz des Gesanges beruht auf zwei Prinzipien: 1. Der Gesang muss sich nach der Struktur der liturgischen Feiern richten. In der Messe soll deshalb nur an Stellen gesungen werden, die im Hochamt dafür vorgesehen sind (also Proprium und Ordinarium). 2. Inhaltlich wird Nähe zu den offiziellen Texten angestrebt.

Für die Chormesse schuf V. Goller ab 1925 freirhythmische einstimmige Proprien (von ihm „choralmäßig“, später „deutscher Choral“ genannt; etliche 1928–30 in Bibel und Liturgie veröffentlicht) – zunächst zum Gebrauch der „Liturgischen Gemeinde“, die mit P. Parsch seit 1922 in der Kapelle St. Gertrud Gottesdienst feierte. (Sie sind also älter als z. B. diejenigen des Leipziger Oratoriums, das seit den 1930er Jahren gregorianischen Melodien deutsche Texte unterlegte, und des Mainzers Heinrich Rohr [1902–97], der eigene kirchentonale Weisen schuf.) In der Betsingmesse verwendete man für das Proprium zum Anlass bzw. der Kirchenjahrzeit passende Lieder. Als Ordinarium ließen sich Stücke von Messliedreihen (z. B. von M. Haydn oder Fr. Schubert) einsetzen; man bevorzugte aber Gesänge, die dem Wortlaut des Messbuchs entsprachen – die ersten komponierte V. Goller 1922 (heute Gotteslob Nr. 137–139). Ein weiterer Schritt war die Erneuerung des Propriums, u. zw. durch Paraphrasen auf Kirchenlied-Melodien. P. Parsch gab hiefür das Meßsingbuch (1937) heraus, dessen Texte der St. Pöltener Theologieprofessor Karl Borromäus Frank (1891–1961) gedichtet hatte (Beispiel im Österreichteil des Gotteslobs Nr. 811). Für das Tagzeitengebet erarbeitete man in St. Pölten das Deutsche Vesperbuch (1941), dessen Antiphonen – ebenfalls von K. B. Frank – zu Strophen umgeformt sind. (Ein großer Teil der 40.000 Exemplare wurde im Sudetenland und in der Diözese Mainz verkauft.)

Die Klosterneuburger Bewegung beeinflusste andere Initiativen in Österreich. Ordinariums- und Propriumstexte der Messe vertonten auch die Brüder H. und J. Kronsteiner; eine Auswahl enthält das Buch Lied der Kirche von 1960 (dessen Deutsches Ordinarium I findet sich, bearbeitet, in Gotteslob Nr. 134–136 und 724). Die Autoren wollten Neues in der Art der Gregorianik (Choral) schaffen (einstimmig, freirhythmisch, wortbezogen) – deshalb die Bezeichnung „deutscher Sprechgesang“. Anders ging der am Bischöflichen Knabenseminar Mattersburg/Bl tätige Musikerzieher Otto J. M. Schmid (* 1927) vor. Seit 1947 schuf er in wiederholter Überarbeitung Messproprien („Deutsches Graduale“) und Gesänge zur Tagzeitenliturgie („Deutsches Antiphonale“). Er nahm weithin die gregorianischen Melodien als Grundlage, vereinfachte sie, suchte aber ihren typischen „Duktus“ zu erhalten. Schmids Serien liegen nur hektographiert vor. Auch die Idee strophischer Paraphrasen wirkte weiter, besonders in den Bistümern Gurk und St. Pölten. Der Kärntner Paul Beier (1913–87) verfasste 1944–49 Messproprien (für Chor), deren Antiphonen (nicht die Psalmverse) sämtlich als vierhebig jambische Vierzeiler gestaltet sind und sich auf jede so gebaute Melodie singen lassen. 1951 wurde die Serie unter dem Titel Die Eigengesänge der heiligen Messe publiziert. Nachdem 1950 die (textgleichen) Gesangbücher der Diözesen Gurk (Heiliges Volk) und Salzburg (Kirchenbuch) erschienen waren (Kirchengesangbuch), begann Beier eine neue Sammlung, für die er statt eines einzigen Strophenmodells verschiedene Kirchenliedmelodien wählte. 1963 folgte eine Ausgabe mit Chorsätzen des St. Pöltener Domkapellmeisters J. Pretzenberger. Im genannten Salzburg/Gurker Gesangbuch stehen einige Propriumslieder, z. T. aus dem Meßsingbuch, z. T. Neudichtungen (von Frank, Pretzenberger, Beier und Leonhard Lüftenegger [Salzburg, 1912–2006]). Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte das St. Pöltener Seelsorgeamt Behelfe (Gemeinde- und Chorausgaben) mit großteils von Frank verfassten Lied-Proprien. Das St. Pöltener Diözesangesangbuch Volk vor Gott von 1968 hat neun Propriumsreihen, z. T. aus vorhandenen Quellen, z. T. neu geschaffene. Vespern des Deutschen Vesperbuchs finden sich – mit umgruppierten Psalmen – in den Diözesangesangbüchern von Salzburg/Gurk (1950) und St. Pölten (1968).

