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Komödienarie
Zeitübliche Bezeichnung für das Theaterlied, besonders die deutschen Liedeinlagen der Wiener Volkskomödie (Volksschauspiel) des 18. Jh.s.

Das Wiener Stadttheater, das Theater am Kärntnertor (Kärntnertortheater), das wegen des Privilegs der Hofoper keine Opern aufführen durfte, behalf sich seit Ende der 1720er Jahre mit „musikalischen Intermezzi“, Kurzfassungen bekannter Opern, die vielfach, als „Teutsche Musica Bernesca“ – so benannt nach dem berühmten italienischen Satiriker Francesco Berni (1497–1535) – auch parodistisch bearbeitet wurden. Die Bearbeitungen schuf meist der Hamburger Lizentiat H. Rademin; zusätzlich wurden aus dem italo-französischen Theater, v. a. aus den umfangreichen Sammlungen der Pariser Ableger der Commedia dell’arte, dem Théâtre Italien (1694–1701) und dem Nouveau Théâtre Italien (1729–33), oder dem Pariser Jahrmarktstheater, dem Théâtre de la Foire ou l’Opéra comique (1722–28), die gleichfalls Musikeinlagen, Ballette und Pantomimen enthielten, Anregungen aufgenommen. Für die am Kärntertortheater gepflegte Hauptgattung, die deutsche Komödie, war diese enge Nachbarschaft mit dem italienischen Musiktheater und der französischen Opéra comique und Vaudevillekomödie von entscheidender Bedeutung, denn von nun an wird in der Wiener Volkskomödie die Musik zum formbildenden Element, wird die „Arie“ zum wichtigsten Ausdrucksmittel ihrer komischen Figuren. Diese Arien erscheinen als „Arienbüchel“ im Druck, ihre Kompositionen werden als Abschriften gehandelt; fast ausnahmslos sind sie aber verloren. Erhalten sind neben vereinzelten Ariendrucken eine vierbändige Abschrift von nahezu 1700 Arientexten aus 261 Stücken (1737–58) sowie eine zweibändige Musikhandschrift für 18 Arien aus 13 Stücken (1754–58). Erstere, Teutsche Arien, welche auf dem Kayserlich-privilegirten Wienerischen Theatro in unterschiedlich producirten Comoedien, deren Titul hier jedesmal beygedrucket, gesungen worden, hatte schon 1839 J. E. Schlager in der berühmten Theaterbibliothek von I. F. Castelli eingesehen und befinden sich heute in der ÖNB (Cod. 12706–12709). Hier liegt auch die zweibändige handschriftliche SammelpartiturTeutsche Comedie Arien (Cod. 19062–19063), die mit den Beständen des Hofkapellarchivs in die Hofbibliothek gelangte. Von den Texthandschriften sind die beiden ersten Bände von Max Pirker publiziert, die Musikhandschrift ist zur Gänze als DTÖ 64 und 121 veröffentlicht; ihre 22 Arien, 6 Duette, 2 Terzette, 2 Quartette und 1 Rezitativ sind mit wenigen Ausnahmen im vierten Band der Texthandschrift enthalten.

J. Haydn, dem R. Haas noch alle K.n der Musikhandschrift zugeschrieben hatte, ist lediglich als Komponist von J. F. v. Kurz-Bernardons Der neue krumme Teufel (1751/52, Neubearbeitung 1758) gesichert, dessen Musik aber verloren ging. Das gedruckte Textbuch zu Friedrich Wilhelm Weiskerns Bernardon, der verliebte Weiber-Feind (1752) nennt A. Fauner als Komponisten. Häufiger ist J. P. Ziegler als Arienkomponist des deutschen Theaters belegt. Von ihm stammt die in Cod. 19062 erhaltene Musik zu den Arien der Colombina und des Bernardon in Johann Wilhelm Maybergs Wiener Bearbeitung von George Lillos Der Kaufmann von London (1754) sowie die Arienmusik zu J. K. Hubers Kassenschlager Leopoldel in Africa, Johann Georg Heubels Asteria oder Hanns Wurst der abentheuerliche Bären-Ritter und den anonymen Komödien Leben und Tod der zaubernden Circe, Ramildo und Egissa und Die getreue Braut (alle 1753/54, Musik ist verloren). Gemeinsam mit dem Violinisten Peter Eder schrieb Ziegler die Arienmusik zu Hubers Maschinenkomödie Der aus dem Mond gefallene Leopoldel, von Eder allein stammen die Arien zu Bernardon auf der Gelsen Insul (1754), deren Musik wieder in Cod. 19062 überliefert ist. Aus den Theaterrechnungen ist ersichtlich, dass die Komponisten pro Arie mit einem Gulden entlohnt wurden.

