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Jägerndorf (deutsch für tschechisch Krnov)
Stadt im Nordosten Tschechiens bzw. Mährens an der Grenze zu Polen, nordwestlich von Troppau im historischen Gebiet von Schlesien (Österreichisch-Schlesien) liegend. Die erste schriftliche Erwähnung datiert aus 1269, zehn Jahre später wird ein (älteres) Stadtrecht bestätigt. 1273 ließen sich die Minoriten in J. nieder, 1281 auch der Deutsche Orden. 1377 kam es zur Gründung des Herzogtums J., das formell erst 1849 aufgelöst wurde. Herrscher waren zunächst die böhmischen Přemysliden, ab 1523 dann die Hohenzollern (Linie Brandenburg-Ansbach), Anhänger des Protestantismus. 1621 konfiszierte K. Ferdinand II. im Zuge des Dreißigjährigen Krieges bzw. der Gegenreformation die Ländereien und übertrug sie zwei Jahre später den Liechtensteinern. Ende des 18. Jh.s verlor die Stadt zugunsten von Troppau zunehmend an Bedeutung, Mitte des 19. Jh.s erfolgte jedoch ein bedeutender industrieller Aufschwung (Tuchindustrie, Webereimaschinen); 1872 Anschluss an das Eisenbahnnetz. 1880 zählte J. 11.800 Einwohner, 1918 dann 32.000, wovon 30.500 deutscher Nationalität waren. Der deutsche Charakter der Stadt blieb auch nach dem Ersten Weltkrieg – J. kam zur Tschechoslowakei – weitgehend erhalten und änderte sich erst mit den Vertreibungen nach 1945. Die Lage der Stadt in einem Gebiet, in dem deutsche, tschechische, polnische und österreichische Interessen aufeinander trafen, bestimmte auch die Musikgeschichte mit.

Ca. 1421 lebte in J. der Minorit Mikuláš Kozlík, der als Lehrer und Musiktheoretiker wirkte. Überhaupt war die Minoritenkirche (heutige Orgel von F. Rieger, II/12, 1883) ein bedeutendes musikalisches Zentrum. Markgraf Georg der Fromme v. Brandenburg-Ansbach erhob bereits 1523 die Schule zu einer höheren Stadtschule und achtete hierbei auch auf eine besondere Förderung der Musik, speziell der evangelischen Kirchenmusik (Reformation). Reliefs aus dem 16. Jh. an der Schlossmauer von J. belegen aber auch höfische Musikpflege. In der ältesten Kirche der Stadt, der im 13. Jh. errichteten Pfarrkirche St. Martin erbaute Theodor Agadoni 1710 eine Orgel (II/18, vermutlich 1779 verbrannt). Nach 1779 dürfte Josef Sebastian Studinger ein Positiv (I/9) in der Kirche aufgestellt haben, das Josef Ignác Welzel in den Jahren 1815–24 als Oberwerk in seinen Neubau (ca. II/24) übernahm. Zu Beginn des 20. Jh.s erfolgte dann ein Neubau durch Rieger (II/36; seither mehrfach adaptiert und erweitert). Von kirchenmusikalischer Bedeutung war die nahe der Stadt liegende Wallfahrtskirche aus dem 17. Jh. (sog. Burgbergkirche). Aufgrund einer sehr gut dotierten privaten Stiftung aus dem Jahr 1728 konnte hier im 18. Jh. ein Organist, ein kleiner Chor und ein Instrumentalquartett unterhalten werden; weitere Bestimmungen dieser Stiftung kamen der Kirchenmusik in der Minoritenkirche zugute. Ein in der Burgbergkirche vorhandenes Orgelpositiv aus dem Jahr 1724 wurde 1732 durch ein größeres Instrument ersetzt, 1845 errichtete Rieger eine neue Orgel. Erwähnenswert ist die Orgel (I/10) in der J.er Friedhofskapelle, hierbei dürfte es sich um das 1737 durch Wenzel Thiel erweiterte Positiv der Burgbergkirche von 1724 handeln.

Das Bürgerbuch der Stadt überliefert ab dem 17. Jh. Musiker als Bewohner (Pfeifer, Organisten, Rektoren des Kirchenchors, Stadttrompeter etc.). Beispielhaft seien genannt: Hans Kirschner (1650–64, Stadtpfeifer), Christian Heinisch (ca. 1671, „musicus instrumentalis“), Simon Grillus (1701, Organist), Johann Englisch (1710, Musiker bzw. Chororganist), Friedrich Tintzmann (1711, „Virtuose“), Konstantin Steckel (1722, Trompeter), Josef Müller (1746, Chorregent), Johann Friedrich Anton Seidel (1747, Klostermusiker), Josef Hus (1759, Musicus). Die Stadttrompeter bzw. -pfeifer (Thurner) wurden von der Stadt entlohnt und standen dieser sowie den Kirchen (gegen ein Extrahonorar) zur Verfügung. Auch spielten sie bei diversen Festen und Veranstaltungen der J.er Bevölkerung.

