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Kostüm
Aus dem Französischen stammender Begriff für eine bestimmte Kleidung: a) einer gewissen Epoche im Allgemeinen, b) aus Rock und Jacke bestehende Damenkleidung, c) Verkleidung, z. B. im Fasching oder beim Maskenball und nicht zuletzt für eine theatralische Aufführung. Hier interessiert insbesondere das Bühnen-K. für die Oper. Es erscheint eingegrenzt durch die materielle Natur und den Anteil an äußerlicher Zweckmäßigkeit. In jedem Fall gebunden an den „Bühnentext“ (auch bei Sprechtheater, Ballett, Pantomime usw.) und seine historische Situation, wobei Bühne und Publikum gleichermaßen wesentlich erscheinen. Beispielsweise wird die Antigone auf der klassischen griechischen Bühne ein anderes K. getragen haben, als bei einer Aufführung im 20. Jh. Die größtmögliche Loslösung von der eigenen Silhouettegebundenheit, die schon in der allgemeinen K.-Geschichte notwendig erscheint, stellt sich für das Bühnen-K. als unabdingbare Forderung. Andernfalls kommt es zu Fehleinschätzungen, wie etwa, dass man im Barock mit dem eigenen zeitmodischen K. auf die Bühne gegangen sei. Um die Signale des K.-Bildners richtig zu deuten, müsste man in dessen zeitmodische Silhouette schlüpfen können. Dem Bühnen-K. kommt in keinem Fall bildnerische Selbständigkeit zu. Es sollte niemals aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gelöst betrachtet und beurteilt werden. Noch problematischer gestaltet sich die Interpretation eines Entwurfes zu einem Bühnen-K. Dieser kann nur als „Werkzeichnung“ definiert werden. Nachträgliches Dokumentieren (Zeichnung, Malerei, Stich, Photographie etc.) war ebenfalls üblich. Diese Art der Darstellung verliert an Spontaneität und damit nicht selten an Qualität. Die Einheitlichkeit der miniaturartig gemalten Figurinen L. O. Burnacinis haben den Verdacht auf diese „Nachträglichkeit“ aufkommen lassen. Dokumentarische Modellzeichnungen sind übrigens in der Modebranche bis zur Konsolidierung der Fotografie ebenfalls üblich gewesen. Es entstanden minutiös gemalte Figurinen, die etwas vom Reiz der Ursprünglichkeit verloren haben.

Als erste gesicherte Quellen von Opern-K.en in Österreich müssen die erhaltenen Figurinen von L. O. Burnacini gelten, gleichzeitig gaben sie wohl auch Muster ab. Ihren Hintergrund bildet die Wiener Venezianische Oper, in der sich bereits eine Annäherung an die zeitgenössischen Staatsaktionen und Stegreifkomödien durchgesetzt hatte: auch im ernsten Genre können sie den Zusammenhang mit den grotesken Figurinen der komischen Intermedien nicht verleugnen. Auch N. Minato, der gewandteste „Intrigenschmied“ der damaligen Ära, befand sich am Wiener Hof. Er wird als wendiger Diener für Dekorationsmaler, Tondichter, K.zeichner und Ballettmeister bezeichnet. Seine Texte sind ein buntes Gemisch aus Ernst und Komik, wobei letzteres Element überwiegt und nicht selten ins Burleske ausartet, die Hanswurst-Späße der Diener anwachsen und der Narr oft zum Satiriker wird. Wesentlich sind auch die Tänze, die Minato einfügte: von Fröschen, Mäusen, buckligen Männern oder Heuschrecken. Hier ist also die Grundlage für Burnacinis Grotesk-K.e zu finden. Weniger glücklich erwies sich die veränderte Situation für die Komponisten. Es fehlte an sittlichen Grundideen, die Anlage war flatterhaft und ein Heer von Nebenpersonen stürzte auf den Tondichter ein. Auch an die Abschaffung des Chores mussten sich die Komponisten erst gewöhnen. Ein „eingewienerter“ Komponist schaffte es, die Schwierigkeiten zu meistern: A. Draghi. Seine Werke werden als Anfänge der echten opera buffa bezeichnet. Trotz der scheinbaren Abweichung vom zeitgenössischen K. war auch Burnacini bei den „menschlichen“ Figurinen der modischen Silhouette verpflichtet: der sog. Rheingrafenmode (bis 1680), der wohl überschwänglichsten Phase der europäischen Männermode überhaupt, und deren „vernünftiger“ Reduktion unter den Auspizien der Frühaufklärung des späten 17. Jh.s. Die aktuellen modischen Gestaltungsmittel schwelgen zunächst in einer quantitativen Übersteigerung von Klein- und Kleinstformen (wie Maschen, Bändchen, Rüschchen, Schlaufen, Rosetten, Stifteln usw.), ebensolcher Beliebtheit erfreut sich gesteigerter Materialüberschwang. Nicht selten ist dieses Materialangebot bei Burnacini nicht nur Ausdrucksträger, sondern zum Selbstzweck erhoben. Die Oberfläche seiner K.e definiert sich in einer plastisch haptischen Qualität, die förmlich zum Anfassen verführt. Er versteht es jedoch auch, die geographische und historische Herkunft seiner Personen mit entsprechenden Materialien und deren Linienführung festzulegen. Vom dünnsten Schleier bis zum gröbsten Kotzen reicht die Palette, zusätzlich werden Perlen, Edelsteine – gefasst oder lose –, Leder in allen Spielarten, Schnüre, Seidenfäden, Wolle u. a. zu glatten, gekräuselten, kugeligen, länglichen, geflochtenen, gedrehten Fransen, Strähnen oder Quasten, einzeln oder in Reihen, verarbeitet. Bänder, Borten, Spitzen, Edelmetalle in variablen Gestaltungsweisen, Felle, Federn, Blüten, Blätter und sogar bekleidungsfremde Elemente bilden das Ornamentmaterial der Burnacini-Figurinen. Mit Hilfe seiner Ornamentmotivik – durchaus zeitgenössisch – zwingt Burnacini diese Fülle in die notwendige Form. Spannungsgeladene, kraftvolle Opern-K.e sind das Ergebnis, die ihresgleichen in ganz Europa nicht finden.