Die L. B. bemühte sich aber auch um das überkommene Kirchenlied, besonders dasjenige des 16.–18. Jh.s. Das erste österreichische Diözesangesangbuch im Geiste der L. B. ist das St. Pöltener (1931), durch Stephan Matzinger (1885–1976) und J. Pretzenberger (unter Beratung V. Gollers) redigiert; 1939 übernahmen es, um Anhänge erweitert, die Bistümer Linz und Gurk. Das Streben nach einem gemeinsamen Grundstock führte zum österreichischen (mit dem deutschen von 1947/49 nicht identischen) Einheitslieder-Kanon, 1949 durch die österreichischen Bischöfe approbiert, veröffentlicht 1952. Ihn nahmen aber nur zwei Diözesen – Salzburg und Gurk – komplett in ihre Gesangbücher auf.

Für die L. B. bedeutsam ist, dass sie nicht bloße Privatinitiative blieb. Schon 1940 hatte der deutsche (samt dem ehemals österreichischen) Episkopat die Lenkung der L.n B. an sich gezogen, indem er die Liturgische Kommission errichtete. Als danach ein öffentlicher Streit um die Legitimität der sog. Gemeinschaftsmesse (Chor-, Betsingmesse, Deutsches Hochamt) ausgebrochen war, entschied Rom 1943 zu deren Gunsten, verbot allerdings 1955 den Gebrauch wörtlich übersetzter Gesangstexte. 1947 erließen die österreichischen Bischöfe die Allgemeine Meßordnung für die volksliturgischen Feiern in Österreich; sie sieht eine „Grundform“ vor, die sich an der Struktur des Hochamts und an den offiziellen Texten orientiert, sowie eine freiere „Volksform“.


Werke
V. Goller, Dt. Propriengesänge [in Einzelbll., für alle Sonn- und Festtage.], o. J., z. T. auch als Beilage zu Bibel und Liturgie 3 (1928/29) u. 4 (1929/30); P. Parsch (Hg.), Meßsingbuch. Dt. Gesänge für die Betsingmesse 1937; J. Casper (Hg.), Dt. Vesperbuch 1941; Institutum Liturgicum (Hg.), Die Einheitslieder der österr. Bistümer. Authentische GA [1952]; H. Kronsteiner, Lied der Kirche. Dt. Proprium- und Ordinariumgesänge zur heiligen Messe. Dt. Vesper und Komplet 1960; P. Beier (Hg.), Die Eigengesänge der heiligen Messe. Dt. Meßantiphonar für alle Sonntage und die höheren Festtage des Kirchenjahres, 1–7 Hefte [1951]; P. Beier, Cantate. Dt. Meßantiphonar für alle Sonntage und hohen Festtage des Kirchenjahres, o. J.; J. Pretzenberger/P. Beier, Cantate. Dt. Meßantiphonar für alle Sonntage und hohen Festtage des Kirchenjahres. Ausgabe für vierstimmigen gemischten Chor 1–3 [1963].
Literatur
Allgemeine Meßordnung für die volksliturgischen Meßfeiern in Österreich [1947] in: Die Einheitslieder, XIV–XXXV; F. Kolbe, Die L. B. 1964; Ph. Harnoncourt, Gesamtkirchliche und teilkirchliche Liturgie 1974; R. Pacik, Volksgesang im Gottesdienst. Der Gesang bei der Messe in der L.n B. von Klosterneuburg 1977 [Quellen- und Lit.verzeichnis, 221–239]; N. Höslinger/Th. Maas-Ewerd (Hg.), Mit sanfter Zähigkeit. Pius Parsch und die biblisch-liturgische Erneuerung 1979; R. Pacik in J. Niewiadomski (Hg.), Verweigerte Mündigkeit? Politische Kultur und die Kirche 1989; Th. Maas-Ewerd in Lex. für Theologie und Kirche 6 (1997).

Autor*innen
Rudolf Pacik
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Pacik, Art. „Liturgische Bewegung“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00021dfe
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10.1553/0x00021dfe
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