Bedeutung erlangte J. v. a. durch den Orgelbau. Jakob Rischak/Ryšák († 1693) ist 1667 in J. genannt (danach in Troppau), 1844 wurde die Orgelwerkstätte der Gebrüder Rieger gegründet, die der Stadt zu Weltruhm verhalf. Ab 1937 betrieb der ehemalige technische Direktor der Firma Rieger, Josef Kloss, eine eigene Orgelbauwerkstätte in J. Zu Beginn des 19. Jh.s gab es in J. weiters die Instrumentenbauer Josef Heichel und J. Valentin, ca. 1835 ist der Musikalienhändler Johann Bernerd belegt.

1858 wurde der MGV J. (Männergesang) gegründet, 1877 um einen Frauenchor erweitert, 1908 der Kirchenmusikverein. Erwähnenswert ist auch die Singgemeinde, die sich verstärkt dem Madrigal widmete. Führende Persönlichkeiten im Vereinswesen waren zu Beginn des 20. Jh.s Konrad Schmitz, Gründer des J.er Musikvereins, und Viktor Riedel (1931–42 Leiter des MGV J.). Unter ihnen sind große Oratorienaufführungen hervorzuheben, die Instrumentalbegleitung erfolgte durch die Stadtkapelle (war auch für die Kirchen- und Theatermusik zuständig), die Kapelle Steidl und durch Musiker aus Troppau. Der Musikverein veranstaltete unter Schmitzs Leitung auch regelmäßig Kammermusik- oder Orchesterkonzerte. An Instrumentalensembles sind weiters die Kapelle Bahnfrei und der Mandolinen- und Gitarrenclub Germania zu nennen. Ab der Mitte des 19. Jh.s gab es in der Stadt mehrere private MSch.n, ca. 1890 kam es zur Eröffnung einer Musiklehranstalt in Troppau, die auch einen Zweigstelle in J. hatte.

Im 18. Jh. gab es zunächst eine Theaterbühne im J.er Schloss, über die bislang keine genauen Nachrichten vorliegen. Aus 1790 datieren erste Berichte über ein Theater in der ehemaligen St. Wenzel-Kirche, in der bis zu den Napoleonischen Kriegen und dann wieder ab Mitte der 1850er Jahren gespielt wurde. Es dürfte sich hierbei neben Grein/OÖ um das kleinste Theater im deutschen Sprachraum gehandelt haben, Wandertruppen und das Ensemble aus Troppau konnten nur Sprechtheaterstücke und kleine Singspiele zur Aufführung bringen. Später gab es Theatervorstellungen im Garten des Schützenhauses und ab Ende der 1880er Jahre in einem Hotel. Nach 1918 erfolgte die Gründung des Städtebundtheaters Troppau-J., wodurch es zweimal wöchentlich zu Gastspielen des Troppauer Ensembles kam. 1928 wurde ein neues Theatergebäude eröffnet. Ob es auch ein eigenes J.er Ensemble gab, ist nicht ganz sicher. Jedenfalls soll es mit Unterstützung von J.er Musikern jährlich sechs Operninszenierungen gegeben haben (u. a. Rich. Wagners Tannhäuser und G. Verdis Don Carlos). Der 1921 gegründete Deutsche Theaterverein brachte sich bei der Finanzierung der Ausstattung ein. Tschechischsprachige Vorstellungen besorgte die Bühne von Mährisch-Ostrau (Ostrava/CZ).

Nach 1945 erfolgte ein kompletter Neuaufbau des musikalischen Lebens durch die zugezogenen tschechischen Bewohner. Die neue Smetana-MSch. zählte unter der Leitung von Alois Škrabal bereits 1945/46 72 Schüler. 1961/62 kam es zur Gründung eines Jugendblasorchesters, das auch im Ausland auftrat. 1988 erfolgte die Eröffnung eines Konzertsaales, im selben Jahr wurde erstmals das seither jährlich stattfindende Festival Krnovské hudební slavnosti (Musikfest J.) veranstaltet. An Musikern, die mit J., in Verbindung stehen, sind zu nennen: L. Mildner, die Violinvirtuosen Hans Kreuzinger († 1935, Mitglied der Wiener Philharmoniker) und Gerhard Taschner (1922–76), die Pianistin Ingeborg Herkomer sowie die Komponisten Karl Hanke (1750–1803) und Bert Rudolf (1905–92).


Literatur
B. Plánsky et al., Krnov město královského nástroje. J. die Stadt des königlichen Instrumentes 2007 [zweisprachig]; LdM 2000; SchlMl 2001; http://de.wikipedia.org (6/2013).

Autor*innen
Christian Fastl
Letzte inhaltliche Änderung
25.7.2013
Empfohlene Zitierweise
Christian Fastl, Art. „Jägerndorf (deutsch für tschechisch Krnov)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.7.2013, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x002ecc0d
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