Gemäß der Typenhaftigkeit ihrer Figuren zeichnet sich die K. durch eine starke Formelhaftigkeit aus. Dabei erhält sie ihre Eigenständigkeit und den nicht unbeträchtlichen künstlerischen Wert durch ihren gemüthaften, parodistisch-komischen Ton, der durch die wienerische Mundart besonders geprägt wird. Dem typisierten Inhalt entspricht die formale Gestaltung, meist strophische Lieder mit gereimten Kurzversen im Jambus oder Trochäus. Die Anlage zur Da-capo-Form wird v. a. bei Stücken nach italienischer Vorlage benützt. Beliebt sind der rasche Personenwechsel sowie Sprachmischungen, wobei französisch-deutsche Mischarien gelegentlich französische Vaudeville-Timbres verwenden. Übertreibungen besonders in komischen Liebesliedern verraten eine Nähe zur Hamburger Oper. Die Arien der 1750er Jahre zeigen eine freiere Textbehandlung, nur mehr ein Viertel der Duette sind strophisch gebaut. Mit dem Anwachsen dramatischer Ensembles von mehr als zwei Stimmen wird einer größeren Bewegungsfreiheit der musikalischen Gestaltung vorgebaut; ihre durchkomponierte, finaleartige Gestaltung zielt auf die Ausbildung der deutschen Burleske zum Singspiel, die dann bekanntlich E. Schikaneder mit W. A. Mozarts Hilfe verwirklichte.


Literatur
J. E. Schlager, Wr. Skizzen aus dem Mittelalter, N.F. 1 (1839), 281ff; K. Goedeke, Grundriß zur Gesch. der dt. Dichtung 5 (21893), 303–308; A. v. Weilen, Gesch. des Wr. Theaterwesens von den ältesten Zeiten bis zu den Anfängen der Hof-Theater 1899; R. Haas in ZfMw 3 (1920); V. Helfert in ZfMw 5 (1922); B. Glossy/R. Haas (Hg.), Wr. Comödienlieder aus drei Jh.en 1924; R. Haas in ZfMw 12 (1925); R. Haas ZfMw 8 (1925); R. Haas (Hg.), Dt. K.n 1754-1758, Teil 1 in DTÖ 64 (1926), Neudruck 1960; M. Pirker (Hg.), Teutsche Arien [...]. Cod.ms. 12706–12709 der Wr. Nationalbibliothek 1 (1927) u. 2 (1929) [mehr nicht erschienen]; R. Haas, Gluck und Durazzo im Burgtheater (Die Opéra comique in Wien) 1928; O. Rommel, Die Alt-Wr. Volkskomödie 1952; F. Hadamowsky in Jb. der Ges. f. Wr. Theaterforschung 11 (1959); U. Birbaumer, Das Werk des Joseph Felix von Kurz-Bernardon 1971; C. Schoenbaum/H. Zeman (Hg.), Dt. K.n 1754–1758, Teil 2 in DTÖ 121 (1971); O. G. Schindler in Maske und Kothurn 20 (1974); H. G. Asper, Spieltexte der Wanderbühne: Ein Verzeichnis der Dramenmanuskripte des 17. und 18. Jh.s in Wr. Bibliotheken 1975; B. Amlinger, Dramaturgische Strukturen der Gesangseinlage in der Alt-Wiener Volkskomödie, Diss. Wien 1985; G. Thomas in Haydn-Studien 4 (1986); J. Hein, Das Wr. Volkstheater31997.

Autor*innen
Otto G. Schindler
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Otto G. Schindler, Art. „Komödienarie‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d563
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