Die Qualitätsserie der Wiener Opern-K.e setzt sich mit A. D. Bertoli fort. Dieser sah sich einer veränderten Oper gegenüber: Der Einfluss der französischen Tragédie classique hatte sich Geltung verschafft, eine gewisse Reinigung im Sinne Johann Christoph Gottscheds hatte stattgefunden, was v. a. eine Zurückdrängung des komischen Elements (auch A. Zenos Bedingung für seine Übersiedlung nach Wien) bedeutete. Gefragt waren nun schöne Gefühle und Sentenzen: „All die griechischen und römischen Helden schmachten in galanten, zierlichen Seufzern, selbst ein Polyphem muss wie ein Tauber girren.“ (Weilen 1898, 93). Auch die Wiener Neapolitanische Oper diente dieser Schönheit auf allen Gebieten. Die Liebe bleibt das einzige Motiv der Oper, in deren Zentrum steht die weibliche Schönheit, die mit immer neuen Reizen ausgestattet erscheint und schließlich zum Idealbild menschlicher Vollkommenheit erhoben wird. Vorbei ist daher die Zeit der Groteskfigurinen und der komischen Alten. Bertolis weibliche Schönheit zeigt sich durchgehend entzückend zierlich und graziös kokett. Das Bühnen-K. steigert sich auf diese Weise zum ästhetischen Genuss, der Anteil des K.bildners an der Gesamtheit der theatralischen Produktion vergrößert sich. Speziell die Opern-K.e entwickeln sich zu einer einmaligen gestalterischen Raffinesse und Perfektion. Als zentrales Medium zur Erreichung des hochgesteckten Zieles kann das Ornament gelten. Nicht zu vergessen: Bertoli lebt in einem „ornamentalen“ Zeitalter. Dieser Ausdrucksmodus des damaligen zeitgenössischen Bildens in allen Sparten ist auch speziell im Bereich des Opern-K.s nicht zu übersehen. Der nachmalige Betrachter einer ornamentlosen Zeit hat weitgehend verlernt, die „Ornamentsprache“ eines Bertoli zu verstehen. Zugunsten des Ornaments verzichtet Bertoli sogar auf die Wirkung der Farbe. Bertoli ornamentiert nicht etwa eine gegebene Gewandform, vielmehr hat das Ornament wesentlichen Anteil an der Gestaltwerdung des betreffenden K.-Stückes. Auf diese Weise konnte der Eindruck einer innigen Verbindung zwischen Ornamentträger und Ornament entstehen. Bertoli fungierte auch als Ausstatter für die Maskenfeste des Wiener Hofes und wurde nach Dresden „verliehen“. Hier entwarf er 1738 die K.e für die Oper Alfonso (M: J. A. Hasse). Die Entwürfe wurden säuberlich aufbewahrt und auch verliehen, wie die Aufzeichnungen aus Dresden zeigen.

