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Kinoorgel
Bevorzugtes Instrument zur Begleitung zu Stummfilmen. Mit dem Aufkommen der Gattung Film erhielt die „Theaterorgel“ neue Aufgaben: eine musikalische Untermalung erwies sich als unerlässlich. Das wurde zunächst von kleinen Ensembles, Trios oder improvisierenden Pianisten wahrgenommen. Die Entwicklung eines eigenen Orgeltyps wurde durch eine „second hand church organ“ initiiert. Eine der ältesten K.n befand sich im Kino des Electric-Pavilion zu Clapham (London). Die Company des aus Österreich gebürtigen Rudolph Wurlitzer konstruierte 1910 zusammen mit dem englischen Techniker und Orgelbauer Robert Hope-Jones den speziellen „K.-Typ“, der als „Wurlitzerorgel“ im anglo-amerikanischen Bereich, aber auch in Europa Verbreitung fand. Er verdrängte letztlich die Ensembles aus den Kinos. Technische Basis bildete das elektrisch gesteuerte Unit-System, das im Multiplexverfahren die mehrfache Ausnützung von Pfeifenreihen ermöglichte. Diese Instrumente wurden mit Schwellkästen und Effektregistern angereichert. Typisch gefärbte K.stimmen entstanden, wie Konzertflöte, Kinura, Oboe, Klarinette, Tuba, Trompete, Vox humana.

Die Entwicklung des Tonfilms (1927–29) beendete das Interesse an derartiger Filmbegleitung. Gleichzeitig aber entstand von England aus ein neuer Trend, in jedem größeren Filmpalast eine umfangreich ausgestattete K. als Konzertinstrument einzubauen, die Organisten wurden als Stars gefeiert. Das Repertoire bestand aus Transkriptionen gehobener Unterhaltungsmusik.

In Österreich, insbesondere in Wien, sind zahlreiche Beispiele von Ensembles und kleinen Orgeln für die Begleitung der Stummfilme, aber auch drei Konzertinstrumente nachgewiesen. Auf dem Gebiet der ehemaligen K. u. k. Doppelmonarchie errichtete 1923 die Firma Rieger die erste K. im Stadtkino von Jägerndorf. Systematisch erforscht ist bisher der Raum von Wien und Umgebung.

Die kleinste Form der K.n verkörperte die Pit-Orgel mit den drei Registern Flute, String und Vox humana. Ein solches Instrument mit der Grundausstattung von vier Registern (Clarinette 8’, Flöte 4’, Violine 2’, Bordun 16’) wurde in einem Kino in Wiener Neustadt verwendet, stand dann viele Jahre in der Filialkirche Landegg bei Pottendorf/NÖ und befindet sich heute im Filmmuseum Laxenburg (s. Abb.).

Nach der Vorstellung von Hans Lüdtke und Oskar Walcker sollte das Oskalyd 1923 zu einer Art Universalorgel mit eigener Spieltechnik werden. Das Palastkino (Wien VIII, Josefstädter Straße 43–45) erhielt 1923 solch ein Oskalyd vom Typ C (op. 2005).

Ein Oskalyd (op. 2007) befand sich zunächst im Wiener Neustädter Apollokino. Später wurde es an das Zentralkino abgegeben. 1959 wurde das Instrument (Typ C) in der neuen Wiener Neustädter Pfarrkirche Herz Mariä aufgestellt. 2000 gelangte es in das Technische Museum nach Wien und ist dort spielbereit.

Das kleinste Kino Wiens (Wien XVI, Lerchenfelder Gürtel 45) besaß 1907–27 im Vorraum ein Orchestrion, das zum Eintritt einlud, aber auch während passender Filmszenen erklang.

Das Schwarzenbergkino (Kammerlichtspiele, Wien III, Schwarzenbergplatz) besaß in den 1920er Jahren ein vierregistriges Instrument, das nach Angabe des damaligen Direktors aus dem Besitz der Kaiserin Zita stammen sollte.

Das Wiener Zentralkino (Wien II, Taborstraße 8) erhielt 1925 im Zuge der Vorarbeiten für die Aufführung des Monumentalfilms Die zehn Gebote eine Orgel. 1929 wurde sie an die Pfarrkirche Grinzing (Wien XIX) abgegeben. Sie besaß eine pneumatisch gesteuerte Zwillingslade für 12 Register auf zwei Manualen und Pedal. 1962 wurde das Instrument zugunsten einer neuen Orgel abgebaut, die Windlade fand noch Verwendung für einen Zusatz in der Orgel von Höflein bei Bruck an der Leitha/NÖ.

