Nicht zuletzt wegen der großen kunstgeschichtlichen Wirkung des J.s in den genannten Künsten und seiner zunehmenden Anziehungskraft auf das breite Publikum wurde mehrfach Analoges auch in der österr. Musik des Übergangs vom 19. ins 20. Jh. gesucht. Dabei ging man stets vom Begriff J. (allenfalls auch Art Nouveau) aus, nicht aber z. B. von Sezession. Obwohl die gegenseitige Durchdringung der Künste zum Programm gehörte und Musik wie Tanz so stark wie selten thematisiert wurde (vgl. Gustav Klimts Beethoven-Fries, 1902; Carl Molls Zyklus Beethoven-Häuser, 1907; Kolo Mosers Entwurf für eine Treibarbeit, 1903), müssen solche Versuche bald an Grenzen stoßen: weil man rasch in allzu großer Abstraktheit landet und die der Musik fehlende Begrifflichkeit direkte Vergleichs- und Analogiemöglichkeiten eben nicht zulässt. Solche hängen vielmehr vom gewählten Standpunkt und konkreten Ausschnitt der Betrachtung ab und können daher, obwohl in der Argumentationskette jeweils überzeugend, zu durchaus divergierenden Ergebnissen führen. Vielmehr ist zu bedenken, dass das den versch. Künstlern der Zeit gemeinsame Moment v. a. ein von Aufbruch beflügeltes Lebensgefühl war, das sich in den versch. Medien sehr unterschiedlich niederschlagen konnte. Bereits das ebenfalls als gemeinsam angegebene Ideal, Kunst und Wirklichkeit miteinander zu „versöhnen“, ist in der Musik (nicht nur der vertonten Dichtung) der Zeit – wenn überhaupt – höchst unterschiedlich ausgeprägt, zumal in Österreich: z. B. ist eine besondere Öffnung zum breiten Publikum der Zweiten Wiener Schule schwerlich nachzusagen und führt die etwas spätere scheinbare Öffnung J. M. Hauers (durch seine Ablehnung der „traditionellen Komposition“ und Neuerfindung des „Zwölftonspiels“) geradewegs in eine Gegenrichtung, nämlich in eine Form von Esoterik.
Am ehesten wäre von den als allgemein angesehenen Bestimmungsmomenten des J.s noch das Ornament auch in der Musik zu finden, doch bereits dessen weitere Konkretisierung als „floral“, „vegetativ“ o. ä. umso weniger möglich (vgl. auch die Rolle der Arabeske schon im musikästhetischen Denken E. Hanslicks; die ‚vegetativen‘ Elemente in der Musik des Franzosen Claude Debussy sind anderer Art; entwickelnde Variation). Selbst der Begriff des „Organischen“, der gegen 1900 eine geradezu inflationäre Konjunktur erlebte, wäre kompositorisch nur schwerlich zu fassen, weil es allzu oft mehrere „organische“ Lösungen nebeneinander geben kann, meist führt auch er nur zu Metaphern („Entwicklung“ eines musikalischen „Gedankens“ oder eines Themas aus einem kleinen Motiv, „Herauswachsen“ einer musikalischen Figur aus einer anderen, „Zusammenhängen“ sämtlicher Teile des Ganzen miteinander usw., motivisch-thematische Arbeit). Überzeugen können solche Formulierungen also bestenfalls dann, wenn sie ein außergewöhnliches Maß derartiger Verbindungen benennen sollen. Daher ist wohl kein Zufall, dass der Begriff J. bisher (2002) nicht, wie vergleichbare Übernahmen aus anderen Kunstbereichen, zu einem musikalischen Stil- oder gar Epochenbegriff geführt hat.
MGG 4 (1996); H. Holländer, Musik und J. 1975; J. Stenzl (Hg.), Art Nouveau. J. und Musik 1980; R. Gerlach, Musik und J. der Wiener Schule 1900–1908, 1985; G. Neuwirth, Die Harmonik in der Oper „Der ferne Klang“ von Franz Schreker 1972; G. Wunberg/J. J. Braakenburg (Hg.), Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910 , 1981; B. Boisits in Studien zur Moderne 11 (2000).