Logo ACDH-CH
OeML Schriftzug
Logo OeML
Logo Verlag

Kaffeehausmusik
Live-Musik, die im Kaffeehaus mit Klavier oder in kleiner Besetzung unaufdringlich dargeboten wird. Nicht eigens dafür komponiert, sondern aus verschiedenen Gattungen kompiliert, gelten als Auswahlkriterien stilistische und emotionale Eignung sowie Popularität.

Das typische „Wiener Kaffeehaus“ existiert seit der sog. Ringstraßenzeit. Charakteristisch sind extreme Raumhöhe, oft mit Gewölben, und die Anordnung in Ecklage. Polstermöbel und Marmortische, Stuck und Samtvorhänge schaffen das besondere „Wiener Flair“. Je nach Größe des Lokals ist das Klavier ein Flügel oder ein Pianino (s. Abb.).

Wie alle Lokale dürften auch frühere Kaffeehäuser (18. Jh.) bespielt worden sein. Nachweisbar ist dies nicht, denn Verträge waren unüblich. Zudem veränderten Lokale häufig ihre Bestimmung: aus einem Kaffeehaus konnte ein Wirtshaus werden, dieses zu einem Etablissement, das noch einen Tanz- und Konzertbetrieb umfasste. Im Laufe der Zeit konnte es also vorkommen, dass ein Musiker stets am gleichen Ort in verschiedenen Lokaltypen „sein“ Repertoire spielte. Daher ist der Terminus K. eigentlich erst anwendbar, nachdem auch das Kaffeehaus seine endgültige Form gefunden hatte: in Wien um 1870. Gleichzeitig musste ein Fundus an Salonmusik vorliegen, aus dem man für das Kaffeehaus Stücke adaptieren konnte.

Im Gegensatz zur Musik in Etablissements, wo große Besetzungen und andere Attraktionen Aufmerksamkeit fordern, hält sich K. stets im Hintergrund. Ihre Aufgabe ist die Suggestion von Wohlbehagen. Strukturell dominiert Kleingliedrigkeit mit nachsingbarer Melodik und interessanter, aber nie extremer Harmonik. Animierende Rhythmik ohne hämmernde Motorik und transparente Verarbeitung musikalischen Materials sind weitere Wesenszüge. Virtuosität ist in Maßen erlaubt, sofern sie nicht in den Vordergrund tritt.

Stilistisch lassen sich in der K. drei Phasen unterscheiden: Ringstraßen-Ära, Zwischenkriegszeit und ausgehendes 20. Jh. Das frühe Repertoire lässt sich aus Sammelbänden für den Alltag rekonstruieren, teils sogar von Professoren des Wiener Konservatoriums ediert. Darin finden sich Werke namhafter Persönlichkeiten, bekannte Nummern aus Opern und Operetten sowie Gebrauchsmusik von unbekannten Komponisten. Geradezu omnipräsent war (und blieb übrigens) die Musik von J. Strauß Sohn, obwohl die großen Strauß-Kapellen niemals die zu kleinen und akustisch ungeeigneten Kaffeehäuser bespielten.

Die K. der Zwischenkriegszeit ist durch Einflüsse des Jazz, den Tonfilm (Film) und v. a. durch Interaktion mit dem Radio geprägt: Manche Tanznummer wird in einer Hotelbar gespielt, direkt vom Rundfunk übertragen und später im Kaffeehaus gebracht. Populäre Stücke des alten Repertoires bleiben erhalten, Operettennummern werden nach Jazz-Manier umrhythmisiert und Schlager kommen hinzu. Den Untergang der hohen Kaffeehauskultur verursachten Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Danach wichen Kaffeehäuser Geschäftslokalen, nur wenige boten Musik, weil dies dem Trend widersprach und anfangs zu teuer war.

Die dritte Phase beginnt gegen Ende des 20. Jh.s, als man das Flair der Raumakustik wieder entdeckte. Doch nun gibt es kein aktuelles Repertoire, da neue Musik mit Kaffeehaus-Eignung fehlt. Vielmehr wählen professionelle Musikerinnen und Musiker populäre Stücke aus der Historie, ergänzt um Arrangements von amerikanischer Unterhaltungsmusik. Je nach räumlichen und akustischen Verhältnissen bespielen sie Kaffeehäuser nach alter Tradition dezent mit internationalem Repertoire, oder im Ensemble mit Strauß-Repertoire für Touristen und Fans, oder mit unterschiedlichem Programm nach Tageszeit, etwa Wiener Musik, Musik der 1920er Jahre, Jazz etc. Nunmehr regeln Verträge Honorierung und Konsumation.

K. gilt außerhalb Österreichs als typisch Wienerisch, doch wird ihr dort oft fälschlicherweise auch das Repertoire des Neujahrskonzerts sowie Wienerlieder, der „Stehgeiger“, das „Kaffeehausorchester“ und Nostalgie subsumiert (Klischee).


Literatur
K.-J. Heering (Hg.), Das Wr. Kaffeehaus 1993; U. Heise, Kaffee und Kaffeehaus. Eine Kulturgeschichte 1987; H. Seemann (Hg.), Kaffeehaus-Album 1860-1930, 2000; B. F. Sinhuber, Zu Gast im alten Wien 1989; eigene Recherchen.

Autor*innen
Margareta Saary
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Margareta Saary, Art. „Kaffeehausmusik‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d36e
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
© Archiv Redaktion oeml
© Archiv Redaktion oeml

DOI
10.1553/0x0001d36e
ORTE
Orte
LINKS
ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft

Publikationen zur Musikwissenschaft im Verlag