Nach dieser qualitätvollen Ära erstarrte das tradierte Opern-K. zusehends. Das Sprechtheater hatte der Oper den Rang abgelaufen und erwies sich im Laufe des 18. Jh.s als die modernere Gattung. Somit musste auch das Opern-K. der tradierten Linie treu bleiben. Dies bedeutete u. a. ein Festhalten an der bereits etwas antiquierten französischen Rokokosilhouette, während sich die aktuelle Mode bereits an England orientierte. Schon die Opern-K.e Francesco Pontes (1711?–76) zeigen sich als blutleere Hüllen. Das Ornament ist zur inhaltlosen, bisweilen schwerfälligen Zierde herabgesunken. Die Silhouette hat die modische Aktualität verloren. Die Zeit war gekommen, in der auch die Oper von ihrem Piedestal heruntergeholt werden musste. Es galt ein Pendant zur Bürgerstube zu finden, die sich im Sprechtheater zu behaupten begonnen hatte. Die Psychologisierung des Bühnen-K.s war eine Angelegenheit des Sprechtheaters, die zunächst – offensichtlich ohne nennenswerten K.bildner – von großen Schauspielerpersönlichkeiten durchgeführt worden ist. Ohne Rücksicht auf historische oder örtliche Echtheit bemühten sich David Garrick in England und August Wilhelm Iffland oder Ludwig Devrient in Deutschland um seelische Ausdrucksmöglichkeiten in ihrem Bühnen-K. Die bildnerische Komponente des 17. und 18. Jh.s wurde abgedrängt – sehr zum Nachteil des Opern-K.s. Diese Sparte des Bühnen-K.s hinkt dem K. des Sprechtheaters seither (2003) nach. Die Intimität, die sich das Drama als Basis für das psychologische K. sukzessive eroberte, ist von der Oper nicht restlos nachzuvollziehen: das gesungene Wort kann mit dem gesprochenen Wort nicht konkurrieren. Während im Barock und Rokoko das Opern-K. den bühnenkostümlichen Ton angegeben hat, ist es im 19. und auch im 20. Jh. das K. des Sprechtheaters. Auch die Annäherungsversuche der Oper an das Drama ergaben für das K. keine wesentliche Verbesserung. Der Vorstoß in die historische Echtheit zeitigte für das Opern-K. keine positive Bilanz.