1927 erbaute die Salzburger Orgelanstalt Cäcilia unter der Leitung von Hans Mertl eine Orgel für das Lustspielkino im Wiener Prater (Wien II, Ausstellungsstraße). Sie besaß 15 Register, verteilt auf zwei Manuale und Pedal. Mit dem Einbau einer Tonfilmanlage geriet sie in Vergessenheit. Sie dürfte bei einem Großbrand, der das Kino einäscherte, vernichtet worden sein.

1904 wurde der Gebäudekomplex des Wiener Apollotheaters errichtet (Wien VI, Gumpendorferstraße 63 / Kaunitzgasse 3). Nach dem Umbau zum Filmpalast erhielt der große Kinosaal 1929 eine Kino-Konzertorgel, eine Christie-Wunderorgel der Londoner Firma Norman, Hill and Beard. Sie bestand aus 7 Pfeifenreihen, aus denen 10 Grundregister abgeleitet waren. Der Spieltisch umfasste zwei Manuale und Pedal sowie unzählige Registerschalter. Bemerkenswerterweise besaß das Instrument bereits eine primitive Setzeranlage in einem Zusatzkasten (Metallschieber). Zahlreiche Effektregister ergänzten das Werk. P. Eisele und nach dem Zweiten Weltkrieg sein Bruder K. Eisele agierten hier als bekannte Starinterpreten. 1962 wurde die Orgel abgetragen, das Pfeifenmaterial einem Altwarenhändler übergeben, die übrigen Orgelteile lagerten bis 1979 im Keller des Gebäudes und wurden dann auf Veranlassung der Feuerpolizei entrümpelt (vgl. Dokumentation bei Schütz, Theater- und Kinoorgeln in Wien).

Das 1908 errichtete Johann-Strauß-Theater wurde 1931 zu einem großen Tonfilmpalast (Scalatheater, Wien IV, Favoritenstraße 4) umgebaut. Den Auftrag für eine Konzertorgel erhielt die amerikanische Firma George Kilgen & Son aus St. Louis in Minnesota. 11 Registerreihen waren auf 31 Grundregisterauszüge aufgeteilt. Das Instrument besaß drei Manuale und Pedal, die primitive Schieber-Setzeranlage war bereits im Spieltisch eingebaut. Als Star war hier L. Dité tätig. 1960 wurde das Theater zugunsten eines Wohnblocks abgetragen, die Pfeifen der Orgel wurden wieder einem Altwarenhändler übergeben, der Spieltisch und einige Bauteile wurden im Apollotheater gelagert und dort (s. o.) auf Veranlassung der Feuerpolizei entsorgt (vgl. Dokumentation bei Schütz, Theater- und Kinoorgeln in Wien).

1939 wurde für die große Synchronierungshalle der Wien-Film-Gesellschaft auf dem Rosenhügel (Wien XXIII, Engelshofengasse 2) eine K. angeschafft. Nach den Vorstellungen des Cheforganisten der UFA, Horst Schimmelpfennig, wurde das Instrument von der Firma August Laukhuff (Weikersheim/D) erbaut. An der Entwicklung waren die Herren Hämmerer, Emil Wilck und der Berliner Orgelbauer Link beteiligt, deshalb ist im Spieltisch als Erbauer „Lenkwil“ angegeben. Das Instrument wurde kaum verwendet, da das Gebläse außerhalb der Halle aufgestellt war und zu ständiger Verstimmung neigte. Vor wenigen Jahren wurde auch noch das Verbindungskabel vom Spieltisch zur Orgel gekappt. In der Folge wurde der Spieltisch gesichert verwahrt, die Orgel-Kammern wurden verschlossen. Das Instrument harrt auf eine Neuaufstellung und Revitalisierung. Das Werk besitzt drei Manuale und Pedal, 11 Registerreihen und 115 Registerzüge. Unter den zahlreichen Effektregistern ragen die Perkussionsregister, die Brandung und das Pferdegetrappel hervor.


Literatur
K. Schütz, Theater- und K.n in Wien 1991; W. Fritz, Kino in Österreich 1896–1939. Der Stummfilm 1981; H. Erdmann et. al., Allgemeines Hb. der Film-Musik 1927; R. Foort, The Cinema Organ 21970; H. Birett, Stummfilm-Musik 1970; NFP 29.2.1924, 17; G. Hauptmann in Das Orgelforum Nr. 5 (2002).

Autor*innen
Karl Schütz
Letzte inhaltliche Änderung
21.1.2021
Empfohlene Zitierweise
Karl Schütz, Art. „Kinoorgel‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 21.1.2021, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d453
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Denkmalgeschützte Kinoorgel aus einem Wiener Neustädter Kino, später in der Kirche in Pottendorf bei Landegg in Verwendung (1920er Jahre)© Bildarchiv Austria, ÖNB

DOI
10.1553/0x0001d453
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