So ist durchaus kein Zufall, dass sich nach der Ära Burnacinis und Bertolis keine großen Namen mehr aufdrängen; oder wenn, dann nur in Verbindung mit dem Sprechtheater oder dem Ballett. Philipp von Stubenrauch, der bei Friedrich Füger (1751–1818) an der Wiener Akad. studiert hatte und 1812 zum „K.k. Costüm- und Dekorationsdirektor“ ernannt wurde, besaß eine Vorliebe für das K.wesen. Modisch, malerisch und historisch gebildet, hat er zweifelsohne entsprechende K.e entworfen, die jedoch aus den genannten Gründen keine Marksteine in der Operngeschichte werden konnten. In weiterer Folge wurde das K. mit betreut. Erst gegen Ende des 19. Jh.s taucht mit Franz X. Gaul (1837–1906) wiederum ein Ausstattungsdirektor auf, dessen Liebe dem K. gehört. Die Tatsache, dass sich die Vorherrschaft des K.s allein im Ballett behaupten konnte, lässt sich am Œuvre dieses Künstlers ablesen. Der „Costumier“ hat sich Ballettlibretti ausgedacht, die seinen üppigen, historistischen K.visionen, ja seinen Ausstattungsvorstellungen überhaupt, Raum verschafften. Seine Ära wurde allerdings 1900 mit Heinrich Lefler (1863–1919) abrupt eingeschränkt. Dieser akademische Maler hatte in München und Wien studiert und bereitete den Historismusorgien ein Ende. Seine Liebe gehörte ebenfalls dem K., das er vom historischen Kleinkram mit Hilfe der großlinigen Jugendstilornamentik zu befreien versuchte. Einen wesentlich radikaleren und auch streitbareren Mitarbeiter hat G. Mahler in A. Roller gefunden. Die 21 Inszenierungen dieses Teams bedeuten ohne Zweifel „Opernweltgeschichte“. Vielfach wird diese Zusammenarbeit als Höhepunkt der Ausstattung der Wiener Oper bezeichnet. Rollers Anschauungen bezüglich Mode und Bühnen-K. lassen sich an seinem Wirken an der Kunstgewerbeschule ablesen. Die historistische Überkrustung im Bühnen-K. versuchte er gleichsam von innen her aufzubrechen. Reduktion auf das Wesentliche und die Setzung eines Schwerpunktes kennzeichnen seinen Stil. Damit bewegt sich Roller durchaus im Rahmen der zeitmodischen Gegebenheiten. Auch in der Mode kämpft man gegen das Jh.e lang geübte Zusammenspiel von eng schnürendem Mieder und großem Rockvolumen – gegen all die Spielarten, die insbesondere in der 2. Hälfte des 19. Jh.s bis an die Grenzen des Möglichen durchprobiert worden waren. Auch in seinen kostümgeschichtlichen Anschauungen distanziert sich Roller von der bis dahin üblichen Oberflächenbetrachtung historischer Gewandformen und zitiert nicht selten außereuropäische Gegebenheiten als vorbildhaft für das damalige Modegestalten in Europa. Roller distanziert sich von der historisierenden K.-Geschichte einerseits durch absolute Kenntnis derselben und andererseits durch die Suche nach seelischen Ausdrucksmöglichkeiten im Historischen, Örtlichen und Stilistischen. Nach 1909 gewinnen die alten Kräfte die Oberhand. Seit 1919 lieferte Roller wiederum zwei bis vier Ausstattungen pro Saison.

Die Reformkonstellation eines A. Roller hat sich keinem weiteren K.bildner mehr dargeboten, wobei allerdings zu betonen bleibt, dass es nicht zuletzt der große Umbruch in der Mode war, der seine Bühnen-K. bestimmte. Wie auch die Mode seit der Garçonne (knabenhafter Mädchentyp) von 1925 bis heute keine gleichzuhaltenden Umwälzungen mehr erfahren hat, hat auch das Bühnen-K. und speziell das Opern-K. keine grundsätzliche Neuorientierung erlebt. Lediglich die Emanzipation von der K.-Geschichte steht unter einem anderen Vorzeichen. Die Beherrschung der K.-Geschichte erschöpft sich darin, möglichst etwas zu kreieren, was bisher noch kein anderer probiert hat und die historische Situation tunlichst zu verschieben oder zu verheimlichen. Damit bleibt das Bühnen-K. wie auch in früheren Zeiten in Verbindung mit der jeweiligen Zeitmode. Nachdem es an den Nachfolgesilhouetten der knabenhaften Garçonne der 1920er Jahre nichts mehr zu verbessern gab, versuchte man es zunächst mit Materialverfälschungen und -innovationen, wobei sich die Bühne oft fortschrittlicher erwiesen hat als die Modeszene. Wiederverwertung, second Hand, Dekonstruktion der Passform, Oversize, Ethno, Folklore, Retro, Worker, Cargo, Prisoner u. a. in Zitaten und in immer neuen Zitatenkombinationen bestimmen nicht nur die Mode seit ca. 1960, sondern auch das Bühnen-K.


Literatur
F. Biach-Schiffmann, Giovanni und Ludovico Burnacini 1930; M. v. Boehn, Das Bühnenk. in Antike, Mittelalter und Neuzeit 1921; A. Ebersberger, Das K.werk Daniele Antonio Bertolis, Diss. Wien 1961; J. Gregor, Wiener Szenische Kunst 2 (1923–25); Ch. Kitzwegerer, Alfred Roller als Bühnenbildner, Diss. Wien 1959; O. Pausch, Alfred Roller und seine Zeit 1991; C. Schnitzer/P. Hölscher (Hg.), [Kat.] Eine gute Figur machen. K. und Fest am Dresdner Hof, Dresden 2000; M. Wagner, Alfred Roller in seiner Zeit 1996; A. v. Weilen, Gesch. des Wiener Theaterwesens 1 (1899).

Autor*innen
Annemarie Bönsch
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Annemarie Bönsch, Art. „Kostüm‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d5a2
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